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Max Webers Entwürfe zur Wissenschafts- und Religionssoziologie, Methodenlehre und Deutung des Verhältnisses von Wirtschaft, Gesellschaft und Herrschaft haben weit über die Soziologie hinaus die modernen Geistes- und Sozialwissenschaften geprägt. Gregor Schöllgen zeichnet in der vorliegenden Einführung nicht nur Leben und Werk nach, er zeigt auch die Grenzen auf, an die Max Webers Erklärungsmodelle heute stoßen.

Produktbeschreibung
Max Webers Entwürfe zur Wissenschafts- und Religionssoziologie, Methodenlehre und Deutung des Verhältnisses von Wirtschaft, Gesellschaft und Herrschaft haben weit über die Soziologie hinaus die modernen Geistes- und Sozialwissenschaften geprägt. Gregor Schöllgen zeichnet in der vorliegenden Einführung nicht nur Leben und Werk nach, er zeigt auch die Grenzen auf, an die Max Webers Erklärungsmodelle heute stoßen.
Autorenporträt
Gregor Schöllgen, geboren 1952 in Düsseldorf, Professor für Neuere Geschichte in Erlangen und Gastprofessor in New York, Oxford und London. Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Bücher und Mitarbeiter von Presse, Rundfunk und Fernsehen. Seine 2001 im Propyläen Verlag erschienene Biographie Willy Brandts wurde zum vielbeachteten Bestseller.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Er war der Lebende unter den Schatten
Aber unter den Auslegern Max Webers tummeln sich Totengräber und Leichenfledderer / Von Wilhelm Hennis

Größe ist, was wir nicht sind", heißt es in Jacob Burckhardts "Weltgeschichtlichen Betrachtungen". War Max Weber "groß"? Wie unsicher die Sache auch sei, fest stehe, so Burckhardt, "daß alle gebildeten Völker ihre historischen Größen proklamiert, daran festgehalten und darin ihren höchsten Besitz erkannt haben". Bleiben die Deutschen ein gebildetes Volk? Fast ein halbes Jahrhundert lang hat die Bundesrepublik (West) alle diplomatische und juristische Energie, auch viel Geld, daran verwandt, als einziger Nachfolger des am 18. Januar 1871 proklamierten Bismarckreiches anerkannt zu werden. Mit Erfolg und alles in allem segensreichen Folgen. Nie wäre die Wiedervereinigung so glatt gelungen ohne dies verbissene Festhalten an einem juristischen Zwirnsfaden. Kein Bundestag, kein Kanzler, auch nicht der sonst so redefreudige Bundespräsident hielten es für angebracht, zum hundertsten Todestag des "Reichsgründers", das war er ja nun mal, auch nur ein Sterbenswörtchen zu vermelden. Schöne Nachfolger!

Max Weber hat man den "Bismarck der Soziologie" genannt. War er groß? Für naturwissenschaftliche Größen gibt es Nobelpreise. Gibt es ein Maß für die Größe eines Sozialwissenschaftlers? Auf seine Weise und in seiner Sprache hat Weber auf diese Frage eine Antwort gewußt. Die Richtung des persönlichen Glaubens des Forschers, "die Farbenbrechung der Werte im Spiegel seiner Seele" müsse der wissenschaftlichen Arbeit des Forschers die Richtung weisen. Und die Werte, "auf welche der wissenschaftliche Genius die Objekte seiner Forschung" bezieht, würden die "Auffassung einer ganzen Epoche zu bestimmen, das heißt entscheidend zu sein vermögen, für das, was als bedeutsam oder bedeutungslos, als ,wichtig' und ,unwichtig' an den Erscheinungen" gilt. Webers zentrale Frage nach dem Schicksal des "Menschentums" unter den Bedingungen einer "gottfernen" und in die "seelenlose Maschinerie des modernen Kapitalismus" eingespannten Zeit ist vorerst an "Bedeutsamkeit" nicht überboten worden.

Seit Jahrzehnten sucht Japan seinen Weg in die Moderne über Weber zu verstehen, Rußland hat sich ihm geöffnet, und selbst Frankreich entdeckt Weber neu für sich. Der Reiz und die Größe Webers liegen allerdings ja gerade darin, daß seine "verstehende Soziologie" sich nicht als "systematische" Beackerung eines Stoffgebiets ("Gesellschaft"), sondern als "Betrachtungsweise", als praktikable Methode zur Erfassung von Fragestellungen verstand, die - für eine empfängliche Seele zumindest - "bedeutsam" waren und den Gang von Menschheitsschicksalen betrafen, die dem, der einen Ausschnitt daraus überblickte, "erschütternd an die Brust zu branden" vermöchten. Kann jemand, der solchen Schwulst schrieb, "groß" sein?

