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Frau Leites kocht Holunderblütensaft in leere Kornflaschen ein, und die Jugend verblüht am Glascontainer, während auf der Pappelkoppel die Drillmaschine aufsetzt und der Edeka-Laster auf dem Buswendeplatz hupt. In der norddeutschen Provinz wird geliebt, geheiratet, gemordet und gestorben, und fast jeder ist schon mal über 'nen Appelkorn gestolpert. Sei es Tönnes, der zwei Meter hohe Wutausbruch, oder die weitäugige Polizistentochter, die was mit dem Reitlehrer hat. Svenja Leibers Figuren haben den Landregen im Gemüt. Da verliebt sich Heide Raschpichler in Hans Daleckie, nur weil ihr zu ihm…mehr

Produktbeschreibung
Frau Leites kocht Holunderblütensaft in leere Kornflaschen ein, und die Jugend verblüht am Glascontainer, während auf der Pappelkoppel die Drillmaschine aufsetzt und der Edeka-Laster auf dem Buswendeplatz hupt. In der norddeutschen Provinz wird geliebt, geheiratet, gemordet und gestorben, und fast jeder ist schon mal über 'nen Appelkorn gestolpert. Sei es Tönnes, der zwei Meter hohe Wutausbruch, oder die weitäugige Polizistentochter, die was mit dem Reitlehrer hat. Svenja Leibers Figuren haben den Landregen im Gemüt. Da verliebt sich Heide Raschpichler in Hans Daleckie, nur weil ihr zu ihm kein passendes Tier einfällt, und die Spätaussiedlerin Greta bewirtet die Landfrauen mit Haribo und Daim, bevor sie dem Großbauern einen Korb gibt.

Büchsenlicht ist ein Kanon, ein verregnetes Lied aus dem Norden. Hier, wo die Menschen mit Treckerreifenhaut ihre Wurzeln geschlagen haben, drohen andere auf den morastigen Äckern ins Bodenlose zu versinken. Landidyll oder Lebensknast, das müssen Einheimische wie Zugereiste für sich entscheiden - und Jammern gilt nicht.
Autorenporträt
Svenja Leiber, 1975 in Hamburg geboren, lebt in Berlin. 2007 erhielt sie den Kranichsteiner Literaturförderpreis 2007.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.07.2005

