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Die erste Gesamtdarstellung zur Geschichte der SED Die SED war die Staatspartei der DDR. An ihrer Spitze liefen die Fäden zusammen, mit denen Staat, Gesellschaft und Wirtschaft gesteuert wurden. Dennoch ist die Schlüsselrolle der Partei für die Aufrechterhaltung der Diktatur heute ein wenig in Vergessenheit geraten. Das öffentliche Interesse hat sich eher auf die Repressionsapparate, etwa das Ministerium für Staatssicherheit, konzentriert.
Andreas Malycha und Peter Jochen Winters legen nun die erste Gesamtdarstellung zur Geschichte der SED vor. Dabei liegt das Hauptgewicht auf den
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Produktbeschreibung
Die erste Gesamtdarstellung zur Geschichte der SED
Die SED war die Staatspartei der DDR. An ihrer Spitze liefen die Fäden zusammen, mit denen Staat, Gesellschaft und Wirtschaft gesteuert wurden. Dennoch ist die Schlüsselrolle der Partei für die Aufrechterhaltung der Diktatur heute ein wenig in Vergessenheit geraten. Das öffentliche Interesse hat sich eher auf die Repressionsapparate, etwa das Ministerium für Staatssicherheit, konzentriert.

Andreas Malycha und Peter Jochen Winters legen nun die erste Gesamtdarstellung zur Geschichte der SED vor. Dabei liegt das Hauptgewicht auf den innerparteilichen Wandlungen und Konflikten, den Machtrivalitäten und internen Führungskämpfen sowie auf den komplexen Wechselwirkungen zwischen Partei und Gesellschaft. Ebenso wie die Geschichte der SED endet auch dieses Buch nicht mit der Zäsur von 1989. Vielmehr spannen die Autoren den Bogen von der Vorgeschichte bis zum Nachleben der SED in PDS und Linkspartei.
Autorenporträt
Andreas Malycha, Dr. phil., Historiker, hat sich auf die Geschichte der DDR spezialisiert und forscht seit vielen Jahren über die SED.

Peter Jochen Winters, Dr. phil., Journalist, war von 1968 bis 1999 Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Von 1977 bis 1990 war er ständiger Korrespondent der Zeitung in der DDR.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Leo Sillner sieht in dem von Andreas Malycha und Peter Jochen Winters herausgegebenen Band eine ausgezeichnete Gesamtdarstellung zur Geschichte der SED. Einschränkend erklärt Sillner, die Beziehung zur Sowjetunion würde von den Autoren etwas zu knapp gehalten. Ansonsten aber zeigt er sich beeindruckt von einer genauen Entwicklungsdokumentation, die vor allem Machtrivalitäten und interne Führungskämpfe in den Blick nimmt. Als Geschichte der DDR taugt ihm der Band nicht zuletzt, weil die Autoren kenntnisreich und kühl die ganze Entwicklung der SED von den Anfängen, der Sehnsucht nach einer neuen Arbeiterbewegung, über diverse Führungskrisen bis hin zu Glasnost, Perestroika und dem Zusammenbruch stufenweise analysieren.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.08.2000

