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Mehr als 300 Briefe, Postkarten und Telegramme hat Alexander Granach zwischen 1933 und 1945 an seine Lebensgefährtin, die Schweizer Schauspielerin Lotte Lieven geschrieben: Kluge, vitale, oft amüsante Schilderungen der Theaterszene im Exil, aber auch hellsichtige Beobachtungen der politischen Situation in Hitler-Deutschland und der Desillusionierung der Utopie Sozialismus.
Mit einem Vorwort von Mario Adorf und einem Nachwort von Reinhard Müller.

Produktbeschreibung
Mehr als 300 Briefe, Postkarten und Telegramme hat Alexander Granach zwischen 1933 und 1945 an seine Lebensgefährtin, die Schweizer Schauspielerin Lotte Lieven geschrieben:
Kluge, vitale, oft amüsante Schilderungen der Theaterszene im Exil, aber auch hellsichtige Beobachtungen der politischen Situation in Hitler-Deutschland und der Desillusionierung der Utopie Sozialismus.

Mit einem Vorwort von Mario Adorf und einem Nachwort von Reinhard Müller.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2008

Wenn er spielte, wackelte der Kronleuchter

Des Widerspenstigen Zähmung: Der in Berlin gefeierte Schauspieler Alexander Granach musste Deutschland 1933 verlassen. Jetzt liegen die Briefe an "seine Frau" Lotte Lieven vor, die er ihr aus dem Exil bis ins Jahr 1945 geschrieben hat.

Die schwarze Erde Ostgaliziens sei "verschwenderisch und reich" und schenke "dankbar und vertausendfacht alles zurück, was man in sie hineintut", schrieb der Schauspieler Alexander Granach 1942 auf der ersten Seite seines autobiographischen Romans "Da geht ein Mensch", jenes Buches, das seinen Ruhm bis zum heutigen Tag gefestigt hat. Während die Nachwelt dem Mimen nur selten Kränze flicht, kann der Dichter, der ihr etwas Unverwechselbares hinterlassen hat, schon eher damit rechnen, in Erinnerung zu bleiben. Selten haben es die Talente, die der schwarzen Erde Galiziens entsprungen sind, so weit gebracht wie dieses.

Alexander Granach wurde 1890 als Jessaja Szajko Gronach im galizischen Werbiwizi geboren, das heute zur Ukraine gehört. Als neuntes von dreizehn Kindern arbeitete er bereits als Sechsjähriger in der väterlichen Bäckerei. Mit zwölf nahm er Reißaus und wurde Bäckergehilfe in Lemberg, wo er nach einem Theaterbesuch den Entschluss fasste, Schauspieler zu werden. 1906 kam er nach Berlin, verdiente sein Geld unter anderem als Sargtischler und stand zwei Jahre später zum ersten Mal auf einer Bühne. Darüber und über seine Zeit als Kriegsteilnehmer im österreichischen Heer hat Granach in seinen Erinnerungen, die 1919 enden, ausführlich berichtet. Zu der geplanten Fortsetzung kam es nicht.

Granach war vierundvierzig Jahre alt, als er - alles andere als freiwillig - im Januar 1934 dorthin zurückkehrte, von wo er einst aufgebrochen war, um Deutschlands Bühnen zu erobern. In Polen, wo er nun nicht mehr vor einem verwöhnten Großstadtpublikum unter Erwin Piscator oder Leopold Jessner, mit Elisabeth Bergner oder Heinrich George spielte, trat er zunächst im jiddischen Kaminska-Theater in Warschau und später mit seiner eigenen Tourneetheatertruppe auf. Sein Schritt in die Provinz war ein Gang ins Ungewisse. Er hatte Berlin bereits im März 1933 verlassen, nachdem ihm die Gestapo auf den Fersen war. Dass er, der gefeierte Berliner Schauspieler, sich - nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Zürich - eines Tages als Mitglied einer polnischen Wandertruppe wiederfinden würde, die von Chelm nach Dubno, von Zamosc nach Grodno und Bialystok tingelte, hätte er sich ein paar Jahre zuvor gewiss nicht träumen lassen.

Er blieb guter Dinge. Ein Miesepeter war der urwüchsige Dauerdynamiker ohnehin nie gewesen. Selbst beim täglichen Kampf mit unbegabten Schauspielern und betrügerischen Impresarios ließ er sich die gute Laune nur selten verderben. So selbstbewusst, wie er im zarten Alter von dreißig Jahren "in münchen ... den shylock spielte, frech, aufdringlich, brüllend, dass der kronleuchter wackelte", wie Bert Brecht schrieb, ging er ins Exil. So zupackend und optimistisch er war, was seine eigenen Möglichkeiten betraf, machte er sich über die Zukunft Deutschlands keine Illusionen. Die sparte er sich erst einmal fürs "Mütterchen" auf, wie er die Sowjetunion nannte, an die er so lange glauben konnte (und wollte), wie sie ihn nicht eines Besseren belehrt hatte.