Neues aus der Dorfhölle
Svenja Leibers blühender Erzählungsband „Büchsenlicht”
„Eckeneckepen”, das sind ja keine Ecken-Eck-Epen, wie man auf den ersten Blick meinen möchte, sondern das ist, Storm- und Brüder-Grimm-Leser kennen ihn, der Name eines Kobolds mit roter Mütze, eines Feuerreiters, der zwischen Nord- und Ostsee durch den Sagenschatz geistert. Lange hat man von Eckeneckepen nichts mehr gehört, nun aber taucht er oder ein Wiedergänger in Svenja Leibers gleichnamiger Erzählung, der ersten in „Büchsenlicht”, wieder auf. „Landregen. Lehmschwere Stiefel an lehmschweren Bauern”, so geht es los und so hört es nicht mehr auf. Man wundert sich, woher Svenja Leiber, eine dreißigjährige, nahe Lübeck aufgewachsene, nun aber in Berlin lebende Debütantin, diese Welt so genau kennt. Sollte es all dies tatsächlich noch geben? Diese guten Stuben, in denen totenstill die Ledersessel schlafen. Das „synthetische Fliederaroma”, das Frau Leites in den Wohnräumen versprüht. Ihr dauergewelltes Haar, ihre Hosen und Pullover „mit aufwendigen Mustern in Schwarzweiß, die sie in der Kreisstadt kaufte.” Und dann ist da noch ein Kobold mit Hang zum Feuer, Holm Glave, der zarte, junge und wahnsinnige Mann mit der Klarinette, der Bauer Leites, dem Herrn über siebenhundert Schweine, das Haus anzündet. „Naa, na, na Eckeneckepen”, kommentiert der alte Emil das Geschehen „und klopfte den Meerschaumkopf aus”.
So geht es durchweg zu in Svenja Leibers dreizehn unterschwellig korrespondierenden Geschichten aus der norddeutschen Ländlichkeit. Die Jugend, „freie Bäuche, straffe Zöpfe, Bartversuche, Hautprobleme”, langweilt sich am Glascontainer, eine vierzehnjährige Schönheit führt den Reitlehrer um ihrer Lieblingsstute willen in Versuchung, Heide Raschpichler sieht auf ihrem feuchtfröhlichen Hochzeitsfest statt Männer- nur Tiergesichter, vor allem bei ihrem frischgebackenen Gatten, und erschrickt. Wir sind auf dem platten Land, wo seinesgleichen geschieht. Wo zwei Bauern um einen nassen Grenzgraben streiten, wo ein anderer seine Söhne so lange mit Wasserschlauch und Schmieröl traktiert, bis sich Widerstand regt, und wo Dirk, der Junkie, aushilfsweise die Stalltüren schleift und streicht und sich vom Ersparten endlich einen Computer kauft. „Seine Augen”, heißt es dann, „lasen sich zuckend durch das Labyrinth der Heimatseiten, die Maus in der Hand klickerte leise.” So ist Svenja Leibers Sprache beschaffen: nicht lakonisch, sondern lyrisch. Nicht aussparend, sondern blühend. Das ist, gemessen am derzeit populären ästhetischen Ideal der Wortkargheit, ein Gewinn. Es gibt zwar auch Geschichten in diesem Band, in dem Svenja Leiber die lakonische Richtung einschlägt, so etwa „Chicken Deleuze”, aber schon der Titel verspricht nichts Gutes, und auch die Erzählung selbst bietet wenig mehr als eine kleine Schule der erzählerischen Geläufigkeit.
Die anderen Geschichten hingegen haben es in sich. Es sind zeitenthobene und dann auch wieder ganz von Gegenwart gesättigte Skizzen aus einem ins Unheimliche und Hyperreale gewendeten Land-Alltag. Seine Beleuchtung ist das Büchsenlicht, jene, so der Duden, „Zeit der Morgen- und Abenddämmerung, die dem Jäger eine gerade noch ausreichende Helligkeit zum Schießen bietet”. In diesem gar nicht idyllischen Dämmerlicht hat Svenja Leiber ihre Instrumente in Stellung gebracht, und was ihr dabei in den Blick gerät, sind denn auch Jagdszenen, Stimmungen und Taten von nicht nur latenter Bedrohlichkeit. Die besten Erzählungen sind dabei die, in denen die Gewalt, ob nun als Brandstiftung oder Totschlag, gar nicht manifest wird; viel stärker wirkt ihr sinistres Potential dann nach, wenn es sich in keiner Tat entlädt. Die Wirklichkeit auf dem Lande ist so schon schlimm genug: „Heide leckte das Salz von seiner zuckenden Kehle. Ihre Wangen wurden wund von seiner Treckerreifenhaut. (. . .) Rothals keuchte und grunzte. Er schob ihr Kleid hoch, drückte ihr den Synthetikstoff auf das glühende Gesicht.” Lange haben wir nichts gehört aus der Dorfhölle, so lange, dass wir glaubten, es gäbe sie nicht mehr. Svenja Leiber, wenn sie das alles nicht nur geträumt hat, belehrt uns eines Besseren.
CHRISTOPH BARTMANN
SVENJA LEIBER: Büchsenlicht. Erzählungen. Ammann Verlag, Zürich 2005. 154 Seiten, 17,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005

Nackt unter Wölfen
Rustikaltristesse: Svenja Leibers Erzählungen /Von Oliver Jungen

Nichts bereuen im Reuental: Neidhart, der unerhörte Lyriker des deutschen Mittelalters, setzte auf Angriff. Kaum eine literarische Erregung brannte sich der Nachwelt derart ein wie Neidharts aus Verachtung, Haß und Neid gespeister Feldzug gegen die "dörperhaften" Landbewohner: tumbe, protzende, gewalttätige Dörfler, in deren Mitte alle "Höfischkeit" gurgelnd versinkt. Daß die mittelalterliche Gesellschaft ihren bescheidenen Wohlstand schweißtreibender Feldarbeit verdankte, interessierte den Hofsänger dabei kein lützel bißchen. Seine Bauern bestellen keine Äcker, sondern tummeln sich zugezecht und prankenschwingend beim rustikalen Tanzvergnügen. Im Gegenzug - Parodie hin oder her - steht da ein Dichter, sensibel, subversiv. Hinter Bube, Dame, König plötzlich ein As.

