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Ein Mann sitzt im Hôtel des Solitaires in Khartum und wartet auf die Polizei. Um sich die Zeit zu vertreiben, schreibt er seine Erinnerungen nieder und liest in den Tagebüchern von Charles Gordon, der 1885 als britischer Generalgouverneur der ägyptischen Provinz Sudan von Aufständischen enthauptet wurde. Die Polizeibeamten wollen ihn zum Tode von Else Sutter befragen, einer jungen Archäologin, die bei den Ausgrabungen in der sagenumwobenen Königsstadt Meroe auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen ist. Sie war kürzlich erst ins Land gekommen, um eine Stelle als Assistentin von Heinrich…mehr

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Produktbeschreibung
Ein Mann sitzt im Hôtel des Solitaires in Khartum und wartet auf die Polizei. Um sich die Zeit zu vertreiben, schreibt er seine Erinnerungen nieder und liest in den Tagebüchern von Charles Gordon, der 1885 als britischer Generalgouverneur der ägyptischen Provinz Sudan von Aufständischen enthauptet wurde. Die Polizeibeamten wollen ihn zum Tode von Else Sutter befragen, einer jungen Archäologin, die bei den Ausgrabungen in der sagenumwobenen Königsstadt Meroe auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen ist. Sie war kürzlich erst ins Land gekommen, um eine Stelle als Assistentin von Heinrich Vollender anzutreten, einem undurchsichtigen Wissenschaftler, der in der sudanesischen Wüste nach christlichen Altertümern gräbt. Es gibt Hinweise darauf, dass Vollender früher als ostdeutscher Spion tätig war, aber beweisen kann das niemand. Beim Tod von Else Sutter jedoch musste er seine Finger im Spiel gehabt haben ... Olivier Rolin entwirft anhand des Schicksals dreier Männer ein faszinierendes Vexierspiel über das Scheitern als Essenz des menschlichen Lebens. Ein großer Roman, brillant erzählt, tiefgründig und bewegend zugleich.
Autorenporträt
Rolin, OlivierOlivier Rolin wird 1947 in Boulogne-Billancourt geboren. Die Kindheit verbringt er im Senegal, nach seinem Schulabschluss studiert er in Paris Literatur und Philosophie. 1967 tritt er der »Kommunistischen Jugend« Frankreichs bei, ein Jahr später wird er Mitglied des maoistisch orientierten »Neuen Volkswiderstands« und beteiligt sich an militanten Aktionen. Als sich die Bewegung 1973 auflöst, geht er für längere Zeit in den Untergrund. 1978 wird er Lektor und später Herausgeber in einem Pariser Verlagshaus, 1983 kommt sein erster von zwölf Romanen heraus. Für »Port Sudan« wird er 1994 mit dem renommierten Prix Femina ausgezeichnet, für »Die Papiertiger von Paris« erhält er 2003 den Prix France Culture. Bei Liebeskind erschienen bislang der Reisebericht »Letzte Tage in Baku« sowie die Romanbiografie »Der Meteorologe«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.09.2017

