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Empfängnisverhütung ist keine Erfindung der Neuzeit und auch nie reine Privatsache gewesen. Mächtige Institutionen wie Kirche und Staat machten hier ihren Einfluß ebenso geltend wie bestimmte Berufsgruppen, die für sich besondere Kompetenz in ethischen und sittlichen Fragen beanspruchen. Wie sind unsere Vorfahren mit Empfängnisverhütung umgegangen, und wie haben sich Techniken und Moralvorstellungen, die heute noch aktuell sind, entwickelt? Das Buch verfolgt diese Fragen von der Antike bis zur Gegenwart und wirft darüber hinaus noch einen Blick in die Zukunft. Der Schwerpunkt der Darstellung…mehr

Produktbeschreibung
Empfängnisverhütung ist keine Erfindung der Neuzeit und auch nie reine Privatsache gewesen. Mächtige Institutionen wie Kirche und Staat machten hier ihren Einfluß ebenso geltend wie bestimmte Berufsgruppen, die für sich besondere Kompetenz in ethischen und sittlichen Fragen beanspruchen.
Wie sind unsere Vorfahren mit Empfängnisverhütung umgegangen, und wie haben sich Techniken und Moralvorstellungen, die heute noch aktuell sind, entwickelt? Das Buch verfolgt diese Fragen von der Antike bis zur Gegenwart und wirft darüber hinaus noch einen Blick in die Zukunft. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf dem neuzeitlichen Europa, daneben werden aber auch unterschiedliche Kulturkreise (Europa, Amerika, China, Indien) und Weltreligionen (Christentum, Judentum, Islam) wie auch zentrale demographische und bevölkerungspolitische Aspekte berücksichtigt.
Autorenporträt
Robert Jütte ist Professor für Neuere Geschichte und Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch Stiftung (Stuttgart). Seine Forschungsschwerpunkte sind die Sozialgeschichte der Medizin- und Wissenschaftsgeschichte sowie die Alltags- und Kulturgeschichte der frühen Neuzeit. Er gehört zu den bedeutendsten Kulturwissenschaftlern, die sich in Deutschland mit sexualwissenschaftlichen Themen beschäftigen. Die Bandbreite seiner zahlreichen Publikationen kreist um Sexualität, die Geschichte jüdischer Wissenschaft in Deutschland, Homöopathie und alternative Medizin. Neben verschiedenenen Zeitschriften gibt er zudem die kritische Edition der Krankenjournale Samuel Hahnemanns heraus.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.05.2003

Listige Lust
Robert Jütte über die Geschichte
der Empfängnisverhütung
Kaum zu fassen, aber „laut einer Umfrage aus dem Jahr 2001 glauben einige wenige junge Engländerinnen immer noch daran, dass das Schließen der Augen beim Geschlechtsverkehr vor einer Schwangerschaft schützt”. Auch wenn es nur eine für die Statistik unwichtige Minderheit ist, so zeigt es, dass trotz der gewaltigen Aufklärungskampagnen über moderne Verhütungsmethoden, noch längst nicht alle Frauen eingeweiht sind, dass es nicht der Storch ist, der die Babys bringt.
Seit den 1960er Jahren leben die Frauen mehr oder weniger selbst verständlich und routiniert mit der Pille, wenngleich diese im Zeitalter von AIDS längst nicht mehr überall und in allen Altersgruppen das Verhütungsmittel Nummer eins ist und sich das Misstrauen gegenüber der Gesundheitsschädigung durch die tägliche Hormonzufuhr bis heute nicht gelegt hat. Nur schemenhaft erinnern wir uns noch, wie sehr in der Adenauer Zeit das Thema Sex und Verhütung tabuisiert war, wie Oswald Kolle mit seinen Helga- Filmen die Erwachsenen und vor allem die halb Erwachsenen in Wallung brachte. Geradezu biedermeierlich kommen uns heute die Geschichten vor, in denen sich liberalere Eltern oder Zimmerwirtinnen nach dem Unzuchtparagraphen, schuldig machten, wenn sie junge Paare unter einem Dach übernachten ließen. Wenn auch eine gewisse Beklommenheit beim Reden über die eigenen Erfahrungen mit der ars erotica nicht aus der Welt zu schaffen ist, – abgesehen von der Prahlerei der Angeber, die es zu allen Zeiten gegeben hat –, registrieren wir doch einen wesentlich offenerer Umgang mit den einstigen Tabuthemen.
Wie mit der Problematik der Geburtenkontrolle in den unterschiedlichen Epochen der vergangenen zweitausend Jahren umgegangen wurde, zeigt die soeben erschienene Geschichte der Empfängnisverhütung von Robert Jütte. Mächtige Institutionen wie Kirche und Staat machten ihren Einfluss genau so geltend, wie bestimmte Berufsgruppen, die für sich besondere Kompetenz in ethischen und sittlichen Fragen beanspruchen. Bei seiner akribischen Spurensuche konnte der Historiker und Medizinhistoriker eine immense Zahl von Quellen ausfindig machen, die sich mit Fragen bezüglich der Moralvor stellungen und Verhütungstechniken unserer Vorfahren, von der Antike bis zur Gegenwart, befassen. Diese Techniken reichen vom guten alten, zu allen Zeiten praktizierten coitus interruptus, über allerlei mehr oder eher weniger sichere Stellungen mit kontrazeptiver Auswirkung und mechanisch technischen Hilfsmitteln, bis hin zur Kastration als extremste Form der Empfängnisverhütung.
Der Titel des Buches geht zurück auf die Philosophie dans le Boudouir des einschlägig bewanderten Marquis de Sade. Er hält darin ein vehementes Plädoyer für eine „Lust ohne Last” und gibt Ratschläge, wie man eine Schwangerschaft am besten verhüten kann. Bei aller Anerkennung der fleißigen historischen Recherche können wir uns nur schwer der alten, leicht abgewandelten, Binsenwahrheit entziehen: Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr. Das war schon in früheren Epochen so, und wird höchstwahrscheinlich immer so bleiben.
FRANZISKA SPERR
ROBERT JÜTTE: Lust ohne Last. Geschichte der Empfängnisverhütung. C. H.Beck Verlag, München 2003. 367 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2003

