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Autorenporträt
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2020

Im Schatten des Bruders
Lesenswerte Biographie über Sir William Siemens

Wer den Namen Siemens hört, denkt an Werner. Dabei waren es die drei Brüder Werner, Carl und Wilhelm gemeinsam, die die mit dem Mechanikermeister Johann Georg Halske 1847 gegründete, kleine Berliner "Telegraphen-Bauanstalt Siemens & Halske" aus bescheidenen Anfängen zum lukrativen Weltkonzern entwickelten. Dass vor allem Werner (1816-1892) im Gedächtnis geblieben ist, liegt nicht zuletzt an den "Lebenserinnerungen", die er vier Jahre vor seinem Tod veröffentlichte. Carl (1829-1906) verzichtete darauf, und Wilhelm (1823-1883) kam nicht mehr rechtzeitig dazu. Als Biographen hatte er seinen Freund William Pole anheuern wollen, von dem dann acht Jahre nach Wilhelms frühem Tod die offenbar einzig relevante, 1890 aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte Darstellung zu Wilhelms Leben und Wirken erschien. "Allerdings weist sie nach heutigen historiografischen Kriterien eine Reihe von Schwächen auf", schreibt Wolfgang König. Der vormalige Professor für Technikgeschichte an der TU Berlin hat nun eine aktuelle, reich illustrierte Biographie geschrieben, die Wilhelm Siemens aus dem Schatten des prominenten älteren Bruders holt.

Zusammen mit Unternehmensgründer Werner Siemens und seinem jüngeren Bruder Carl bestimmte Wilhelm Siemens maßgeblich den Aufstieg des Berliner Unternehmens im 19. Jahrhundert. König schildert den in Deutschland geborenen und ausgebildeten Maschinenbau-Ingenieur als vielseitig interessierten, anglophilen Grenzgänger, der sich in seinen Ambitionen deutlich von Werner und Carl unterschied. Wilhelm verstand sich offensichtlich nicht nur als Partner im gemeinsamen Familiengeschäft, sondern ebenso als Gründer eigener innovativer Unternehmen, vor allem aber als nimmermüder Erfinder, Entwickler und Naturforscher.

Werner Siemens, der von einer "Weltfirma à la Rothschild" träumte, disponierte Wilhelm für den Aufbau des englischen Geschäfts, nachdem der Zwanzigjährige Werners Techniken zu Galvanisierung und Dampfmaschinen-Regelung erfolgreich in London vermarktet hatte. Die Ausweitung nach Großbritannien war besonders wichtig, weil dort die Seekabel gefertigt wurden, die die Globalisierung entscheidend vorantrieben. Begeistert von den industriellen Chancen im Land, übersiedelte Wilhelm Ende der 1840er Jahre ganz nach dort, baute eine englische Niederlassung des Berliner Unternehmens auf und leitete sie. Daneben betätigte er sich als selbständiger Ingenieur, Erfinder und Unternehmer. 1859 heiratete er die Nichte eines Geschäftsfreundes aus Glasgow, der eine wichtige Rolle im Tiefseekabelgeschäft spielte. Wilhelm nahm die britische Staatsangehörigkeit an und nannte sich fortan William.

Zunächst lief die Londoner Filiale unter "Siemens, Halske & Co". Ab 1865 war sie als "Siemens Brothers & Co" selbständig und Wilhelm daran gemeinsam mit den Brüdern Werner und Carl als Gesellschafter beteiligt. Er agierte als Vertreter des Unternehmens, legte aber nachdrücklich Wert auf seine selbständige Tätigkeit als Ingenieur und Erfinder. Wolfgang König beschreibt eingehend, zu welchen Reibereien das mit Werner führte. Zum zentralen Konfliktstoff entwickelte sich auch, inwieweit sich die Firma bei der transozeanischen Telegraphie engagieren sollte. England war damals Mittelpunkt des internationalen Seekabelgeschäfts, und William wollte mit großem Einsatz in die neue Technik einsteigen. Seine beiden Brüder allerdings scheuten das Risiko. 1863 eröffnete William eine eigene Kabelfabrik in Charlton bei Woolwich, um sich bei der Seekabelverlegung von Zulieferungen unabhängig zu machen. 1874 ließ er den Kabelleger "Faraday" bauen, der das erste dauerhaft funktionstüchtige transatlantische Telegraphenkabel installierte.

König wahrt in seiner Biographie deutlich Abstand zum Heldenepos. Trotz unbestreitbarer Verdienste auf dem britischen Markt hält er William Siemens nicht für einen Vollblut-Unternehmer. Dessen Stärke sieht er in Erfindungsgeist, Forschungsdrang und Innovationsstreben. Auch wenn die Ideen nicht immer kommerziellen Erfolg gehabt hätten, sei ihm ein Platz in der Technikgeschichte sicher. Bewundernswert findet König nicht zuletzt Williams weit vorausschauendes Bemühen um Fragen der Vermeidung von Materialverschwendung, Energie-Einsparung und Schonung der Umwelt.

1862 wurde William in die Royal Society und später zum Präsidenten mehrerer britischer Wissenschafts- und Technikvereine gewählt. Die Universitäten von Oxford, Glasgow und Dublin machten ihn zum Ehrendoktor und Königin Victoria zum "Sir". Nach seinem Tod sorgten englische Ingenieur-Freunde dafür, dass ihm in der Westminster Abbey ein Buntglasfenster gewidmet wurde, das ihn als Professor vor seinen Schülern zeigte. Bei so viel Anerkennung soll selbst der große Bruder Werner geäußert haben: "Ich könnte ihn beneiden!"

Zur hohen Wertschätzung von Williams Leistungen in Großbritannien mag auch der grundsätzlich andere Blick auf Forschung und Technik beigetragen haben. "In England genossen die Naturwissenschaftler und die Ingenieure ein viel größeres Ansehen als in Deutschland. Sie hatten - so die allgemeine Meinung - die britische Industrialisierung in Gang gesetzt und einen zentralen Beitrag für die Weltmachtstellung des Inselreichs geleistet", schreibt König. Der zeitgeschichtliche Kulturvergleich zwischen den aufstrebenden Industrienationen Deutschland und England macht Königs Buch zusätzlich lesenswert. Die Lektüre lässt sich ergänzen: Der Band komplettiert die im gleichen Verlag erschienenen Biographien zu Werner von Siemens (F.A.Z. vom 7. November 2016) und Carl von Siemens (F.A.Z. vom 4. März 2013) zu einer familiengeschichtlichen Trilogie.

ULLA FÖLSING

Wolfgang König: Sir William Siemens. C.H. Beck, München 2020, 270 Seiten, 30 Euro.

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