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Robert, ein Mann um die dreißig, kehrt ins Dorf seiner Kindheit zurück, "irgendwo am Schienenstrang zwischen Neustadt und Himmelreich".Die Mutter ist schon eine Weile tot, nun begraben sie Rudi, den Vater. Der war ein verschlossener Mann, dessen Vater einst nicht aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und für den Jungen ein Fremder geblieben war. Und Fremdheit und Schweigen sind auch, die Roberts Beziehung zu diesem Vater geprägt haben. Das Beredtste, was dem Sohn von Rudi bleibt, ist die Bastelarbeit auf dem Dachboden: das Dorf in Miniaturformat, mit der Eisenbahn, die in der…mehr

Produktbeschreibung
Robert, ein Mann um die dreißig, kehrt ins Dorf seiner Kindheit zurück, "irgendwo am Schienenstrang zwischen Neustadt und Himmelreich".Die Mutter ist schon eine Weile tot, nun begraben sie Rudi, den Vater. Der war ein verschlossener Mann, dessen Vater einst nicht aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und für den Jungen ein Fremder geblieben war. Und Fremdheit und Schweigen sind auch, die Roberts Beziehung zu diesem Vater geprägt haben. Das Beredtste, was dem Sohn von Rudi bleibt, ist die Bastelarbeit auf dem Dachboden: das Dorf in Miniaturformat, mit der Eisenbahn, die in der Wirklichkeit hier nicht mehr hält.Mit dieser zauberhaften Erfindung gelingt es Jens Wonneberger, die Beziehung zwischen Vater und Sohn, über der so viel Ungesagtes, Ungelöstes liegt, spielerisch zu poetisieren. Mit Lakonie bringt er dieses Museum der verlorenen Zeit sprachlich zum Klingen. Auch das Dorf jenseits der Familie bekommt seine Physiognomie. In meisterhaften Miniaturen haben die Absonderlichen ihren Auftritt, die auch die DDR nicht zu domestizieren vermochte: Schlendermax, der Dorftrottel, Birnstein, der Chrysanthemen- und Gurkenzüchter, oder Kretschel, der Kutscher, der einmal samt seinem Gespann in einem Schlammloch versank.In "Himmelreich" errettet Jens Wonneberger sie alle in eine deutsche Prosa, die zum Besten gehört, was derzeit geschrieben wird.
Autorenporträt
Jens Wonneberger: Geboren 1960 in Großröhrsdorf. Seit 1992 ist er Schriftsteller und Literaturredakteur des Dresdner Stadtmagazins SAX. Zahlreiche Veröffentlichungen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ulrich Rüdenauer schätzt den Dresdner Schriftsteller Jens Wonneberger als "behutsamen, geradezu verschwiegenen Erzähler", der sich mit besonderer Anteilnahme den aus der Zeit gefallenen Flecken des Landes widmet. Wie eine Modelleisenbahnwelt erschafft Wonneberger den kleinen Ort Himmelreich, in dem die Bahn noch hält, der aber längst aus dem Kursbuch gestrichen ist. Idyllisch ist hier nichts, und niemand glaubt mehr an Erlösung. Wonneberg erzählt von schrulligen Gestalten und Sonderlingen, die wie "Gespenster durch die Geschichte" spukten, und vor allem von der traurigen, zukunftslosen Familie des jungen Robert, die den Anschluss an die neue Zeit schon lange verloren hatte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.12.2015

Woher kommt der Pfeifton?
Im Roman „Himmelreich“ des Dresdner Schriftstellers Jens Wonneberger ist der Titel
ein Euphemismus – geschildert wird ein Ort im Abseits, der aus dem Kursbuch verschwunden ist
VON ULRICH RÜDENAUER
Jens Wonneberger ist ein behutsamer, geradezu verschwiegener Erzähler. Der 55-jährige Dresdener Autor liefert seine von Illusionen kaum noch heimgesuchten Figuren nicht aus, sondern scheint sie dem Blick des Lesers nur ganz dezent preisgeben zu wollen. Es sind einfache, einsame Helden, in denen die historischen Umbrüche nur sehr schleichend ankommen. Sie leben in Gegenden, die im Schatten der medialen Scheinwerferlichter liegen – etwa in dem Dorf Ahornstein im Nachwende-Roman „Sture Hunde“ (2011), einem „Ort für Aussätzige“, der „dennoch etwas Märchenhaftes" hat.
  Himmelreich heißt ein anderer dieser aus der Zeit gefallenen und verfallenden Flecken. Er gibt dem neuen Roman von Jens Wonneberger den Namen. Himmelreich liegt in Ostdeutschland, das Dorf ist der Kindheitsort von Robert, der im Zentrum des Buches steht. Himmlisch ist hier wenig, eine idyllische Heimatgeschichte darf man sich nicht erwarten. Und ob die Figuren an Erlösung glauben, ist doch sehr zu bezweifeln.
  Der Roman, als Triptychon aufgebaut, beginnt mit einem Blick aus der Ferne. Es ist, als ob sich der Erzähler über ein museales Dorf beugen und eine Modelllandschaft betrachten würde, mal hier- und mal dorthin schaut, sich den einen oder anderen herauspickt, um ihm seinen Platz im Gefüge dieses Himmelreich-Kosmos zuzuweisen. Lauter schräge Vögel sind das, Außenseiter, Sonderlinge, die im sozialistischen Osten nicht gerade Schrittmacher im Wettlauf mit dem Kapitalismus gewesen sein dürften und längst als Gespenster durch die Geschichte spuken.
