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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 721 Bewertungen
Bewertung vom 22.04.2024
Nachruf auf mich selbst.
Welzer, Harald

Nachruf auf mich selbst.


schlecht

"Nachruf auf mich selbst" bedeutet soviel wie, das Leben Revue passieren zu lassen und sich der Endlichkeit bewusst zu werden. (27) Zur Untermauerung, dass Endlichkeit unmittelbar in den eigenen Fokus rücken kann, erzählt Harald Welzer seine eigene Krankheitsgeschichte. (53)

Der Autor bemängelt, dass es in unserer Kultur keine Methodik des Aufhörens gibt und Endlichkeitsprobleme (z.B. die Endlichkeit von Ressourcen oder die Endlichkeit des Lebens) nicht wahrgenommen werden. Der wirtschaftliche Stoffwechsel müsse verkleinert und nicht vergrößert werden. (27) Diese Erkenntnis, in Verbindung mit Nachhaltigkeit, ist nicht neu. Welzer stellt im zweiten Kapitel Lebensgeschichten einiger bekannter Persönlichkeiten vor, die erfolgreich die Bremse gezogen und mit bestimmten anfangs erfolgreichen Handlungen aufgehört haben.

Eine Politik, die auf Wissenschaft gegründet ist, bezeichnet Welzer als immer totalitär. (71) Man wundert sich über gar nichts mehr, wenn man ein paar Seiten vorher liest, dass die naturwissenschaftlichen Arbeiten am CERN mit kultischen Handlungen, mit denen man Regen oder eine gute Ernte beschwört, verglichen werden. (67) Und naturwissenschaftliche Erkenntnisse werten nicht in "Gut und Böse" und haben nichts mit Eugenik zu tun. (71) Da begeht Welzer Kategoriefehler.

In seinem Nachruf (Kapitel 3) erläutert Welzer einige Punkte, über die man während seiner Lebenszeit nachdenken sollte und nicht erst, wenn es zu spät ist. Während er eine Fehlertoleranz positiv sieht, spricht er sich gegen das Optimieren aus. Aber beides gehört zusammen und beeinflusst die (nicht nur) technische Entwicklung.

Ich finde, dass Buch hätte man auf Kernaussagen reduzieren können. Teilweise werden Sachverhalte behandelt, die nicht neu sind, sondern seit Jahrzehnten diskutiert werden. Zudem werden die eigene Lebensgeschichte und Sachverhalte vermischt. Es ist schwer, einen roten Faden zu finden.

Bewertung vom 07.04.2024
Bumm!
Evers, Horst

Bumm!


weniger gut

Der Roman spielt in verschiedenen Zeitebenen ab 1807, die miteinander verknüpft sind. Und auch innerhalb der großen Zeitsprünge gibt es kleine Zeitsprünge von mehreren Jahren. Zudem geht es um unterschiedliche Verbrechen und Tatorte. Unter diesem komplexen Wirrwarr leidet die gesamte Story.

Feste Größen sind die alteingesessene Charlottenburger Gaststätte "Treulose Tomate" und die mysteriöse Organisation "Telegraph". Hier verbirgt sich ein Geheimnis, welches die Zeitebenen miteinander verbindet. Hier wollte einst ein Freiherr von Dolmen wertvolle Kunstschätze dubioser Herkunft gegen einen seltsamen Tauschpreis veräußern.

Und auch Mascha Grollow ist eine rätselhafte Figur, die – so scheint es – die Zeiten überdauert. Sie taucht als Romanfigur bei dem Schriftsteller Sebastian Stark auf, der die reale Vergangenheit des Kriminalassistenten und späteren Kommissars Ernst Gennat um 1904 beleuchtet und sie trifft in der Gegenwart real den Schriftsteller Stark.

Auch der Name Kunboldt zieht sich durch die Geschichte, 1807 als Magistrat und im Jahr 2043 als Kunboldt Genetics, einer Bio-Firma. Die Verbrechen bedingen einander und wertvolle Bilder dienen der Finanzierung. Insgesamt handelt es sich nicht um einen leicht lesbaren spannenden Krimi, sondern um eine undurchsichtig verschachtelte Geschichte.

Bewertung vom 02.04.2024
Erzähler der Nacht
Schami, Rafik

Erzähler der Nacht


gut

Rafik Schami, ein syrisch-deutscher Schriftsteller, lässt seine Protagonisten in seinem Buch Geschichten erzählen. Wie kommt es dazu?

Der Roman spielt im Jahre 1959 in Damaskus. Kutscher Salim verzaubert Menschen mit seinen Erzählungen. Er gilt als der beste Geschichtenerzähler von Damaskus. Als aufmerksamer Zuhörer verwertet er Informationen seiner Fahrgästen für seine eigenen Erzählungen, die er entsprechend ausschmückt.

