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"Der Zögling Tjaz", 1972 im jugoslawischen Slowenien veröffentlicht, erst 1981 in deutscher Übersetzung in Österreich erschienen, erzählt die Geschichte eines Internatsschülers, der mit der Gabe, Gegenstände aus der Ferne zerkratzen zu können, gegen die Obrigkeit aufsteht, entlassen wird und am ersten Tag in Freiheit Selbstmord begeht. Florjan Lipus ist Kärntner Slowene und besuchte das Gymnasium im bischöflichen Knabenseminar in Tanzenberg - wie Peter Handke, der mit seiner Übersetzung Roman wie Autor in seinem Geburtsland erst bekanntgemacht hat. Handke schreibt: "Tjaz ist eine Gestalt, wie…mehr

Produktbeschreibung
"Der Zögling Tjaz", 1972 im jugoslawischen Slowenien veröffentlicht, erst 1981 in deutscher Übersetzung in Österreich erschienen, erzählt die Geschichte eines Internatsschülers, der mit der Gabe, Gegenstände aus der Ferne zerkratzen zu können, gegen die Obrigkeit aufsteht, entlassen wird und am ersten Tag in Freiheit Selbstmord begeht. Florjan Lipus ist Kärntner Slowene und besuchte das Gymnasium im bischöflichen Knabenseminar in Tanzenberg - wie Peter Handke, der mit seiner Übersetzung Roman wie Autor in seinem Geburtsland erst bekanntgemacht hat. Handke schreibt: "Tjaz ist eine Gestalt, wie es sie in der Romanliteratur noch nicht gegeben hat: kein Schelm, kein Unschuldiger, kein Sich-Entwickelnder, kein Held, kein Opfer, kein Angeklagter, kein Fremder, sondern weniger und mehr als das alles: ein 'kosmisches Geschiebsel' - ein 'Geschiebsel', aber 'kosmisch'. Wenn man am Ende des Jahrhunderts die Bücher zählen wird, die in unseren Gegenden entstanden sind, dann wird 'Der Zögling Tjaz' dazugehören." Er erscheint hier, mehr als vierzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, mit einer aktuellen Nachschrift, in der Lipus den autobiografischen Kern des Romans noch einmal neu fasst.
Autorenporträt
Lipus, Florjangeboren 1937 in Kärnten, lebt in Sielach / Sele. Er veröffentlicht auf Slowenisch, Romane, Prosa, Essays, szenische Texte. Mehrere seiner Bücher erschienen in deutscher Übersetzung. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt den Petrarca-Preis 2011 und den Franz-Nabl-Preis 2013.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2016

Sein geistiger Körper, nur noch ein feiner Dunst
Wie Slowenien ins 21. Jahrhundert kam: Florjan Lipuš hat seinen epochalen Roman „Der Zögling Tjaž“ mit einer aktuellen Nachschrift versehen
Als 1972 in Maribor „Der Zögling Tjaž“ erschien, war dies tatsächlich seit 106 Jahren der erste Roman, der von einem Kärntner Slowenen veröffentlicht und überhaupt erst der zweite, der von einem Angehörigen dieser österreichischen Volksgruppe verlegt wurde. Aber was für einen Roman hat der 1935 geborene, in einer kleinen Kärntner Gemeinde als Lehrer arbeitende Florjan Lipuš da vorgelegt – ohne an Vorläufer, Vorbilder anschließen zu können!
  Die österreichischen Slowenen waren im zwanzigsten Jahrhundert zwei Mal verraten worden. Zum ersten Mal 1920, als sie sich bei der Kärntner Volksabstimmung mehrheitlich dafür entschieden, dass ihre Gebiete zu Österreich, nicht zum Königreich der Südslawen gehören mögen. Damals waren sie es, die dafür sorgten, dass weite Teile Kärntens nicht an den neuen jugoslawischen Staat fielen. Die Deutschkärntner dankten es ihnen, indem sie sogleich eine wüste Germanisierung propagierten und während des Nationalsozialismus viele ihrer slowenischen Nachbarn denunzierten und ans Messer lieferten.
  Zum zweiten Mal wurden sie verraten, als ihnen im österreichischen Staatsvertrag von 1955 ausdrücklich das Recht auf Ortstafeln, Schulen, eine angemessene kulturelle Repräsentation zugebilligt, dieses Recht im politischen Alltag aber die längste Zeit nicht durchgesetzt wurde. Das hat dazu geführt, dass die slowenische Sprache in der Öffentlichkeit gebannt blieb, die Vertreter der Volksgruppe meist stockkonservativ agierten und nicht wenige Slowenen das verächtliche Bild der Deutschkärntner übernahmen, ihre Sprache und Kultur für minder zu halten begannen und endlich den Wechsel der Nationalität vollzogen.
  In dieser für die Volksgruppe bedrängenden und bedrückenden Situation hätte man erwarten können, dass der zweite Roman in der Geschichte der Kärntner Slowenen entweder den linden Trost der traditionellen Erbauungsliteratur bieten oder appellativ zum politischen Widerstand aufrufen würde. Doch Florjan Lipuš hatte ganz anderes im Sinn: „Der Zögling Tjaž“ ist ein Sprachkunstwerk ersten Ranges, faszinierend, aber nicht leicht zu lesen, mit ausufernd langen Sätzen, voll alter, schon halb vergessener Wörter und neuer Wendungen, mit drei verschiedenen Erzählerstimmen und Passagen, die die bürokratische Sprache der Herrschaft verfremden oder die Dinge sarkastisch ritualisieren.
