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Bereits im Mittelalter haben Juden in München gelebt. In der Judengasse, der späteren Gruftgasse, stand die früheste Münchner Synagoge, die nach der Vertreibung der Juden im 15. Jahrhundert in eine Marienkapelle umgewandelt wurde. Erst im 18. Jahrhundert durften sich wieder Juden in München ansiedeln. Namhafte Persönlichkeiten wie Lion Feuchtwanger oder Kurt Eisner haben die Stadt geprägt. An vielem, was bis heute als urmünchnerisch gilt, hatten Münchner Juden entscheidenden Anteil: Die Löwenbräu-Brauerei war mit der Familie Schülein verbunden, die Wallachs besaßen das bekannteste…mehr

Produktbeschreibung
Bereits im Mittelalter haben Juden in München gelebt. In der Judengasse, der späteren Gruftgasse, stand die früheste Münchner Synagoge, die nach der Vertreibung der Juden im 15. Jahrhundert in eine Marienkapelle umgewandelt wurde. Erst im 18. Jahrhundert durften sich wieder Juden in München ansiedeln. Namhafte Persönlichkeiten wie Lion Feuchtwanger oder Kurt Eisner haben die Stadt geprägt. An vielem, was bis heute als urmünchnerisch gilt, hatten Münchner Juden entscheidenden Anteil: Die Löwenbräu-Brauerei war mit der Familie Schülein verbunden, die Wallachs besaßen das bekannteste Trachtenhaus, und der langjährige Präsident des FC Bayern München hieß Kurt Landauer. Nach dem Ende der Weimarer Republik wurde jüdisches Leben gerade in München hart unterdrückt: Die Stadt erlebte schon im Frühjahr 1933 einen ersten Boykott jüdischer Geschäfte. Bereits Monate vor der Reichspogromnacht wurde in der "Hauptstadt der Bewegung" die Hauptsynagoge zerstört. Die Juden wurden entrechtet, enteignet, vertrieben und vernichtet. 1945 suchte eine Handvoll Münchner Juden eine neue religiöse Heimat, die Israelitische Kultusgemeinde wurde neu gegründet. Das jüdische Leben Münchens kann sich seitdem wieder entfalten - allerdings seit einigen Jahren nicht ohne Polizeischutz. Das jüdische Gemeindezentrum im Herzen der Stadt, das am 9. November 2006 eingeweiht wird, soll ein deutliches Zeichen für das "jüdische München" setzen.
Autorenporträt
Bauer/Brenner
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2006

Jüdisches München (11)
Neuanfang mit Zweifeln
Die neue Synagoge ist Impuls und Signal zugleich
Von Michael Brenner
Für die Generation der Schoa-Überlebenden war die Gemeinde ihr ein und alles, ihre Situation in München auch zwanzig Jahre nach Auflösung der DP-Lager gewiss nicht selbstverständlich. So schrieb der Herausgeber der Münchener Jüdischen Nachrichten, Moses Lustig, anläßlich des zwanzigjährigen Bestehens seiner Zeitung am 19. November 1971: „Wahrscheinlich gab es noch nie in der Geschichte eine so geartete soziale Gemeinschaft, die vom Nullpunkt angefangen in ein Organisationsleben hineingezogen wurde und langsam zu einem differenzierten und vielfarbigen Leben, wenn auch in einer Vorhalle der normalen Existenz, sich entwickeln konnte, wie die jüdische Gemeinschaft in Bayern und, in ihrem Kernpunkt, in München.”
Und in der gleichen Ausgabe charakterisierte Baruch Graubard die spezielle Situation dieser Gemeinschaft mit ähnlichen Worten: „Diese Gemeinschaft unternahm alles, um ein normales Leben in der Mitte des Provisoriums, des Hin- und Hergehens, des An- und Abflutens zu erhalten, um eine Existenz ohne Grundlagen doch mit Wurzeln zu sichern, solange ihr Bestand notwendig wäre.”
Immer wieder war von einer Gemeinschaft die Rede, von einem Provisorium, manche sprachen auch vom Ghetto mit unsichtbaren Mauern. Gleichzeitig hatte diese Binnenorientierung selbstverständlich auch allerlei Querelen und Rangeleien, ideologische und rein persönliche Konflikte zur Folge. Als in den frühen siebziger Jahren erstmals nach dem Krieg geborene Gemeindemitglieder in den Vorstand gewählt wurden, galten diese als „Junge Revoluzzer”, die studentische Belange (immerhin in Zeiten der Studentenunruhen!) in die Gemeindestube brachten.
Damit setzte aber auch eine Öffnung nach außen ein. Die Gründung des Kulturzentrums, der Literaturhandlung, universitärer Einrichtungen und der alljährlichen Kulturtage stehen für eben diesen Wandel. Mit dem Heranwachsen einer neuen Generation jüdischer Jugendlicher, die zumindest teilweise in Deutschland ihre Zukunft sahen und einer nichtjüdischen deutschen Generation, die plötzlich Interesse an jüdischer Kultur und Geschichte entdeckte, begann auch die Israelitische Kultusgemeinde einen wesentlich größeren Platz in derWahrnehmung der Münchner Bevölkerung einzunehmen.
