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Hannah Arendt dachte zeitlebens im Horizont Sokrates'. Schon in den amerikanischen Anfängen stellte sie den Lehrer Platons in den Mittelpunkt ihrer Versuche, ein politisch relevantes und persönlich haltbares Denken für die Moderne zu begründen. Meisterhaft entfaltet diese Vorlesung aus den 50er Jahren eine Apologie der menschlichen Pluralität. So wendet sich Arendt gegen die platonische Versuchung, der Relativität der möglichen Wahrheiten mit der absoluten Autorität eines wegweisenden Denkansatzes begegnen zu wollen. Entscheidend ist für Arendt der innere Dialog, den Sokrates philosophisch…mehr

Produktbeschreibung
Hannah Arendt dachte zeitlebens im Horizont Sokrates'. Schon in den amerikanischen Anfängen stellte sie den Lehrer Platons in den Mittelpunkt ihrer Versuche, ein politisch relevantes und persönlich haltbares Denken für die Moderne zu begründen. Meisterhaft entfaltet diese Vorlesung aus den 50er Jahren eine Apologie der menschlichen Pluralität. So wendet sich Arendt gegen die platonische Versuchung, der Relativität der möglichen Wahrheiten mit der absoluten Autorität eines wegweisenden Denkansatzes begegnen zu wollen. Entscheidend ist für Arendt der innere Dialog, den Sokrates philosophisch initiierte. Zudem hebt sie die Kommunikation unter Bürgern und Freunden hervor, die im Austausch der Meinungen gemeinsame Perspektiven der Weltgestaltung eröffnen könne. In den Erinnerungen "In Hannah Arendts Seminar" berichtet ihr letzter Assistent Jerome Kohn, wie sich entlang platonischer Texte das gemeinsame Nachdenken mit der Philosophin an der New School of Social Research gestaltete.
Autorenporträt
Hannah Arendt, 1906 in Hannover geboren, studierte Philosophie, Theologie und Griechisch unter anderem bei Heidegger, Bultmann und Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte sie nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 war sie als Lektorin, danach als freie Schriftstellerin tätig. Sie war Professorin für Politische Theorie in Chicago und lehrte ab 1967 an der New School for Social Research in New York, wo sie 1975 starb.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der hier rezensierende Zürcher Philosoph Michael Hampe nähert sich diesem Buch eher essayistisch als rezensierend. Deutlich macht er allerdings, wie aktuell der Rückgriff auf Sokrates bei Hannah Arendt ist: Hampe beschreibt ihre Reflexion über Sokrates als eine über Demokratie, die in beständiger Gefahr schwebt, dass das bloße Meinen über die Wahrheit siegt. Meinung sei zwar an sich nichts Verwerfliches, sie müsse nur im Rahmen einer ehrlichen Selbstreflexion und einer funktionierenden Öffentlichkeit vorgebracht werden. Dieser Prozess könne dann klären helfen, "was 'für uns' jetzt gerade das Richtige ist", eine scheinbar bescheidene Forderung, die aber das Beste sei, was Demokratie vermöge. Sokrates Hebammenkunst empfiehlt Hampe dabei auch als Rezept in der Auseinandersetzung mit Diskursgegnern, die es gelte, in ihre Widersprüche zu verwickeln und ihre Ideen bis zum Ende ausbuchstabieren zu lassen. Hampe lobt die Präsentation des Buchs mit der Einleitung von Matthias Bormuth und Jerome Krohns ergänzenden Erinnerungen an Arendts Sokrates-Vorträge an der University of Notre Dame, auf denen das Buch basiert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.11.2016

Vom Standpunkt
des anderen aus
Hannah Arendts „Sokrates“ verteidigt die Pluralität
VON RAINER ERLINGER
Bräuchten wir sie nicht dringender denn je? Die Philosophen, die Platon zufolge im idealen Staat herrschen sollten. Also diejenigen, die sich durch Weisheit auszeichnen und die Wahrheit suchen und kennen. Gerade das scheint zunehmend wichtiger zu sein bei einer Politik und bei Wählern, die sich immer weniger für Fakten zu interessieren scheinen und immer mehr nur für ihre Meinungen.
  Genau damit, mit dem Verhältnis von Wahrheit und Meinung und – allgemeiner – von Philosophie und Politik beschäftigte sich Hannah Arendt 1954 in einer Vorlesung, die nun unter dem Titel „Sokrates. Apologie der Pluralität“ erstmals auf Deutsch erschienen ist. Was diese Vorlesung so interessant und vor allem aktuell so relevant macht, ist die große Bedeutung, die Arendt dabei – aufbauend auf Sokrates – der Meinung zumisst und sie gegen Platos Ansatz von der einen absoluten Wahrheit verteidigt.
  Der zentrale Begriffder Vorlesung ist doxa, Meinung. Darunter verstand Sokrates den „Ausdruck dessen, was dokei moi, was ,mir scheint‘“. Das bedeute, so Arendt, dass doxa nicht „subjektive Fantasterei und Willkür“ war, auch nichts „Absolutes und Allgemeingültiges“: „Die Annahme war, dass sich die Welt jedem Menschen verschieden eröffnet, je nach seiner Stellung in ihr, und dass die ,Gleichheit‘ der Welt, ihre Gemeinsamkeit (…), ihre Objektivität (…) sich daraus ergibt, dass sich ein und dieselbe Welt jedem anders eröffnet“.
