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Autorenporträt
Rezensionen
"Hier wird alles strikt aus den Bildern herausgeholt, nichts aus der Phantasie, endlich dürfen die Bilder wieder noch dramatischer sein als Caravaggios Leben."
Peter Richter, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

"Der wunderbar lesbare Text argumentiert immer wieder so überraschend und stellt so treffende Fragen, dass man sich nur allzu gerne von der Autorin leiten lässt."
Christine Tauber, Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Großzügig gestaltet, lädt uns der Band ein, einzutauchen in eine versunkene Welt. Erkenntnisfreude garantiert - ein Glücksgriff."
Norbert Sperling, Deutschlandradio Kultur

"Eines der schönsten und klügsten Bücher, die es zu diesem Maler je gab."
Berliner Zeitung

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2009

Die Kunst soll zwicken, nicht töten
Derbe gesellschaftsfähig: Sybille Ebert-Schifferers große Verteidigungsschrift über den Maler Caravaggio, sein Helldunkel und seine Rüpeleien Von Kia Vahland
Der Junge trägt eine Rose in den Locken; er hat sie wohl aus dem Strauß gebrochen, der in der kristallinen Vase vor ihm steht. In Gedanken vielleicht schon bei seiner Verabredung, greift er etwas zu achtlos zu den Früchten auf der Tischplatte. Doch statt in Kirschen und Trauben fasst er in das Maul einer Eidechse. Sie beißt sich fest an seinem Finger, vernascht den Nascher, lässt ihn voller Ekel und Schrecken zusammenzucken. Seine Stirn verzieht sich, der Mund will schreien, das weiße Hemd rutscht von der hochfahrenden Schulter.
Willst Du, dass ich weine, so traure erst einmal selbst, sagt Horaz; ein Diktum, das im ausgehenden 16. Jahrhundert Kirchenleute der Gegenreformation die Maler lehrten. Ein Künstler, der wirken will, darf nun nicht mehr kühlen Kopfes dem Betrachter Verhaltensanweisungen geben. Wie ein Theaterschauspieler muss er in Rollen schlüpfen und seine Affekte erkunden, muss Körper und Psyche als Instrumente nutzen, um auszuloten, was den Menschen bewegt. Dann kann er zurücktreten und aus der Distanz zum Erlebten ein Bild schaffen, vor dem das Publikum sich gemeint fühlt.
Caravaggio (1571-1610) diente sich wohl selbst als Modell für seine Körper- und Affektstudie vom gebissenen Jungen. Der literarischen und visuellen Überlieferung zufolge müsste die nicht giftige Eidechse ein ungleich gefährlicherer Skorpion sein, der das Genießen bestraft. So streng aber ist der knapp über zwanzigjährige Maler nicht mit sich und den Betrachtern: Er spielt in seinem nur anderthalb scudi teuren Stück (was etwa dem Preis von 100 Kilo Brot entspricht) lieber auf den antiken Apoll als Eidechsentöter an, dreht das Geschehen ironisch um und verschafft dem Reptil und dem Prinzip der haptischen wie visuellen Verführung einen kleinen Triumph. Zwicken soll seine Kunst. Umbringen will sie niemanden.
Das war um 1593, als er noch nicht mit Neidern und Nachwelt gerechnet hat. Die Häme begann mit zeitgenössischen Konkurrenten, die ihn verleumdeten (wie im übrigen auch er sie). Einige Jahrzehnte später verselbständigten sich die Gerüchte vom Dreckskerl und Verbrecher, da sich die Zeiten änderten und die Zeichen falsch gelesen wurden. Caravaggios abgewetzte Kleider und löchrige Strümpfe wurden zum Beleg einer Unterschichtsherkunft – vergessen war, dass um 1600 der römische Adel das Schäbige schick fand, so wie man heute stonewashed Jeans trägt. Und dass Caravaggio die Mode mitmachte als Aufsteiger, der aus behütetem Elternhaus kam: Seine verwitwete Mutter hatte alles getan, um ihm eine Ausbildung im besten Atelier Mailands zu finanzieren. In Rom brachte er es dann als Gutverdiener zu einem Haushalt mit Tresor, teuren Weingläsern und Klappbett für den Diener.
