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Felicitas Hoppe nimmt sich fünf historische Figuren vor - fünf Fälle von seltener Hoffnungslosigkeit. Sie folgt den krummen Lebenslinien von Gaunern, Aufschneidern, Maulhelden und Pechvögeln, die eines vereint: Um sich weitestmöglich vom Ort des eigenen Versagens zu entfernen, trieb es sie hinaus aufs Meer.

Produktbeschreibung
Felicitas Hoppe nimmt sich fünf historische Figuren vor - fünf Fälle von seltener Hoffnungslosigkeit. Sie folgt den krummen Lebenslinien von Gaunern, Aufschneidern, Maulhelden und Pechvögeln, die eines vereint: Um sich weitestmöglich vom Ort des eigenen Versagens zu entfernen, trieb es sie hinaus aufs Meer.
Autorenporträt
Felicitas Hoppe, geboren 1960 in Hameln, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Für ihr Werk wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Aspekte-Literaturpreis (1996), mit dem Nicolas-Born-Preis des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (2004), dem Bremer Literaturpreis (2007), dem Roswitha-Preis der Stadt Bad Gandersheim (2007), dem Rattenfänger-Literaturpreis (2010) und dem Georg-Büchner-Preis (2012). Außerdem Poetikdozenturen und Gastprofessuren in Wiesbaden, Mainz, Augsburg und Göttingen sowie am Dartmouth College in Hanover, New Hampshire und an der Georgetown University, Washington DC. 2015 wurde Felicitas Hoppe mit dem Erich Kästner Preis für Literatur ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.2004

Im Schiffsgarten Gottes
Den Horizonten der Geschichte entkommt kein Glücksritter: Felicitas Hoppe erzählt eine Ballade aus der Geschichte des Fortschritts

Man braucht schon ein sehr gutes Lexikon, wenn man wissen will, wer Georg Meister und Franz Maria Kapf, Franz Wilhelm Junghuhn und John Hagenbeck gewesen sind; und selbst dort suchte man jenen Leonhard Hagebucher vergebens, den es außerhalb der Buchdeckel gar nicht gegeben hat. Von diesen "Männern aus zweiter Reihe" erzählt Felicitas Hoppe in ihren fünf Seefahrer- und Abenteuergeschichten: von vergessenen Gestalten aus drei Jahrhunderten, die sich aufmachen, um das Glück zu suchen, die als Jäger hinausziehen und als Beute zurückkehren. Am Ende, so lautet eins der Leitmotive, "am Ende legt alles Hand an sich selbst, weil das in Deutschland so üblich ist".

In die weite Welt wollen sie hinaus, diese sonderbaren Gesellen, und deshalb eilen sie auf die Schiffe - diese "Herbergen für alle, die der Heimat für immer entkommen wollen, Verbrecher und Versager, Duellanten und Selbstmörder, die Fremdenlegion nimmt sie alle. Und wer seinen Namen vergessen hat, wählt aus einer endlosen Fülle von Namen unbeschwert einen anderen aus, der ihm in Zukunft am besten gefällt." Es sind im Wortsinn wunderbare Geschichten, die hier von diesen Entlaufenen zu lesen sind. "Tigertiere und Rhinoceroten" gibt es da zu sehen, "Clapperbäume", Seelen- und Schattenverkäufer, Sklavenhändler und Rebellen. Und immer flackert im Hintergrund das Wetterleuchten der Weltgeschichte. Die Französische Revolution und Napoleons Kriegszüge, Boxeraufstand, Burenkrieg, Weltkrieg: Das sind die Horizonte, denen die Glücksritter nicht entkommen.

Zuweilen sehen sie dabei geradezu aus wie Parallelfiguren berühmterer Helden. Als ein Schatten und "Zwilling von Schiller" erlebt dessen Jugendfreund Franz Kapf zwischen Karlsschule und Soldatenhandel, wie Menschen zu Marionetten der absolutistischen Herren werden, Figuren in einem Weltspiel, das "Hombre" heißt und dieser Geschichte den Titel gibt. Der naturwissenschaftliche Apostel Junghuhn wird geboren im Mansfeld Martin Luthers; sein Grabstein wird ihn dann den "Humboldt von Java" nennen. Der "Tropenspion" John Hagenbeck tritt auf als jüngerer Bruder des berühmten Carl; am Ende seiner Laufbahn wird er statt der Menagerien und Völkerschauen Kino-Illusionen kolonialer Paradiese erfinden, ein Pionier des "Tropenfilms".

