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In seinem Taxi bringt Thomas die junge Anaïse in ein kleines Fischerdorf, das in einem entlegenen Winkel von Haiti liegt. Anaïse ist aus Europa angereist, um einem Familiengeheimnis nachzugehen, das sich wie ein dunkler Schatten über ihrem Leben ausbreitet und dessen Ursprung in jenem Dorf liegt, aus dem auch Thomas stammt. Vor vielen Jahren hat sich dort ein tragisches Unglück ereignet. Der erfolgreiche Geschäftsmann Robert Montès - Anaïse' Großvater - und der ehemalige Polizeichef Pierre André Pierre sind nach einem nächtlichen Brand, der ihre benachbarten Häuser in Schutt und Asche gelegt…mehr

Produktbeschreibung
In seinem Taxi bringt Thomas die junge Anaïse in ein kleines Fischerdorf, das in einem entlegenen Winkel von Haiti liegt. Anaïse ist aus Europa angereist, um einem Familiengeheimnis nachzugehen, das sich wie ein dunkler Schatten über ihrem Leben ausbreitet und dessen Ursprung in jenem Dorf liegt, aus dem auch Thomas stammt. Vor vielen Jahren hat sich dort ein tragisches Unglück ereignet. Der erfolgreiche Geschäftsmann Robert Montès - Anaïse' Großvater - und der ehemalige Polizeichef Pierre André Pierre sind nach einem nächtlichen Brand, der ihre benachbarten Häuser in Schutt und Asche gelegt hat, spurlos verschwunden. Sind die beiden einer Racheaktion zum Opfer gefallen? Oder haben sie selbst das Feuer gelegt, um ihre vermeintlichen Verbrechen zu vertuschen? Thomas warnt Anaïse, dass ihre Nachforschungen zwangsläufig ins Leere laufen werden. Denn er weiß, dass an diesem magischen Ort die Wahrheit allen gehört und niemand seinem Schicksal entfliehen kann.
Autorenporträt
Lyonel Trouillot, 1956 in Port-au-Prince geboren, zählt zu den wichtigsten Autoren Haitis. Seine Kindheit verbrachte er mit seinen Eltern im Exil in den USA. Nach der Rückkehr in sein Heimatland studierte er Rechtswissenschaften. Sein Debütroman 'Straße der verlorenen Schritte' erschien 1998 in Frankreich, seitdem hat er acht Romane veröffentlicht. Für 'Die schöne Menschenliebe' wurde er 2011 für den Prix Goncourt nominiert. Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller und Publizist lehrt Lyonel Trouillot Kreolische und Französische Literatur in Port-au-Prince.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ein Haitibild fern von Armuts- und Erdbebendramatik, aber auch von Tourismuskitsch entwirft Lyonel Trouillot in seinem Roman "Die schöne Menschenliebe", berichtet Irene Binal angetan. Der Eindruck, der sich der aus einem westlichen Land angereisten Anaïse - maßgeblich durch den redseligen Taxifahrer Thomas - vermittelt, ist der einer heilen, nahezu paradiesischen Gemeinschaft, in der das durch harmonisches Miteinander herbeigeführte, gelebte Glück das höchste Gut ist, referiert die Rezensentin, die das Geschehen als "eine ebenso kluge wie poetische Parabel deutet", in der jeder Figur die Rolle eines Akteurs in der haitianischen Geschichte und Gesellschaft zukommt, von der mulattischen Oberschicht bis zu den westlichen Menschenrechtsvertretern. Trouillot "politisiert, ohne politisch zu werden", fasst Binal die Leistung des Autors zusammen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2014

Die Bar zur einstigen Feindschaft
Am vergangenen Samstag ist Jean-Claude Duvalier, der „Baby Doc“, in Port-au-Prince gestorben: Lyonel Trouillot verließ
Haiti in den 1980er-Jahren wegen des Diktators. Jetzt ist sein jüngster Roman „Die schöne Menschenliebe“ auf Deutsch erschienen
VON CORNELIUS WÜLLENKEMPER
Als der einstige haitianische Diktator Jean-Claude Duvalier wenige Tage nach dem verheerenden Erdbeben 2010 aus dem französische Exil verkündete, er wolle Teile des bei seiner Absetzung 1986 aus der Staatskasse geraubten Vermögens nunmehr „seinem armen Haiti“ spenden, war das für viele Haitianer der älteren Generation wie ein Schlag ins Gesicht.
