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Stefan Beuse im Zeit-Online -Interview mit Martin Brinkmann: " Bewahrt uns vor schlechten Büchern! "
Ein Ghostwriter und Biograf reist in ein US-Amerikanisches Universitätsstädtchen, um die Geschichte eines Mannes aufzuschreiben, von dem er bislang kaum mehr kennt als ein verschwommenes Foto. Sein vermeintlicher Auftraggeber entzieht sich ihm, doch die Menschen in dem Haus, in dem er untergebracht ist, behandeln ihn als einen der Ihren. Sie verhalten sich ebenso rätselhaft wie Ned, ein junger Mann, der heimlich ein Mädchen beobachtet, zu dem er…mehr

Produktbeschreibung


Vollständige Lesung auf ZehnSeiten.de

Stefan Beuse im Zeit-Online-Interview mit Martin Brinkmann: " Bewahrt uns vor schlechten Büchern! "

Ein Ghostwriter und Biograf reist in ein US-Amerikanisches Universitätsstädtchen, um die Geschichte eines Mannes aufzuschreiben, von dem er bislang kaum mehr kennt als ein verschwommenes Foto. Sein vermeintlicher Auftraggeber entzieht sich ihm, doch die Menschen in dem Haus, in dem er untergebracht ist, behandeln ihn als einen der Ihren. Sie verhalten sich ebenso rätselhaft wie Ned, ein junger Mann, der heimlich ein Mädchen beobachtet, zu dem er sich auf unerklärliche Weise hingezogen fühlt. Er kündigt seinen Job und widmet seine Tage fortan nur noch der Erforschung ihres Lebens. Bis er entdeckt wird und in Gefahr gerät

Die Zwillinge Aaron und Lia Singer, von ihrer Mutter vernachlässigt und von ihrem Vater missbraucht, flüchten in eine Welt der Geschichten und Bilder. Eines Tages fliehen sie tatsächlich: in die Wälder, zu einer Hütte an einem See, wo sie allein mit sich sind. Doch bald wird auch die Natur zur Bedrohung.

Was sich in Stefan Beuses außerordentlich spannend und suggestiv geschriebenem neuen Roman "Alles was du siehst" zunächst wie drei ganz verschiedene Erzählungen liest, wird zunehmend und immer raffinierter zu einer großen Geschichte über das Wesen der Identität und die geheimnisvollen Kräfte, die Menschen zueinanderfinden lassen. Mehr und mehr ergänzen sich die Teile zu einer einzigen Biografie. Aber wessen?

Mit seiner klaren, souverän gehandhabten Sprache, seinen poetischen Bildern und den atemberaubenden Szenenwechseln entwickelt dieser glänzende Roman einen geradezu magischen Zauber.

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Autorenporträt
Stefan Beuse, 1967 in Münster geboren, lebt als freier Autor mit seiner Familie in Hamburg. Für seine Romane und Erzählungen wurde er vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Preis des Landes Kärnten beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb sowie zweimal mit einem Literaturförderpreis der Freien und Hansestadt Hamburg.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Andreas Dorschel ist ganz und gar nicht überzeugt von Stefan Beuses Roman "Alles, was du siehst". Der handelt von einem auf konstruktivistische Theorien versessenen Universitätsprofessor, der sich über den Tod seiner Tochter hinwegzutrösten versucht. Und zwar, so erfahren wir, mit dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik, der besagt, dass Energie nicht verloren geht, sondern nur ihre Form ändert. Die Idee einer derartigen Trauerarbeit hält der Rezensent schon an sich für einen "ungewöhnlich dummen Einfall". Und auch Beuses Erzählweise kann Dorschel nicht überzeugen: Der Autor beschreibt die Figuren nicht, er informiert über sie, wobei der verrückte Professor nicht mehr Fleisch und Blut hat als eine "Weltanschauung auf Stelzen". Das findet Dorschel dann doch zu langweilig.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.02.2009