Im Hotel des eigenen Lebens
Olivier Rolin schickt in „Meroe“ seinen Helden in den Sudan und lässt ihn eine brillante Inventur des Scheiterns schreiben
Als er nach Jahren des freiwilligen Exils nach Frankreich zurückkehrte, so berichtet der namenlose Ich-Erzähler in Olivier Rolins Roman „Meroe“, habe er verstanden, dass man dort nur noch Zyniker und Gewinner zu schätzen weiß. Verlierer waren ihm schon immer lieber als Gewinner, ein Grund mehr also, schleunigst den Rückweg anzutreten in sein schäbiges Zimmer im Hôtel des Solitaires im sudanesischen Khartum. An diesem „ungeheuer großen Nicht-Ort zwischen Leben und Tod“ versucht er sich mithilfe einer Enzyklopädie des zwanzigsten Jahrhunderts einen Reim zu machen auf „das, was man die Welt nennt“ und seinen eigenen Lebenserinnerungen auf die Sprünge zu helfen.
Aber einerseits gibt es zu viele Dinge, die „wahrscheinlich nur als Wörter existieren“, und andererseits vermag er es nicht, die „intensive Klarheit des Lebens“, geschweige denn die Erinnerung daran in Worte und Sätze zu bannen. Eine missliche Ausgangslage für jemanden, der eine Geschichte erzählen will, und zugleich der perfekte Startpunkt für einen Roman über das Scheitern.
Olivier Rolin, dieser großartige Erzähler von Geschichte und Geschichten, huldigt in diesem vor 15 Jahren erstmals auf Deutsch erschienenen, nun neu aufgelegten Roman „Meroe“ über die nubische Königsstadt im heutigen Sudan erneut der Melancholie des Verlusts, des Zuspätkommens und der Schönheit der Niederlage. Rolins Helden stößt ihr eigenes Leben eher zu, als dass sie es gestalten, und zugleich sind sie besessen davon, Sinn in die Geschichten zu bringen, die sie sich über sich selbst erzählen. In seinem autobiografischen Roman „Die Papiertiger von Paris“ rechnete der Autor mit seiner eigenen Verirrung als Mitglied einer radikal-maoistischen Untergrundgruppe in den 1960er-Jahren ab. In „Der Meteorologe“ erzählte er vom Schicksal eines von Stalins Schergen Deportierten, der bis zum Moment seiner Exekution davon überzeugt ist, die Partei werde das offenkundige Versehen bemerken und ihn, einen treuen Sowjetbürger, begnadigen.
Auch in „Meroe“ geht es um die Vergänglichkeit, um vergebliche Hoffnungen und um die Unmöglichkeit, das Chaos der Welt in eine lineare Geschichte zu verwandeln. Aber Eckpunkte sind festzuhalten. Als Französischlehrer ließ sich der Erzähler nach Khartum versetzen, um dort ein „radikal Fremder“ zu werden, nachdem er in Paris seine Geliebte Alfa verlassen hatte – oder hat sie ihn verlassen? Im selbstgewählten Exil im Hôtel des Solitaires trifft der Liebeskranke auf den schillernden Archäologen Doktor Vollender, der in der alten Königsstadt Meroe obsessiv nach Relikten der christlichen Vergangenheit Nubiens gräbt. Bereits Vollenders Tochter starb als seine Grabungshelferin eines unbekannten Todes, und auch die neue Assistentin, die aus Berlin geschickt wird, überlebt seinen archäologischen Furor nicht. Will er seinen Karriereknick als ehemaliger DDR-Archäologe aufholen, oder muss er seine Vergangenheit als Ex-Spion verschleiern?
Diese Fragen sind nur weitere Rätsel, denen Rolins Ich-Erzähler in Khartum, dieser „schimärischen Stadt aus Sand, Gebeten und Wahnsinn“, auf der Spur ist. Während er die „schwatzhafte Beschäftigungslosigkeit“ der Sudanesen mit großer Sympathie beobachtet, vertreibt er sich die Zeit mit Gesprächen über Früh- und Kolonialgeschichte und studiert bei unzähligen Zigaretten die Tagebücher von Charles George Gordon, einst britischer Generalgouverneur der ägyptischen Provinz Sudan. Gordon wurde im Jahre 1885 nach 322 Tagen der Belagerung Khartums von mahdistischen Widerstandkämpfern überwältigt und enthauptet. Auch Gordon ist einer von Rolins schön Gescheiterten, denn die nur zwei Tage später eintreffenden britischen Hilfstruppen konnten ihn nicht mehr retten.
Im Durchgang durch die vielschichtig verwobenen Zeitebenen führt der Erzähler mit unlarmoyanter Melancholie die Schönheit der Niederlage vor. Das strikte Alkoholverbot unter der islamistischen Diktatur im Sudan zur Zeit der Aufzeichnungen bewahrt ihn vor weinerlichem Leidensrausch. Er springt durch die Zeiten und die Zeitalter, bis er alles in einem Strudel der verlorenen Vergangenheit und rätselhaften Gegenwart mit sich reißt, seine Jugend in Frankreich, die Flucht aus Paris nach Karthum, die paar „verglühten Steine“, die als einzige Überreste auf das christliche Meroe verweisen, die mysteriösen Todesfälle am Grabungsfeld und die obsessive Suche nach seiner verlorenen Geliebten, oder doch wenigstens nach einer authentischen Erinnerung an sie.
Die Ausgrabungen des zwielichtigen Archäologen Vollender spiegelt Rolin in den besessenen Versuchen des Ich-Erzählers, in den Verschüttungen der Zeitgeschichte wie in seiner eigenen Lebensgeschichte irgendeine Orientierung zu finden. Bis zum Ende des Romans bleibt er mehr Beobachter denn Gestalter des Geschehens, zieht gewagte Verbindungen und stellt kühne Vermutungen auf, saugt Eindrücke, Erinnerungen und Ideen auf wie ein gut gelaunter Gast im labyrinthischen Hotel des eigenen Lebens. Die Polizei, die ihn wegen des ungeklärten Todes der Assistentin des Archäologen befragen wird, erwartet er gelassen in seinem Zimmer im Hotel der Verlassenen in Khartum. Schließlich weiß er, dass es zwar nur eine Realität, aber unendlich viele Erzählungen gibt.
CORNELIUS WÜLLENKEMPER
Olivier Rolin: Meroe. Roman. Aus dem Französischen von Jürgen Ritte. Liebeskind Verlag, München 2017. 302 Seiten, 22 Euro.
Im selbstgewählten Exil
trifft der Liebeskranke auf einen
schillernden Archäologen
Bis zum Ende des Romans
bleibt der Held eher Beobachter
als Gestalter des Geschehens
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2018