Vater werden ist nicht schwer, muß aber nicht sein
Safer sex damals und heute: Robert Jüttes hygienische Geschichte der Empfängnisverhütung

Am Anfang der Lust war nicht die Pille, sondern das Schaffellkondom. Der Medizinhistoriker Robert Jütte weist dem Pfarrer Thomas Robert Malthus in seiner Geschichte der Empfängnisverhütung zu Recht eine zentrale Stelle zu. Menschen, so sah Malthus, pflanzen sich viel schneller fort, als sie ihren Nahrungsspielraum erweitern können. Nur Hunger, Kriege und Seuchen bewirken ein grausames Gleichgewicht. Malthus verwarf deshalb jede Form von Armenfürsorge. Sie würde das Bevölkerungswachstum nur anheizen und den Staat schwächen. Er übertrug damit die ökonomische Rationalität der Familienplanung auf den Staatskörper. Und formulierte damit so etwas wie die Theologie der säkularisierten Gesellschaft. Die Befürworter von Geburtenkontrolle aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nennen sich noch heute Neo-Malthusianer.

Die Kulturtechnik Empfängnisverhütung schneidet also zutiefst in unser menschliches Selbstverständnis ein. Jüttes Buch geht deshalb weit über eine bloße Aufzählung historischer Mittel der Familienplanung hinaus. Von Kindsmord, Abtreibung und Kastration über den Coitus interruptus oder die Vaginaldusche bis zu Kondom, Scheidenpessar und Antibabypille reicht das historische und technische Spektrum der Möglichkeiten, unerwünschten Nachwuchs mehr oder weniger wirksam zu verhindern. Doch Jütte schreibt die erst im neunzehnten Jahrhundert gesprächig gewordene Geschichte der ehelichen Hygiene auch und vor allem als eine Geschichte der Ideen und Dogmen.

Aus Jüttes Antworten auf die zahlreichen Rätsel, die dieses Thema aufgibt, seien nur drei besonders interessante herausgegriffen: Was ist dran an der These, daß der Säkularisierungsschub, den man mit der Reformation verbindet, mit Praktiken der Familienplanung zu tun hat? War die Antibabypille tatsächlich die Ursache der Kulturrevolution, die sich vor etwa 35 Jahren vollzogen hat? Stehen die großen Weltreligionen Techniken der Familienplanung grundsätzlich feindlich gegenüber?

Beginnen wir mit der letzten Frage: Islamische Fundamentalisten sehen in den Familienplanungsprogrammen der Vereinten Nationen eine Verschwörung des Westens gegen die einzige Machtquelle, die die Unterdrückten dieser Erde haben: ihre enorme Fruchtbarkeit. Palästinenserführer Arafat sprach in diesem Zusammenhang einmal von biologischen Bomben, ähnlich auch der ehemalige irakische Präsident Saddam Hussein. Die heiligen Schriften jedoch decken keineswegs eine politische Instrumentalisierung religiöser Vorurteile. Im Koran kommt das Thema nicht vor. Den Coitus interruptus hat der Prophet nicht verboten, denn man bekomme ohnehin, was vorherbestimmt sei, niemand könne es verhindern, wenn Gott etwas schaffen wolle. Als besonders gute Gründe der Empfängnisverhütung galten die medizinische Indikation, aber auch wirtschaftliche Motive. Denn das materielle Wohlergehen fördere die Religion, sagte ein islamischer Rechtsgelehrter des zwölften Jahrhunderts.