Von Granachs widerständiger, unbeugsamer, gegen jegliche Unbilden gefeite Natur, die ihn mit einer unerschütterlichen Zuversicht ausgestattet hatte, zeugen die Briefe, die er zwischen 1934 und 1945 an "seine Frau" Lotte Lieven schrieb. Abgesehen von der großen Lücke, die zwischen dem vorletzten Schreiben Ende 1942 und dem letzten von 1945 klafft, gingen die Briefe zwischen Alexander und Lotte zeitweise mehrmals wöchentlich hin und her. Dass der Kontakt in den letzten beiden Lebensjahren Granachs völlig aussetzte, lag an der unterbrochenen Postverbindung zwischen Europa und Amerika, wohin Granach im Mai 1938 schließlich emigriert war. Das Ende des Krieges und die Veröffentlichung seiner Erinnerungen zu erleben, Deutschland wiederzusehen und möglicherweise wieder Anschluss an das deutsche Theater zu finden war ihm nicht vergönnt. Alexander Granach, der niemals ernstlich krank gewesen war, starb mit nur fünfundfünfzig Jahren am 14. März 1945 in New York, wo er gerade mit Erfolg am Broadway spielte, nach einer Blinddarmoperation an einer Embolie.

An Lotte Lieven sind 279 Briefe erhalten, es sind wohl alle, die Granach in den Zeiten des Exils an sein "geliebtes Lottchen" schrieb. Bis vor kurzem lagen sie in der Berliner Akademie der Künste, wohin sie nach dem Tod der Empfängerin gelangt waren. Herausgegeben von Hilde Recher und Angelika Wittlich, ist nun in einer sorgfältig edierten Ausgabe nachzulesen, wie der "Alltag" eines Emigranten aussah. Außer einem Fragebogen ist kein Wort von Lotte an Alexander erhalten. Welche Bedeutung sie in Granachs Leben gehabt hatte, wussten bis vor kurzem nur ein paar Eingeweihte. Nun kann man sich ein Bild davon verschaffen. Doch wer war Lotte Lieven, diese "Schwyzer Maid", die der "Neger", als welcher Granach seine Briefe an sie stets unterzeichnete, immer wieder beschwörend als sein "liebes Stück Heimat" bezeichnete?

Die Tochter von Schweizer Einwanderern wurde 1898 als Susanne Charlotte Munz in Kalifornien geboren. Nach dem Tod der Mutter kam sie als Säugling in die Schweiz, wo sie von einer kinderlosen Züricher Fabrikantenfamilie adoptiert wurde. Zur Schauspielerin ausgebildet, lernte sie 1920 Alexander Granach in München kennen. Bis 1935 spielte die begabte Schauspielerin an Berliner Bühnen, kehrte jedoch, nachdem auch sie aufgrund ihrer Beziehung zu Granach bedroht war, 1935 nach Zürich zurück, wo sie zwei Jahre lang Ensemblemitglied des Schauspielhauses war. Nachdem Erfolg und die Rollen ausblieben, zog sie sich 1940 von der Bühne zurück und engagierte sich fortan für verfolgte Künstler. 1986 starb sie achtundachtzigjährig in ihrer Villa am Zürichsee. Mit ihrem Tod ging ein unschätzbarer Zeitzeuge verloren, den zu befragen niemand für nötig befunden hatte, was nicht zuletzt an ihrer Diskretion gelegen haben mag.

Obwohl sie, anders als gelegentlich behauptet, nicht verheiratet waren, legte Alexander Granach laut Julius Hay "Wert darauf, dass man die Schweizerin überall als seine legitime Frau erkannte. Er verkündete das in nüchternem Zustand und brüllte es in alle Winde, wenn er besoffen war." Während der Dauer von Lottes Besuchen hatten sich die Frauen, die sich um Granach offenbar wie Motten ums Licht scharten, fernzuhalten. Dazu kam es in der Zeitspanne des vorliegenden Briefwechsels allerdings nur zweimal: Ein erstes Wiedersehen gab es zwischen Anfang Juni und Ende Oktober 1936 in Moskau, wohin Granach sich im Mai 1935 für zunächst unbestimmte Zeit begeben hatte, ein zweites Wiedersehen fand in den ersten Monaten des Jahres 1938 in Zürich statt, wo Granach als Macbeth im Schauspielhaus auftrat, nachdem er Russland hatte verlassen können. In Moskau hatte er sich nicht nur bessere Arbeitsmöglichkeiten, sondern auch die Verwirklichung jenes Traums erhofft, den er wie andere kommunistisch affizierte Emigranten träumte. Die zermürbende Desillusionierung (in Gestalt von Bespitzelung und Denunziation) ließ nicht lange auf sich warten.

