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"Philosophie und Literatur haben eine gemeinsame Geschichte. Die Form, in der ein philosophischer Gedanke mitgeteilt wird, hat stets Bedeutung für seinen Gehalt und Zusammenhang. Dieter Henrich geht in diesem Buch der Entstehung von philosophischen Konzeptionen nach und entwirft damit zugleich das Kernstück einer noch ausstehenden Literaturgeschichte der Philosophie. Im ersten Teil des Buches werden die Entstehung und die Werkidee philosophischer Hauptwerke von Descartes, Kant, Hegel, Wittgenstein und Heidegger analysiert. Oftmals spielen in der Genese solcher Werke exzeptionelle Momente der…mehr

Produktbeschreibung
"Philosophie und Literatur haben eine gemeinsame Geschichte. Die Form, in der ein philosophischer Gedanke mitgeteilt wird, hat stets Bedeutung für seinen Gehalt und Zusammenhang. Dieter Henrich geht in diesem Buch der Entstehung von philosophischen Konzeptionen nach und entwirft damit zugleich das Kernstück einer noch ausstehenden Literaturgeschichte der Philosophie. Im ersten Teil des Buches werden die Entstehung und die Werkidee philosophischer Hauptwerke von Descartes, Kant, Hegel, Wittgenstein und Heidegger analysiert. Oftmals spielen in der Genese solcher Werke exzeptionelle Momente der Einsicht eine wichtige Rolle. In ihnen wird eine Konzeption gefasst, die Grundprobleme des Denkens löst und zugleich eine Orientierung für das Menschenleben erschließt. Der zweite Teil des Buches entfaltet - in kritischer Bezugnahme auf Rorty, Foucault und Quentin Skinner, aber auch auf Hegel - eine alte Frage auf neue Weise: In welchem Sinne müssen philosophische Konzeptionen als Produkte einer Kultur verstanden werden und inwiefern kann von ihnen gesagt werden, dass sie Erkenntnis nicht nur anstreben, sondern wirklich gewinnen? Der Weg zu einer Antwort führt in das Zentrum der Philosophie selbst hinein.
Autorenporträt
Dieter Henrich, geboren 1927 in Marburg, ist Professor für Philosophie. Er studierte in Marburg, Frankfurt/Main und Heidelberg. 1950 erwarb er in Heidelberg den philosophischen Doktorgrad und wurde dort 1956 Privatdozent. Er promovierte zum Thema "Die Einheit der Wissenschaftslehre Max Webers". In seiner Habilitation befasste er sich mit "Selbstbewusstsein und Sittlichkeit". 1960 folgte er - erst 33-jährig - einem Ruf als ordentlicher Professor an die Freie Universität Berlin. Er lehnte Rufe an die Universitäten Bochum, Würzburg und Göttingen ab und entschied sich 1965 für die Universität Heidelberg. Von 1981-1994 lehrte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er die Forschungsstelle Klassische Deutsche Philosophie leitete. Dieter Henrich ist Mitglied der Bayerischen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, der Akademia Europea, Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Sciences und seit 1999 Mitglied der Genfer Academie Internationale de Philosophie de

l'Art. 1995 erhielt er den Hölderlin-Preis der Stadt Tübingen und bekam 1999 die Ehrendoktorwürde der Universität Münster verliehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.05.2011

