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Kopftuch, Niqab, Burka und wie die langweiligen Techniken der Körperverhüllung noch heißen - was sind sie gegen den haarigen Schwindel, mit dem sich die Menschen seit ewigen Zeiten bedeckten? In Luigi Amaras virtuos gebildeter und unterhaltsamer Darstellung einer offenbar unstillbaren Obsession (meist schlichte Notwehr) werden die Türmer und Vogelnester, die einst die Köpfe höfischer Damen in Europa schmückten, ebenso vorgeführt wie die Allongeperücken, mit denen etwa Bach und Händel, Newton und Leibnitz ihre erhitzten Köpfe verhüllten. Es fehlen weder Andy Warhols siebzehn Perücken noch André…mehr

Produktbeschreibung
Kopftuch, Niqab, Burka und wie die langweiligen Techniken der Körperverhüllung noch heißen - was sind sie gegen den haarigen Schwindel, mit dem sich die Menschen seit ewigen Zeiten bedeckten? In Luigi Amaras virtuos gebildeter und unterhaltsamer Darstellung einer offenbar unstillbaren Obsession (meist schlichte Notwehr) werden die Türmer und Vogelnester, die einst die Köpfe höfischer Damen in Europa schmückten, ebenso vorgeführt wie die Allongeperücken, mit denen etwa Bach und Händel, Newton und Leibnitz ihre erhitzten Köpfe verhüllten. Es fehlen weder Andy Warhols siebzehn Perücken noch André Agassis sportlicher Vokuhila. Cindy Sherman hat ihren Auftritt, Cleopatra und Doris Day samt auftoupierten Hollywood-Kolleginnen natürlich auch. Donald Trumps künstliche Sturmfrisur war bei Redaktionsschluss leider noch kein öffentliches Thema.
Autorenporträt
Luigi Amara, geboren 1971 In Mexico City, ist Essayist, Dichter und Verleger - nach eigenem Bekunden jedoch vor allem Spaziergänger. Gemeinsam mit anderen Autoren hat er den Verlag Tumbona Ediciones ins Leben gerufen. Er lebt in Mexico City. "Die Perücke" ist die erste Veröffentlichung auf Deutsch.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2017

Kunst am Kopf
Was Casanova mit Andy Warhol und Andre Agassi verbindet: Luigi Amara macht sich Gedanken über die Perücke.

Am besten charakterisiert Luigi Amara sein Buch über "Die Perücke" selbst, wenn er es "nur eine ein wenig ausführlich geratene Fußnote" nennt. Sein Text treibt in der Tat von der erheiternden Anekdote zum amüsanten Histörchen, denn dies Kleidungsstück des Kopfes hat es nun einmal so an sich, dass es rutscht, verlorengeht, exzentrisch aussieht oder sonst irgend seinen Besitzer in Verlegenheit bringt. So kann Amara von allerlei Peinlichkeit erzählen, die Berühmtheiten mit ihrer Perücke widerfuhr, so dass sie dadurch noch berühmter wurden: Helden dieser Art sind Casanova, Lichtenberg, Andy Warhol, Andre Agassi, und ohne Marie Antoinette kommt eine Sittengeschichte schon gar nicht aus.

Nur dem Philosophen steht, glaubt man Synesios von Kyrene, diese Verkleidung des Kopfes eigentlich gar nicht gut. In seinem "Lob der Kahlheit" beweist der Grieche, dass das Haar überhaupt und die Perücke erst recht "sich mit den Höhen der Abstraktion nur schwer vereinbaren lasse". Dennoch versucht Amara sein Thema auf die Höhen der Abstraktion hinauf zu führen und Begründungen dafürzufinden, weshalb die Perücke für Jahrhunderte zu einem bedeutsamen Accessoire der Kleidung hatte werden können.

Aus den beiden Methoden, die Amara zu solchem Nachdenken zur Verfügung stehen, benutzt er aber nur die eine, die psychologische, und übergeht fast ganz die andere, die historisch-soziologische. Die Perücke biete dem Träger, so Amara, die Chance, "die Beschränkungen des Körpers zu überwinden und die Zufälligkeiten der Identität aufzuheben". Casanova etwa habe die Perücke benutzt, um sein Talent zum theatralischen Auftritt und zur Verstellung zu perfektionieren; und für jedermann sei (oder wäre) "das Überstreifen einer Perücke" Teil "eines täglichen Rituals, durch das wir uns wieder zu denjenigen machen, die wir für uns selbst sind".

Es gelingt Amara aber auch, seinem Deutungsunternehmen Sigmund Freud zu verpflichten und die Neigung, eine Perücke zu tragen, auf einen "starken frühkindlichen Eindruck" zurückzuführen, bei dem "das Erkennen des Unterschieds zwischen Mann und Frau mit Kastrationsängsten verknüpft" sei. Aber selbst da, wo Amara gar noch Marx heranzieht, bleibt sein Blick fixiert auf den Einzelnen und seinen Spaß, eine Perücke entweder zu tragen oder sich dieser Mode zu verweigern. Die Amtsperücke jedoch, die Perücke auch, die als selbstverständliches und geradezu verpflichtendes Statussymbol getragen wurde und ganze Berufs- oder Gesellschaftsgruppen formte, beachtet er nicht, weshalb denn auch dies Kleidungsstück in seinem Buch keine Geschichte hat.

HANNELORE SCHLAFFER

Luigi Amara: "Die Perücke".

Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Berenberg Verlag, Berlin 2017. 221 S., geb., 24,- [Euro].

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