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Bill Cosey ist tot. Um sein Erbe streiten sich die Frauen, in deren Leben Bill eine mehr oder weniger große Rolle gespielt hat, die ihn liebten, zum Teil regelrecht besessen von ihm waren. In den unterschiedlichsten aneinander gereihten Szenen schildert dieser Roman, was sich zwischen Cosey und "seinen Frauen" abgespielt hat. Und er erzählt uns, wie und warum Cosey starb.
umspannenden Geflecht aus Szenen erzählt "Liebe" von den Frauen, die von Bill Cosey besessen waren - oder es noch sind: May, Pfarrerstochter und ein bisschen etepetete. Christine, ihre Tochter, verstoßen in die Arme vieler
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Produktbeschreibung
Bill Cosey ist tot. Um sein Erbe streiten sich die Frauen, in deren Leben Bill eine mehr oder weniger große Rolle gespielt hat, die ihn liebten, zum Teil regelrecht besessen von ihm waren. In den unterschiedlichsten aneinander gereihten Szenen schildert dieser Roman, was sich zwischen Cosey und "seinen Frauen" abgespielt hat. Und er erzählt uns, wie und warum Cosey starb.
umspannenden Geflecht aus Szenen erzählt "Liebe" von den Frauen, die von Bill Cosey besessen waren - oder es noch sind: May, Pfarrerstochter und ein bisschen etepetete. Christine, ihre Tochter, verstoßen in die Arme vieler Männer, doch nach Bills Tod zurückgekehrt in sein verlassenes Strandhotel. Heed, mit elf von Cosey zu seiner Frau gemacht und vor allen Gästen übers Knie gelegt, nun mit Christine unter einem Dach, vereint in Bosheit und Hass.
Autorenporträt
Die amerikanische Schriftstellerin Toni Morrison wurde am 18. Februar 1931 in Lorain, Ohio als zweites von vier Kindern eines schwarzen Arbeiterehepaares geboren. Nach dem Besuch örtlicher Schulen 1949 Beginn des Studiums an der Howard University in Washington, DC. Erste Erfahrungen mit dem Südstaaten-Rassismus während einer Tournee als Mitglied der Universitätstheatergruppe. Ab 1953 Anglistikstudium an der renommierten Cornell University bis zum Magisterabschluss 1955. Lehrtätigkeit, zunächst an der Texas Southern University (1955-1957), danach an der Howard University (1957-1964). Ehe mit dem jamaikanischen Architekten Harold Morrison, aus der zwei Söhne hervorgehen. Nach der Scheidung 1964 Rückkehr nach Lorain. 1965 Umzug nach New York und Lektorentätigkeit.
In ihren Werken beschreibt sie unter anderem die Rassenprobleme in ihrer Heimat sowie die zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der schwarzen Bevölkerung. Ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis (1988) und dem Literatur-N

obelpreis (1993) gehört sie zu den bedeutendsten Vertretern der afroamerikanischen Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004

Im schäumenden Licht der Zeit
Toni Morrisons neuer Roman über Liebe in Zeiten der Agonie / Von Tobias Döring

Ein abgegriffenerer Titel wäre schwerlich auszudenken. Welcher beliebige Roman ließe sich nicht mit diesem verheißungsvollen Wort ankündigen? Bei Toni Morrison jedoch, die solche knappen, eingängigen Titelchiffren schätzt, sollte man sich auf anderes gefaßt machen. Denn "Liebe" erzählt viel mehr von so gewaltigen Passionen, wie sie der Phantomschmerz aus früh zerstörtem Glück hervortreibt: von glühender, inniger und grimmer Feindseligkeit, die eben auch eine Art Seligkeit sein kann. Wem das Liebste erst genommen und dann zum Rivalen wird, dem bleibt als Ausdruck unverbrüchlicher Verbundenheit immer noch der Haß, wie es hier heißt, "so rein, so feierlich, daß er sich schön anfühlt, fast heilig". Nüchterner läßt sich Raserei kaum schildern: "Deshalb gedeihen die besten Feindschaften ja auch in den Familien. Dort finden sich die Zeit und die Gelegenheit, die geliebte Niedertracht mit Butter und Honig zu bestreichen." Und während man noch derart ungeheuerlichen Sätzen nachschmeckt, versteht man bald, warum dieser lebenskluge, lebenswunde Roman nicht anders als "Liebe" heißen kann.