In Sicht des weniger volksfrommen, aber hygienebewussten späteren 17. Jahrhunderts geriet Caravaggio zum Pöbelmaler, der Dirnen und Gauner nicht nur zeigte, sondern ihnen auch gefallen wollte anstatt dem lieben Gott. Das müsste man jenen Kirchenmännern sagen, die Caravaggio seinerzeit förderten, weil sie eine Kunst wollten, die das Christliche im Alltag auch der Armen und Demütigen zu offenbaren verstand, so wie Caravaggios Loretomadonna, die barfuß den ebenfalls schuhlosen Pilgern erscheint.
Schon seit einigen Jahren kämpft die jüngere Caravaggio-Forschung gegen die Klischees an. Jetzt bündelt Sybille Ebert-Schifferer die Argumente zu einer fundamentalen Verteidigungsschrift. Ihr Anliegen ist es, nicht nur die Kunst, sondern auch das soziale Verhalten Caravaggios zu kontextualisieren – wobei sie betont, wie wenig sich dieses auf die Malerei auswirkte. Das gut geschriebene Buch lehrt viel über ehrpusselige Adelige, die ihr Gewaltmonopol nicht gerne an den Kirchenstaat abtraten und es für mannhaft hielten, Widersachern in dunklen Gassen das Gesicht und damit das Ansehen zu zerschneiden. Folgt man Ebert-Schifferers sorgfältig aufgeführten Belegen, so war es für einen strebsamen Maler in Rom um 1600 nichts Besonderes, nachts Jalousien zu zerdeppern und Beleidigungsständchen zu singen, einem Wirt seine Artischocken ins Gesicht zu hauen, eine Prostituierte handgreiflich zu verteidigen und schließlich in einer Gruppenschlägerei einen Totschlag zu begehen. All das vermeintliche Außenseitertum also, wofür das 17. und 18. Jahrhundert Caravaggio hasste und das 19. und 20. Jahrhundert ihn liebte, entpuppt sich nun als überaus konformer Benimm.
Seit einigen Jahren etabliert sich im Umgang mit großen und in der Rezeption vieler Jahrhunderte hoch verehrten Künstlern eine Argumentation der vermeintlichen Ernüchterung. Zwei Sehnsuchtsgestalten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, dem „unglücklichen” van Gogh und dem „engelsgleichen” Raffael, wurde bereits nachgewiesen, wie strategisch sie den Vertrieb ihrer Bildideen und ihre Karrieren planten. Das ist sicher richtig und empirisch gut belegt. Es ist allerdings auch genauso zeitgebunden gedacht wie frühere Charakteristiken. Dass heute, im globalen Kapitalismus, alle großen toten Maler Verkaufsgenies gewesen sein müssen, scheint die aktuelle Form des Kunstlobs zu sein. Wo frühere Generationen Frömmigkeit oder Wahn und Verbrechen eines Malers priesen, anerkennen wir dessen Marktgängigkeit.
Wie auch immer dieses Phänomen später einmal wissenschaftsgeschichtlich bewertet werden wird: Fürs Erste liefert es neue Erkenntnisse. Bild für Bild erklärt die Autorin, wie der Maler seinen eigenen Markt schuf, indem er sensibel und selbstsicher auf die Anforderungen seiner Umgebung reagierte. Wie geschickt er theologische Wünsche mit kunsthistorischen Zitaten verband und seine Lichtkegel so passgenau ausrichtete, dass die reduktionistischen Kompositionen unmittelbare Lebensnähe und gelehrten Kunstsinn, hohe Theologie und allgemein verständliche Affektregie vermitteln.