Gleichlautende Stimmen weist Jütte für die Gegenwart nach. Nach der iranischen Revolution von 1979 schien es dem fundamentalistischen Regime opportun, die staatliche Geburtenkontrolle einzuschränken. Als die Übervölkerung in wirtschaftliche Bedrängnis führte, fand man Argumente, sie wieder einzuführen. Auch das Judentum kennt kein grundsätzliches Verbot der Empfängnisverhütung. Für die christlichen Kirchenväter wurde dieses Verbot dagegen existentiell. Sie reagierten damit auf die gnostische Forderung, die "Einkerkerung des geistigen Menschen nicht durch die Zeugung endlos fortbestehen zu lassen".

Hier drohte also die manichäische Lehre von den zwei Göttern: dem bösen Schöpfergott und dem guten Erlösergott. Nur das Christentum behauptet, der Erlöser sei schon dagewesen, daher das Problem. Wenn heute neunzig Prozent der deutschen Katholiken sagen, Empfängnisverhütung sei keine Sünde, dann hat sich der Manichäismus in Form des Neo-Malthusianismus jedoch praktisch durchgesetzt. Bereitete die Reformation dem Malthusianismus den Boden? Die Historische Demographie beweist für evangelische Gebiete die Wende von der "natürlichen Fruchtbarkeit" zur Familienplanung - allerdings erst seit dem Beginn des achtzehnten Jahrhunderts. Neu war es, die Zahl der Kinder im Sinne der "protestantischen Ethik" der wirtschaftlichen Lage der Eltern anzupassen, Ausbildungs- und Karrierechancen über die Fortpflanzung als heilsgeschichtlichen Selbstzweck zu stellen. Doch möglich wurde diese Einstellung vermutlich erst, als die Säuglings- und Kindersterblichkeit zu sinken begann. Familienplanung und materieller Fortschritt bedingen einander jedenfalls. Erfolg zeugt Erfolg. Der Zinseszinseffekt beschreibt nicht mehr die fatale Vermehrung der Bevölkerung, sondern das wünschenswerte Wachsen des Kapitals.

So gesehen, ist schließlich auch die Antibabypille, wie Jütte vermutet, höchstens Auslöser, nicht jedoch Ursache der "sexuellen Revolution". Ist die "Pille" nicht letztlich die Konsequenz des Christentums und eines ihm heimlich innewohnenden Malthusianismus? Ihre technisch reine Symbolkraft ist nicht weniger tief als das Mysterium der Unbefleckten Empfängnis.

CHRISTOPH ALBRECHT

Robert Jütte: "Lust ohne Last". Geschichte der Empfängnisverhütung von der Antike bis zur Gegenwart. C. H. Beck Verlag, München 2003. 367 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christoph Albrecht findet an diesem Buch von Robert Jütte einiges zu loben. Vor allem, lobt der Rezensent, gehe Jüttes Buch weit über die Aufzählung historischer Mittel der Familienplanung - Albrecht nennt von den gleichwohl im Buch behandelten: Kindsmord, Abtreibung, Kastration, Coitus interruptus, Vaginaldusche, Schaffellkondom, Pessar, Antibabypille - hinaus. Jütte schreibe, so Albrecht, "die erst im neunzehnten Jahrhundert gesprächig gewordenen Geschichte der ehelichen Hygiene" vielmehr "auch und vor allem" als "eine Geschichte der Ideen und Dogmen". So bietet Jüttes Buch dann, wie man erfährt, schließlich auch Antworten auf die "zahlreichen Rätsel" und die interessantesten Forschungsfragen im Zusammenhang mit seinem Thema. Der Rezensent hebt darunter als drei "besonders interessante" heraus: Die Frage danach, ob die großen Weltreligionen Techniken der Familienplanung grundsätzlich feindlich gegenüber stehen; ob der Säkularisierungsschub, den man mit der Reformation verbindet, mit Techniken der Familienplanung im Zusammenhang steht; und ob die Antibabypille tatsächlich die Ursache der Kulturrevolution war, die sich vor etwa 35 Jahren vollzog. Jüttes Antworten, erfährt man, lauten, in der Reihenfolge der Fragen: nein, ja und nein.

© Perlentaucher Medien GmbH