Eine Familiengeschichte also, angesiedelt in einem kleinen Küstenort im amerikanischen Süden. Jahrzehntelang dreht sich dort alles Leben um Bill Cosey, einen schwarzen Patriarchen, Geschäfts- und Lebemann, der ein elegantes Strandhotel mit Seebad führt und so der aufstrebenden schwarzen Mittelschicht genau das mondäne Gesellschaftsvergnügen bietet, von dem sie ansonsten ausgeschlossen bleibt. Herrscher über einen Hofstaat aus Musikern, Köchin, Kellnern sowie Zimmermädchen, verspricht er den illustren Gästen mit seinem Wahlspruch "die schönstmögliche schöne Zeit". Doch früh schon fallen tiefe Schatten in das Reich dieses Sonnenkönigs, als erst die Frau und dann der Sohn sterben. Zwar bleiben ihm Enkelin und Schwiegertochter wie auch noch weitere Geliebte; Glück und Zeiten aber haben sich gewendet. Nicht anders als in einer antiken Tragödie kommt das Unheil schließlich in der Unordnung der Generationen zum Ausbruch: Cosey heiratet die beste Freundin seiner Enkelin. Als Elfjährige nötigt er sie ihren Eltern ab. Die Familienbande haben sich verwirrt und fesseln alle Überlebenden fortan in um so engere, fatalere Verbindungen.

In dieses klebrige Geflecht dringen wir als Leser allerdings erst ganz allmählich vor. Mit immer neuen Annäherungen aus Erinnertem, Verdrängtem und Geahntem präsentieren die Erzählstimmen nie mehr als Fetzen der Familienchronik, die wir erst nach und nach zusammenflicken können. In immer obsessiveren Bewegungen umkreist der Roman so sein kalt glühendes Zentrum und gibt erst ganz zum Ende preis, woraus die Hauptfiguren ihre Energie gewinnen. Doch was alles bei dieser Fährtenlese im Gedächtnislabyrinth wie beiläufig zur Sprache kommt, ist so reichhaltig und so erstaunlich, daß man fast wünscht, noch lange nicht an dieses Ende zu gelangen.

Trotz der erzählerischen Opulenz setzt die Autorin klug auf strenge Eingrenzung von Personal und Schauplatz, damit auch der Versuchsaufbau tatsächlich überschaubar bleibt. Wenn die Handlung einsetzt, ist Cosey schon über zwei Jahrzehnte tot und treibt doch als Phantom die Nachwelt um. Familie, Fremde, Freunde, Nachbarn spüren seiner Wirkung nach; selbst die Stimme der verstorbenen Köchin meldet sich - wie oft bei Morrison - mit ihrer heimlichen und überlegenen Sicht auf die Geschehnisse zu Wort. Das zentrale Interesse aber richtet sich auf zwei alternde Frauen: Untote auch sie, allein gelassen von der Welt, verkrallen sie sich hassend ineinander und heften sich wie Kletten an die Jüngeren, um sie sich zu Verbündeten zu machen. Alle Gegenwart wird ihnen machtvoll vom Vergangenen überspült, ganz wie ein Sandstrand, dem die Wellen unerbittlich ihre eigene Musterung aufprägen. Hier ist dieser Roman ganz bei sich, mehr Kammerspiel als epische Familiensaga, dessen suggestive Kraft in der Beschränkung wächst.

Die eigentlich wirksamen Protagonisten allerdings sind alte Häuser, allen voran das verfallene Strandhotel, das weniger als Bühne denn als Zeuge der Geschichte in Erscheinung tritt, da in ihm die Aufklärung der langjährigen Wirren gesucht wird. Der Erbschaftsstreit, um den es vordergründig geht, dient nur als Chiffre für historische Erblasten, die das einstige Seebad zum Verlierer seiner eigenen Erfolgskarriere gemacht haben. Mit der Tristesse und Würde einer abgelebten Schönheit mahnt dieses Gehäuse jetzt an die dahingegangene Lebenslust und stand doch einst für alle Hoffnungen auf einen schwarzen Aufbruch in die Mittelstandsgesellschaft. Der Roman verfolgt, wie just die Wirksamkeit der Bürgerrechtsbewegung in den sechziger Jahren zum Niedergang solcher Etablissements führen mußte, die zu Zeiten der Segregation Ersatzräume bereitstellten. So bricht er große historische Entwicklungen - auch Weltkrieg, McCarthy-Ära oder Vietnam kommen zur Sprache - subtil auf die Lokalgeschichte runter und spürt ihnen im Ortsgedächtnis nach. Coseys Hotel ist nur Hohlform einer großen Sehnsucht, die ihre Erfüllung überlebt hat.

