Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2012

KURZKRITIK

Lahme Ente
Karl Borromäus Murr leuchtet
hinter die Fassade Ludwigs I.
Für seine Bauwerke werden ihm die Münchner auf alle Zeiten dankbar sein, ohne sie wäre die Stadt nicht einmal halb so mondän. Mit Gebäuden wie den Propyläen und der Feldherrnhalle hat Ludwig I. von Bayern den Blick der Nachwelt auf ihn selbst und sein Wirken so gründlich zugebaut, dass allenfalls seine verhängnisvolle Affäre mit der Tänzerin Lola Montez hin und wieder durchschimmert. Generationen von Historikern haben sich zur Aufgabe gemacht, die politische Person hinter seinen klassizistischen Fassaden hervorzuzerren und sie ins breite Bewusstsein zu rücken. Den nächsten Versuch in dieser Richtung unternimmt der Historiker Karl Borromäus Murr mit einer überaus gelungenen Ludwigsvita.
Murr, Museumsleiter in Augsburg, arbeitet die Widersprüche heraus, die das Königtum Ludwigs I. prägten. Als Monarch alten Schlages musste er sich im Staatengeflecht des Deutschen Bundes mit einer Rolle begnügen, in der man ihn heute als lame duck bezeichnen würde: Zwischen Preußen und Österreich war er kaltgestellt. Diese außenpolitische Bedeutungslosigkeit kompensierte er mit gesteigerter Selbstherrlichkeit im Inneren. Bei Murr treten vor allem die Widersprüche zwischen Ludwigs Symbol- und Realpolitik zu Tage. Seine Bauwerke waren Objekte eines Nostalgikers, der an längst vergegangen Zeiten hing. Überspitzt könnte man von einem Minderwertigkeitskomplex sprechen. Man übersieht das glatt, wenn man vor den Gebäuden steht.
RUDOLF NEUMAIER
KARL BORROMÄUS MURR: Ludwig I. Königtum der Widersprüche. Pustet, Regensburg 2012. 192 Seiten, 14,95 Euro.
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