Schwingende Winkel
Katzenfutter: Stefan Beuses Roman „Alles was du siehst”
Professor Lawrence Ludwig Nunn von der Cornell University in Ithaca im Bundesstaat New York verlor seine Tochter bei einem Unfall an der afrikanischen Küste des Indischen Ozeans. Den Verlust freilich widerlegte er mit dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik: Energie geht nie verloren, sie ändert nur ihre Form. Sich vom Satz von der Erhaltung der Energie Trost über den Tod eines Menschen spenden zu lassen ist selbst für einen Professor ein ungewöhnlich dummer Einfall – ein toter Körper zerfällt ja in bestem Einvernehmen mit dem Energieerhaltungssatz. Und so fragt es sich, ob jener Einfall gescheit genug ist, ein Buch zu tragen.
In Stefan Beuses Roman „Alles was du siehst” verkörpert Nunn den Typus des „nutty professor”. Aber er verkörpert den irren Gelehrten nicht in seiner komischen Variante, als ein Jerry Lewis oder Eddie Murphy von Cornell, sondern in der ernsthaften, ja theoretisch aufgedonnerten Spielart. Nunn ist eine Weltanschauung auf Stelzen, ein Schemen der These, die er verkündet: „Gedanken erschaffen die Wirklichkeit”, „Gedanken kreieren die Wirklichkeit, weder Zeit noch Ort sind real”.
Diese idealistische Spielart des philosophischen Konstruktivismus kann im frühen 21. Jahrhundert gar nicht anders, als sich durch Quantenphysik aus dem Wikipedia-Artikel päppeln zu lassen: „Schrödinger war eine große, rotbraune Katze . . . Die Katze, die gleichzeitig tot und lebendig ist . . . Erst im Moment der Beobachtung entscheidet sich, wie sie gefunden wird.” Wer richtig hinguckt, kann Whiskas sparen.
Wenn der Wille Fleisch wird
Wie Mehltau legt sich der von Nunn ausgehende Staub der Abstraktion auf Katze und Mensch, auf das gesamte Personal des Romans, ja auf das Erzählen selbst. Randal ist „ein Fleisch gewordener Wille” und Laurabell der wandelnde „Wunsch nach Selbstauslöschung”. Statt von ihnen zu erzählen und den Leser erschließen zu lassen, was die Figuren sind, teilt Beuse dem Leser mit, was sie sind. So wird das akademische Missverständnis, Literatur sei Kommunikation, einmal nicht mehr bloß Literaturtheorie, sondern selbst Literatur.
Wie den Figuren, so ergeht es in diesem Roman auch der Welt: „Eine verstörende Weite” – der Autor schildert die Weite nicht so, dass Verstörung von ihr ausginge, sondern informiert den Leser, dass sie verstörend sei. Schildern: vermutlich fände Beuse eine solche Haltung in seinem konstruktivistischen Universum naiv. Aber ohne sie verkommt das Romanschreiben zur Langeweile einer aufgemotzten rhetorischen Frage: „Wenn Identität nicht mehr war als die Summe aller Geschichten, die über jemanden erzählt werden konnten: Wie sollte ich aus dem Rauschen dann die eigene Stimme heraushören, jetzt, wo das Lied jeden Winkel dieser Eiswelt derart in Schwingung versetzte, dass die einzige Möglichkeit, mich vor dem vielstimmigen Klingen und Dröhnen in Sicherheit zu bringen, die Quelle war, der Ort, an dem die Töne in ihrer reinsten Form entstanden?”
Ja, wie nur? Wie wäre es, einmal die Kopfhörer des MP3-Players aus den Ohren zu ziehen, auf dem unentwegt „How to disappear completely” von Radiohead dudelt?ANDREAS DORSCHEL
STEFAN BEUSE: Alles was du siehst. Roman. C.H. Beck Verlag, München 2009. 176 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2009

Wie hängt alles zusammen und warum?

Stefan Beuse setzt in seinem neuen Roman "Alles was du siehst" das physikalische Phänomen der von Albert Einstein benannten "spukhaften Fernwirkung" literarisch um. Das schafft vor allem Verwirrung.

Überall flirrt und flimmert es in Stefan Beuses Roman. Nicht nur das Wasser in sämtlichen Aggregatzuständen, das den motivischen Unterbau liefert, auch die Grenzen zwischen Figuren und Biographien, zwischen Orten und Zeiten verlieren sich in weißem Rauschen. Was mit einer halbwegs festgefügten Wirklichkeit im Flugzeug zwischen Philadelphia und Ithaca beginnt, verflüssigt sich im Verlauf des Buches immer mehr.

"Alles was du siehst" heißt Stefan Beuses Roman, und so heißt auch das Hauptwerk des Professors Lawrence Nunn, der den Erzähler an die Cornell University einlädt, um eine Biographie zu schreiben. Nunns Buch beschäftigt sich mit der sogenannten "spukhaften Fernwirkung", "ein bisher nicht geklärtes Phänomen der Quantenphysik: Offenbar können Teilchen so eng miteinander verbunden sein, dass schon die Messung des einen den Zustand des anderen beeinflusst - ganz gleich, wie weit in Raum und Zeit sie voneinander entfernt sind. Nunns Theorie besagt, dass die Partikel Teile einer höher dimensionierten Wirklichkeit sind, in der sie eine Einheit bilden", erklärt es die Studentin Laurabell. Viel mehr wird dem Erzähler sonst nicht erklärt, sein Auftraggeber bleibt im Dunkeln, alle geheimnissen herum und fordern ihn auf, alles weitere selbst herauszufinden.