Eines Tages raubt ihm eine Fee seine Stimme. Seine sieben Freunde, alle, wie er selbst, um die 70 Jahre alt, können ihn erlösen, indem sie ihm einmalige Geschenke machen. Nachdem sie einiges erfolglos ausprobiert haben, kommen sie zu dem Ergebnis, dass jeder von ihnen Salim eine besondere Geschichte erzählen muss.

So kommt es, dass Salims Freunde, Schlosser Ali, Lehrer Mehdi, Friseur Musa, Minister Faris, Emigrant Tuma, Kaffeehausbesitzer Junis und der unschuldig verurteilte Isam bei ihren abendlichen Besuchen Geschichten erzählen. Jeder ist an einem Abend an der Reihe, Mehdi beginnt.

Die Geschichten zwischen Märchen und Realität machen einen großen Teil des Romans aus und so bleibt die spannende Frage, ob die Freunde ihr Ziel erreichen. Das Buch ist leicht verständlich und vermittelt einen Eindruck von der orientalischen Lebensweise in Damaskus vor ca. 60 Jahren.

Bewertung vom 22.03.2024
Der Fremde
Camus, Albert

Der Fremde


gut

Protagonist Meursault, ein junger Franzose, tötet in den 1930er Jahren in Algerien einen Araber und wird aufgrund dessen zum Tode verurteilt. Die Geschichte wird aus seiner Perspektive erzählt.

Meursault ist ein emotionsloser, distanzierter Mensch, der vielen Geschehnissen des Alltags gleichgültig gegenübersteht. Er orientiert sich nicht an gesellschaftlichen Normen und versteht moralische Grundsätze nicht.

Das wird bereits zu Beginn der Geschichte durch sein gleichgültiges Verhalten beim Tod seiner Mutter deutlich. Seine Gleichgültigkeit, welche offensichtlich seiner Natur entspricht, wirkt auf sein Umfeld gefühllos und unangepasst.

Aus Sicht des Richters ist sein Verhalten ein Indiz für seine kalte, amoralische, berechnende Natur. Seine nihilistische Art wird Meursault zum Verhängnis. Er hat auch nicht das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen.

Das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Perspektiven, der Einzelgänger gegen die Normen der Gesellschaft, der Nihilist gegen den Gläubigen, machen den Kern der Geschichte aus.

Einer irrationalen Welt des Absurden ein rationales Raster überzustülpen (hier: begreifbare Motive für die Tötung), ist zum Scheitern verurteilt. Aber wen stört es? Meursault hat sich seinem Schicksal ergeben und die Gesellschaft ist ebenfalls zufrieden.

Es handelt sich um einen Roman, in dem Konsequenzen des Existenzialismus aufgezeigt werden. Was bedeutet es, Mensch zu sein? Wenn man den Sinn des Lebens selbst gestaltet, unter Anerkennung der Irrationalität des Lebens, eckt man an.

Bewertung vom 13.03.2024
Offene See
Myers, Benjamin

Offene See


gut

Der Roman spielt in England im Jahre 1946. Das Leben des 16-jährigen Robert Appleyard scheint vorgezeichnet zu sein. Er lebt in einer Bergbauregion. Seine Vorfahren haben im Bergwerk gearbeitet und so wird auch er demnächst unter Tage arbeiten.

Robert fühlt sich eingeengt und so begibt er sich auf eine Reise durch das Land, um einmal das Meer zu sehen. Er arbeitet tageweise hier und dort und landet irgendwann auf dem Cottage von Dulcie Piper, einer allein wohnenden Frau mittleren Alters.

Dulcie ist gebildet, unkonventionell und hat andere Ansichten als die Menschen, die Robert aus seiner Heimat kennt. Zudem umgibt sie ein Geheimnis, das mit Manuskripten von Gedichten zu tun hat. Sie beeinflusst Roberts Weltbild. Er verändert sich.

Der Roman ist voller Poesie und sprachlicher Bilder, wenngleich die Geschichte unrealistisch und konstruiert wirkt. Es ist ein Entwicklungsroman mit intensiven Gesprächen, der leicht zu lesen ist, er ist aber auch klischeehaft.

Bewertung vom 07.03.2024
ZAP. Für die einen ist es Vergnügen. Für ihn ein Albtraum.
Eschbach, Andreas

ZAP. Für die einen ist es Vergnügen. Für ihn ein Albtraum.


sehr gut

Rüdiger und Nathalie Ahlmann ziehen mit ihren Kindern Silke, Finn und Moritz aus beruflichen Gründen von Kirchstadt nach Ostwaldau. Rüdiger arbeitet bei dem Unterhaltungssender 1spass-TV, für den er vollen Einsatz zeigt.