Für eine Literaturgeschichte
der Philosophie
Was ist eine Einsicht? Dieter Henrich fragt, wie
philosophische Werke entstehen
Was ist ein Werk? Diese Frage hat im Laufe der neueren Geistesgeschichte viele Denker beschäftigt. Der Philosoph Dieter Henrich geht ihr in seinem neu erschienenen Buch „Werke im Werden“ erneut nach. Genauer gesagt geht er der Genese philosophischer Werke nach; er will wissen, wodurch sie sich kennzeichnen, wie sie entstehen.
Henrich, eine der großen Gestalten in der deutschen und auch der internationalen Philosophie, ist 85 Jahre alt und gedanklich fest im deutschen Idealismus verankert. Werke wie „Grundlegung aus dem Ich. Untersuchungen zur Vorgeschichte des Idealismus“ (2004) gehören zum Kanon. In seinem neuen Werk verknüpft er langgehegte Stränge seines philosophischen Denkens mit einem fundamentalen Doppel-Anliegen, das in einem einzelnen Buch zu bewältigen kaum möglich scheint: Er möchte die Notwendigkeit des Schreibens einer Literaturgeschichte der Philosophie aufzeigen und gleichzeitig dem Begriff der philosophischen „Einsicht“ nachgehen, welchen zu explizieren ihm ein grundlegendes Anliegen ist. Verknüpft sind diese beiden gedanklichen Streben in dem Ausblick, in das vorzudringen, was Philosophie als solche ausmacht.
Denn Henrichs Konzept von „Einsicht“ ist für ihn integrales Moment des Entstehungsprozesses eines jeden „seriösen“ philosophischen Werkes. Dieses, das Werk, ist wiederum unauflösbar mit seiner Werk-Konzeption verflochten; es ist für Henrich also naheliegend, die Untersuchung des Zustandekommens von „Einsichten“ mit dem Anliegen einer Literaturgeschichte der Philosophie zu verbinden, da eine solche Geschichte eine Geschichte der Konzeptionen philosophischer Werke ist und diese Konzeptionen nicht erschließbar sind, ohne eben dem Moment der „Einsicht“ auf die Spur gekommen zu sein.
Zunächst aber: Was ist eine „Einsicht“? Für Henrich ist sie ein Moment im Denken eines Philosophen, in welchem ihm die Konzeption seines Werkes aufgeht. Als Beispiel hierfür dient unter anderem Rousseaus nahezu ekstatische Erkenntnis in Dijon, dass das sittliche Leben durch die Wissenschaften keine Verbesserung erfahren habe. Man spürt die heideggerianischen Anleihen der Sprache Henrichs, die es mitunter schwierig machen, ihn zu paraphrasieren, ihn in einer anderen Sprache wiederzugeben. So ist die stattfindende Einsicht eben eine „aufgehende“, ist ein zumeist einmaliges Moment des Denkens, in welchem plötzlich irreduzibel die Konzeption des zu schreibenden Werkes aufscheint. Dieses und mit ihm also die Einsicht ist wiederum unauflösbar gekoppelt an den „Lebensvollzug“, der mit der philosophischen Konzeption einhergeht.
Beim Entstehen der Konzeption eines für Henrich ernstzunehmenden Werkes sind also immer diese drei Momente unauflösbar und sich im gleichen Grund sammelnd beteiligt: In der Einsicht scheint die Konzeption auf, durch welche ein der Konzeption entsprechender „Lebensvollzug“ möglich wird.
Ein solcher „Lebensvollzug“ kann für Henrich durchaus ein sehr pragmatischer sein; es zeigt sich eine Möglichkeit, wie man zu leben habe, hinter die nicht zurückgegangen werden kann. Dies ist eine auch stilistische Eigentümlichkeit Henrichs: Obwohl er sich über 200 Seiten hinweg mit sprachlich nüchterner Akribie durch grundlegende Fragen der Philosophie- und Geistesgeschichte gräbt, wird in Wendungen wie der vom „Lebensvollzug“ immer wieder ein Pathos freigesetzt, das es schwer macht, sich zu entscheiden, wie man diesen Autor denn nun lesen soll: Als Altmeister der akribischen Philosophieexegese oder als prophetisch klingenden Denker im Sprachgewand Heideggers. Wahrscheinlich ist er beides, und das macht die Lektüre so aufschlussreich wie anstrengend.
„Einsicht“ muss also stattfinden, und das tut sie keineswegs immer. Henrich findet Beispiele bei Heidegger, bei Rousseau, bei Kant, Wittgenstein und Descartes. Abzugrenzen ist die „Einsicht“ von sogenannten „Heureka“- beziehungsweise „Aha“-Momenten und auch von etwas, das er „Sekundenphilosophien“ nennt.
Dies alles sind Momente, in denen Erkenntnis zwar stattfinden kann (etwa beim Erkennen, dass aus einem philosophischen Gedanken notwendig ein weiterer folgt oder beim plötzlichen Sich-Erschließen einer mathematisch-logischen Formel), „Einsicht“-Status können sie jedoch nicht haben, da sie eben nicht mit dem Lebensvollzug verflochten sind und daher nicht konstitutiv für eine philosophische Konzeption sein können.