Gewiß setzt die Autorin mit ihrem achten Buch auf Bewährtes. Der Chor der Stimmen, die motivische Verflechtung, die registerreiche, bildersüchtige und doch stets körperhafte Sprache sind von ihren früheren Werken bereits vielfach erprobt worden. Doch die gelassene Souveränität, mit der all das hier in eine weitgespannte, nie weitschweifige Komposition eingeht, ist alles andere als nur routiniert. Dabei beginnt hier alles scheinbar so vertraut: "Unser Wetter ist meistens mild, mit einem besonderen Licht", lesen wir eingangs. "Fahle Vormittage lösen sich auf in weiße Mittagsstunden, und gegen drei werden die Farben so heftig, daß man Angst bekommen kann. Wellen in Jade und Saphir bekämpfen einander und schlagen genügend Schaum, um Bettlaken darin zu waschen."

Wie hier die einfache Beobachtung sich erst ins Poetische steigert und dann unvermittelt ins alltägliche, fast banale Bild des Wäschewaschens kippt, so hält die gesamte Erzählung bis zuletzt unerwartet Wendungen bereit. Daß uns dies durchweg so in Bann zieht, ist allerdings erheblich auch der Leistung des Übersetzers Thomas Piltz zu danken. Sie zeichnet sich nicht nur durch Detailgenauigkeit und Diskretion aus bei der schwierigen Vermittlung einer fremden Lebenswelt; der schiere Reichtum ihrer Sprache bietet selbst Lesern, die das Original kennen, ein ganz eigenes Vergnügen.

Dies ist um so wichtiger, als bei Morrison die Sprache eine feinädrige Haut bildet, die sich über unverwundene Erinnerungen spannt. An einer Stelle beispielsweise wird geschildert, wie Coseys alte Witwe sich nicht mehr baden lassen will, weil sie fürchtet, so ihr "Hautgedächtnis" zu verlieren. Erst sehr viel später dringt der Roman doch noch in tiefere Schichten dieser Körpererinnerung vor. Und mit jeder Häutung des Gedächtnisses begreifen wir: Seit langem hat uns niemand Stärkeres erzählt über die Liebe in den Zeiten der Agonie.

Toni Morrison: "Liebe". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004. 288 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Komplex, polyphon, faszinierend - Maike Albath sieht Toni Morrison in ihrem neuesten Roman auf der Höhe ihres gewaltigen literarischen Vermögens. Im "schillernden Geschichtengewebe" von "Liebe" sind afroamerikanische Geschichte, das Thema der "archaischen Kraft des Hasses" und die Frage nach der "Entstehung von Macht und Gewalt" virtuos miteinander verflochten, befindet die Rezensentin. Mittelpunkt der Imagination der Figuren - "erotisches Zentrum und Ursprung allen Hasses" - ist der lange verstorbene Patriarch Bill Cosey, der zur Zeit der Rassentrennung eine schwarze Stadt zur vollen Blüte separatistisch- bürgerlicher Ideale führte. Er wurde von Frauen überlebt, seiner Köchin, seiner Enkelin und seiner Witwe, allesamt hochbetagt, die Jahrzehnte später noch immer um sein Vermächtnis kreisen - bis eine junge Frau "das chronifizierte Gefüge ins Wanken" bringt und die Erzählung auf den Kurs zum Zentrum des Geheimnisses von Coseys Tod bringt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.09.2004