  Duvalier, der 1971 mit nur 19 Jahren als „Baby Doc“ die Erb-Diktatur seines Vaters übernahm und am vergangenen Samstag in Port-au-Prince mit 63 Jahren an einem Herzinfarkt starb, steht bis heute für das hässliche Gesicht der einstigen „Perle der Karibik“: Ein paranoider Anti-Kommunismus, skrupellose Vetternwirtschaft und die blutige Unterdrückung der eigenen Bevölkerung durch die Mörderbanden der „Tonton Macouts“ brachten ihm den Ruf ein, die Personifizierung des haitianischen Übels zu sein.
  Nachdem in der Kolonialzeit Raubbau an Mensch und Natur betrieben und die üppigen Tropenwälder restlos gerodet und per Dampfboot nach Europa verschifft worden waren, sorgte der Duvalier-Clan dafür, dass auch der kulturelle Reichtum Haitis dezimiert wurde. Ein Großteil der Schriftsteller, Künstler und Intellektuellen, die gegen das traditionelle Oligarchen-System opponierten, floh vor den Schergen des Duvalier-Clans ins Exil.
  Der Literaturprofessor, Journalist und Schriftsteller Lyonel Trouillot war einer von zahlreichen haitianischen Autoren, die in den 1980er-Jahren die Insel verlassen mussten. Seit Jahren sorgt Trouillot mit seinen Romanen und Essays dafür, dass Haiti auch dann nicht ganz in Vergessenheit gerät, wenn kein Erdbeben, keine Epidemie und kein gewalttätiger Putsch das Land in die Schlagzeilen bringt.
  Trouillots jüngstes Werk „Die schöne Menschenliebe“ erschien in Frankreich bereits kurz nach dem verheerenden Erdbeben von 2010. „Das Buch handelt nicht vom Erdbeben, es geht mir um die Überlebenswahrscheinlichkeit Haitis und des Vertrauens der Haitianer“, sagte Trouillot kürzlich bei einem Besuch in Berlin lakonisch, während er in einem Café die sechste Zigarette in Folge rauchte. „Hoffnungslosigkeit ist eine höher stehende Form der Kritik“ – das Zitat stammt von seinem Lieblingschansonnier, dem französischen Anarchisten Léo Ferré. Haiti lebe in einem anderen historischen Zeitalter als die entwickelten Industrienationen, und die eigentliche Frage, die er durch seinen Roman stellen wolle, sei die, ob man mit den Mitteln der Sprache zwischen beiden vermitteln könne, ob man den politisch-wirtschaftliche Oligarchien, dem ausuferndem Individualismus und dem drohenden Sinnverlust postmoderner Gesellschaften etwas entgegensetzen könne: „Für die letzte Hoffnung braucht es Hoffnungslosigkeit.“
  Der Roman erzählt von Anaïse, einer jungen Frau aus einem ungenannten westlichen Land, die sich im Fischerdorf Anse-à-Fôleur im Norden Haitis auf die Spuren ihres Großvaters begibt, der dort unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Der Straßenphilosoph Justin hatte im abgelegenen Küstendorf einen „Kodex neuer Gesetze im Dienste des Glücks“ durchgesetzt, um „der Arroganz derer etwas entgegenzusetzen, die behaupten, unter allen Umständen den Unterschied zwischen Handeln und Denken, Traum und Wirklichkeit, Lüge und Wahrheit bestimmen zu können“. Hier gilt der „freundschaftliche Rat, bei allem die Vorder- und die Rückseite zu sehen“ und die „Dinge ihrem Geheimnis zu überlassen“.
  Auch die Wahrheit über den Tod von Anaïses Großvater, dem erfolgreichen Geschäftsmann Robert Montès, und seinem Freund, dem Oberst a. D. Pierre André Pierre, unterliegt den geheimnisvollen Regeln des Dorfes. Ein nächtlicher Brand hat ihre Luxus-Domizile in Schutt und Asche gelegt. Der Ermittler, der aus der Hauptstadt geschickt wurde, damit sein Minister schnell einen Schuldigen präsentieren kann, hat kurz nach seiner Ankunft den Dienst quittiert und betreibt, anstatt nach der „Wahrheit“ zu suchen, eine Bar, in der die Gäste auf ihre einstigen Feindschaften trinken. Trouillot entwirft angesichts des realen Unheils in seiner Heimat kontrafaktische Versöhnungsphantasien und märchenhafte Glücksbilder, ohne dass sein Roman, der in Frankreich für den Prix Goncourt nominiert wurde, je zu einer verklärenden Heilsvision gerät. Er bleibt ein eindringliches Gespräch der haitianischen Seele mit sich selbst.