Schön an diesem Gedanken, ist, dass er geistesgeschichtliche Betrachtungsweisen öffnet, wie die, dass ein Werk keineswegs abgeschlossen sein muss, um von einem Moment der „Einsicht“ zu zeugen. Auch Aphorismen und Unvollendetes müssen in eine Philosophiegeschichte mit einbezogen werden, sogar Textsplitter und Notizen, die ursprünglich von ihrem Autor nicht zur Veröffentlichung gedacht waren.
Hier wird ein weiteres zentrales Thema Henrichs ersichtlich, die von ihm geprägte und in seinen früheren Werken betriebene „Konstellationsforschung“. Unter „Konstellationsforschung“ versteht er eine Vorgehensweise der philosophischen Literaturgeschichte (für Henrich ist Philosophiegeschichte immer auch Literaturgeschichte, insofern, als dass sie sich mit der schriftlichen Konzeption und Ausgestaltung philosophischer Werke befassen muss), welche zeitgenössische Denk-Zusammenhänge erschließen kann. Eine solche Konstellation wäre das Zusammentreffen Hegels und Hölderlins.
Henrichs Begriff der „Konstellation“ ist anregend, weil er von ihm zusammengedacht wird mit dem Unterfangen einer Werkgeschichte. Demnach gelten seine Untersuchungen sowohl dem Entstehungsprozess, den der philosophische Autor in der Ausgestaltung seines Werkes durchläuft, als auch den zeitgenössischen Beeinflussungen und Befruchtungen, die zwischen verschiedenen Denkern in einem spezifischen geistesgeschichtlichen Kontext stattfinden.
Beide Begriffe, der der Werkgeschichte und der der Konstellation, werden von Henrich als genetisch und dynamisch gedacht, sind also nicht statische „Erkenntnismomente“, in denen sich ein universales philosophisches Wissen auf quasi-mystische Art und Weise offenbart.
Man kann sich nun fragen, was das Originelle an diesem Denken ist, vor allem in Bezug auf das von Henrich anvisierte Schreiben einer neuartigen Literaturgeschichte der Philosophie. Denn wurde dieses Unterfangen nicht längst von anderen Denkern unternommen? Stellt die Behauptung, eine Literaturgeschichte müsse erst geschrieben werden, nicht eine massive Ignoranz gegenüber sämtlichen Neuerungen philosophischen Denkens im sogenannten Poststrukturalismus, in der Postmoderne dar? Die „Archäologie“ eines Foucault, die dekonstruktivistische Rezeption philosophischer Standardwerke eines Derrida – wo stehen sie in diesem „neuen“ Feld, das Henrich in seinem Werk erschließen will? Was ist mit Badious „Ereignis“, welchem Henrichs „Einsicht“ strukturell nicht unverwandt ist?
Vielleicht tut man Henrich mit dem Vorwurf, er klammere aus, Unrecht, da sein Denken sich nun mal über die vielen Jahrzehnte seines philosophischen Schaffens entfaltet und schlichtweg keine Selbstrechtfertigungen mehr nötig hat. Es ist bahnbrechend genug, dass er in seine anti-geschichtliche Denkweise überhaupt generative Elemente mit einbezieht. Zumal er sich im letzten Teil von „Werke im Werden“ dann tatsächlich Foucault und Rorty widmet, welche er im Folgenden nur noch als „die Allianz“ bezeichnet. Er beweist in einem beeindruckend fundierten Schnelldurchlauf, warum Begriffe wie „Fortschritt“ und „Erkenntnis“ nicht obsolet sind.
Ein ernstzunehmendes philosophisches Werk bedarf eben des „Einsicht“- Momentes, ist immer auf diese nicht weiter explizierbare Art und Weise auf einen im Subjekt wurzelnden „Grund“ angewiesen, der diesem denkenden Subjekt selbst aber nicht thematisch präsent sein kann.
Insofern sind dann auch in einem strukturell analogen Gedankengang „Erkenntnisse“ immer nur Teilerkenntnisse, weil sie sich auf ein nie erschließbares Ganzes beziehen, welches aber stets unthematisch im Hintergrund west: Subjektphilosophie Kants im phänomenologischen Sprachmodus.
Aber vielleicht hat Dieter Henrich ja recht. Vielleicht muss aus der Spaltung der Theorietraditionen konsequenterweise der Gedanke folgen, dass es noch keine Literaturgeschichte des metaphysischen Denkens gibt, welche dessen Konzepte beibehält. Und diese philosophische Literaturgeschichte in den eigenen Begrifflichkeiten dieses Denkens wäre dann tatsächlich noch zu schreiben. HANNAH LÜHMANN
DIETER HENRICH: Werke im Werden. Über die Genesis philosophischer Einsichten. Verlag C. H. Beck, München 2011. 216 Seiten, 22,95 Euro.
In einem oft einmaligen Moment
scheint die Konzeption auf,
gebunden an den Lebensvollzug
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2011