Feindinnen in der Dunkelheit
„Liebe”, der neue Roman von Toni Morrison: Ein großes Buch - aber in was für einer Übersetzung?
Ein Mensch kann andere, noch Jahrzehnte, nachdem er gestorben ist, in Abhängigkeit und Erstarrung halten - besonders, wenn er ein Mann ist und die anderen Frauen und alle zusammen Schwarze. Mr. Cosey, „Papa” genannt, war es um 1930, mitten in der Depression, gelungen, im Küstenort Oceanside, irgendwo im Süden der USA, ein Hotel mit Seebad hochzuziehen, das ausschließlich eine betuchte schwarze Klientel bediente; die gab es. Sein Geheimnis bestand in guter Musik, denn er weiß: Wo die Musik ist, da ist auch das Geld. Mr. Cosey besaß genug Verstand, die schwarzen Bands der dreißiger und vierziger Jahre anständig zu behandeln, so dass sie sich die Saison über von ihm engagieren ließen, statt nach Paris oder Kopenhagen zu gehen, und so viel Charme, dass die Frauen ihm nachliefen „als wäre er ein Prediger”.
Nur langsam wird klar, was sich eigentlich ereignet hat: Cosey verlor frühzeitig seine geliebte Frau, dann seinen noch geliebteren Sohn, und er füllt die Lücke, indem er Heed heiratet, die Freundin seiner Enkelin Christine. Da war sie elf. Die Heirat macht die zwei kleinen Mädchen zu Todfeindinnen, die verdammt sind, um die Gunst des Mannes zu buhlen, der ihr Gatte und ihr Großvater ist. Als er stirbt, findet sich statt eines Testaments nur eine Speisekarte, auf die Papa, offenbar in einer rührselig betrunkenen Laune, gekritzelt hat, er hinterlasse alles dem „Cosey-Kind” - wer von den beiden ist das nun?
Zu zweit wohnen sie, alte Frauen inzwischen, in Papas großem altem Haus, jede in ihrem eigenen Dunst- und Lichtkreis inmitten der Dunkelheit, Christine in der Küche und Heed im Salon, mit keinem anderen Inhalt ihres Lebens als dem Hass, der sie aneinanderschmiedet. Da taucht - und damit eigentlich fängt das Buch an - die junge Junior auf, die eine Stellenanzeige der alten Heed beantwortet, eine Achtzehnjährige von der Straße. Effizient, schlau, argwöhnisch, spielt sie die Feindinnen gegeneinander aus. Als sie bei einer Testamentsfälschung mitwirken soll, gibt sie Heed einen Schubs von der Dachbodentreppe; Heed stürzt, sterbend söhnt sie sich mit ihrer Feindin aus, und erst im Licht dieser Versöhnung wird klar, was sich vor mehr als einem halben Jahrhundert ereignet hat.
„Liebe” heißt das Buch, kurz und bündig. Nachdem man es ausgelesen hat, muss man das für einen sehr ironischen Titel halten. Wovon es wirklich handelt - das ist die Unerbittlichkeit der Machtverhältnisse: Frau gegen Mann, Schwarz gegen Weiß, Arm gegen Reich. Der Grad des Elends, unter dem die Figuren leben und von dem sie zeitlebens geprägt bleiben, streift das Unglaubliche:Heed muss als Ehefrau erst das Schlafen in einem Bett lernen, und die große Verheißung für Junior besteht darin, künftig in einem richtigen Haus wohnen zu dürfen - und zwar ohne Gitter vor den Fenstern, denn das kennt die Schwererziehbare schon. Man gewinnt aus Morrisons Buch nicht den Eindruck, dass sich die Lage der Schwarzen in den USA wesentlich gebessert hätte, seit sie rechtlich gleichgestellt sind und nicht mehr Schwarze, sondern Afro-Amerikaner heißen.
Heimweh nach dem Schlechten
Dreifach also sind alle diese Frauen im Nachteil; und außer der Liebe haben sie keine Optionen. Das verleiht ihr ein böses, unfreies Gesicht. Im einzelnen gibt es an Rollenangeboten: „die hereinplatzende Ehefrau, die zusätzliche Geliebte, die unerwünschte, lästige Tochter, die ignorierte Enkelin, die abgemeldete Freundin”. Doch auch für die Männer ist es nicht einfach, sich auf diesem Gelände zu bewegen. Der junge Romen, mit dem Junior eine Liebesgeschichte anfängt, bekommt die Sanktionen seiner Clique zu spüren, als er sich der Teilnahme an einer Vergewaltigung entzieht. Dass ein Mann kein Vergewaltiger wird: das ist schon was, gibt das Buch zu verstehen, ein Hoffnungsschimmer des Humanen. Und so wird auch das Urteil über Mr. Cosey, den großmütigen, selbstherrlichen Patriarchen, ausgesetzt. Hat nicht auch er jeden Tag unter dem „Zickenkrieg” im Hotel Oceanside zu leiden gehabt, und ist davon nicht zuletzt der Laden ruiniert worden? „Man könnte ihn einen guten bösen Menschen nennen oder einen bösen guten”, sinniert die alte L., einst Köchin und guter Geist des Etablissements, die die Stelle der Erzählerin einnimmt. „Je nachdem, was einem wichtiger ist, das Was oder das Warum.”