Lottes Besuch in Moskau fiel in die Zeit des ersten Schauprozesses gegen das "Trotzkistisch-sinowjewsche Zentrum" und die damit einhergehende Verhaftungswelle, in deren Sog auch Granach geriet. Am 12. November 1937 wurde er in Kiew verhaftet und bis zum 29. November festgehalten; der absurde Vorwurf lautete, Granach (laut Fragebogen: "jüdischer Nationalität") sei für den deutschen Nachrichtendienst tätig und habe "trotzkistische Elemente" finanziert. Ein von Lion Feuchtwanger an Stalin gerichteter, nicht erhaltener Brief beförderte schließlich seine erstaunlich schnelle Freilassung.

Am 16. Dezember 1937 kehrte er Russland den Rücken, um sich nur noch einmal, diesmal auf virtuellem Weg, mit der geistigen Verfassung jenes Land auseinanderzusetzen, in dem er vermutlich stärker unter den deutschen Emigranten als unter den Einheimischen gelitten hatte: Neben Greta Garbo spielte er einen der drei russischen Emissäre in Ernst Lubitschs Komödie "Ninotschka" (eine Rolle, die ihm von orthodoxen Kommunisten wie Brecht übelgenommen wurde).

"Wenn Leute mich fragen, wie es mir geht, antworte ich: Ich kenne hundert Menschen, denen es besser geht, aber auch hundert Millionen, denen es schlechter geht." Bei Granachs Naturell verstand es sich von selbst, dass er sich seiner neuen Heimat mit der für ihn typischen Offenheit näherte. Während er Lotte immer wieder zu überreden versuchte, nach Amerika zu emigrieren, statt "Gott ergeben" die über "Europa losgelassenen Furien" zu erwarten, passte er sich wendig und schnell dem amerikanischen Lebensstil an, zumal "die Luft, die man hier atmet, doch die freieste" war. Seine Briefe aus New York und Hollywood legen beredtes Zeugnis davon ab, mit welchem Eifer er sich daranmachte, die Hürde zu nehmen, die für ihn das größte Hindernis bildete: Er erlernte das Wichtigste, was einem Schauspieler zu Gebote stehen muss, wenn er sich in einem neuen Land zurechtfinden will: die fremde Sprache. So schwer es ihm, der fließend Russisch, Polnisch und Deutsch sprach, auch fiel, sich des Amerikanischen zu bemächtigen, am Ende gelang es ihm, sich auch darin heimisch zu fühlen.

So "einseitig" dieser Briefwechsel ist, so sehr wir bedauern mögen, dass die andere Seite stumm bleibt, er zeugt von der mitreißenden Kraft eines Mannes, dessen Schwächen seine größten Stärken waren: seine hingebungsvolle Begeisterungsfähigkeit fürs Nebensächliche, seine Leidenschaft für Frauen (die er Lotte gegenüber natürlich nicht erwähnt), seine utopischen Hoffnungen auf eine besser organisierte Welt, seine unbekümmerte Umtriebigkeit, seine Großzügigkeit selbst jenen gegenüber, die sich als undankbar erweisen sollten. Es fiele schwer, ihn dafür nicht zu lieben.

ALAIN CLAUDE SULZER

Alexander Granach: "Du mein liebes Stück Heimat". Briefe an Lotte Lieven aus dem Exil. Hrsg. von Angelika Wittlich und Hilde Recher. Mit einem Vorwort von Mario Adorf und einem Nachwort von Reinhard Müller. Ölbaum Verlag, Augsburg 2008. 471 S., geb., 30,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Claude Sulzer begrüßt diesen von Angelika Wittlich und Hilde Recher herausgegebenen Band mit Briefen des berühmten Schauspielers Alexander Granach, der Deutschland 1933 verlassen musste. Die nun vorliegenden 279 Briefe, die Granach zwischen 1933 und 1945 an seine Frau Lotte Lieven geschrieben hat, vermitteln in Sulzers Augen ein anschauliches Bild vom Alltag im Exil. Ausführlich berichtet er über die Kindheit Granachs, seine galizische Herkunft, seine ersten großen Erfolge in Berlin, die Flucht vor der Gestapo nach Polen, die Zeit in Moskau und schließlich die Emigration in die USA 1938, wo der Schauspieler schnell Fuß fasste, in wichtigen Filmen mitwirkte und 1945 in New York nach einer Blinddarmoperation an einer Embolie starb. Die Briefe bezeugen für Sulzer auch den unbeugsamen, optimistischen, begeisterungsfähigen, offenen, großzügigen Charakter Granachs und seine Liebe zu Lotte Lieven. Mit Lob bedenkt der Rezensent die Herausgeberinnen des Bands für die Sorgfalt, mit der sie die Briefe ediert haben.

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