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Alan Turing zählt zu den Erfindern des modernen Computers und gilt als einer der wichtigsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts, dessen Beiträge zur Informatik bis heute von unschätzbarem Wert sind. Doch wer war Turing wirklich? Wie lebte und arbeitete er, und was führte zu seinem Suizid mit gerade einmal 41 Jahren? Turing von Robert Deutsch beleuchtet auf einfühlsame Weise ein außergewöhnliches Leben, das sich zwischen königlichem Ritterschlag und versteckt ausgelebter Homosexualität, zwischen Erfindergeist und Depression bewegte. Der aus Leipzig stammende Autor zeichnet in seinem bisweilen…mehr

Produktbeschreibung
Alan Turing zählt zu den Erfindern des modernen Computers und gilt als einer der wichtigsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts, dessen Beiträge zur Informatik bis heute von unschätzbarem Wert sind. Doch wer war Turing wirklich? Wie lebte und arbeitete er, und was führte zu seinem Suizid mit gerade einmal 41 Jahren? Turing von Robert Deutsch beleuchtet auf einfühlsame Weise ein außergewöhnliches Leben, das sich zwischen königlichem Ritterschlag und versteckt ausgelebter Homosexualität, zwischen Erfindergeist und Depression bewegte.
Der aus Leipzig stammende Autor zeichnet in seinem bisweilen fast kubistisch anmutenden Stil das Portrait eines Menschen, dessen sympathisch-naive Verschrobenheit auf die unerbittliche Realität im England der Nachkriegszeit trifft.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Ohne Alan Turing wäre die Welt heute eine andere. Er war maßgebend an der Entwicklung der ersten Computer beteiligt. Er begründete das Konzept der künstlichen Intelligenz, wie wir es kennen. Während des Zweiten Weltkriegs knackte er die deutschen Codes, verkürzte den Krieg um Jahre und rettete unzählige Leben. Außerdem war er schwul in einer Zeit, in der jede homosexuelle Handlung unter Strafe stand. 1952, Turing war 40 Jahre alt, hatte der Wissenschaftler eine Affäre mit einem jungen Mann aus der Unterschicht. Der half einem Komplizen dabei, bei Turing einzubrechen, und Turing meldete den Vorfall der Polizei. Er wurde wegen "grober Unzucht und sexueller Perversion" verurteilt und chemisch kastriert. Das Östrogen, das er täglich einnehmen musste, veränderte nicht nur seinen Körper, machte ihn weicher, schwächer, sondern löste eine klinische Depression aus. Am 7. Juni 1954 tränkte Turing einen Apfel in Cyanid und vergiftete sich. Robert Deutsch erzählt die Lebensgeschichte des Mathematikers in klug komponierten Acrylbildern, deren runde Formen und milde Farben - Senfgelb, Braun, Lindgrün, Türkis - die Fünfzigerjahre evozieren. Immer wieder blendet er Szenen aus seiner Jugend, aus seiner Tätigkeit als Kryptoanalytiker, aus seinen Tagträumen ein.