L., die kaum mehr spricht und nur noch vor sich hinsummt und die, wie sie zum Schluss beiläufig erwähnt, den alten Papa vergiftet hat, als es gar nicht mehr anders ging, verkörpert ein Element der Kontinuität und zuletzt auch der Heiterkeit. Sie missbilligt die schamlosen Sitten der schwarzen Mädchen von heute, aber sie gibt ohne Groll zu, dass es immer die Beherztheit der Prostituierten war, die die Mode und den ganzen Stil der Epoche bestimmt und vorangebracht hat. Nicht alles, was wie Fortschritt aussieht, ist auch einer. Man nehme die nächtliche Straßenbeleuchtung: „Heute ist der Himmel leer, wie ausradiert, aber damals war die Milchstraße so alltäglich wie Straßenstaub. In ihrem Licht verwandelte sich alles in einen zauberischen Schwarzweißfilm. Wo auch immer dein Platz im Leben ist, wie auch immer du dich gerade fühlst, wenn der Himmel voller Sterne ist, kommst du dir reich vor.” Dieses Heimweh nach der guten schlechten alten Zeit: Es macht die zwiespältige Schönheit des Buchs aus.
Sie wird durch die Übersetzung von Thomas Piltz leider erheblich beschädigt. Eine typische Passage hört sich so an: „Er wischte sich gerade Salzstaub von den Händen, als die beiden seiner Sorge anvertrauten Personen gleichzeitig eintrafen. ,Holla’ rief die eine. ,Bin ich froh, dass du das gemacht hast! Ich dachte schon, ich brech’ mir noch den Hals.’ Worauf die andere erwiderte: ,Was soll das, Gran? Ich hab dich doch den ganzen Weg vom Bus am Arm gehalten.’ ,Sicher hast du das, Baby.’ Vida Gibbons lächelte und hoffte, damit einer kritischen Bemerkung zuvorzukommen, die ihr Mann wahrscheinlich gleich an ihren Enkel richten würde. Beim Abendessen, nachdem die überbackenen Kartoffeln seine Stimmung aufgetaut hatten, kam Sandler auf die Neuigkeit zurück, von der er schon angefangen hatte, als sie zu dritt den Tisch deckten.,Und was, hast du gesagt, dass sie wollte?’”
Hier ist so ziemlich alles beisammen, was man bei einer Übersetzung aus dem Englischen verkehrt machen kann. Natürlich stellt es eine besondere Schwierigkeit dar, für die schwarze Umgangssprache (nicht den Slang, wohlgemerkt) ein deutsches Äquivalent zu herzustellen. Aber etwas Besseres als „Holla!” (für „Hoo!”) und „Ich dachte schon, ich brech’ mir noch” und das Halten der Oma am Arm sollte sich jedenfalls finden lassen. Satzstrukturen werden pedantisch nachgebildet („Sicher hast du das”, für „Course you did”), andere noch pedantischer aufgelöst („Und was, hast du gesagt, dass sie wollte?”, für „What did you say she wanted?”), die geschlossene Wortstellung überstreckt („die beiden seiner Sorge anvertrauten Personen”, für „the two persons under his care”) und einzelne Wörter gedankenlos falsch verwendet (wenn eine Person die andere am Arm führt, können sie, auch wenn sie dies auf Englisch „at the same time” tun, im Deutschen nicht „gleichzeitig” eintreffen, was die Getrenntheit der Wege voraussetzt - sondern nur „zusammen” oder „zugleich”). Und als irreführend und instinktlos muss man es bezeichnen, wenn ein kräftiger Vierzehnjähriger, der das erste Mal auftritt, nur weil „die Person” im Deutschen grammatisch weiblich sein muss, gleichfalls in weiblicher Gestalt erscheint: er ist „die andere”. Das alles, so viel es davon auch gibt, wäre verzeihlich, wenn nicht der Rhythmus der Sprache von Toni Morrison, langsam und elegant und bei aller syntaktischen Komplexität überaus geschmeidig gereiht, systematisch an ein sprödes Nebensatz-Gestoppel verloren gegangen wäre. Es ist kein gutes deutsches Buch geworden.
BURKHARD MÜLLER
Toni Morrison: Liebe. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004, 281 S., 19.90 Euro.
Toni Morrison, 2004 im Metropolitan Museum.
Foto: AP/ Kathy Willens
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Liebe handelt zwar von der Liebe zwischen Männern und Frauen, von Bindung, von der Zärtlichkeit der Alten für die Jungen, aber vor allem davon, wie Frauen lieben. Und sie lieben anders als Männer. Der Roman geht einem lange nach, weil er voller Schönheit ist und voller Trauer um vertane Leben, um eine dahingegangene Zeit. The New York Review of Books