  Willy Kretschel schleicht da herum, Besitzer des letzten Pferdegespannes im Dorf, der samt Wagen und Gaul im Moor versunken sein soll; oder der Kohlenhändler, der in einem rabenschwarzen Sarg beigesetzt wird, früher immer selbst den Begräbnis-Karren gezogen hat und nun bei seiner eigenen Beerdigung irgendwie zu fehlen scheint; oder Schäfers Gertrud, die mit angeklebtem Bart und langem Mantel den Weihnachtsmann gibt und das Jahr über Kaninchen und Hühner schlachtet.
  Auch der junge Robert entgeht dem Betrachter nicht. An einem heißen Augusttag im Jahr 1973 tummeln sich einige Jugendliche im Freibad am See, Robert und ein Mädchen kommen sich im dichten Schilf näher, aber Walter Ulbricht rettet ihre Unschuld: „Unter ihnen war nur das leise Glucksen des Wassers zwischen den Stützen des Steges, als die Stille von einem langgezogenen grellen Pfeifton zerrissen wurde, dem gleich darauf die hallende Stimme eines Nachrichtensprechers folgte, der über die alte Lautsprecheranlage der Landfilmstelle den Badenden verkündete, dass sich das Kämpferleben von Walter Ulbricht, dem großen Sohn der deutschen Arbeiterklasse und konsequent proletarischen Internationalisten vollendet habe. Dann war wieder Stille, sie lagen sich noch immer in den Armen, doch die tastenden Hände hielten plötzlich inne.“
  Dieser erste Teil des Romans erscheint wie ein Stillleben, unscheinbar und beiläufig. Es gibt in diesem Bild dunkle Ecken, blinde Flecken, etwas merkwürdig Verstaubtes. Man darf sich von der Harmlosigkeit des Geschilderten nicht in die Irre führen lassen, den doppelten Boden nicht übersehen, die Melancholie, die unter der Oberfläche lauert. „Untergänge“ heißt das Kapitel, es schildert eine fast schon überkommene, schwindende Welt hinter den sieben Bergen und dem Eisernen Vorhang.
  Im zweiten, längsten Teil des Buches wird näher herangezoomt, auch an die Gegenwart. Nun kommt einer dieser Untergeher genauer in den Blick, der Vater von Robert, der auf dem Dachboden eine Modelleisenbahnwelt nach dem Vorbild von Himmelreich geformt hat. In dieser Miniaturlandschaft bleibt erhalten, was in der Wirklichkeit zugrunde geht. Hier kommen am Bahnhof noch immer Züge an, als Himmelreich schon nicht mehr in den Kursbüchern verzeichnet ist. Es ist ein eindrückliches Bild, das Jens Wonneberger für die stillgestellte, eingefrorene Zeit kurz nach der Wende gefunden hat. Die Modelleisenbahn ist der Versuch, eine heile Welt im Maßstab 1:120 herzustellen, eine Ordnung, die es in der bürokratischen Willkür des SED-Regimes und im Chaos der Wirklichkeit, wo die Menschen vergehen und sterben, nicht gab und nicht gibt. Auf dem Dachboden bleiben auch die Träume konserviert, die den Bewohnern des Städtchens längst abhandengekommen sind.
  Der Tod von Roberts Mutter und der Selbstmord des Vaters – er hängt sich auf dem Speicher auf – markieren den Zeitenwechsel, den Abschied von der Jugend, und unausgesprochen auch den Verlust aller Unschuld. Selbst Walter Ulbricht kann nun nicht mehr eingreifen; Himmelreich ist zu einem fernen, nur noch in der Erinnerung erreichbaren Ort geworden. Wonneberger erzählt das in einem faszinierenden Wechsel von Andeutungen und kühlen Beschreibungen, von Gestern und Heute, von Rück- und Vorblenden, Kindheitserinnerungen und Kindheitsängsten. Die Zeiten verschwimmen, das Grauen des Früher geht in das Grauen des Heute über, die Sehnsucht des Jungen begegnet der Ernüchterung des jungen Mannes.
  Während im ersten Teil des Buches und auch im letzten – einer Art Epilog – längere Satzgefüge vorherrschen, wird dieses Zentralkapitel, die Mitteltafel des Triptychons, von kurzen Phrasen bestimmt: Die Enge und die Sprachlosigkeit der Familie formen ihre eigene Grammatik. Dieser Ton ist suggestiv, geradezu unheimlich, zugleich von einer ungeheuren Evidenz. Man findet sich förmlich mit Robert auf dem Dachboden wieder, gerade weil die Zeitebenen nur undeutlich voneinander geschieden sind. Das Trauma kennt keine Struktur. Die Erschütterung Roberts ist aber nur die Fortsetzung einer schon vorangegangenen: Der Vater selbst ist in einer kommunikationslosen Welt aufgewachsen; dessen Vater wiederum kehrte aus russischer Kriegsgefangenschaft nicht zurück. Auch dieser Phantomschmerz einer inexistenten Vater-Sohn-Beziehung klingt an.
  Wonneberger hat aus Motiven seiner Erzählungen nun einen faszinierenden Roman geformt, der unter die Pappkulisse der Modelleisenbahnlandschaft blickt, der das Vergangene als etwas erfasst, das in jeder Sekunde präsent ist und hervorbrechen kann. Das Buch endet mit einem Ausblick vom Kirchturm auf ein neues Leben, eine neue Zeit. „Schon morgen konnte alles nur noch Erinnerung sein“, denkt der noch immer junge Robert. Dann schließt er die Augen, um besser sehen zu können.
Jens Wonneberger: Himmelreich. Roman. Müry Salzmann Verlag, Salzburg und Wien 2015. 158 Seiten, 19 Euro.
Es ist, als ob sich der Erzähler
über das Dorf einer
Modell-Landschaft beugen würde
Die Modelleisenbahn, die im Roman der Vater baut, ist der Versuch, eine heile Welt im Maßstab 1:120 aufzubauen.  
Foto: Veronica Laber
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