Stimmen sammeln für die Diktatur
Kommunistische Kader aus dem Moskauer Exil legten die Sozialistische Einheitspartei bereits bei ihrer Gründung als autoritäres Gebilde an
ANDREAS MALYCHA: Die SED; Geschichte ihrer Stalinisierung 1946–1953. Ferdinand Schöningh-Verlag, Paderborn 2000. 541 Seiten, 98 Mark.
Als totalitäre Staatspartei regierte die SED die DDR bis 1989. Formiert wurde dieser Anleitungs- und Kontrollapparat in den Jahren 1946 bis 1953. Es ist diese „Transformation der SED in eine Partei Stalinschen Typs”, die der Autor untersucht. Die Gliederung des Buches folgt den Zäsuren der Partei- und Diktaturgeschichte: Die Gründung 1946 als erzwungene Fusion der SPD in der SBZ mit der KPD legte die SED auf eine autoritäre Führung fest. Die Dominanz der KPD-Kader aus dem Moskauer Exil – Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck – war unübersehbar. Deren Machtposition beruhte vor allem auf ihren „nahezu exklusiven Kontakten zur Besatzungsmacht sowie zur KPdSU-Führung”.
1946 bis 1948 vollzog sich die „schleichende Stalinisierung” der SED. Sie begann mit der Veränderung des Charakters der Orts- und Betriebsgruppen und der Zunahme des hauptamtlichen Apparates auf der unteren Ebene. „Instrukteure” ermöglichten den Einsatz zentral gesteuerter Kader in den Landes- und Kreisvorständen. Jede Kritik an der Sowjetunion wurde zum Tabu, obwohl die Reparationen, die Kriegsgefangenenfrage, die Ernährungslage, das Abschneiden der SED bei den Landtagswahlen in der SBZ 1946 (sie galt als „Russenpartei”) immer wieder ihre Kader und Anhänger mit der Praxis der Besatzungsmacht konfrontierten.
Reibungslose Befehlskette
Der Aufbau der neuen Staatsmacht in der SBZ benötigte zuverlässiges Personal. Das hierarchisch gegliederte Schulungssystem diente der Formung einer neuen Generation von Parteifunktionären, „die ohne Reibungsverlust die Umsetzung zentraler Direktiven garantierten”. In der mittleren Ebene der SED führte dies zu Konflikten, da sowohl den Altkommunisten als auch Sozialdemokraten deutlich wurde, dass die SED eine Kaderpartei mit Massencharakter werden sollte. Damit waren viele Kommunisten und Sozialdemokraten in der SED nicht einverstanden, hofften sie doch, ihre Vorstellungen einer sozialistischen Einheitspartei jetzt realisieren zu können.
Für die „Vereinheitlichung” der Mitglieder setzten stalinistische Parteien auf Überwachung und Repression. Im Juni 1947 richtete die personalpolitische Abteilung im Parteivorstand per Beschluss ein Referat „Abwehr” ein. Damit wurde eine Struktur etabliert, welche die KPD schon 1945 geschaffen und konspirativ in die SED überführt hatte.
Die Leiter dieses Referats, Bruno Heid und Paul Laufer, unterstreichen durch ihre späteren Karrieren die Bedeutung dieser Frühphase der SED für die Formierung der kommunistischen Diktatur. Heid beteiligte sich 1951/52 am Aufbau der DDR-Auslandsspionage, bevor er Stellvertreter des Generalstaatsanwalts wurde. Laufer arbeitete 1949 in der Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) und gehörte damit zu den Organisatoren der „Parteisäuberungen” – sprich Überprüfung, Verhöre, Ausschlüsse, Verhaftungen von „Genossen” –, und wechselte 1955 zur Stasi, wo er sich weiter um DGB und SPD kümmerte. Er bildete den als Kanzleramtsspion bekannt gewordenen Günther Guillaume aus.
Parallel zur Etablierung des Abwehr-Referates, das in der SED auf die Jagd nach „Abweichlern” ging, wurde die Parteidiskussion erstickt. Landesverbände verloren 1947 die Entscheidungskompetenz in Personal- und Sachentscheidungen. Diese Entwicklung korrespondierte mit dem Aufbau der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK), mit der die Zentralisierung der Wirtschaft und Verwaltung der SBZ eingeleitet wurde. 1948 vollzog sich offen die Umwandlung der SED in eine „marxistisch-leninistische Partei Stalinschen Typs”. Dies stand im Zusammenhang mit der Verkündung des sowjetischen Zwei-Lager-Konzepts, dem Konflikt Stalins mit Jugoslawien und in Deutschland mit der Formierung eines demokratischen Kernstaates im Westen. Die offene Übernahme des sowjetischen Modells in der SBZ bedurfte eines koordinierenden Machtzentrums, das die SED in Gestalt des von Walter Ulbricht geleiteten Zentralsekretariats schuf und in dem „alle Fäden des politischen, geistigen und wirtschaftlichen Lebens zusammenzulaufen hatten”.