© BÜCHERmagazin

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.05.2017

Schneewittchen und die Relativitätstheorie
Als Mathe-Genie gefeiert, als Schwuler verfolgt: Ein Comic erzählt vom „Enigma-Code“-Knacker Alan Turing
Bis 1967 wurden in England gemäß dem Criminal Law Amendment Act Homosexuelle, die ein Verhältnis mit anderen Männern hatten, wegen „grober Unzucht“ verurteilt. Hatten sie Glück, wurden sie großzügigerweise vor die Wahl gestellt, entweder für mehrere Jahre ins Gefängnis zu wandern oder sich einer sogenannten chemischen Kastration zu unterziehen: Dem Patienten werden unter anderem Östrogene gespritzt, was zu Impotenz und zur Vergrößerung der Brustdrüsen führt.
Das wahrscheinlich bekannteste Opfer dieser Tortur hieß Alan Turing. Sein Fall ist nicht nur deshalb so pikant, weil Turing als eines der größten Mathematik- und Informatik-Genies des 20. Jahrhunderts unter anderem maßgeblich an der Entwicklung des Computers mitwirkte. Er war auch Träger des Order of the British Empire, da er sich um das Land wie nur wenige andere verdient gemacht hatte: Seine Entzifferung des „Enigma-Codes“ der Nationalsozialsten war für die Alliierten kriegsentscheidend. All das nutzte Turing am Ende nichts. Zwei Jahre nach seiner Kastration wurde er depressiv und brachte sich mit gerade mal 41 Jahren um, indem er in einen mit Blausäure vergifteten Apfel biss. Nachdem mehrere Versuche seiner Rehabilitierung abgelehnt worden waren mit der Begründung, man habe sich ja nur an das damals geltende Recht gehalten, brauchte England bis 2013, bis die Queen Turing mit einem „Royal Pardon“ bedachte. 49 000 andere Opfer, einige sind immer noch am Leben, warten bis heute auf solche Gnaden.
Natürlich ist so eine Biografie der Stoff, nach dem man sich als Künstler sehnt: Ein irgendwie verschrobenes, aber allgemein bewundertes Genie – natürlich weiß und männlich – besiegt Hitler und wird wegen eines vermeintlichen Makels – gerne eine Behinderung, in diesem Fall Homosexualität – geächtet und schwermütig. Kein Happy End. So schlägt man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: ein bisschen Weltgeschichte, ein bisschen Seelendrama und die unzweifelhaft edle, da politisch korrekte eigene Gesinnung. So in etwa funktioniert die bekannteste Adaption von Turings Leben, der Hollywood-Film „The Imitation Game“, der sich allerdings vor allem auf die vermeintlich spannende „Enigma“-Episode stürzt und es vermeidet, beim Thema gleichgeschlechtlicher Beischlaf jemals in die Nähe des Expliziten zu kommen.
Der Leipziger Illustrator Robert Deutsch wählt da einen wesentlich ambitionierteren Weg. In seiner ersten Graphic Novel dient die unheilvolle Affäre Turings mit dem 19-jährigen Arnold als roter Faden. Sehr zielstrebig nimmt der bekannte Wissenschaftler den jungen Arbeitslosen zu sich nach Hause. Arnold fungiert allerdings lediglich als Köder für einen Dieb, der in Turings Haus einbricht. Die eigentliche Katastrophe ist dann nicht dessen Enttäuschung, einem Betrüger aufgesessen zu sein, sondern der Beschluss, damit zur Polizei zu gehen. Denn unweigerlich kommen bei der Klärung des Falls sein Verhältnis und seine sexuelle Orientierung ans Licht, die er bisher geheim hielt.
Wie kann ein solches Genie, das im Begriff steht, in seinem Labor an der Universität Manchester künstliche Intelligenz zu erschaffen, derart blauäugig sein? In kurzen Rückblenden erkundet Deutsch diesen Widerspruch. Von Anfang an zeichnet er Turing als genialen wie kindlich-unschuldigen Freak, der einerseits schon früh eine außerordentliche Begabung an den Tag legt, andererseits sich durch Hypersensibilität und ungünstige Umstände in seine eigene Welt zurückzieht. So wächst er, weil sein Vater Beamter in Indien ist, ohne die Eltern bei einem befreundeten Oberst auf; als sein bester Freund auf der Schule, mit dem er seine Begeisterung für Mathematik und seine homosexuellen Neigungen entdeckt, an Tuberkulose stirbt, wird das zum lebenslangen Trauma. Im Computerdepartment der Universität arbeitet er nach dem Krieg an dem Computer „Manchester Mark 1“; seine Spleens, wie etwa als Schutz vor Keimen eine Gasmaske zu tragen, sieht man dem Hochdekorierten nach. Wie fragil diese Toleranz tatsächlich ist, erfährt Turing schnell, nachdem seine „grobe Unzucht“ bekannt wird.
Deutsch ist weit davon entfernt, eine kohärente, in sich geschlossene Comic-Biografie vorzulegen. Vor allem mit seinen in kräftigen Farben gehaltenen Acrylbildern gelingt es ihm wunderbar, eine zugleich authentisch altmodische wie surreale Welt zu evozieren. Nicht zufällig bewegen sich viele Figuren wie ungelenke Roboter; regelmäßig sehen wir detaillierte Querschnitte von Häusern, die an Schaltpläne erinnern, wie überhaupt das Buch weniger an einem spannenden Erzählfluss als an einer klug gebauten Seitenarchitektur interessiert ist. Auch für Turings Obsessionen findet Deutsch interessante Bilder: So passt der ausgestellt naive Stil zu Turings vermeintlich kindlichem Wesen und seinem Faible für das „Schneewittchen“-Märchen, das ihn angeblich auch zu seinem Selbstmord inspirierte. Überall hocken hier in der englischen Heidelandschaft Zwerge. Zusammen mit den Darstellungen von männlichem Sex wird daraus eine sehr eigene kitschig-schockierende Bildwelt.
Was sich formal als Stärke erweist, die Konzentration auf Tableaus, stellt für das Buch jedoch inhaltlich ein Problem dar: Die „Enigma“-Episode, die Turing in der zweiten Hälfte des Comics den Polizisten zu Protokoll gibt, gerät fantasielos und sehr textlastig, wie überhaupt die Flashbacks oft unbeholfen wirken, gerade wenn sie neben äußerst gelungenen Episoden stehen, in denen Turing in seine Traumwelten abdriftet. Es bleibt wie bei so vielen Debüts der Eindruck eines vielversprechenden Talents, bei dem abzuwarten ist, ob es für seinen bemerkenswert eigenwilligen Zeichenstil die richtige Erzählweise findet.
THOMAS VON STEINAECKER
Robert Deutsch: Turing. Avant Verlag, Berlin 2017. 192 Seiten, 29,95 Euro.
Schneller als Licht: Robert Deutschs scheinbar naiver, kitschig wirkender Zeichenstil illustriert die kindlichen Wesenszüge Alan Turings.
Foto: Avant
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2017