Für Gregor Schöllgen jedenfalls ist es damit aus und vorbei. Seit einem Vierteljahrhundert versucht er sich an Weber. Viel Fortüne war ihm dabei nicht beschieden. Immer wieder tischte er seine alten Sachen neu auf, letztmals 1985 in der "Wissenschaftlichen Buchgesellschaft" unter dem Titel "Max Webers Anliegen". Jürgen Kocka, sicher ein vorzüglicher Weber-Kenner, fragte in seiner damaligen Rezension konsterniert, wieso der renommierte Verlag sich für die "Veröffentlichung dieser Kompilation, noch dazu unter einem so ambitiösen Titel" hatte entscheiden können.

Mit dieser Frage wird sich auch der Verlag C. H. Beck auseinandersetzen müssen. Bei dem Band in der Verlagsreihe "Denker" handelt es sich um eine zeitgeistkonforme Aufblähung des Buches von 1985; nur die alte "Einschätzung" - Weber, "eine imposante Erscheinung, ein beeindruckendes OEuvre und ein wissenschaftliches Vermächtnis von hoher Aktualität" - läßt sich nach Meinung des Autors "so kaum mehr aufrechterhalten". Anders als derzeit noch die meisten Interpreten sieht Schöllgen Weber nun "als den, der er vor allem gewesen ist", nämlich "durch und durch ein Kind seiner Zeit"; "ein persönlich und wissenschaftlich Gescheiterter". Auch in Hinsicht auf Webers "Nutzen für das Verständnis der Gegenwart und die Lösung ihrer Probleme" kommt der Erlanger Historiker zu einer "Neubewertung": "Titanisches Bemühen ins Leere". Was bleibt von ihm? Ein "überzeugter Nationalist und Chauvinist", ein ganz schlimmer "Verfechter einer klar konturierten Rassenlehre", und den "deutschen Weg zum 30. Januar 1933" habe der 1920 verstorbene Weber auch schon "vorgedacht".

Wissenschaftlich Eigenständiges sei auch nicht viel zu erkennen: nur zwei ordentliche Bücher, nichts richtig zu Ende gebracht, auch kaum "ausreichende Fachkompetenz" auf den vielen Feldern, auf denen Weber sich tummelte. Zitiert habe Weber "selten korrekt", und von kollegialem Kontakt habe er, "vorsichtig formuliert", "enorm profitiert". Nicht mal ein "volkswirtschaftlicher Leitfaden" sei von ihm geblieben; wohin man schaut: alles "Sackgassen". Nach 1898 bringe Weber noch "unendlich viel zu Papier", aber er ist "weder in der Lage, ein großes wissenschaftliches Werk zu vollenden, noch kann er regelmäßigen Lehrverpflichtungen nachkommen". Man könnte so weiter und weiter zitieren. Wo immer jemand Kritisches oder Abfälliges über Weber geschrieben hat, Schöllgen klaubt es auf, garniert damit seine "Neubewertung" und läuft, Aufmerksamkeit fordernd, schlicht wissenschaftlich Amok. Das aber sehr "korrekt", ganz "konform". Der Kalte Krieg ist ja vorbei, und damit ist Weber auch als Antipode zu Marx, den er auch nur "oberflächlich" zur Kenntnis genommen habe - kein "korrektes Zitat"! -, zu nichts mehr nutze, wir brauchen ihn nicht mehr.

Als auf dem Heidelberger Soziologentag von 1964 zwei aufsteigende, junge deutsche Koryphäen großes Aufsehen erregten, als sie Weber unter Faschismusverdacht stellten, ihn dem Entsorgungsgut der deutschen Vergangenheit zuschlugen, fanden sie entschiedenen und noblen Widerspruch bei den Älteren. Es ist gar nicht zu ermessen, was Deutschland an wissenschaftlichen "Möglichkeiten" durch Webers frühen Tod genommen wurde. Schöllgen tischt wieder die Mär von der "Folgenlosigkeit" Webers in der Zwischen- und Nachkriegszeit auf. Neben Spenglers "Untergang des Abendlandes" hat nichts so viel geistige Auseinandersetzung provoziert wie die Münchner Rede von 1917 über "Wissenschaft als Beruf". Die Dokumentation ihres Niederschlags haben allerdings zwei Engländer besorgt (Peter Lassman und Irving Velody, "Max Weber's ,Science as a Vocation'", London 1982). Wie turmhoch steht das Niveau der Auseinandersetzung unmittelbar nach Webers Tod (ich nenne nur Alexander von Schelting, Karl Löwith, Siegfried Landshut, Arthur Mettler - ja selbst den später so wirren und verbohrten Nazi Christoph Steding -, auch die frühen Vordreiunddreißigerarbeiten von Leo Strauss und Eric Voegelin) über der sogenannten "Rezeption" nach dem Jahr 1945, als man begann, den universalen Anreger und Fragesteller auf die Flaschen eines "Faches" zu ziehen.

