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Sind Eltern frei?
Jeder, der Kinder bekommt, weiß, wie sie das gesamte Leben umwälzen, wie, als wäre es der Urknall, alles neu beginnt. Nicht nur die Kinder entdecken die Sinne und die Welt auf eine jeweils andere und stets überraschende Weise, auch die Eltern fangen noch einmal zu leben an. Sie werden an ihre eigene Kindheit erinnert, übernehmen neue Verantwortung, beginnen mit ihren Kindern selbst über alles zu staunen und die Sprache noch einmal zu lernen. Aber sie geben sich auch bis zu einem bestimmten Punkt auf, ihr Leben ist als Ort der Selbstverwirklichung gewissermaßen zu Ende, sie…mehr

Produktbeschreibung
Sind Eltern frei?

Jeder, der Kinder bekommt, weiß, wie sie das gesamte Leben umwälzen, wie, als wäre es der Urknall, alles neu beginnt. Nicht nur die Kinder entdecken die Sinne und die Welt auf eine jeweils andere und stets überraschende Weise, auch die Eltern fangen noch einmal zu leben an. Sie werden an ihre eigene Kindheit erinnert, übernehmen neue Verantwortung, beginnen mit ihren Kindern selbst über alles zu staunen und die Sprache noch einmal zu lernen. Aber sie geben sich auch bis zu einem bestimmten Punkt auf, ihr Leben ist als Ort der Selbstverwirklichung gewissermaßen zu Ende, sie reichen es an die Kinder weiter.
Dirk von Petersdorff, Vater der Zwillinge Max und Luise, beschreibt in seiner autobiographischen Erzählung "Lebensanfang" anschaulich, in seiner dichten, schönen und genauen Sprache, wie sich dieser Prozeß in seinem Leben, dem seiner Frau und der Kinder vollzieht, wobei es ihm gelingt, zwischen den kleinsten Gegenständen der Kinder- und Elternweltund den tiefsten Sinnfragen jene sprachliche und gedankliche Brücke zu schlagen, über die wir alle gehen müssen, wenn wir bei wachen Sinnen sind. "Lebensanfang" ist ein solches Buch der wachen Sinne, bewegend, anschaulich und klug, über die ersten Lebensjahre der Kinder und die neuen Lebensjahre der Eltern, voller lebendiger, komischer, rührender, plastischer Szenen, feiner Überlegungen, Träume, Erinnerungen.
"Lebensanfang" ist ein besonderes Stück Gegenwartsliteratur und noch viel mehr: ein Buch für alle, die mit Kindern leben oder mit ihnen leben wollen.
Autorenporträt
Dirk von Petersdorff,1966 in Kiel geboren, lebt in Saarbrücken und lehrt dort Germanistik. Seinerersten Lyriksammlung "Wie es weitergeht" folgten zwei weitere Gedichtbände, "Zeitlösung" und 1999 "Bekenntnisse und Postkarten". Zuletzt publizierte er den Essayband "Verlorene Kämpfe". 1991 erhielt er den Förderpreis des 'Literarischen März', 1998 wurde er mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet, 2000 mit dem Preis der LiteraTour Nord
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2007

Die Visualisierung der Milchflaschen

Fragmente einer Sprache der Windel: Dirk von Petersdorff, Lyriker und Literaturwissenschaftler, unternimmt den riskanten, aber reizvollen Versuch, das Leben mit Kindern in Worte zu fassen.

Es gibt keine Sprache für das Leben mit Kindern - diese düstere These geistert fast ungeprüft durch gegenwärtige Debatten rund um die Familie. Wenn Literatur das Leben spiegelt - wo sind dann die Romane über die Zeit mit den Kleinsten? Das Kabarett hat den Stoff längst für sich entdeckt. Eine erhabene Sprache dagegen will zu Windeln und Brei nicht passen. Nur Peter Handkes "Kindergeschichte", die "das Kind" merkwürdig anonymisiert und dennoch eine zarte Zweisamkeit entwirft, galt lange als Alibitext. Spärlich wurde nachgelegt, zuletzt "Lo und Lu" von Hanns-Josef Ortheil. Eine Sprache zu finden für das Leben mit Kindern - das scheint eine Frage des richtigen Standpunkts, einer Balance aus Nähe und Distanz geschuldet.