Über den plötzlichen Durchbruch zur Einsicht

Behutsame Vergewisserung und großes Begriffstheater zugleich: Dieter Henrich macht in seinem neuen Buch die Verlustrechnung auf, wenn das Erbe der Philosophie ausgeschlagen wird.

Ob philosophische Entwürfe zu wirklicher Erkenntnis führen, ist eine recht groß zugeschnittene Frage. Ihre Beantwortung hängt davon ab, welche Ansprüche man mit "wirklicher" Erkenntnis verbindet. Was natürlich selbst wieder auf philosophische, also auf grundsätzliche Fragen hinausläuft, in denen kein Verweis auf etablierte Terrains des Wissens weiterhilft - und nicht zuletzt auf die Frage zusteuert, was es mit der Philosophie im Kern eigentlich auf sich habe.

Wesensbestimmungen des Philosophischen, die von den Vorsokratikern bis Derrida oder Habermas halten sollen, sind freilich meist eine schale Angelegenheit. Verständlich also, dass manche sich darum bemühen, die Sache eher pragmatisch anzugehen: Eine Tradition kanonischer philosophischer Autoren gebe es nun einmal, aber ihr verbindendes Element liege durchaus nicht in einem sich durchhaltenden Problembestand, an dem alle diese Philosophen sich abarbeiteten. Viel eher gelte es, im Rückblick die Differenzen zu erkennen, an den ganz anderen Problemlagen und Verfahrensweisen einen Geschmack für die historische Variabilität unserer eigenen Sichtweisen auszubilden.

Richard Rorty war ein prominenter und entschiedener Vertreter solcher Umgehung eines vermeintlichen philosophischen Kernbestands: Er sah in den kanonisierten Philosophien vielmehr die Arbeit an der Verknüpfung von verschiedenen Wissensansprüchen ihrer Zeit, die es in den breiteren Kontext kultureller Umwälzungen zu stellen gilt. Womit die Philosophie zu einer Facette dieses kulturellen Lebens unter anderen wird: Ihre unbedingten Begründungsansprüche mögen wertvolle Anstöße geben, aber als bare Münze sind sie gerade nicht zu nehmen. Außerdem wissen wir einfach eine Menge Dinge mehr von der Welt als Descartes, Kant oder Hegel - und das sticht letztlich auch in Sachen einer ins Ensemble der intellektuellen Verständigungen über die Welt eingegliederten Philosophie.

Es liegt fast auf der Hand, dass ein Philosoph wie Dieter Henrich, an der nachkantischen Entwicklung hin zu den idealistischen Systementwürfen orientiert, diese pragmatische Auskunft unzureichend findet. So wie andere Versuche auch - er nennt im Vorbeigehen den Ideengeschichtler Quentin Skinner und Michel Foucault -, philosophische Konzeptionen strikt an bestimmte kulturelle oder "epistemische" Ausgangslagen und auf sie reagierende Interventionsabsichten rückzubinden. Natürlich sei das immer möglich, lasse sich auch durchaus aufschlussreich durchführen - aber an den großen philosophischen Entwürfen bleibt für Henrich damit ein Mehrwert unberücksichtigt, der nicht als bloß rhetorischer Überschuss zu kappen, sondern vielmehr als das eigentliche philosophische Moment ernst zu nehmen ist.

Nun ist Dieter Henrich aber auch ein Philosoph, bei dem man nicht befürchten muss, dass er diesen Mehrwert einfach in eine hübsche Formel bannt oder schlicht die "philosophia perennis" als Instanz der Verhandlung ewiger Menschheitsfragen beschwört. Zwar, ohne eine Grundbestimmung philosophisch genannter Einsichten geht es nicht ab. Aber diese Bestimmung wird nicht Werken abgelesen, sondern soll über eine Betrachtung von Initialeinsichten erreicht werden, die am Beginn des Weges zu diesen Werken stehen. Wobei durchaus nicht ausgemacht ist - Heidegger und Wittgenstein sind die prominenten Fälle des letzten Jahrhunderts -, dass die ins Auge gefassten Darstellungen auch wirklich zustande kommen.

Einige Berichte von solchen plötzlichen Durchbrüchen zu einer Grundeinsicht lässt Henrich Revue passieren: Rousseau ist darunter, in dem die Lektüre einer akademischen Preisaufgabe den Grundgedanken seiner Kulturkritik aufscheinen lässt; Descartes Traumorakel eines neuen sicheren Wegs, von dem sein Biograph zu berichten weiß; Fichtes aufblitzende Einsicht von dem im Ich verankerten höchsten Prinzip der Philosophie, Nietzsches Zarathustra-Moment oder Wittgensteins Evidenzerlebnis über die Möglichkeit einer Religion beim Besuch einer Theateraufführung.