Die Ausrichtung der SED zu einem zentral gelenkten Anleitungs- und Kontrollapparat für ihren Staat nach dem Vorbild der KPdSU war das Ziel. Sämtliche Parteischulen verstärkten das Studium der Geschichte der KPdSU, mit der die Tradition der deutschen Arbeiterbewegung in der SED ausgelöscht wurde. Die Pläne der Führung waren das eine, die Reaktionen der Mitglieder das andere. Malycha verwendet viel Raum, um die Widerstände in der Mitgliedschaft gegen die Stalinsche Parteikonzeption darzustellen. Die Lösung des Problems folgte dem sowjetischen Vorbild der Parteisäuberungen. Sie wurde durchgeführt von der im Januar 1949 eingerichteten Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) unter dem paritätischen Vorsitz des Moskauer Kaders Hermann Matern und dem früheren Sozialdemokraten Otto Buchwitz.
Zunächst ging es der SED um den Kampf gegen die informellen Verbindungen zum Ostbüro der SPD und die Selektion von Mitgliedern, die vor 1933 kommunistischen Oppositionsgruppen angehörten. Die innerparteilichen Sanktionen reichten von der Verwarnung bis zum Ausschluss, wobei in vielen Fällen dem Ausschluss die Verhaftung folgte. Malycha verdeutlicht die Bedeutung dieser innerparteilichen Repression anschaulich: Vom Dezember 1950 bis Dezember 1951 sank die Zahl der Mitglieder von 1 573 000 um rund 20 Prozent auf 1 256 000.
Die Diktaturpartei war formiert, und ihre Strukturen wurden nach Stalins Tod und der Existenzkrise des SED-Staates am 17. Juni 1953 modifiziert, aber bis 1989 nicht mehr geändert. Malychas Organisationsgeschichte der SED für die Jahre 1946-1953 präsentiert die Breite der gesicherten Fakten über die Formierung der SED zur Diktaturpartei für die SBZ/DDR.
Die Konzentration auf die SED-Frühgeschichte erfolgte nach 1989 vornehmlich aus der Perspektive der Parteigeschichtsschreibung von SPD und SED/PDS. Die Gründungsgeschichte der SED war für die Sozialdemokraten nach 1990 erneut von Bedeutung. Was war die Fusion der SBZ-SPD mit der KPD zur SED: War es nicht auch bei allem Zwang eine einvernehmliche Unterwerfung sozialdemokratischer Funktionäre wie Otto Grotewohl unter die Kommunisten? Noch dringlicher schließlich benötigte die SED-Fortsetzungspartei PDS eine Unterscheidung zwischen einem antifaschistisch-demokratischen Neuanfang auch der KPD 1945 und der Stalinisierung der SED. Letztere Konstruktion, welcher der Autor Andreas Malycha 1990 selbst verpflichtet war, verweist er mit diesem Buch jetzt in das Reich der Legenden. Die Moskauer Exil-Kader der KPD, die diese aufbauten, waren schon Stalinisten.
Die Perspektive einer Organisationsgeschichte der SED hat methodisch ihren Preis, sie lässt die Frage nach Rolle und Funktion der KPD/SED in der sowjetischen Deutschlandpolitik in den Hintergrund treten.
Dies zeigt sich an der Periodisierung die Malycha vornimmt. Er beginnt mit der SED-Gründung 1946 anstatt mit dem Aufbau des Zentralen Parteiapparates der KPD im Juni 1945. Diese Erkenntnisschranke seiner Konzeption soll im Zusammenhang mit dem 17. Juni kurz demonstriert werden. Er schildert, dass am Morgen dieses Tages die SED-Spitze in Berlin-Karlshorst, dem Sitz des sowjetischen Hohen Kommissars, faktisch interniert wird. Zugleich behauptet er „die SED-Führung sah keinen anderen Ausweg, als sich ganz auf das Eingreifen sowjetischen Militärs zu verlassen. ” Diese Darstellung der Situation der SED-Führung am Tage des Volksaufstandes wird der historischen Situation nicht gerecht. Sowohl die Demonstranten, welche die deutsche Einheit und freie Wahlen forderten, als auch die sowjetische Besatzungsmacht ließen der SED keinen anderen Ausweg, als sich zur Sicherung ihrer Macht dem militärischen Schutz der Sowjetunion auszuliefern. Die SED war erst 1989 genötigt, ihre Parteikonzeption aufzugeben, als diese Existenzsicherung wegfiel.
MANFRED WILKE