Was hätte aus der deutschen Nationalökonomie und Politikwissenschaft werden können, wenn sie sich nach 1945 von Weber hätte anregen lassen. Aber nahezu alle, die ihm nahegestanden hatten, waren aus Deutschland vertrieben: Karl Löwenstein, Hans Staudinger, Carl Mayer, Paul Honigsheim, Carl Landauer, Erich Hula, Arnold Brecht und viele andere. Dennoch war im Neuanfang nach 1945 Weber von einer fast magischen Präsenz. In Göttingen hatte der Anglist Herbert Schöffler Webers religionssoziologische Fragen fortgeführt. Rudolf Smend, der erste Nachkriegsrektor, eröffnete die großen Aulavorträge mit einer kritischen Auseinandersetzung mit Weber; der Orientalist Hans Heinrich Schaeder faszinierte mit einem Oberseminar über die "Vorbemerkung" zur "Religionssoziologie", und Franz Wieackers Vorlesung zur "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit", diese "denkbar überzeugendste Kulturgeschichte" (Richard von Weizsäcker), war ja auch ohne den Hintergrund Webers gar nicht denkbar. Um Josef Schumpeter zu zitieren: "Wer durch seine Einflußsphäre gegangen ist, ist für alle Zukunft klarer und gesunder geworden. Er war der Lebende unter den Schatten." Dieser Meßlatte müssen sich die soziologischen "Großtheoretiker" deutscher Zunge unserer Tage noch allemal aussetzen. Große Lichter, wenig Licht.

Werner Gephart, Soziologe in Bonn, ist von den Herausgebern der Max-Weber-Gesamtausgabe (MWG) mit der Edition der "Rechtssoziologie" beauftragt worden. Trotz vieler Vorarbeiten, vor allem des unvergessenen Johannes Winckelmann, auch des großartigen Genueser Weberforschers Realino Marra, bleibt das eine teuflisch schwierige Aufgabe. Eine Probe auf Gepharts Befähigung, wohl auch auf seinen "Ansatz", bieten die im Suhrkamp-Band "Handeln und Kultur" versammelten Arbeiten. Gephart möchte den Blick auf die "Fachwissenschaften" richten, die in Webers Werk eingegangen sind - ohne ihn ressortpatriotisch für irgendein Fach zu reklamieren. Statt, wie vor allem von Friedrich Tenbruck und Wolfgang Schluchter vorgemacht, Webers Werk von "Durchbruch zu Durchbruch" gut evolutionistisch auf den Gründervater der Soziologie zulaufen zu lassen, schlägt Gephart - verstehe ich ihn recht - eine Art Dekomposition, Ausfällung der "Disziplinen" vor, aus denen sich Webers Werk genährt hat. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn man vor lauter Bäumen, den einzelnen Disziplinen, den "Wald", Webers kompaktes Werk und die darin eingegangenen Grundfragen, nicht aus dem Blick verliert.

Schon Gepharts Prämisse ist nicht unproblematisch. Gab es zu Webers Zeit denn überhaupt schon die, wie man heute zu sagen pflegt, "ausdifferenzierten" Einzeldisziplinen, von denen Gephart ganz unreflektiert auszugehen scheint? Die Soziologie mit Sicherheit nicht. Auch die Nationalökonomie nicht; bis zu Alfred Marshalls "Economics" war sie ein Teil der "moralischen" und politischen Wissenschaften, und die deutsche Nationalökonomie der "historischen Schule", zu der Weber als seinerzeit "jüngster" Schüler ja unzweifelhaft zu rechnen ist, hat sich erst nach 1945, dem Beispiel der englischsprachigen Welt folgend, aus ihren alten "ethischen", "philosophischen", "staatswissenschaftlichen" Bezügen gelöst. Zumindest gab es zu Webers Zeit nicht eine, sondern zwei Nationalökonomien, wie er einen verzweifelten Prüfling klagen läßt: die österreichische unter Führung Mengers und die deutsche unter Führung Schmollers. Wie wenig fachlich aus- und abgegrenzt das Fach war, macht ja der Titel der wichtigsten Zeitschrift deutlich: "Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft". Der Verein für Socialpolitik, der größte, wenn man überhaupt will, "Fachverband" der deutschsprachigen Nationalökonomen, schloß "theoretische", im engeren Sinn wissenschaftliche Fragen aus, um sich ganz in den Dienst "praktischer", sozialpolitischer Fragen zu stellen.