Ein aufregendes, entsetzliches Leben

Robert Deutsch ist derzeit einer der besten deutschen Comic-Zeichner. Jetzt muss er nur noch berühmt werden. Sein großartiges Buch über den englischen Informatiker Alan Turing wäre ein guter Anfang

Am Anfang: Erst einmal zehn Seiten ohne Sprechblasen, nur optischer Schrecken. Auch so erkennt man ein großes Comic-Kunstwerk. Die Haushälterin kommt, schreitet ratlos durch leere Räume, an der Straße vor dem Haus spielt ein Mädchen Violine. Bilder überschneiden einander mal und mal nicht, ein Tischbein ragt da weiter, wo es nicht weitergehen dürfte, im nächsten Moment schreitet die Zeit zäh weiter von Bild zu Bild. Der Zeichner spielt mit dem Raum und dann wieder mit dem zeitlichen Ablauf.

Der Blick fällt in diesen Bildern, im Comic nennt man sie "Panels", von oben, in Vogelperspektive, und das Ochsenblut des Parketts wirkt wie eine Drohung. Die Zugehfrau findet ihren Herrn, das Mathematikgenie Alan Turing, nur noch tot im Bett. Mit ihrem Schrei beginnt der beste gezeichnete Roman dieses Sommers - verfasst hat ihn der Leipziger Robert Deutsch. Sein "Turing" ist eine Biographie des großen Informatikers, über den schon alles gesagt ist, würde man eigentlich denken. Und doch ist er ein kleines Wunder, weil die Bildsprache und eine gewisse Sparsamkeit es der Erzählung möglich machen, sich in ein so aufregendes wie entsetzliches Leben einzufühlen. Inklusive der Leere und der Beklemmung.

Alan Turing nahm sich 1954 kurz vor seinem zweiundvierzigsten Geburtstag das Leben. Vorher hatte ihn das Land, für das er Hitlers Enigma-Maschine entschlüsselt - und somit den Krieg eigentlich mit gewonnen - hatte, zu einer brutalen Hormontherapie verdonnert, zur chemischen Kastration wegen seiner Straftat: Homosexualität.

Der Mann aus London ist heute in genau zwei Szenen bekannt und wird dort vergöttert: Unter Informatikern, deren größtes Genie er war - und in der Schwulenszene, wo er als Märtyrer gilt. Ansonsten kennt ihn eigentlich niemand. Daran hat auch der Film "The Imitation Game" vor fünf Jahren wenig geändert, in dem Benedict Cumberbatch, derzeit mal wieder als "Sherlock" im Fernsehen zu sehen, wohl erstmals den ganzen Turing spielte. Den Kryptoanalytiker und den Homosexuellen.

Im Comic sind die Lebensphasen dieses Mannes in verschiedene Farben getaucht. Deutsch lässt die glückliche - die Arbeit im Institut, an der Entschlüsselung der "Enigma" - vor allem rötlich erscheinen. Turing diskutiert mit Mitarbeitern, dann wird er überlebensgroß, seine Hand packt eine Kollegin am Kragen und setzt sie ins Büro wie eine Ratte in eine Versuchsanordnung. Die Bilder dieses Comics springen zwischen Traum, Diagramm, Risszeichnung, als ginge es darum, wirklich alle Möglichkeiten des Mediums auszukosten. Der Comic ist oft auch flächig, scherenschnittartig, lässt manchmal an Plakatkunst denken. Es hat etwas Freischwebendes, wenn etwa Hintergründe manchmal einfach weiß bleiben.