Der Rezensent ist Wissenschaftlicher Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der FU Berlin.
Exklusive Konkakte zur Parteiführung der KPdSU stärkten die Machtposition von Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck in der SED.
Foto: SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2000

Kleine Nazis wurden im Schnellkurs zu Stalinisten
Die SED war von Anfang an eine Partei der kommunistischen Diktatur

Andreas Malycha: Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946 - 1953. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2000. 541 Seiten, 98,- Mark.

Über die SED ist mehr geschrieben worden als über jede andere deutsche Partei. Nur wenige Eingeweihte schaffen es, all das zu lesen, was die zahllosen Pathologen, die sich in die Eingeweide der ostdeutschen Diktatur hineingewühlt haben, im letzten Jahrzehnt herausgebracht haben. Andreas Malycha ist unter den SED-Analysten allerdings ein Sonderfall, weil er bis 1989 selbst zu den Eingeweihten im Braintrust der SED gehörte. Am Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED schloß er 1989 seine Promotion über die Geschichte der SPD im Jahr 1945 ab. Vieles von dem, was er damals schrieb, hat Malycha nach dem Ende der DDR revidiert. Jetzt legt er eine Geschichte der Stalinisierung seiner früheren Partei vor, die es in sich hat.

Sein Fazit lautet: Nicht als Reaktion auf den Beginn des Kalten Krieges begann die Stalinisierung der SED, sondern schon mit der Vereinigung von KPD und SED im April 1946. Bereits mit diesem Schachzug, schreibt Malycha, "gelang die Ausschaltung der Sozialdemokratie als politischer Machtfaktor in der SBZ". Die SPD wurde in eine tödliche Umarmung gezwungen und in die Lederhaut eines kommunistisch dominierten Parteiapparats eingeschnürt. Der Autor charakterisiert diese erste Phase als "die schleichende Stalinisierung" der SED.

Die strategische "Teilung der Welt" war demnach nicht die Konsequenz der Truman-Doktrin vom März 1947, sie begann hinter den Frontlinien der sowjetischen Streitkräfte überall in Osteuropa schon 1944/45 mit der systematischen Infiltration der Staatsverwaltungen durch die Kommunisten sowie der Herbeiführung ihrer politischen Dominanz in den osteuropäischen Ländern. Malycha bestätigt am Beispiel der SBZ die Grundannahmen der Truman-Doktrin. Die hintergründige, aber gleichwohl zielstrebige Einführung des sowjetischen Gesellschaftsmodells setzte mit dem Einmarsch der Roten Armee ein.

Unmittelbar nach der Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD sorgte der sowjetische Militärgeheimdienst durch exemplarische Verhaftungen und allerlei Pressionen für die Einschüchterung solcher Sozialdemokraten, die in der SED einen eigenständigen Kurs zu steuern versuchten. Die Abläufe und Maßnahmen, die nach 1946 rasch dazu führten, daß der SED-Mitgliedschaft jedes unabhängige Denken ausgetrieben wurde, sind in der westlichen Zeitgeschichtsschreibung schon in den fünfziger Jahren umfänglich untersucht und bewertet worden. Malycha bestätigt jetzt diese frühen Erkenntnisse, die in den siebziger und achtziger Jahren unter das Verdikt des Antikommunismus gerieten und nach Kräften relativiert wurden.

Malycha wertet das Archivgut der bis 1952 existierenden Landesverbände der SED aus und belegt, warum die Sozialdemokraten in der SED von Anfang an keine Chance hatten, als Demokraten zu überleben. Nur wer bereit war, Stalinist oder ein bedenkenloser Opportunist zu werden, überstand die Säuberungswellen, die aus der SED alle Traditionsbestände und geistigen Potentiale hinausspülten, die einer totalitären Ausrichtung zur Partei der kommunistischen Diktatur entgegenstanden.

Wie schnell und weitgehend die Sozialdemokratie in der SED glattgeschliffen wurde, erhellt eine Rede, die Hermann Matern, ein Mitglied der engeren SED-Führung, auf einer Landesdelegiertenkonferenz 1950 in Sachsen hielt. Er sprach über die Umwandlung der SED in eine marxistisch-leninistische "Partei neuen Typs": "Wir alle wollen gute und ernste Schüler Stalins sein, und wir werden keine Anstrengungen scheuen, Stalinisten zu werden." Niemand widersprach.