Der Lyriker und Germanist Dirk von Petersdorff konnte diesen Schreibakt gleich im Zweikampf trainieren. "Irgendwo lag immer ein Kind herum", meistens eben zwei, denn Max und Luise sind Zwillinge. Heute dürften sie etwa vier Jahre alt sein, damals noch, nach der Geburt, im Krankenhaus, in der Plastikwanne, "zwei Köpfe, die Gesichter zueinander gedreht, mit sehr wenigen Haaren", schlafend dann "eine Mischung aus fest und flüssig" - Wesen wie aus einer anderen Welt. Erste, noch zurückhaltende Notate helfen dem schreibenden Vater hinüber in diese widersprüchliche Künstlichkeit, die das öffentliche Schreiben über den privaten, für Fremde fast zu intimen "Lebensanfang" seiner Kinder naturgemäß mit sich bringt. Denn das bedeutet, sich distanzieren zu müssen, beobachtend und beteiligt zugleich zu sein. Man ahnt etwas von diesem ästhetischen Kampf, von der Schwierigkeit, zu vermitteln zwischen Alltagsbericht und tieferer Deutung. "Ich suchte nach Worten und Vergleichen. Ich hatte so etwas noch nie gesehen."

Am besten funktioniert das, wenn der Autor kommentarlos das Neue beschreibt und die dauernde Erschöpfung dieser ersten Wochen und Monate nicht benennt, sondern sachlich schildert, die Symptome freilegt. "Ich sah Sandra vorbeilaufen. Sie lief durch den Abend, vom Schreibtisch zu den Kartoffeln und zurück. Ich legte mich um halb neun ins Bett." Oder irgendwo mittendrin der Satz: "Wir hatten uns mehrere Wochen nicht übergeben" - so die trockene Dramaturgie dieses Alltags. In den Naheinstellungen dagegen droht er, trotz allem Realismus, nicht nur die Versorgenden, auch die darüber Lesenden bisweilen zu ermatten. "Max schrie. Es stieg aus ihm, floss, sprudelte, ließ kurz nach, kam dann mit vollem Schwall; Schreien wie Sturm, schreiende Luft ..." - das hat einen gewissen Reiz, aber eben nur in Maßen.

Petersdorff probiert verschiedene Blickwinkel aus und setzt sich auch gerne selbst vor die Linse, mit feinem Sinn für komische Szenen. "Fand mich wieder: auf dem Fußboden mit einer Stoffwindel um den Kopf." Seine "wahre Geschichte" - so der wohl wahre Untertitel - will nichts verschönern, aber auch nichts entstellen. Sie erzählt von der Ankunft der Zwillinge wie vom Einschlag eines Meteoriten. Sie ringt um eine Sprache, die einem solchen Einschlag angemessen wäre. Und sie referiert das notwendige Scheitern dabei gleich mit - dass man diesen "Lebensanfang" nicht verstehen kann. "Der helle Himmel bekam Farbe, Luise blinzelte. Ich blieb stehen und hielt mich an ihr fest."

Noch in den ersten rätselhaften Monaten, die zwischen "früher" und "heute" eine Schneise ziehen, liegen auch die Nerven blank, die Sätze wirken gehetzter gesetzt, die Szenen sprechen ganz für sich: der Vater, der auf hart gewordene Breireste einhackt; die Mutter, die, nach dem Verbleib des Kriechtunnels gefragt, trocken zugibt: "zerschnitten". In diesen Alltagsirrsinn, in diesem rasanten Kreislauf des Versorgens, der Geschwisterrivalitäten, des Einschlafenlernens, mischen sich vermehrt lichte Momente, der stille Anblick der Neugeborenen und später die Freude an deren Welterkundungen.

Nun ist Petersdorff auch ein Büchermensch, und so verwebt er diese Anblicke sanft mit einem literarischen Begleitprogramm. Kann er nachts nicht schlafen, wälzt er Tao-Te-King: ",Mach klein dein Eigen und karg deine Süchte.' Was war mein Eigen? Meine Süchte waren Leberwurstbrot und Videotext." Kraftlos lässt er Gedankengut zerschellen, samt Nietzsche, Hegel und wer sonst noch übers Elternsein philosophiert. Und macht es selbst dann einfach nach, nur eben aus dem Urschlamm heraus: erst Hunderte Milchflaschen visualisieren, dann lyrisch enden; tagsüber Ohrenstöpsel gegen den Lärm, dann wie aus heiterem Himmel die Lust am Hintersinn: "Ich möchte zum Wurzelgrund heimkehren und Stille finden."