Finn kann sich in Ostwaldau nicht akklimatisieren. Er hat Probleme mit seinen Klassenkameraden. Vierzehn Tage nach dem Umzug hat er seltsame Erlebnisse. Plötzlich passt nichts mehr in seiner Umgebung. Lebt er auf einmal in einer Parallelwelt?

Viel mehr sollte man über den Inhalt nicht schreiben. Die ersten hundert Seiten sind spannend, weil die Hintergründe zunächst nebulös sind. Der zweite Teil ist spannend, weil es darum geht, wie man aus der Situation herauskommt.

Mit diesem Roman greift Andreas Eschbach ein aktuelles Thema auf. Auch wenn die Geschichte arg konstruiert wirkt, handelt es sich um eine zeitgemäße Kritik an der modernen Gesellschaft und Eschbach erweist sich mal wieder als kreativer Autor.

Bewertung vom 05.03.2024
Pique Dame / Kat Menschiks Lieblingsbücher Bd.8
Puschkin, Alexander S.;Menschik, Kat

Pique Dame / Kat Menschiks Lieblingsbücher Bd.8


sehr gut

Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799 -1837) gilt als Begründer der modernen russischen Literatur. Autoren von Weltformat wie Fjodor Michailowitsch Dostojewski und Leo Perutz haben sich an seinen Werken orientiert.

Die Erzählung "Pique Dame" aus dem Jahr 1834 wurde von Alexander Nitzberg neu übersetzt und von Kat Menschik humorvoll illustriert. Die Geschichte ist hinsichtlich der Entwicklung des Protagonisten Hermann tragisch, aber auch schelmisch.

Hermann, ein russischer Offizier deutscher Herkunft, trifft sich mit Freunden zum Kartenspielen und er erfährt von Tomski, dass seine Großmutter, Gräfin Anna Fedotowna, ein Geheimnis kennt, wie man beim Pharaospiel immer gewinnt.

Neugierig geworden versucht Hermann über Zofe Lisaweta Iwanowna, der er den Hof macht, Kontakt zur Gräfin aufzunehmen, um ihr das Geheimnis zu entlocken. Die Geschichte verläuft nicht so, wie Hermann es sich erhofft hat – eine Vision muss helfen.

"Pique Dame" bedeutet "geheime Missgunst" und das passt zur Geschichte, zum Charakter der Gräfin und zur Entwicklung von Hermann. Mit Raffinesse gelingt es Puschkin, eine einfach zu lesende Geschichte zu entwerfen, die gleichzeitig zeitlos und tiefgründig ist.

Bewertung vom 04.03.2024
Mathe kann jeder - und wir beweisen es
Naber, Josef;Mensing, Johannes

Mathe kann jeder - und wir beweisen es


ausgezeichnet

Der erste Teil ist eher ein allgemeiner psychologischer Ratgeber als ein Mathematikbuch. Es geht darum, aus Fehlern zu lernen, die Frustrationstoleranz zu erhöhen und den notwendigen Biss zu entwickeln, in Aufgabenstellungen tiefer einzusteigen. Fehler sind normal und auch notwendig für die Weiterentwicklung. Eigene Erfahrungen der Autoren stützen ihre Thesen. Ziel ist es, Erfolgsstrategien zu erlernen.

Im zweiten Teil unterstreichen die Autoren die Bedeutung der Mathematik anhand historischer Beispiele. Da geht es um Erdvermessungen, astronomische Beobachtungen, Kalenderberechnungen, Bienenwaben und um Mathematik in der Kunst. Aber die Mathematik beeinflusst auch unseren Alltag. Z.B. werden Konservendosen so hergestellt, dass bei einem bestimmten Volumen ein minimaler Materialaufwand notwendig ist.

Sie beschäftigen sich mit Wahrscheinlichkeitsrechnung und nehmen mit ihren anschaulichen Vergleichen manch einem Fluggast die Angst vor dem Fliegen. Besonders aufschlussreich sind ihre Analysen zum Glücksspiel, welche in der einfachen Erkenntnis münden: Glücksspiel lohnt sich nicht. Ebenso aktuell sind ihre Erläuterungen zur Pandemie (SIR-Modell, R-Wert) und zum Klimawandel.