Die "spukhafte Fernwirkung", heute meist Quantenverschränkung genannt, gibt es tatsächlich. Erwin Schrödinger beschrieb das Phänomen, Albert Einstein prägte den spöttisch gemeinten Begriff, 1982 wurde die Theorie schließlich bewiesen. Die höher dimensionierte Wirklichkeit Lawrence Nunns hingegen ist fiktiv und gleichzeitig das dem Roman zugrunde liegende Erzählprinzip. Konkret bedeutet das: Mehrere Handlungsstränge und damit auch mehrere Personen hängen irgendwie zusammen, weshalb ihnen Dinge passieren, die sie sich nicht recht erklären können, weil sie wenig Erfahrung mit höher dimensionierten Wirklichkeiten haben. Professor Nunn schrieb sein Buch in Afrika am Strand, während seines Aufenthaltes ertrank seine Tochter im Meer und wurde nie gefunden. Nunn holt den Erzähler vorgeblich nach Ithaca, um über Aaron Singer zu recherchieren. Aaron wohnte in einer Hütte am See, wie der Professor. Lia, die Zwillingsschwester Aarons, ertrank in diesem See. Lia rätselte über das verschollene Detail eines Gemäldes, das wiederum in dem alten, unheimlichen Gemäuer hängt, in dem der Erzähler untergebracht ist. Und Kasey, die in einem Meerjungfrauenkostüm Werbung läuft, wird von einem Mann im Taucheranzug verehrt und entwickelt eine Vorliebe für Unterwassergeräusche, hat aber sonst wenig mit all dem anderen zu tun.

Nun ist der Leser gehalten, sich auf Spurensuche zu begeben und Motive zu vergleichen, um Parallelen zu finden. Wie hängt alles zusammen und warum? Wer auf Antworten hofft, wird enttäuscht: Es hängt zusammen, irgendwie, und es hat vielleicht mit Quantenphysik zu tun, auf weitere Erklärungen sollte man besser nicht hoffen. Fruchtbarer scheint es da, sich an den Wassermotiven und Ozeanmetaphern entlangzuhangeln: Schnee wie ein "Sardinenschwarm", ein "Vogel- oder Fischschwarm", wahlweise auch schon einmal "in so dichten Schwärmen, dass es leuchtete wie nachts im Meer, wenn jede Bewegung einen Schweif aus illuminiertem Plankton hinter sich herzieht". Ansonsten Rasensprenger, Augen wie ein Waldsee, Kaffee in allen Varianten der Ungenießbarkeit und dieser ständige Durst. Den hat der Erzähler von einem Teilchen, mit dem er eine höher dimensionierte Einheit bildet, weshalb er so viel trinken kann, wie er will, es hilft nichts. Warum der Erzähler sich mit dieser anderen Figur verschränkt, bleibt vage - wie so vieles in diesem Buch.

Ein Hauptproblem ist die Unbestimmtheit der Figuren. Sie werden zwar biographisch knapp skizziert, definieren sich jedoch einzig über einige wenige Schlaglichter. Wenn Beuse Identitäten verschwimmen lässt, verschwimmt da leider nicht viel. Der Erzähler, der Biograph ohne Biographie, verliert seine Papiere und vergisst seinen Namen, aber er hatte von vornherein keinen. Ein Leben hatte er ohnehin nie - sollte er es verlieren, ist das zumindest von Leserseite aus kein großer Verlust.

Der Mangel an Identität wiederum macht die exzessive Wassermotivik notwendig, damit wenigstens auf der Motivebene etwas in Schieflage gebracht werden kann, wenn schon die Figurenebene nichts hergibt. Und so entsteht eine auf Dauer arg ermüdende Wassertreterei durch eine Erzählwelt, die ein wenig neben der Spur sein soll, aber doch nur mit den altbekannten Requisiten des Unheimlichen möbliert ist: geheimnisvolle Bilder, alte Gemäuer, ein Glockenturm, ein tiefer See. Und ein Apfelbaum als Sympathieträger. Das liest sich, als seien seit den guten alten Tagen der Gothic Novel keine neuen Möglichkeiten hinzugekommen, mit denen man Realitäten aus dem Ruder laufen lassen könnte. Und so richtet man sich ein in der vertrauten Schauerwelt und schaut wohlbehütet vom sicheren Lesesessel aus zu, wie der beschränkte kleine Erzählkosmos vor sich hinschwankt.

Hin und wieder werden einem metaphysische Brocken hingeworfen: "Es geht darin eigentlich auch mehr um das, was wir glauben zu sehen. Was wir für wahr halten. Wir glauben, was wir sehen und anfassen können. Dabei ist es genau umgekehrt: Wir sehen die Dinge, weil wir sie für wahr halten. Ihre Wünsche, Ihre Gedanken erschaffen die Realität", so beschreibt Professor Nunn seine nicht unbedingt originelle Theorie. So kommt es dann vor, dass manche sich in Realitäten wiederfinden, die nicht sie, sondern ein anderer mit seinen Wünschen und Gedanken erschaffen hat. Wie zum Beispiel bei der Lektüre dieses Buches - allerdings keine Realität, nur eine Fiktion, die auch schon nach 174 Seiten zu Ende ist.

Und dann ist wieder nur weißes Rauschen: Dorther kamen die Figuren, dorthin gehen sie, ohne großen Eindruck hinterlassen zu haben. Kurz war ihr Auftritt in einem literarischen Vexierspiel ohne Erkenntnis, und scheinbar wussten sie selbst nicht recht, was sie darin eigentlich sollten.

ANDREA DIENER

Stefan Beuse: "Alles was du siehst". Roman. Verlag C.H. Beck, München 2009. 174 S., geb., 17,90 [Euro].

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