Auch achthundert Jahre später läßt sich Bauernhaß kultivieren. Die aus Hamburg stammende, bei Lübeck aufgewachsene und in Berlin gestrandete Schriftstellerin Svenja Leiber hat ihn zum Leitthema ihres ersten Erzählungsbandes "Büchsenlicht" erkoren, und - potz Blitz! - er trägt noch immer. Dafür verantwortlich ist in erster Linie Leibers glänzender Erzählstil, souverän, punktgenau, urkomisch (Betonung auf "ur"), mitunter kokett: "Im Sommer saß ich mit meinen Brüdern auf dem Rinnstein, wir klappten die Füße im Straßendreck hin und her wie Scheibenwischer, und mein Bruder schrieb ,Jenke ist ein Dummsack' in den Sand. Der alte Jenke war wirklich etwas dumm. ,Das kommt von den Lösungsmitteln', sagte meine Mutter. Der alte Jenke war Maler. Mir sagte das Wort ,Lösungsmittel' nichts, aber ein Dummsack war er."

Die meisten Erzählungen in "Büchsenlicht" basieren auf der Spannung zwischen den Mentalitäten, denn allenthalben geraten zarte, verletzliche Geschöpfe ins bäurisch-maskuline Milieu hinein, Frauen, Kinder, Homosexuelle, Musiker, nackt unter Wölfen. Die Autorin verhehlt nicht, auf wessen Seite sie steht. Hörbar atmet sie auf, als Sohn Holger den monströs gewalttätigen Vater erschlägt: ",Mittenrein', sagte er leise." Mittenrein in die Rustikaltristesse schleicht sich die Autorin, zu den Käuzen in die Ställe, in die guten Stuben unter den Eternitdächern. Das Dekor ist stimmig: Tagetes wächst in jedem Staudenbeet, "Haribo und Daim" machen in Schälchen die Runde, und verschenkt wird ausschließlich Likör.

Radikal ist Leibers Verachtung, weil sie lakonisch daherkommt. Das rurale Gesinde ist hier jenem Rest von Bauernschläue abhold, den Neidhart seinen Akteuren noch zugestand. Ödnis herrscht in "Büchsenlicht", leere Rituale, unbeherrschte Aggressionen und die Verzweiflung der Außenseiter. Seltsam nah rücken dabei Gegenwart und Vergangenheit zusammen: "Die Altbauern dagegen hatten alle ein paar Seelen auf dem Gewissen. Hatten die Polen in die kleinsten Ställe gesperrt, hatten sie hungern lassen, und der Müller hatte seinen sogar aufgehängt, nachdem er ihn an einer Leine durch den Ort gepeitscht hatte." Leiber schreibt mit dem Stilett, seziert die lautstark schweigende Kommune.

Eine der stärksten Erzählungen, "Eckeneckepen", die der Autorin vor zwei Jahren den "Literaturpreis Prenzlauer Berg" einbrachte, bildet den fulminanten Auftakt des Buches. Fast immer nämlich fügen sich ihre zarten Figuren, wenn sie die Dörper nicht einfach ignorieren, wie es die Jugendlichen am Glascontainer tun, in ihre Rolle als Beutestück. So die Freundin des Jägersohns oder Jula mit ihren aufgeschlitzten Armen, die alles zu geben bereit ist, um den edelsten Rappen reiten zu dürfen. In "Eckeneckepen" aber schlägt das Unterdrückte zurück, Häuser und Bauern stehen in Flammen. Mag Leibers Prosa über Strecken an Thomas Bernhards Zynismus oder an Arnold Stadlers Melancholie erinnern, am Rachepol glüht eine kaum erklärbare Wut auf: So hat nicht einmal Adorno 1944 an Deutschland gedacht. Und um Deutschland geht es: "Wieviel Erde brauchen die Deutschen?" Antwort: "So viel, daß sie dort all den Schrott draufstellen können, den sie sich im Baumarkt kaufen." Svenja Leiber schreibt an gegen einen internalisierten Heidegger, gegen die Aufrichtung der Ästhetik an van Goghs Bauernstiefeln, was zwangsläufig zur Anhimmelung der Wahrheit des Seienden führt. Vom Seienden, das sich die Deutschen im Baumarkt holen, gibt es längst viel zuviel.