Diese Zeugnisse sollen illustrieren, dass die plötzliche Einsicht in die Möglichkeit, aus Einseitigkeiten philosophischer Grundpositionen herauszukommen, mit der Begründung einer neuen Lebensweise einhergeht: Zum Grundgedanken tritt eine Orientierung des Lebens - und liege sie auch, wie bei Wittgenstein, in der Evidenz, dass die Lösung der philosophischen Probleme jene des Lebens unberührt lässt.

Die Berichte sind freilich recht disparat und fungieren auch eher als Illustration für den grundlegenden Anstoß, um den es Henrich zu tun ist: Denn aus ihm sollen sich Form und inhaltliche Ausgestaltung der jeweiligen philosophischen Werke entwickeln lassen. Eine Aufgabe, die Henrich zur Aufgabe einer "Literaturgeschichte der Philosophie" erklärt. Die Nähe der zum Ausgangspunkt genommenen Grundeinsichten zu plötzlichen religiös geprägten Initialmomenten entgeht Henrich dabei durchaus nicht. Sie steht bei ihm vielmehr für einen gemeinsamen Bezug auf einen letzten Grund, von dem für ihn auch die Philosophie nicht lassen kann, selbst wenn sie ihn in ihren Entwürfen ganz anders entfaltet.

Dir Rückbindung des aufblitzenden Grundgedankens an eine Lebensorientierung mag auf den ersten Blick wie die Auslieferung an einen höchst subjektiven Erlebnischarakter scheinen. Aber gerade sie ist es, auf die Henrich seine Argumentation baut, dass die Kopplung von ursprünglicher Einsicht und letzthin Gründendem einer bewusstem Lebensführung ein Bestimmungsstück von Philosophie an die Hand gibt, das alle kulturelle Besonderheiten ihrer Ausformung übersteigt. Und auch von der Tatsache nicht relativiert werden kann, dass die damit ins Auge gefassten philosophischen Grundentwürfe einander flagrant widersprechen: Es ist behutsame Vergewisserung und großes Begriffstheater zugleich, wie Henrich auf knappem Raum seinen Weg findet zwischen einer unhaltbaren Verpflichtung auf Fortschritt in Sachen philosophischer Grundfiguren auf der einen und der allzu selbstbewussten Hegelschen Option auf die erreichte Stillstellung im Zeichen der vollendeten Historisierung auf der anderen Seite. Er optiert letztlich für das unbeendbare Schwanken zwischen Grundpositionen, deren Einseitigkeiten zwar zutage liegen, die aber von dem um ein gründendes Einheitsmoment bemühten philosophischen Impuls gar nicht vermieden werden können.

Viele große Worte, werden pragmatischer an den philosophischen Kanon herangehende Kritiker wohl einwenden. Aber selbst wer ihnen zuneigt, wird die Sogkraft von Henrichs Argumentationsgang nicht in Abrede stellen wollen, in dem die Kautelen des bloß Propädeutischen und Skizzenhaften der Prägnanz der Darstellung eher zuwachsen als sie schmälern. Es geht darin auch einmal mehr darum, eine in den großen Systementwürfen umrissene Bestimmung von Philosophie im Spiel zu halten, weniger direkt ihre Vorzüge anzupreisen, als vielmehr eine Verlustrechnung anzudeuten, wenn das Erbe des in ihnen erreichten Problembewusstseins ausgeschlagen wird. Ohne Umwege philosophiert man auf diesem Niveau nicht - und selten findet man sie so wohlüberlegt angelegt und konzis formuliert wie in diesem schmalen Band.

HELMUT MAYER

Dieter Henrich: "Werke im Werden". Über die Genesis philosophischer Einsichten.

Verlag C. H. Beck, München 2011. 216 S., geb., 22,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Im ersten Drittel seiner Rezension gibt Otto A. Böhmer seine eigenen Einsichten und die Nietzsches und Manns zum Thema der philosophischen Inspiration bekannt, um in einem weiteren Sechstel Henrichs Verdienste um das Thema in früheren Veröffentlichungen zu würdigen. Dann wünscht sich Böhmer eine Literaturgeschichte der Philosophie, zitiert zwei Absätze aus Henrichs neuem Buch, konzediert dass es anregend sei, wünscht sich einen zweiten Band, bezweifelt aber, ob daraus dann die weiterhin ersehnte Literaturgeschichte der Philosophie werden könne. Und überhaupt: Vielleicht finden Philosophie und Literatur nur "in begründeten Ausnahmefällen" zusammen.

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