  Kühn hat sich Lipuš damit über die Erwartungen hinweggesetzt, die die Slowenen selbst von einem Roman haben mochten, und seinen Lesern das Höchste abverlangt: sich auch sprachlich nicht mit dem Altbekannten von Küche und Kirche abzufinden, sondern diese wilde Sprache, gefügt aus Uraltem und ganz Neuem, aufzunehmen. Er hat sein slowenisches Publikum also keineswegs unterfordert, aber Lipuš hielt und hält das „Selbstbewusstsein“ eben für die einzige Überlebenschance einer kleinen Nation, und dieses, schrieb er in einem Aufsatz, können „wir nur mit origineller Literatur erreichen, die vor allem Sprache ist, nicht alltäglich, sondern eigenartig, vorwärts und aufwärts gerichtet“.
Es war ein folgenreicher Glücksfall, dass Peter Handke und Helga Mracnikar den „Zögling Tjaž“ übersetzten und dem Roman im Deutschen Klang und Farbe gaben: Von ihrer mitreißenden, notwendigerweise freien Übersetzung ging das Buch aus den Kärntner Tälern hinaus in die Welt. In zehn Kapiteln wird die kurze Lebensgeschichte des armen, einzelgängerischen, wissbegierigen, trotzigen Tjaž erzählt, der in ein katholisches Internat kommt, sich in dessen streng reglementierter Welt zu bilden und zu behaupten versucht, eine Geliebte findet und die ermordete Mutter nicht vergisst und, nach Jahren der Anstalt verwiesen, einen einzigen Tag „in Freiheit“ verlebt und dann vom obersten Stock eines Hochhauses in den Tod springt.
Zum wiederholten Male wird das epochale Buch neu aufgelegt, nun aber mit einem wesentlichen Zusatz. Lipuš hat für die slowenische Neuauflage von 2013 eine „Nachschrift“ verfasst, und die hat es in sich. Auf immerhin siebzig Seiten nimmt sich der Autor seine eigene Geschichte noch einmal vor, er erzählt, was geschah, ehe Tjaž ins Internat kam, und was sich in den vergangenen Jahrzehnten in Kärnten ereignet hat, seit der Roman um den unglücklichen und renitenten „Internatling“ zum ersten Mal erschienen ist. Lipuš greift also einerseits noch einmal seine Romanfiktion auf, der er wichtige Momente hinzufügt, und stellt den Roman andererseits in seine politischen und historischen Zusammenhänge.
  Florjan Lipuš erzählt von Mutter und Vater seiner Figur und gibt dabei zu erkennen, wie nahe ihm der aufbegehrende Tjaž biografisch steht. Es geht zu Herzen, wenn er von der Mutter berichtet, die eines Tages von den Gendarmen abgeholt und ins Konzentrationslager verschickt wird; selbst als später im Ort ein Stein an die Opfer des Krieges erinnert, fehlt darauf ihr Name: „Der Name war wichtig, er besagte, dass sie gelebt hatte. Wer ohne Namen ist, hat auch nicht gelebt.“ Dass Österreich mit schändlicher Verspätung einigen Ortstafeln in Kärnten slowenische Bezeichnungen hinzufügen ließ, weiß er durchaus zu würdigen.
  Seine unerbittliche Kritik gilt den Slowenen selbst, von denen inzwischen viele die Sprache ihrer Herkunft aufgegeben haben, namentlich den Gebildeten und gar den Schriftstellern unter ihnen, die „ihre Lebenskrisen in den Umstiegsbüchern zur Schau stellen“: in Büchern also, für die sie von der slowenischen in die deutsche Sprache gewechselt haben. Lipuš hält das für einen unentschuldbaren Verrat an denen, die verfolgt oder gar ermordet wurden, weil sie sich als Slowenen bekannten.
  Gegen Ende der Nachschrift lässt er den toten Tjaž auf ein Volksfest von heute gehen, „sein geistiger Körper, nur noch ein feiner Dunst“, schlängelt sich unsichtbar durch die gut gelaunte Menschenmenge. Angewidert muss der Tote erkennen, dass die Verfolgten in der Ära „fortschreitender Anpassung“ vergessen wurden und damit auch seine eigene Selbstaufopferung nichtig war: „Sie haben das Lager überstanden, sind lebend zurückgekehrt, jetzt werden sie von den Nachkommen geschlagen und beraubt. Die Anpassung auf höherer Stufe ist der Anfang der letzten Stufe, was dann kommt, ist nur noch geistige Finsternis, vollständige Dunkelheit, körperliches und geistiges Verschwinden.“
  So endet die Geschichte des aufsässigen Tjaž mit einer Bilanz, die düsterer für die Kärntner Slowenen gar nicht ausfallen könnte.
KARL-MARKUS GAUSS
Diese wilde Sprache, gefügt aus
Uraltem und ganz Neuem, setzt
alle Erwartungen außer Kraft
Florjan Lipuš: Der Zögling Tjaž. Roman und Nachschrift. Aus dem Slowenischen von Peter Handke und Helga Mracnikar und Johann Strutz. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Fabjan Hafner. Jung und Jung, Salzburg 2016. 324 Seiten, 25 Euro.
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