  Diese Auffassung ist nun in erster Linie zutiefst human, insofern als sie auf den Menschen abstellt. Es kommt hinzu, dass mit der Aufwertung der doxa die Meinung, das, was dem Menschen zu sein scheint, nicht als minderwertiger Gegensatz zum Wissen oder zur Wahrheit abgestempelt, sondern als mit diesem individuellen Menschen verbunden anerkannt wird.
  Doch Arendt geht, aufbauend auf Sokrates, noch weiter. Die Anerkennung der doxa eröffnet einen philosophischen Gegenentwurf zur Absolutheit der Wahrheit bei Platon: „Eine absolute Wahrheit, welche für alle Menschen gleich wäre und insofern keinerlei Beziehung zur Individualität hätte, kann es für uns Sterbliche nicht geben. Für uns ist es entscheidend, die doxa wahrhaftig werden zu lassen, in jeder doxa Wahrheit zu erkennen. Hier bedeutet das sokratische ,Ich weiß, dass ich nichts weiß‘ nichts anderes als: Ich weiß, dass ich nicht für jedermann die Wahrheit habe. In seiner stets ambivalenten Manier hatte das Orakel von Delphi Sokrates die Ehre erwiesen, ihn den weisesten aller Menschen zu nennen, weil er die Grenzen der Wahrheit für Sterbliche akzeptiert hatte, ihre Begrenztheit im dokein, dem Scheinen, und weil er gleichzeitig entdeckt hatte, dass doxa weder private Illusion noch willkürliche Verzerrung war, sondern im Gegenteil genau das, worin sich die Wahrheit unweigerlich zeigte.“
  Dies alles muss dann aber genauso für das gelten, was man selbst für die Wahrheit hält. „Und so, wie niemand vorab die doxa des anderen kennen kann, kann auch niemand aus sich selbst und ohne weitere Anstrengungen die Wahrheit wissen, die seine eigene Meinung birgt.“ Das ist neben der Erkenntnis, dass die Meinungen der anderen ihre Berechtigung haben, der zweite entscheidende Beitrag zur Pluralität, die über die klassische Toleranz hinausgeht. Man muss sich und den anderen eingestehen, dass die eigene Überzeugung auch nur Meinung, doxa, ist. Wie aber soll man vorgehen, wenn man die Wahrheit nicht sicher feststellen kann?
  An dieser Stelle geht Arendt, gemäß dem Originaltitel der Vorlesung „Philosophy and Politics“, über in die politische Theorie: „Diese Art von Verständnis – die Fähigkeit, die Dinge vom Standpunkt des anderen aus zu sehen, wie wir es gern ein wenig trivial formulieren – ist die politische Einsicht par excellence. Wenn wir die wichtigste Tugend eines Staatsmannes auf traditionelle Weise definieren wollten, könnten wir sagen: Sie besteht darin, die größtmögliche Zahl und die verschiedensten Arten von Wirklichkeiten (…) zu verstehen – zu verstehen, wie diese Wirklichkeiten sich den jeweiligen doxai, den Meinungen der Bürger, eröffnen, und gleichzeitig zwischen den Bürgern mit ihren Meinungen kommunikativ so zu vermitteln, dass die Gemeinsamkeit der Welt erkennbar wird.“
  Das ist die hochaktuelle Erkenntnis: Der derzeitigen politischen Fakten- und Glaubwürdigkeitskrise ist politisch nicht durch eine Herrschaft der Philosophen und der Wahrheit im Sinne Platons beizukommen. Es ist ja umgekehrt gerade das Problem, dass sich jetzt schon alle im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen – oder es aus politischem Kalkül behaupten. Wenn aber alle von ihrer Wahrheit überzeugt sind, sind Dialog oder Gespräch kaum mehr möglich. Das vermag auch die zunehmende Aggression im politischen Diskurs zu erklären. Was hier helfen kann – und das ist die wichtige Botschaft von Arendts Vorlesung –, ist einerseits sokratische Bescheidenheit, einzusehen, dass man selbst auch dem dokei moi, dem „wie mir scheint“, unterworfen ist. Auch man selbst kann die Wirklichkeit nur aus der eigenen Stellung in der Welt heraus sehen. Andererseits ist es die Anerkennung des anderen und dessen doxa. Und drittens schließlich, für den Politiker, die Aufgabe, seine Politik nicht primär an seiner eigenen Überzeugung oder der seiner Wähler zu orientieren, sondern als „Staatsmann“ zu versuchen zwischen den unterschiedlichen Wirklichkeiten und Meinungen der Bürger zu vermitteln und die Politik daran auszurichten. Die ethische Forderung der Vorlesung, die dem zugrunde liegt, aber ist zu erkennen, „dass trotz aller Unterschiede zwischen den Menschen und ihren Stellungen in der Welt – und insofern ihren doxai, ihren Meinungen – ,du und ich beide Menschen sind‘“.
Hannah Arendt: Sokrates. Apologie der Pluralität. Eingeleitet von Matthias Bormuth mit zwei Erinnerungen von Jerome Kohn. Aus dem Englischen von Joachim Kalka, Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2016. 107 Seiten, 12 Euro. E-Book 9,99 Euro.
Niemand kann, sagt Arendt, aus
sich selbst die Wahrheit wissen,
die seine Meinung birgt
Das Problem heute ist, dass
alle sich im Besitz der
absoluten Wahrheit wähnen
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»"Sokrates" von Hannah Arendt ist das Buch der Stunde. Denn es lehrt dich, den eigenen Meinungen gründlich zu misstrauen.« - Jürgen Busche, Der Freitag, Februar 2016 Jürgen Busche der Freitag 20160209