Sorgfältig ist die Geschichte "Raschpichler" komponiert, in der sich Leichenschmaus und Hochzeitsfeier überlagern, was zu einem Neidhartschen Bauerngetümmel im "Feldkrug" führt: "Die Wölfe und die Füchse, die Ochsen und die Eber grölten." Die Identifikationsfigur, Heide Raschpichler, die es auf Hans Daleckie - "der einzige im Dorf, bei welchem ihr kein Tier einfiel" - abgesehen hatte, ehelicht aufgrund eines Mißverständnisses einen anderen Hans, eines der Tiere, aber sie vollbringt es, in derselben Nacht einen "Menschensohn" zu empfangen. Solche kleinen Siege, nicht der Defätismus, bilden das Zentrum von Leibers Fiktionen. Dabei sind nicht alle Erzählungen von derselben Qualität. Gegen Ende des Buches erinnert manches an Fingerübungen in der Literaturwerkstatt. Aber Svenja Leiber bekommt doch den Bogen. In der letzten Erzählung tritt Bauer Heinrich mit Getöse ab, dafür taucht ein geheimnisvoll kommunistischer Onkel, das ganz andere, auf: "Tommsen liebte die Freiheit, und alle liebten ihn. Er roch und sprach so anders." Die Zukunft des sechsjährigen "Mädchens" ist immerhin ungewiß: "Das Mädchen wollte einmal so werden wie er."

Offen bleibt auch die Parodiefrage. Wo Neidhart Bauer sagte, meinte er schließlich Ritter. Wen aber hat die Autorin tatsächlich im Visier? Die Ackersleute vom Prenzlauer Berg? Wer auch immer es sei, er möge seinen Kittel fest verschnüren. Denn nachgeben wird Svenja Leiber nicht. Wenn sie eine Sache hochgereckten Näschens mißachtet, dann die altteutsche Vorsichtsmaßnahme: "Sachte ins dorff, die pawern seind trunken!"

Svenja Leiber: "Büchsenlicht". Erzählungen. Ammann Verlag, Zürich 2005. 154 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

""Rustikaltristesse" ist der passende Begriff, den Oliver Jungen für Svenja Leibers Erzählungen gefunden zu haben meint. Er staunt, dass man noch heute soviel "Bauernhass kultivieren" kann. Die meisten Erzählungen von "Büchsenlicht" spielen im ländlichen Milieu, berichtet Jungen, und basieren auf der Spannung, die zwischen verschiedenen Mentalitäten und Milieus entstehen könne. Da gibt es Frauen, Künstler oder Homosexuelle, die es in die dörfliche Enge oder in die rustikale Bauernstube verschlägt, wobei die Autorin keinen Hehl daraus macht, verrät Jungen, auf wessen Seite sie steht. Dass Leibers unzeitgemäßes Leitthema trägt, liegt für den Rezensenten an ihrem "glänzenden Erzählstil", der lässig, präzise und urkomisch zugleich ist, lobt er - mit Akzent auf dem "ur". Nicht alle Erzählungen sind von gleicher Qualität, gesteht der Kritiker ein, der sich streckenweise an Thomas Bernhard oder Arnold Adler erinnert fühlt. Svenja Leiber ist aber viel wütender als diese Herren, meint Jungen: da glühe der Bauern- beziehungsweise der Deutschlandhass, dass es dem Leser eine Freude - und ein Rätsel - ist. Der Kritiker ist sich nicht sicher, wem genau dieser Hass gilt, denn längst lebt Leiber in Berlin - gilt er etwa den "Ackersleuten vom Prenzlauer Berg", fragt Jungen etwas verunsichert.

© Perlentaucher Medien GmbH"