Doppelgänger? Warum nicht gleich Tripelgänger?
Olivier Rolins französischer Roman "Meroe" weitet eine Krimisituation zum komplexen Menschheitspanorama

Ein Mann wartet im "Hôtel des Solitaires" (Hotel der Einzelgänger) in Khartum: "Ich stecke mir eine Bringi Filter nach der anderen an. Ich warte auf die Polizei oder Gott weiß was. Schließlich bin ich der Zeuge eines Mordes oder doch zumindest eines tödlichen Unfalls. Ich fange wieder an zu schreiben." So leicht kann man die Lage des Helden von Olivier Rolins Roman "Meroe" resümieren. Hinter dieser schön schwarz stimmungsvollen, im Grunde aber schlichten Krimisituation wird eine vertrackte Geschichte ausgerollt, die sich nahtlos in ein komplexes Menschheitspanorama fügt.

Einfache Dinge vorweg, nämlich das "Whodunit": Der alternde ostdeutsche Archäologe Heinrich Vollender, dessen Name sein Schicksal ausposaunt, hat den Untergang einer sagenhaften Ruine im Sudan und den Tod Else Sutters, seiner jungen westdeutschen Kollegin und Nachfolgerin, bestenfalls in Kauf genommen, schlimmstenfalls herbeigeführt. Die Grabungsstätte bei Meroe, welche die Überreste des längst untergegangenen nubisch-christlichen "Königreiches von Dotawo" barg, war verdächtig dilettantisch angelegt. Der Erzähler, ein Französischlehrer mit katastrophaler Liebesbiographie, auch - je nach Stimmung - "der Schwätzer, der postkoloniale Philosoph", hat das tragische Ende zumindest insgeheim gutgeheißen. Die ebenfalls einfache Frage "Warum?" allerdings kennt keine schnelle Antwort, sondern dient als Leitfaden eines beglückend verschachtelten Romans.

Olivier Rolin, 1947 in Boulogne-Billancourt geboren, hat nach militanten Anfängen im Linksextremismus als Lektor bei Seuil gearbeitet, einem ursprünglich katholischen Verlag, der aber die Mao-Bibel in Frankreich erfolgreich verlegt hat. Rolins literarischen Ruf hat "L'invention du monde" (1993, nicht übersetzt) begründet; wirklich bekannt geworden ist er mit "Port-Soudan" (1994) und mehr noch mit "Die Papiertiger von Paris" (2002), einem Roman, der seine Vergangenheit als Maoist reflektiert. Der geraden Linie politischen Fortschrittsdenkens setzt "Die Papiertiger" den Kreisverkehr des Périphérique entgegen, der Pariser Stadtautobahn, auf welcher der Erzähler eine Nacht lang sein Leben reflektiert.

Auch "Meroe" hat einen Kreis als emblematisches Bild: das Riesenrad eines Vergnügungsparks, in dem der Erzähler am Ende kreist und wartet, wenn er nicht im Hotelzimmer schreibt. Rolin hat die Parallele selbst in einem unklassifizierbaren Text namens "Letzte Tage in Baku" (2010) betont: "Der Kreis ist auf alle Fälle meine Figur, die Matrix meiner intimen Geometrie. Das Wiederkehrende, die ewige Wiederkehr und auch die Spirale, deren immer engere Runden das andere dahin führen, im selben verschlungen zu werden."