  Jede Figur in diesem Roman entpuppt sich als literarische Metapher für Haitis Leidenschronik. Thomas, der Touristenführer, der Anaïse vom Flughafen ins Dorf chauffiert, ist der unbeteiligte Beobachter des Geschehens. Er begnügt sich damit, Besucher über die geschundene Insel zu führen und sich insgeheim für seine Gleichgültigkeit schämt. Sein Onkel, der erblindende Maler des Dorfes, arbeitet an seinem letzten Gemälde über die schöne Menschenliebe und liefert so die ästhetische Grundierung des Paradieses. Die junge Anaïse, die unwissende Insel-Besucherin, erkennt schon bald, dass sie mit ihrer westlichen Logik die Wahrheit über den Tod ihres Großvaters nicht aufdecken wird. Im Gemälde über die Menschenliebe waren er und sein Freund, der Oberst, „überflüssige Farbkleckse“.
  „Die beiden stehen für die zwei Oligarchien, die Haiti seit 200 Jahren fest im Griff haben“, erklärt Lyonel Trouillot . „Die schwarze Oligarchie des Militärs, die mit totalitärem Machtgebaren ausschließlich den eigenen Vorteil sucht. Und die politische und wirtschaftliche Oligarchie der Mulatten, die sich seit der Unabhängigkeit abschirmt, in krasser Missachtung der haitianischen Kultur und Gesellschaft.“ Die Umstände ihres Todes, ob es ein Racheakt der Dorfgemeinschaft oder ein inszenierter Tod zur Vertuschung der eigenen Verbrechen war, bleiben ungewiss. „Ihr Tod ist gleichgültig“, meint Trouillot, „denn ihnen waren die Menschen gleichgültig. Was allein zählt, ist ihr Verschwinden.“
  „Die schöne Menschenliebe“ ist aber mehr als nur eine Abrechnung Trouillots mit denjenigen unter seinen Landsleuten, die seit Jahrhunderten die Geschicke der ältesten postkolonialen Republik der Welt bestimmen. Auch die selbsternannten Katastrophenhelfer, Botschafter und UN-Vertreter, die – so der derzeit oft gehörte Vorwurf – mit ihren Einsätzen im Krisengebiet eher selbst Geld verdienen, als dass sie der darbenden haitianischen Gesellschaft helfen würden, finden in Trouillots Sitten- und Gesellschaftsportrait ihren Platz.
  Den Touristenführer Thomas lässt er in einem ebenso lyrischen wie ironischen Ton über eine amerikanische Kleinfamilie berichten, die ihren preiswerten Karibik-Urlaub in spektakulärer Katastrophen-Kulisse verbringt. In wenigen scharfen Absätzen diagnostiziert Trouillot die Symptome einer neurotischen Wohlstandsgesellschaft, die mit Blick auf das Leid der anderen den eigenen Weltschmerz betäubt.
  Für eine gewisse Form der moralischen Armut, sagt Trouillot, fehle ihm angesichts der hungernden Straßenkinder Haitis die Empathie. Am Ende dieser schonungslosen, aber nie maliziösen Geschichte liefert er dennoch die Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit, mit Mitteln der Sprache die Entdeckung der gemeinsamen Menschlichkeit zu befördern: Zuhören und Schweigen. Wir hören die Stimmen von Trouillots Figuren nur als Monologe, wobei zu hoffen bleibt, dass das Gegenüber ein wachsamer Zuhörer ist. Als der Touristenführer Thomas während einer nächtlichen Autofahrt der Besucherin Anaïse vom geheimnisvollen Glücks-Kodex im Fischerdorf der Menschenliebe erzählt, ist sie für einen kurzen Moment eingenickt.
Lyonel Trouillot, geboren 1956 in Port-au-Prince, verließ Haiti in den 1980er-Jahren und ging in die USA. Heute lebt er wieder in seiner Geburtsstadt und lehrt dort Kreolische und Französische Literatur.
Foto: Liebeskind Verlag
Jean-Claude Duvalier, genannt „Baby Doc“, während seiner Hochzeitsfeier in der Kathedrale von Port-au-Prince am 27. Mai 1980.
Foto: AP
  
  
  
Lyonel Trouillot: Die schöne Menschenliebe. Roman. Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer und Claudia Steinitz. Liebeskind Verlag, München 2014. 192 Seiten, 16,90 Euro.
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