Nachdem die Notwendigkeit im zweiten Teil des Buches erläutert wurde, liegt der Fokus im dritten Teil auf der Unterhaltung. Mathematik soll Spaß machen. Die Autoren stellen Kuriositäten und Rätsel vor und beschäftigen sich mit der Unendlichkeit. Aufschlussreich ist das Benfordsche Gesetz, mit dem Bilanzfälscher und Steuerbetrüger entlarvt werden können. Auch Verschwörungstheorien werden mittels Mathematik entzaubert.

Wer es genauer wissen will, findet im Anhang weitergehende Erläuterungen. Es gibt zahlreiche Bücher über populärwissenschaftliche Erläuterungen zur Mathematik. "Mathe kann jeder" hat den Anspruch, unmittelbar beim Erlernen der Mathematik zu helfen. Das Buch schließt insbesondere durch den ersten Teil eine Lücke und wird durch seine anschaulichen Erläuterungen seinen Platz in der Bücherwelt finden.

Bewertung vom 01.03.2024
Der Sandmann / Das Fräulein von Scuderi
Hoffmann, E. T. A.

Der Sandmann / Das Fräulein von Scuderi


gut

In "Der Sandmann" geht es um Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, aber nicht nur. E. T. A. Hoffmann beschreibt eine Horrorromantik mit bösem Ende. Er betreibt ein Verwirrspiel um Realität und Wahn und verunsichert die Leser, da die Unterschiede fließend sind und nicht immer erkannt werden können. Die menschliche Wahrnehmung wird in die Irre geführt.

Der Autor verarbeitet, lange vor den Erkenntnissen von Freud, Traumata aus der Kindheit und thematisiert moderne Themen wie das Verhältnis und die Unterscheidbarkeit von Mensch und Maschine. In diesem Zusammenhang kritisiert er die Rolle der Frau in der Romantik, die bewusst Fehler machen soll, um nicht maschinenhaft zu wirken. Wenngleich der Stil des Buches antiquiert wirkt, ist der Inhalt seiner Zeit voraus.

Bei der Novelle "Das Fräulein von Scuderi" handelt es sich um eine komplizierte Kriminalgeschichte, die im 17. Jahrhundert spielt. Sie wird von einem auktorialen Erzähler wiedergegeben und ist nicht chronologisch aufgebaut. Einige Unklarheiten und Querverbindungen werden erst nach und nach durch Rückblenden deutlich. Das trägt zur Spannung bei.

Die Leser werden zu Beginn durch einen geheimnisvollen Fremden, der um Mitternacht das Haus der Dichterin Madeleine Scuderi aufsucht, verwirrt. Wer ist dieser Mann? Bei den Raubmorden werden wertvolle Schmuckstücke gestohlen, die der angesehene Goldschmied Cardillac angefertigt hat. Auch in dieser Novelle gibt es Getriebene. Die Psychologie spielt eine große Rolle.

Bewertung vom 21.02.2024
2084 - Noras Welt
Gaarder, Jostein

2084 - Noras Welt


gut

Jostein Gaarder schreibt nicht nur Geschichten, sondern er verarbeitet Sachthemen in seinen Romanen. Er schreibt über Philosophie (Sofies Welt), Evolution (Maya oder Das Wunder des Lebens), Naturwissenschaft und Glaube (Die Frau mit dem roten Tuch), über existenzielle Fragen (Genau richtig), über Liebe und Trauer (Das Orangenmädchen) und über den Literaturbetrieb (Der Geschichtenverkäufer).

In „2084“ setzt er sich mit den Folgen der Klimakrise auseinander. Er wagt einen Ausflug in das Jahr 2084, um deutlich zu machen, wohin die derzeitige Entwicklung führt. Protagonistin Nora träumt sich in die Zukunft und sie erlebt nicht nur die Zerstörung der Erde, sondern wird auch konfrontiert mit Vorwürfen künftiger Generationen, warum sie und ihre Generation wohl wissend nicht gegengesteuert haben.

Afrika unbewohnbar, Kamele in Norwegen, Völkerwanderung Richtung Norden, Tiere nur noch als Hologramme, die Zukunft sieht düster aus. Während ich mich mit Nora und ihrem Freund Jonas kaum anfreunden konnte, fand ich die Prognosen über die Zukunft aussagekräftig. Sie sollen Nora und die Leser der Geschichte dazu bewegen, eine Wende herbeizuführen, denn die heutige Generation trägt Verantwortung..

Zumindest eine Idee, wie man Einfluss auf die Entwicklung nehmen kann, wird thematisiert, wenngleich Spenden, auch wenn sie zielgerichtet zum Schutz spezieller Arten erfolgen, nur ein Tropfen auf den heißen Stein bedeuten. Die Probleme sind komplexer und ohne massive Einschränkungen im Konsumverhalten nicht lösbar. Da hilft auch kein magischer Ring, weder im Roman, noch in der Realität.