So bereut Magdalena als religiös abgewandelte Melancholia, sinkt weinend in sich zusammen und neigt dem Betrachter ihren verletzlichen Nacken zu. Wie schon der Eidechsenjunge, will der ungläubige Thomas tasten und schauen und bohrt seinen Finger bis zum Knöchel in Christi Seitenwunde – die Kunst wird zum handfesten Glaubensbeweis. Und sie steht über allen Dingen: Der nackte „Amor als Sieger” spreizt die Beine wie Michelangelo Buonarrotis Heiliger Bartholomäus, um sich dann in dreckigem Witz über einen Himmelsglobus unter seinem Po zu mokieren. Amors Botschaft der göttlichen Liebe tut das keinen Abbruch, nur dem Ruf der päpstlichen Familie, auf deren Wappen der gleich beschmutzte Globus nebenbei anspielte. Was nicht subversiv war, sondern den Bildbesteller freute, bei dem die Familie verschuldet war.
So gesellschaftsfähig kann Derbheit sein. Zumal Caravaggio, wenigstens in seiner Malerei, immer eine gewisse professionelle Distanz wahrt. Er zoomt zwar nah genug ans Geschehen, dass nicht nur der ungläubige Thomas, sondern auch der Betrachter Christus auf den Leib rückt. Gleichzeitig aber sind seine Erfindungen offenkundig kunstlastig, manchmal sogar anti-anatomisch wie im Fall der reuigen Magdalena. Hier werkelt kein spontaner Naturalist, sondern ein Techniker der Gefühle mit gutem Bildgedächtnis.
Seine Malweisen behandelte Caravaggio als Betriebsgeheimnis, das nur wenige von ihm legitimierte Kopisten kannten – weswegen die Nachwelt alle möglichen Ateliergeschichten projizieren konnte, von unter der Decke hängenden Modellen und Lustknaben bis hin zu den komplizierten, viel zu modernen Spiegelkonstruktionen, die der Maler David Hockney dem Kollegen jüngst nachweisen wollte. Ebert-Schifferer räumt ein, dass auch die technologischen Bildanalysen noch keine Klarheit geschaffen haben über das Wie dieses Malens. Bekannt ist, dass Caravaggio von dunkel nach hell arbeitete und seine Lichtregie direkt auf den Bildträger skizzierte. Außerdem markierte er Linien mit Ritzungen.
Diese venezianisch inspirierten Techniken von Nachtdarstellung und Beleuchtung verhalfen ihm zum Durchbruch, wie das Buch überzeugend zeigt. Caravaggio, der schon wenig später als Mörder auch der Malerei diffamiert wurde, galt seinen Entdeckern als deren Retter. Der florentinische Manierismus mit seiner metallisch-kühlen Lebensferne schien unfähig, Wahrheitsanspruch und Relevanz von Bibel und katholischer Kirche zu verkörpern.
Wie gerufen kam in dieser Situation ein Norditaliener, der eine traditionelle Lehre absolviert hatte, sich mit Savoldo und Arcimboldo auskannte und empfänglich war für die Theatralik der neuen Epoche. Einer, der auch am 40-Stundengebet teilnahm und nichts dagegen hatte, wenn sich Kunstakademien wie Bruderschaften organisierten. Und ein Maler, der sogar selbständig für die Verbreitung der Ideale sorgte, indem er sich neben den kirchlichen Auftraggebern einen Kreis gut betuchter Abnehmer aufbaute. Freie Händler verkauften seine Werke, später auch Bankiers. Es war – neben Caravaggios berüchtigter Arroganz – gerade dieses Vertriebssystem, das seine Konkurrenten so in Rage brachte. Insofern war er tatsächlich ein früher Marktkünstler. Aber eben auch ein ästhetischer Überzeugungstäter, ein Mann seiner Zeit.
Sybille Ebert-Schifferer
Caravaggio
Sehen – Staunen – Glauben. C. H. Beck, München 2009. 319 Seiten, 58 Euro.
Wo man einst Frömmigkeit oder Wahn pries, erkennen wir die Marktgängigkeit eines Malers
Caravaggios „Pilgermadonna oder Loreto-Madonna” (oben); „Jüngling, von einer Eidechse gebissen”; „Der ungläubige Thomas” Abbildungen: © Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom/Sant’Agostino, Rom; Scala Art Archive, Florenz; bpk/Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg/Gerhard Murza
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2009