Dieses prompte Aneinanderreihen von Gegensätzen lässt gleich beide Welten absurd erscheinen, die Alltags- wie die Geisteswelt. Sich hier zu verorten ist in der Tat ein Problem; es zu benennen und tastend zu umkreisen eben die Stärke dieses Textes, der beim Bachmann-Wettbewerb 2006 die Jury spaltete und dann leer ausging, vor allem der "Idylle" wegen, die hier durchscheine, wenn die wundersame Kinder-Sehschule den Blick des Verfassers auf Reh, Mond und Natur erneuere. Kein Wunder, wenn man bedenkt, mit welchen Texten der Dozent Petersdorff, der an der Universität des Saarlandes Literaturwissenschaft lehrt, täglich ringt. Und dass es kaum hilft, auf dem Uniflur den späten Foucault als Lebensratgeber empfohlen zu bekommen. Wie merkwürdig es ist, in zwei Welten zu agieren. Wie schwierig es ist, das in Worte zu fassen. Tatsächlich gerät diese persönliche Erzählung an manchen Stellen etwas aus den Angeln. Das Risiko geht sie ein, und das ist eine genaue Lektüre wert.

ANJA HIRSCH

Dirk von Petersdorff: "Lebensanfang".

Eine wahre Geschichte. C.H. Beck Verlag, München 2007. 170 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.10.2007