Georg Meister, der barocke "Schiffsgärtner Gottes aus Sonderhausen", der nach Afrika, nach Batavia und Japan reist: Dieser fromme Mann ist ihr Ahnvater. Wie sie alle bricht er auf aus einer deutschen Provinz, wird verschlagen in jene weiten Welten jenseits der Ozeane, die jeder vom Hörensagen kennt und die nur die Wagemutigen mit eigenen Augen sehen. Wie sie wird er zum Abenteurer unter phantastischen Berufsbezeichnungen wie eben der eines Schiffsgärtners (tatsächlich versorgt er die Mannschaften gegen den drohenden Skorbut mit seinem an Deck geernteten Gemüse), als treuer Diener seiner wechselnden Herren und als heimlich spionierender Kundschafter auf eigene Faust. Schon er ist ein entlaufener Künstler; allein sein Ende ist vergleichsweise freundlich und sanft: der Schiffsgärtner Gottes stirbt als Orientalischer Kunst- und Lustgärtner zu Dresden.

Auch die religiöse Tönung, die den Schiffs- als entlaufenen Paradiesgärtner erscheinen läßt, wird in zeitgemäßen Varianten durch alle fünf Geschichten dieselbe bleiben. Jeder dieser Helden neigt auf die eine oder andere Weise dazu, das Jenseits-des-Meeres mit einem jeweils neu imaginierten Jenseits schlechthin zu verwechseln. Der vom barocken Georg Meister als Großer Gärtner geglaubte Gott erscheint dem verkauften Soldaten Kapf als geselliger Marschierer und Kartenspieler. Für den tropenreisenden Naturforscher Junghuhn ist er eins mit der Allnatur und offenbart sich in der Vulkanasche oder in einer von ihm entdeckten Wundermedizin namens Chinin. John Hagenbeck opfert, in Deutschlands Tropenkolonien, dem dionysischen "Gott der Wildnis" und sieht ihn staunend sich wandeln zum Kriegsgott, der alles zerstört.

Verlorene Söhne sind diese fünf Versprengten, ausdrücklich oder implizit; und es verwundert deshalb nicht, daß immer wieder biblische Sprache anklingt. Manchmal tritt sie so deutlich hervor wie im Motiv der Flucht nach Ägypten oder beim Würfeln um die Kleider, das diese "Verbrecher und Versager" für nur halb ironische Momente mit einer kleinen Glorie umgibt. Manchmal bleibt sie so leise wie in der Wendung von den "Gruben, Nestern und Höhlen", die der reisende Barockgelehrte bei den paradiesisch sündlosen Hottentotten zu sehen meint und von denen nur der nicht mitzitierte biblische Kontext weiß, daß der Menschensohn sie auf Erden nicht findet. Die dunkle Gegenstimme zur Heilshoffnung bildet das Rauschen des Meeres, das als Inbegriff der gestaltlosen Gleichförmigkeit erscheint, einer verschlingenden Zeit.

Und dennoch bleibt, in einer nicht nur erzählerisch großartigen Solidarität der Geschichten mit ihren unverdrossenen Helden, die utopische Hoffnung unverdunkelt bis zum Schluß. Sie leuchtet freilich nur aus einer Fußnote, der einzigen des Bandes. Die Erzählerin stellt einmal die Frage, ob in der Figurengruppe einer zeitgenössischen Abbildung der arme Kapf wohl derjenige sei, der da im Schatten kniet, oder sein Gegenüber, der im Licht sitzt. Die Antwort, auf die ein Sternchen verweist, wird einhundertdreizehn Seiten später gegeben, ganz am Ende, nach Impressum und Abspann, als kleingedrucktes Finis. Sie lautet: "Er sitzt im Licht."

"Porträts" kündigt der Untertitel dieses Bandes an. Weil aber die Erzählerin selbst gar nicht an die Möglichkeit glaubt, aus Dokumenten "einen Charakter zu rekonstruieren": deshalb entwirft sie keine Biographien, sondern höchst kunstvoll gebrochene Fiktionen. Immer steht am Anfang ein Bildnis, immer spricht von hier aus ein halb fiktives, zwischen den Rollen von Zeitzeugen und gegenwärtigen Erzählerkommentaren oszillierendes Ich. Historie und Fiktionen gleiten ineinander über, und nie ist ganz sicher zu unterscheiden zwischen realen und erfundenen Dokumenten, zwischen Mythos und Mystifikation. An der Seite von Schiller und Schubart treten hier auch Spiegelberg und seine Kumpane auf; und das letzte der imaginären Porträts gilt Leonhard Hagebucher, Wilhelm Raabes vom afrikanischen Mondgebirge ins Restaurations-Deutschland zurückgekehrtem Achtundvierziger.