7. So viel Caravaggio war noch nie

Plötzlich liegen da gleich zwei Riesenbände über Caravaggio auf einmal vor einem. Zwei Bücher, ein Gegenstand. Die Autoren dürften sogar Tür an Tür gesessen haben: Sybille Ebert-Schifferer leitet die Bibliotheca Hertziana in Rom, Sebastian Schütze hat lange dort gearbeitet, jetzt lehrt er in Wien. Zufall? Pech? Beide haben sogar das gleiche Umschlagmotiv: das Gesicht der Judith, wie sie sich selbst stirnrunzelnd beim Absägen des Kopfes von Holofernes zuschaut, denn natürlich legen beide den Fokus auf das Staunen, den Glauben und die Radikalität Caravaggios.

Es ist damit nun ein bisschen so wie früher bei den doppelten Diaprojektionen im Kunstgeschichtsstudium: zwei Varianten des gleichen Motivs. Nun muss verglichen werden. Zunächst einmal: Beides sind die seriösesten Caravaggio-Studien seit langem. Es steht erstaunlich wenig Quatsch drin, und das ist bei diesem Maler leider nicht selbstverständlich. Normal sind leider psychologisierende Schmonzetten. Hier wird alles strikt aus den Bildern herausgeholt, nichts aus der Phantasie, endlich dürfen die Bilder wieder noch dramatischer sein als Caravaggios Leben. Man muss schon lange suchen, bis man was zum Nörgeln findet. Dass Ebert-Schifferer die Nebenfigur Vicente Carducho für einen Spanier hält, obwohl das ein Florentiner war, vielleicht . . . Aber sonst?

Beide Bücher sind für das sogenannte breite Publikum geschrieben, das es schließlich auch verdient hat, den aufregendsten, aktuellsten, film-noir-haftesten Maler des Frühbarock in dieser Ausführlichkeit vorgestellt zu bekommen. (Die wahren Abgründe im Lächeln des "Amor" hier oben begreift schließlich erst, wer weiß, was er mit seiner linken Hand da treibt.) Ebert-Schifferers Buch ist bei C. H. Beck erschienen; Schützes im Taschen-Verlag, der sehr viel Wert auf die Ausstattung gelegt hat: Viele Bilder wurden extra neu fotografiert, zu jedem Gemälde gibt es riesenhafte Detailaufnahmen. So nah kommt man nicht einmal vor den Originalen ran. Dafür kostet es auch fast doppelt so viel.

Und welches soll man nun nehmen? Beide natürlich.

Peter Richter

Sybille Ebert-Schifferer: "Caravaggio, der Maler und sein Werk", C. H. Beck, 58 Euro; Sebastian Schütze: "Caravaggio, das vollständige Werk", Taschen, 100 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Verdienstvolle "Mythendestruktion" bescheinigt die Rezensentin Christine Tauber, die selbst Kunstgeschichte lehrt, ihrer Fachkollegin Sybille Ebert-Schifferer und deren Caravaggio-Monografie. Wo vorher ein durchweg negatives Bild des Malers Caravaggio gezeichnet wurde und man ihm kriminelle Machenschaften und exzessiven Umgang mit Prostitutierten vorwarf, rekonstruiert Ebert-Schifferer einen anderen Caravaggio, der sich vor allem in Marketingstrategie verstand, wie Tauber erzählt. Dass das in der Forschung bereits bekannt sei, räumt Tauber ein, sieht aber beim vom Buch angestrebten Publikum der Kunstfreunde noch Nachholbedarf. Tauber lobt die Redegewandtheit der Autorin und ist auch mit dem Quellenumfang zufrieden. Einzig Caravaggios Zeit in Neapel und auf Sizilien hätte man vielleicht ausführlicher beschreiben können, meint Tauber.

© Perlentaucher Medien GmbH