Die Geschichte der Münchner Juden war auch und gerade in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine Migrationsgeschichte. Jüdische Zuwanderer kamen im Jahr 1968 aus der Tschechoslowakei und Polen, wo fast alle der wenigen verbliebenen Juden das Land verließen, nachdem sie erneut zum Sündenbock für die politischen Unruhen gestempelt worden waren. In den siebziger Jahren folgten die ersten Zuwanderer aus der Sowjetunion, als diese sich im Rahmen eines politischen Tauwetters kurzfristig der Auswanderung öffnete. Israelis siedelten sich im gesamten Zeitraum in München an. Mit den amerikanischen Streitkräften und Organisationen wie Radio Free Europe fanden auch eine Reihe amerikanischer Juden den Weg nach München.
Doch nicht nur Immigration, sondern auch Emigration prägte die Geschichte der Juden in München. Bis in die siebziger Jahre wanderten viele jüdische Jugendliche nach dem Abitur nach Israel aus, es folgten die USA als beliebtes Studienziel. Mittlerweile bildet England den wohl größten Anziehungspunkt für junge Leute aus Deutschland, die dort eine in Deutschland noch immer schwer vorstellbare Normalität jüdischen Lebens finden. Ohne im Schatten des Holocaust ständigen Fragen nach der Identität als Jude in Deutschland ausgesetzt zu sein, begegnet ihnen dort auch eine größere Vielfalt jüdischen Lebens. Diese Abwanderung wurde aber seit den frühen neunziger Jahren durch eine Zuwanderung übertroffen, deren Ausmaße vorher kaum jemand für möglich gehalten hätte und auf welche die jüdische Gemeinde in keiner Weise vorbereitet war.
Seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs und der prinzipiellen Bereitschaft Deutschlands, jüdische Flüchtlinge aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion aufzunehmen, hat sich die jüdische Gemeinschaft in Deutschland von knapp dreißigtausend auf über einhunderttausend mehr als verdreifacht. Auch in München erreichte die Mitgliederzahl der Israelitischen Kultusgemeinde im Jahr 2005 mit knapp zehntausend wieder ihren Stand von 1933, nachdem sie Mitte der siebziger Jahre auf dreitausendsiebenhundert abgesunken war.
Dieser rapide Anstieg darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die heutige Gemeinde in bezug auf das jüdische Leben nicht mit der vor 1933 vergleichbar ist. Die Neuzuwanderer hatten in der Sowjetunion keine Gelegenheit, ihre Religion auszuüben, und müssen erst mit den Grundbegriffen jüdischen Lebens vertraut werden. Dazu haben sie aber meist kaum Zeit, da sie eine neue Sprache erlernen, einen Beruf suchen und sich an die elementarsten Dinge des Lebens in der neuen Heimat gewöhnen müssen. Die Zukunft der Gemeinde wird vor allem davon abhängen, ob die Integration ihrer Kinder in das jüdische Leben der Stadt gelingen wird.
Die Kultusgemeinde nimmt als Folge der Einwanderung mehr und mehr die Funktionen eines Sozialamts wahr. Wohnungsvermittlung, Arbeitssuche und Sprachunterricht sind heute ebenso wichtig wie religiöse und kulturelle Belange. Die Gemeinde ist die erste Anlaufstelle für die Flüchtlinge aus Osteuropa. Da die meisten der Zuwanderer anfangs ohne Arbeit sind, sind die Ausgaben der Gemeinde drastisch gestiegen, während die Steuereinnahmen kaum zugenommen haben.
Das neue Jüdische Zentrum am Jakobsplatz bietet die Chance, einer stark angewachsenen Gemeinschaft Impulse zum Neubeginn jüdischen Lebens zu geben. Inmitten des Stadtzentrums ist hier erstmals wieder jüdische Präsenz sichtbar. Die Synagoge ist nicht mehr in einen Hinterhof verbannt, ein Jüdisches Museum bietet einer breiten Schicht Interessierter die Möglichkeit zum Kennenlernen des Judentums. Doch erinnern auch hier die vor allen jüdischen Einrichtungen in Europa notwendigen Sicherheitsvorkehrungen an die Kehrseite des jüdischen Alltags in München.
Ein geplanter Anschlag bei der Grundsteinlegung des neuen Gemeindezentrums am 9. November 2003 auf dem St.-Jakobs-Platz konnte noch rechtzeitig aufgedeckt werden. Und dennoch lässt sich die jüdische Bevölkerung der Stadt von einer radikalen Minderheit nicht entmutigen. Die Präsidentin der Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, formulierte dies anlässlich der Grundsteinlegung, genau 65 Jahre nachdem sie als junges Mädchen den Novemberpogrom erlebt hatte, in bewegendenWorten. Sie habe seit dem 9. November 1938 immer mit einem Teil ihrer Koffer auf der Flucht gelebt. Mit der Grundsteinlegung wolle sie diese Koffer öffnen und den Inhalt langsam an seinen Platz räumen: „Heute, nach genau 65 Jahren, bin auch ich wieder ganz in meiner Heimat angekommen.”
Schluss der Serie
Goldfarbenes Messing vor Glas: Die neue Synagoge auf dem St.-Jakobsplatz wird am kommenden Donnerstag feierlich eröffnet.
Foto: ahed
Auszug aus Richard Bauer, Michael Brenner (Hrsg.): Jüdisches München. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, C. H. Beck Verlag, München, 288 Seiten, 19,90 Euro.
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