Und wie sah es bei den Juristen aus? Auch da kann keine Rede von ausdifferenzierten "Fächern" sein. Für Savigny war das Staatsrecht noch eine historische, keine juristische Disziplin. Weber war Zeuge und am Rande (Börsenenquête) Mitwirkender bei einer der größten Rationalisierungsleistungen in der Geschichte der deutschen Jurisprudenz: der Zusammenführung der deutsch- und römischrechtlichen Rechtsmassen in den großen Kodifikationen, zulaufend auf das BGB von 1900. Weber habilitierte sich für Römisches, Deutsches und Handelsrecht. Ohne genaue Kenntnisse des damaligen "Standes" von wenigstens einem guten Dutzend heutiger "Disziplinen" läuft eine historisch-kritische Edition der "Rechtssoziologie" hinaus auf die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Allenfalls ein glänzender Rechtshistoriker aus dem Stolleis-Simonschen Frankfurter Max-Planck-Institut könnte versuchen, ein solches Unternehmen zu schultern. Vielleicht war Franz Wieacker der letzte, der es sich hätte zutrauen können. Gepharts "Ansatz" scheint mir also schon im Konzept unausführbar zu sein, seine rechtshistorischen Kenntnisse sind für ein solches Unternehmen wohl kaum hinreichend.

Aber kennt er denn wenigstens seinen Weber? Verwunderlich ist, was Gephart über die "handlungstheoretische" Tradition der Nationalökonomie und Rechtswissenschaft zu Webers Zeit vorbringt. Die Weberforschung hat es nun einmal mit der "Handlungstheorie". Dem Rezensenten ist sie - außer sehr präzisen Begriffen - im Werk Webers noch nie begegnet. Seit den alten Griechen beschäftigen sich die Wissenschaften vom menschlichen Handeln - Ethik, Politik, Ökonomie - mit menschlicher Praxis, die Ökonomie mit wirtschaftlicher Praxis: Bedarfsdeckung, neuerdings vornehmlich mit dem Erwerb. Nicht nur für Karl Knies, bei dem der Heidelberger Student über drei Semester hinweg die nationalökonomischen Grundvorlesungen hörte, sondern für jeden Nationalökonomen der Zeit war es eine Selbstverständlichkeit, daß die politische Ökonomie "menschliches Handeln" zum Gegenstand hat.

Trotz Gepharts Stirnrunzeln durften Knies und Weber dies daher ganz "beiläufig" einführen. Wenn "soziales Handeln" der Ausgangspunkt für Webers "verstehende Soziologie" ist, so ist das doch auch nichts Neues: nichts als alter Wein in neuen Schläuchen, wie auch der von Gephart in seiner Bedeutung für Weber doch sehr überschätzte Friedrich Gottl mit dem neuen Etikett der "Aktionswissenschaften" ja auch nichts anderes zum Ausdruck bringt als das, was jeder "praktischen Wissenschaft" über mehr als zwei Jahrtausende undiskutiert als Stoff zugewiesen war: menschliches Handeln.

Aber erschöpft sich Webers Interesse denn im Erklären und Verstehen von menschlichem Handeln? Handelt Webers Werk denn nicht von den "Wirtschaftsethiken" der großen Weltreligionen, geht es nicht um die Ausbildung menschlicher "Gesinnungen", den "Typus Mensch", ja des "Menschentums", das für die moderne Wirtschaftsweise ein so unentbehrlicher Rohstoff wurde wie Kohle und Eisen? Diese Begriffe, wie auch "Lebensführung", muß man ja nicht in Webers Werk hineinschmuggeln. Sie sind die zentralen Begriffe Webers, die dessen Werk und seine Fragestellung noch heute für uns so aufregend interessant machen.