Welchen Ungeist die Anstrengungen, "Stalinisten zu werden", hervorbrachten, demonstrierte Matern auf einer Funktionärskonferenz im gleichen Jahr, als er über Ruth Fischer herzog. Malycha gibt eine Redepassage Materns wieder, ohne allerdings näher zu erläutern, über wen sich Matern derart unflätig äußerte. "Schaut euch diese Drecksau Ruth Fischer an", sagte Matern. "Entschuldigt diesen Ausdruck. Das Mistvieh war einmal in der Führung der Kommunistischen Partei. Schaut euch diese offene und hemmungslose Agentin an, dann seht ihr, wohin die Parteifeindschaft führt." Ruth Fischer hat als erste und einzige Frau vor Angela Merkel eine der großen Parteien in Deutschland geführt. Das linksradikale Bürgerskind aus Wien zog 1924 für die KPD in den Deutschen Reichstag ein und flog 1926 aus der Partei wieder heraus, weil sie sich deren Stalinisierung widersetzte. Als "jüdische Bolschewistin" stand sie 1933 ganz oben auf den Verhaftungslisten der Berliner SA-Kommandos. Als heimatlose Linke im amerikanischen Exil schrieb sie ein heute zu Unrecht vergessenes Buch, "Stalin und der deutsche Kommunismus", das 1948 in Frankfurt am Main herauskam. Ihre beiden jüngeren Brüder waren in der DDR zum Zeitpunkt, als Matern seine Verwünschungen ausstieß, bedeutende Männer: Gerhart Eisler war Mitglied des SED-Parteivorstandes und Regierungssprecher, Hanns Eisler Komponist der DDR-Hymne "Auferstanden aus Ruinen".

Eine politische Auferstehung der besonderen Art erlebten in der SED parallel zur Ausschaltung bekennender Sozialdemokraten die sogenannten kleinen Nazis. Schon 1947 durften sie - sofern sie "keine Verbrechen begangen hatten" - in die SED aufgenommen werden. Viele von ihnen lernten im Schnelldurchgang, "Stalinisten zu werden", und profilierten sich alsbald bei der "Ausmerzung des Sozialdemokratismus". Malycha zitiert aus einer Rede, die der SED-Führer Anton Ackermann 1947 hielt. Demnach sollten Nazi-Mitläufer der Jahrgänge ab 1919 mit folgender Argumentation für die SED gewonnen werden: "Das, was ihr vom Faschismus erwartet habt, nämlich eine neue Weltordnung, eine neue soziale Ordnung, den sogenannten deutschen Sozialismus, konnte euch der Faschismus niemals bringen, denn er war ja nichts anderes als die schlimmste großkapitalistische Reaktion. Aber das, was der Faschismus nicht verwirklichen konnte, wird nun der Marxismus, der wissenschaftliche Sozialismus, verwirklichen."

In einzelnen SED-Bezirksverbänden lagen die Spitzenwerte der bekehrten Nazis bei 12,5 Prozent (Magdeburg) oder gar 15,4 Prozent (Erfurt). Rechnet man im letzteren Fall die NS-Gliederungen hinzu, so hatten 1954 35,8 Prozent der Erfurter SED-Mitglieder eine braune Vergangenheit. Malycha geht leider nicht der Frage nach, welche Positionen in Partei und Staat ehemalige Nazi-Mitläufer bekleidet haben. So geht etwa aus Erhebungen des SED-Politbüros hervor, daß 1951 von den 5833 in DDR-Ministerien beschäftigten SED-Funktionären 940 vormals der NSDAP angehört haben.

Überhaupt ist es schlechthin ein Manko dieser materialreichen Untersuchung, daß darin das Leben außerhalb der SED kaum vorkommt. In Malychas Darstellung scheint sich die Formierung der SED zur stalinistischen Diktaturpartei gleichsam in einem volklosen Land abzuspielen. Ohne Zweifel hat der Stalinismus seinen willigen Parteigängern immer wieder ungeheuerliche Dinge zugemutet. Doch in welcher Relation steht das zu dem, was politischen Gegnern und unpolitischen Bürgern außerhalb der SED angetan wurde? Malycha geht am Rande auf den Ausgang der Landtagswahlen ein, die im Oktober 1946 in der SBZ stattfanden. Das Ergebnis Groß-Berlins ist nicht in die Statistik aufgenommen und wird im Text unvollständig erwähnt. Dabei bietet die Viermächtestadt den einzigartigen Vergleichsmaßstab, weil nur hier diese Wahl nach demokratischen Regeln stattfand. Die SPD, die in den SBZ nicht kandidieren durfte, erhielt in der einzigen Gesamt-Berliner Wahl, die zwischen 1933 und 1990 stattfand, 48,7 Prozent der Stimmen, die CDU 22,2 Prozent, die SED 19,8 Prozent und die Liberalen 9,2 Prozent. Selbst in den ostzonalen Landtagswahlen, die unter sowjetischer Kontrolle stattfanden, erhielt die SED nirgends die absolute Mehrheit. Demnach wollten die Bürger bereits 1946 nicht von dieser Partei regiert werden. Doch was zählte damals schon der Bürgerwille gegen den Weltgeist?

JOCHEN STAADT

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