Tatsächlich führt die entscheidende Bewegung von "Meroe" im Zirkel. Da wäre das Kreisen des Erzählers: Schon bevor er Vollender trifft, scheint er zu warten, diesmal in einem Schiffsfriedhof, wo er ab und an mit einer Soldatin vögelt, wenn er nicht mit Harald konversiert, einem "dicken, weiß gefiederten, aufgeplusterten Quersack mit Blei in den struppigen, zerfledderten schwarzen Flügeln". Er verbringt seine Zeit damit, sich an seine Kindheit an der Loire und an seine große Liebe Alfa zu erinnern, eine ebenso sinnliche wie unbarmherzige Krankenschwester, die ihn für einen reichen Psychiater verlassen hat: "Der amouröse Knoten meines Lebens, der Punkt, auf den sich ein für alle Mal meine ganze Liebesfähigkeit konzentriert hatte, lag hinter mir." Es ist kein Zufall, dass unser Anonymus im Sudan gelandet ist, in einer Weltgegend, die ihn und uns in ein verwirrendes Spiegelkabinett aufnimmt: "Es ist ein ziemlich bizarrer Zug dieses Landes der Trugbilder und Hirngespinste, dass die geographischen Namen fast immer zweideutig sind, als läge es hier in der Natur aller Dinge, einen Doppelgänger zu haben, einen gebrochenen, umgekehrten Widerschein, der manchmal zur Negation des Urbilds wird." Leser, sei gewarnt!

Tatsächlich sind zwei Drittel des Romans eine Entwicklung der diversen Doppel- und Tripelgänger: Harald ist ein Stelzvogel, er ist aber auch der Australier Harold Winterfield, "dieser unleugbare und verschwiegene Fleischberg", der im Ackerbau scheitert und von einer Brücke springt. Die Erinnerung an Alfa spiegelt sich in jener an ein Modell namens Dune, das der Erzähler in Paris die Geliebte nachspielen ließ; Else fügt der Reihe der (im Falle Dunes nur potentiellen) Geliebten eine dritte hinzu. Vor allem spiegelt sich der Erzähler in Vollender und beide im tragischen Ende von Charles George Gordon (1833 bis 1885), auch Chinese Gordon genannt, dem englischen Generalgouverneur, der bei der Belagerung Khartums durch die Armee des Mahdis ums Leben kam - kurz vor Eintreffen der Verstärkung.

Das Fast-Gelingen, der notwendige Verlust ist für Rolin das eigentliche Thema der Literatur: "Die Literatur, so scheint mir, hat es mit dem Verschwundenen zu tun oder mit dem, was hätte sein können, aber nicht geworden ist." Der Plot um Vollender ist zwar wichtig, stellt jedoch nur noch eine Art letzter Schachzug dar, der eine langangelegte Strategie des Scheiterns abschließt und zugleich sichtbar macht, eine Strategie sowohl der Figuren als auch des Autors. Der hat die Eigenart, seine Motive und Reflexionen extrem zu konzentrieren: Zum Beispiel berichtet er die zwangsläufig ergebnislose Suche nach der einen Quelle des Nils, von den Römern bis zur englischen Kolonialmacht, und entwickelt daraus eine Reflexion auf die Absurdität der Weltgegend beziehungsweise der Geschichte im Allgemeinen sowie des Erzählens von Romanen im Besonderen. Die ungewöhnlich hohe assoziative Dichte von historischen Referenzen, literarischen und popkulturellen Zitaten sowie von internen Querverweisen ist für Rolin offenbar das formale Merkmal von Literatur. Er führt sie oft beiläufig ein, greift sie auf, reichert sie an und verknüpft sie - ein Kreisen auch hier.

"Meroe" erschien schon 1998 in Frankreich und wurde 2002 von Jürgen Ritte für den Berlin Verlag souverän übersetzt. Damals erhielt der Roman kaum Beachtung, er wird nun vom Liebeskind Verlag neu aufgelegt. Das ist erfreulich, ja fast schon eine literaturgeschichtliche Notwendigkeit: Mit zwanzig Jahren Abstand sieht man, was die großen Autoren der jungen Garde, allen voran Mathias Énard und Jérôme Ferrari, Rolins Schreibweise und Geschichtsvision schulden. Im Falle von Énard geht die Ähnlichkeit bis in die Besessenheit von einzelnen Motiven, etwa dem der Enthauptung, das in "Meroe" wie in "Zone" eine prominente Rolle spielt. Weitere Übersetzungen sind zu wünschen - es gibt viel zu entdecken.

NIKLAS BENDER

Olivier Rolin: "Meroe".

Roman.

Aus dem Französischen

von Jürgen Ritte.

Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2017. 304 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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