Reduzierten sich Webers "methodologische Anstrengungen" wirklich auf "das nüchterne Problem" des Verstehens von "Einzelhandlungen"? Dann wäre Weber doch am besten Landgerichtsrat einer Strafkammer geworden. Auf seinem Aktenbock wären jede Menge "Einzelhandlungen" gelandet: Mord und Totschlag, Betrug und Subventionserschleichung, vermehrt auch wissenschaftlicher Schwindel. Natürlich war und ist die "Handlung", inwieweit sie dem Täter zurechenbar ist, für die Strafrechtswissenschaft ein Problem. Für Max Weber allerdings eine eher "öde" Sache, wie auch der Rezensent sich während seines Göttinger Studiums für die Spitzfindigkeiten einer "finalen" oder sonstwie ausgeklügelten Handlungstheorie nie so recht hat erwärmen können. Aber damit beschäftigen mußte man sich natürlich, und auch Weber hat das "öde Zeug" mit Ironie und bösem Witz (Stammler-Aufsatz) traktiert. Auf Gepharts Traktierung der "Rechtssoziologie" darf man gespannt sein. Überfordert die Aufgabe nicht jeden heute lebenden Wissenschaftler? Und muß es denn eine "historisch-kritische" Edition sein? Kann man die Auseinandersetzung mit der "Rechtssoziologie" und auch den anderen "Teilsoziologien" nicht getrost dem Gang der Wissenschaft überlassen? Mit großem "Betrieb" und hochdotierten "Arbeitsstellen" ist es ja nicht getan. Ein wenig Enthusiasmus, Hingabe und enorme Sachkenntnis muß dazukommen.

Die MWG präsentiert einen dritten Briefband für die Jahre 1911 und 1912. Schon ein Vergleich mit Webers Publikationen aus jenen Jahren zeigt, daß der Band dürr und mager ausfallen muß. Wir erleben einen wenig angenehmen Menschen. Eine kürzlich erschienene neue Arbeit von J. und S. Frommer ("Max Webers Krankheit", in: Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie 66. Jg., Mai 1998) trägt wohl alles zusammen, was über Webers Krankheitsbild ("depressive Neurose einer hypernomisch strukturierten narzißtischen Persönlichkeit") noch in Erfahrung zu bringen ist. Ein armer Kerl, aber wie hat er sich bemüht, mit dieser Krankheit zurechtzukommen. Und im nächsten Jahr - 1913 - wird es ja schon wieder aufwärtsgehen: Der Kategorien-Aufsatz erscheint, es geht los mit den Chinesen und ihrer "Wirtschaftsethik", und der "alte Teil" von "Wirtschaft und Gesellschaft" wird in Angriff genommen.

Man kann sich also auf den nächsten Briefband freuen - denkt aber mit Schrecken an die Jahre der tiefsten Erkrankung zwischen 1899 und 1902, sollten die Briefe aus jenen Jahren auch so ediert werden wie die jetzt neu vorgelegten. Für spätere Biographen sollten diese Dinge sicher alle zugänglich sein. Aber muß man sie in der pedantisch-rationalen, will heißen "lieblos-unpersönlichen" Weise der MWG, bei horrenden Kosten, "historisch-kritisch" breittreten? Ein wenig Pietät sollte doch sein dürfen. Der neue Band enthält die elenden Streitereien und Stänkereien um die "Ehre" tugendhafter Frauen, die Infamien von Redakteuren, falschen Dozenten und kriecherischen Hochschulreferenten. Jeder interessierte Biograph hat Zugang zu diesem Kram, auch Sekundärliteratur gibt es bereits reichlich. Herausgeber und Verlag sollten sich wirklich fragen, ob es in diesem Stil weitergehen soll. Der Band enthält auch einige großartige Zeugnisse für Webers Einsicht und Urteilskraft. Auch in der Auseinandersetzung mit Lujo Brentano hatte er ja recht. Es komme, was da wolle: an Webers Größe gibt es nichts zu zweifeln.

Gregor Schöllgen: "Max Weber". Beck'sche Reihe Denker. Verlag C. H. Beck, München 1998. 188 S., 7 Abb., br., 22,- DM.

Werner Gephart: "Handeln und Kultur". Vielfalt und Einheit der Kulturwissenschaften im Werk Max Webers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 225 S., br., 19,80 DM.

"Max-Weber-Gesamtausgabe". Abteilung II: Briefe. Band 7: Briefe 1911 bis 1912. Hrsg. v. M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen unter Mitarbeit v. Birgit Rudhard und Manfred Schön. Zwei Halbbände. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 1998. 1081 S., Subskr.-Pr. 7/1 258,-, 7/2 288,-, Einzelpreis 298,- und 338,- DM.

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