Schmal ist dieser Erzählband nur der Seitenzahl nach. Was sich hier abspielt, ist ein Roman in Miniaturformat, eine Ballade aus der Geschichte des Fortschritts. Felicitas Hoppe erzählt ihre raffiniert ineinander verschränkten Lebensläufe so virtuos und rasant, daß es eine Lust ist. (Daß ihre Sprachmusik manchmal etwas überinstrumentiert klingt, fällt dabei kaum ins Gewicht.) Neugierig folgt sie ihren Figuren; kühl in jeder Hitze des Gefechts manövriert sie ihr Erzählboot durch alle Horizontverschiebungen und Perspektivenwechsel, in hohem Tempo und im raschen Wechsel der Stilregister und Rhythmen. "Das Hirn hinterm Mond und den Kopf in den Wolken"; "wer schläft, möchte sterben, wer stirbt, will nach Haus": da macht der Fall der Daktylen etwas von der Sehnsucht hörbar, von der sie reden. Denn wie die Helden, so werden auch die Geschichten selbst über die Weltmeere getrieben vom Sturm aus jenem Paradies, dessen Tor verschlossen ist und dessen Hintereingang sie vergebens suchen. Und trotzdem: Sie sitzen im Licht.

Felicitas Hoppe: "Verbrecher und Versager". Fünf Porträts. Marebuchverlag Hamburg 2004. 156 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.08.2004

Picknick der Preise
Ehrungen für Felicitas Hoppe
Im Erscheinungsjahr ihrer hochgelobten Porträt-Sammlung „Verbrecher und Versager” (marebuchverlag) erhält die 43-jährige Schriftstellerin Felicitas Hoppe gleich drei Literaturpreise. Der Reigen der Ehrungen beginnt am 4. September in Köln mit der Verleihung des Heimito-von-Doderer-Literaturpreises. Die mit 12 500 Euro dotierte Auszeichnung erhalte Hoppe für ihren eigenwilligen Erzählstil „frei von Koketterie und Sentimentalität”. Drei Wochen später, am 26. September, wird Hoppe zusammen mit Marcel Beyer für ihr überwiegend im Rowohlt Verlag erschienenes Gesamtwerk („Picknick der Friseure”, „Pigafetta”) mit dem „Spycher” geehrt, dem Literaturpreis der Schweizer Stadt Leuk. Verbunden mit dieser Auszeichnung ist ein fünfjähriges Wohnrecht in dem mittelalterlichen Städtchen. Am 9. November schließlich erhält Hoppe in ihrer Heimatstadt Hameln den mit 15 000 Euro dotierten Nicolas-Born-Preis des Landes Niedersachsen. Gewürdigt werde Hoppes „eigenwillige Kunst”, die „archetypischen Erzählmustern höchst gegenwärtige Reize” abgewinne.
dpa

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Derart hingerissen ist Nico Bleutge von den fünf "Verbrechern und Versagern", die Felicitas Hoppe vom Barock bis zum 20. Jahrhundert in ihrem Buch vorstellt, dass er am liebsten auf die Knie fallen würde. Es handelt sich bei den Porträtierten um Abenteurer, die es aus der Enge der Heimat als Soldaten, "Schiffsgärtner" oder Botaniker in ferne Länder zog, erklärt der Rezensent. Bleutge preist das "feine sprachliche Gespür", mit dem die Autorin die Protagonisten ihrer Porträts in die entlegendsten Teile der Welt erzählend begleitet, und schwärmt von den Charakterzeichnungen als so "genau wie unberechenbar, so klug und zugleich versponnen", dass er Hoppe nach eigenem Bekunden "überall hin folgen" würde. Dabei spiele sie derart geschickt mit ihrer "Wunderkammer der Metamorphosen", dass man am Ende kaum mehr beurteilen könne, was erfunden und was wirklich ist in diesen "Meeresgeschichten, so Bleutge begeistert. Und so verzeiht er Hoppe auch, dass sie ein bisschen zu oft "suggestive Fragen" in ihre Geschichten einspinnt, und er ist auch bereit, über die "Modefloskel 'nicht wirklich'" hinwegzusehen, die an einigen Stellen des Buches auftaucht.

© Perlentaucher Medien GmbH