Wo aller Spott zu schweigen hat
Heiliger Vaterernst: Dirk von Petersdorffs „Lebensanfang. Eine wahre Geschichte”
Wer ein Kind erwartet, sieht sich schnell mit allerlei Ratschlägen und Warnungen konfrontiert: bald werde nichts mehr sein wie zuvor, alles werde sich ändern. Und so sehr man sich auch dagegen wehren mag, kaum ist das Kind auf der Welt, muss man den Unken und Ratspendern recht geben. Da ist es nur noch eine Temperamentsfrage, wie man die Sache nennt. Nüchterne Naturen sprechen von einer Verschiebung der Prioritäten.
Es ist noch gar nicht lange her, dass nur die Frauen die Einschränkung durch ein Kind am eigenen Leib zu spüren bekamen. Für Generationen von Vätern war es selbstverständlich, dass die Mutter beim ersten Schrei des Kindes das eheliche Schlafzimmer verlässt, um es zu beruhigen. Auch die Frauen fanden es normal, den Schlaf des Gatten zu schützen. Bekanntlich hat sich diese nachsichtige Einstellung seit einiger Zeit verändert. Dass inzwischen auch Männer auf die Idee kommen, es könnte unfair sein, die Belastung so ungleichmäßig zu verteilen, darf als echter Forschritt gelten.
Der Wandel geschah bisher weitgehend im Verborgenen. Tiefe Augenringe, häufiges Gähnen, gelegentliche Unkonzentriertheit: Mehr hat die Außenwelt vom partnerschaftlichen Engagement der Väter nicht mitbekommen. Nun aber beginnen sie zu erzählen, in Sachbüchern und in der Literatur. Nicht mehr nur Einzelne, wie vor vielen Jahren Peter Handke oder Peter Härtling, sondern gleich eine ganze Schar. Und sie machen es anders als ihre Vorgänger. Es ist nicht erst das sprechende Kind, das sie interessiert, es ist das Kind gleichsam im Naturzustand. Das kleine Bündel Mensch, fast noch reines Soma, sein Schreien, Saugen, Kacken, gerät in die Sphäre männlicher Wahrnehmung. Man könnte versucht sein, nun laut auszurufen: eine Revolution! Aber das wäre falsch. Denn mit Heroismus hat das Ganze wenig zu tun. Eher mit dem Gegenteil: mit einer gewissen Demut vor dem Kreatürlichen, die klein, schlicht und manchmal auch ungeschickt daherkommt.
Das muss man sich vor Augen halten, wenn man dem neuen Buch des Lyrikers, Erzählers und Essayisten Dirk von Petersdorff gerecht werden will. Denn es spricht sofort die niedrigsten Instinkte des Kritikers an und erst recht der Kritikerin: den Reflex spöttischer Abwehr. Zwei niedliche Blondschöpfe prangen auf dem Umschlag, darüber ein leicht bewölkter blauer Himmel, durchzogen von Hochspannungsleitungen, auf denen muntere Schwalben sitzen, ein hoffnungsfrohes Sommerbild, nahe am Kitsch. Wir sollen offenbar zur Teilhabe erpresst werden! Denn der Untertitel tut kund, dass es sich bei „Lebensanfang” um eine „wahre Geschichte” handelt.
Zwischen fest und flüssig
Dirk von Petersdorff ist, wenn wir dem Untertitel glauben dürfen, Vater von Zwillingen geworden, einem Jungen und einem Mädchen. Davon will er erzählen. Er geht in medias res und beginnt mit der Geburt. Wenn er wenigstens mit der Zeugung angefangen hätte, spöttelt es in der Kritikerin, bevor sie sich zur Ordnung ruft. Der Autor erzählt alle Stationen der ersten zwei Jahre nach den für Eltern typischen Wahrnehmungsmustern. Am Anfang wird jede Einzelheit registriert, mit der Zeit geht es in größeren Etappen voran.
Wir erfahren vom ersten Gefühl der Fremdheit zwischen Vater und Neugeborenen, von der allmählichen Annäherung durch Beobachtung (der schlafende Säuglingskörper in einem Zustand zwischen „fest und flüssig”), den ersten kindlichen Reaktionen auf die Umwelt, der beginnenden Interaktion durch Schreien, Lächeln, hinweisendes Zeigen, der Entwicklung eines eigenen Willens, der eigenständigen Fortbewegung und schließlich des Sprechens. Weil er zwei Kinder zugleich beobachten kann, passiert auch gelegentlich etwas: Bruder und Schwester zanken sich, noch bevor sie sprechen können. Und immer wieder wird die niederschmetternde Erschöpfung der Eltern beschrieben, vorzugsweise des Vaters.
Insgesamt, man ahnt es schon, ist dieses Buch nicht sehr spannend. Die Wiederholung ist das Grundmuster der ersten Jahre. Kleine Kinder machen ständig das Gleiche, schließlich müssen sie üben. Wer davon erzählen will, läuft Gefahr, genau dieses Muster zu wiederholen. Am Küchentisch oder im privaten Kreis ist das erlaubt. Aber in der Literatur? Dirk von Petersdorff versucht das Problem zu lösen, indem er die Wiederholungsschleifen mit Selbstreflexion garniert. Das macht die Sache eher schlimmer.
Denn man merkt nur allzu sehr, dass dieser Vater zwar Ernst machen will mit seiner Demut vor der Natur, dass er aber vor allem damit beschäftigt ist, das eigene Weltbild neu zusammenzubasteln. Da ihm der Weg der Ironie versperrt ist – er will mit seinen Kindern gerade den „Spötter” und Ironiker in sich bekämpfen –, sucht er Zuflucht beim Pathos. Immer wieder überkommt ihn „das Gefühl, heiligen Dingen beizuwohnen”. Jedes Reh im Wald, jede Sonnenblume auf der Wiese wird mit einer Ehrfurcht bestaunt, als hätte er dergleichen noch nie gesehen.
Natürlich ändert sich mit einem Kind unser Blick auf die Welt, alles wirkt wie neu. Aber gerade deshalb ist es verdächtig, wenn einem Schriftsteller, der als habilitierter Literaturwissenschaftler über die Romantik forscht, plötzlich überall eine Flora und Fauna begegnet, die aussieht, als wäre sie direkt seinem Forschungsgegenstand entsprungen. Sie mache „80 Prozent der Arbeit”, er mache sich „80 Prozent der Gedanken”, urteilt einmal die Mutter der Kinder. So begrüßenswert es ist, wenn Männer über die Vaterrolle nachdenken – hoffentlich betreiben sie nun nicht mit heiligem Ernst, was die Frauen gerade zu ironisieren gelernt haben. MEIKE FESSMANN
DIRK VON PETERSDORFF: Lebensanfang. Eine wahre Geschichte. Verlag C. H. Beck, München 2007. 174 Seiten, 17,90 Euro.
Die Kinder, die Mauer, der Zaun, das Leben: „Ich mache 80 Prozent der Arbeit, und Du machst 80 Prozent der Gedanken”, sagt die Mutter zum Vater. Der nickt und schreibt weiter an seinem Vaterbuch. Foto: Millennium Images/Look
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Gemocht hat Rezensent Rolf-Bernhard Essig dieses Buch übers Vatersein des Lyrikers und Literaturwissenschaftlers Dirk von Petersdorf, und er ist ein bisschen überrascht, dass ihn ein Autor mit diesem Thema tatsächlich noch einmal hinterm Ofen hervor locken konnte. Zu den Qualitäten des Buchs zählt Essig den bisweilen fast komischen "Ernst der Darstellung", das "Wagnis des Gefühligen", welches dieses teils essayhaft teils anekdotisch geschriebene Buch bei der schonungslosen und bisweilen selbstironischen Beschreibung der eigenen Erfahrungen eingeht: wie das alte Leben des Autors nach der Geburt seiner Zwillinge "verglüht". Befremden befällt den Rezensenten nur, als er den Schwenk ins vital Konservative registriert, als das ihm das allzu unvermeidbare Einsortieren der von Petersdorf'schen Erfahrungen in den allgemeinen Strom des Lebens durch ihn selbst plötzlich erscheint.

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