Robert Deutsch hat an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle Illustration studiert, dort auch mit dieser Arbeit begonnen. Vier Jahre stecken in seinem Buch, das nun im Avant-Verlag erscheint und ein mächtiger Foliant geworden ist. Comic-Verlage zahlen üblicherweise Vorschüsse um die fünftausend Euro, es liegt auf der Hand, dass ein solches Projekt nur durch Kunstwillen, nicht finanziell zu tragen ist.

Großartig ist es, weil es den Betrachter mit bildlicher Opulenz erschlägt und andererseits so viel zwischen den Zeilen und Bildern erzählt. Das Buch lässt Lücken, in der Erzählung und genauso in den Bildern. Wie Traumszenen öffnen sich einzelne Episoden aus Turings Leben. Da ist die Affäre mit einem jungen Mann vom Straßenstrich, durch die der Geheimdienst letztlich auf ihn aufmerksam wird. Da ist das Verhör, in dem der Wissenschaftler sich würdelos verteidigen muss, habe er denn nicht so viel für sein Land getan? Da wird Händchen gehalten unterm Sternenhimmel, da schießen Formeln und Diagramme durchs Bild, und dann kommt, unvermeidlich, der Niedergang eines großen Mannes.

Trotzdem zieht sich ein bizarrer Humor durch die Seiten, wenn etwa zwei Bierkrüge kurz miteinander sprechen. Oder es niest jemand, und im Hintergrund des Bildes fliegt eine Katze waagerecht durch die Luft. Turing selbst soll einen eigenwilligen Humor besessen haben, solche Details darf man als Hommage verstehen.

Der Comic treibt seinen Leser durch verschiedene Phasen und Stile, mal dominiert die Farbe Schwarz, mal ein feiner Bleistiftstil, immer steht dahinter ein funktionaler Sinn. Am Ende ist Turing fett, hat Brüste bekommen, er phantasiert von seiner Jugendliebe Christopher, der in den Schulferien an Tuberkulose starb. Sein Therapeut zeigt weder Verständnis noch gibt er Nähe. Die Einsamkeit kann schon schmerzen, auf diesen Seiten, die in kranke Töne getaucht sind wie von einer Natriumdampflampe. Die Erlösung kommt nur noch in der Vorstellung, erst dort wird die Welt bunt. Zu bunt. Eher so bunt, dass es weh tut.

"Oh to be in England - when the time comes near", hieß es bei der Band Art of Noise, unter Abwandlung eines eigentlich bloß hübschen Naturgedichts von Robert Browning. Genau so eine Provokation ist auch der Schluss dieses Comic-Romans. Da strahlt die Sonne ins Gehölz herab, Reh und Waschbär schauen großäugig, die Welt sieht aus wie eine Kreuzung aus Franz von Stuck und Ernst Kahl. Grell wie eine Werbung, die Farben knallen. Dabei sehen wir doch einem gebrochenen Mann zu, der sich einen Platz zum Sterben sucht. Turing, der besessen war vom Schneewittchen-Motiv, hatte sich das Gift auf einen Apfel gestrichen und irrt nun auf den letzten Seiten auch hier mit dem Apfel in der Hand durch einen Phantasiewald. Dass die größte Computerfirma der Welt einen angebissenen Apfel als Logo trägt, ist eine dieser Ironien der Geschichte Turings. Der Comic von Robert Deutsch hat für sie alle ein Auge.

Hier muss man sich beim Lesen auch hindurchspüren, mit dem Gefühl wahrnehmen und nicht nur intellektuell. Man soll sich in den Bildwelten verlieren. Die Klage, dass Comics in Deutschland keinen hohen Stellenwert haben, ist alt und abgegriffen. Man darf sie gar nicht wiederholen. Gäbe dieses Buch doch nur nicht so viel Anlass dazu.

THOMAS LINDEMANN

Robert Deutsch: "Turing". Avant-Verlag, 192 Seiten, 29,95 Euro

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"Eine ausgefeilte Seitenarchitektur vermittelt auf spielerisch anmutende und doch komplexe Weise die skurrilen Seiten von Turings Persönlichkeit ebenso wie die tragischen Aspekte seines Lebens als Homosexueller in einer Zeit, als dies in Großbritannien strafbar war."
Lars von Törne, Comicexperte und Redakteur bei Der Tagesspiegel