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WIE FREI IST UNSERE WISSENSCHAFT?Schockierende Realität: ein Hörsaal 'Aldi Süd', ein von Google finanziertes Institut für Internet und Gesellschaft an der Humboldt Universität Berlin, schokoladenfreundliche wissenschaftliche Untersuchungen von einem Mars-Professor für Ernährung. Die Liste von Beispielen, wie Konzerne Einfluss auf Hochschulen und Wissenschaft nehmen, wird fast täglich länger. Dient Forschung an den öffentlichen Hochschulen der Allgemeinheit oder nutzt sie zunehmend einseitigen Gewinninteressen?Der Strom von privaten Geldern in die Wissenschaft ist dramatisch angeschwollen. Doch…mehr

Produktbeschreibung
WIE FREI IST UNSERE WISSENSCHAFT?Schockierende Realität: ein Hörsaal 'Aldi Süd', ein von Google finanziertes Institut für Internet und Gesellschaft an der Humboldt Universität Berlin, schokoladenfreundliche wissenschaftliche Untersuchungen von einem Mars-Professor für Ernährung. Die Liste von Beispielen, wie Konzerne Einfluss auf Hochschulen und Wissenschaft nehmen, wird fast täglich länger. Dient Forschung an den öffentlichen Hochschulen der Allgemeinheit oder nutzt sie zunehmend einseitigen Gewinninteressen?Der Strom von privaten Geldern in die Wissenschaft ist dramatisch angeschwollen. Doch Großkonzerne sind keine Wohltätigkeitsvereine. Sie verfolgen mit dem Einsatz von Kapital gezielte Interessen. Nicht der Nutzen für die breite Bevölkerung soll dadurch erhöht werden, sondern der Nutzen der Konzerneigentümer: die Gewinne.
Autorenporträt
Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962, studierte Volkswirtschaftslehre in München. Nach neun Jahren Berufstätigkeit als Banker in verschiedenen Geschäftsbanken, davon sieben Jahre im Investmentbanking, unterrichtet er seit 2002 als Professor an der Hochschule Aalen Finanzierung und Wirtschaftspolitik. www.menschengerechtewirtschaft.de
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2015

Auf dem Weg zu einem geistigen Korsett
Was die Wirtschaft an Universitäten fördert: Christian Kreiß warnt davor, Forschungsziele an Geldinteressen zu knüpfen, aber mehr Recherche wäre gut gewesen

Siebzig Prozent von Forschung und Entwicklung leisten in Deutschland Wirtschaft und Industrie selbst. Warum sollte auch die universitäre Forschung um den Preis ihrer Unabhängigkeit die Nähe zur Ökonomie suchen? Von dieser Frage geht das Buch des ehemaligen Investmentbankers und heutigen Wirtschaftsprofessors Christian Kreiß aus. Man ahnt, dass die Antwort nicht kleinlich ausfallen wird.

Auf dem Weg zur Autonomie sind die Universitäten der Wirtschaft in den letzten Jahren immer näher gerückt. Auf der nächsten, derzeit beschrittenen Etappe ins globale Wissenschaftssystem wird Hochschulpolitik sogar explizit als Standortpolitik betrieben. Trotzdem ist der finanzielle Einfluss zunächst einmal nicht so groß wie vermutet. Nur ein Fünftel der Drittmittel und fünf Prozent der gesamten Hochschulfinanzierung stammen aus der Wirtschaft, seit 2006 ist der wirtschaftliche Drittmittelanteil prozentual nicht mehr gestiegen.

Kreiß verweist auf indirekte Verquickungen. Wenn die Wirtschaft nur teilweise für akademische Kooperationen aufkommt, würden private Profite staatlich subventioniert. Starken Einfluss übe die Wirtschaft auch über universitäre Gremien aus, in denen sie stark vertreten sei, besonders durch das machtvolle Instrument des Hochschulrats. So wird - nicht überall, aber doch vermehrt - Rendite zum Forschungsziel und Geisteswissenschaften und Grundlagenforschung zum unprofitablen Geschäft.

Das Buch trifft auf ein verbreitetes Unbehagen in der Wissenschaft an der Gängelung durch die Wirtschaft, das unter dem Begriff Solutionismus kursiert. Man sucht kurzfristige Lösungen für Probleme, die andere vorgeben, und verliert das eigene Forschungsziel aus den Augen. Themen werden nach Fördermitteln flexibel umgeschrieben. Wer in der Konstellation prekärer Nachwuchswissenschaftler und finanzkräftige Institution das Sagen hat, ist leicht zu erraten.

Das macht die Zusammenarbeit nicht durchweg anrüchig. Es mangelt aber nicht an zweifelhaften Fällen. Einige Schlaglichter: Google ließ sich für das Book Settlement vom Mitarbeiter eines staatlich finanzierten deutschen Instituts ein Gutachten schreiben, bei dem es nicht nur das Ergebnis, sondern gleich auch die Argumentation vorgab; die Deutsche Bank spendierte der Humboldt-Universität ein Institut für Finanzmathematik, bei dem sie bis zu Forschung und Stellenvergabe hineinreden wollte; Kinder werden in gesponserten Schulbüchern seit Jahren diskret an die Wirtschaft herangeführt - mit freundlicher Unterstützung der Politik, die das Sponsoring an Schulen für "zulässig und erwünscht" erklärt. Das Argument, es reiche die Transparenz der Kooperationen, lässt Kreiß zu Recht nicht gelten. Es ändere nichts an der einseitigen Forschungslenkung.

Das trifft auch auf die beliebten Stiftungsprofessuren zu, die nicht nur einseitig ausgewählt, sondern auch wirtschaftsnah besetzt bleiben, wenn sie von den Universitäten übernommen werden. Die deutsche Energiebranche unterhält ihre rund dreißig Stiftungslehrstühle nicht in der Germanistik. Aus geförderten Instituten gingen bereits umstrittene, für die Atombranche vorteilhafte Empfehlungen hervor. Gleichwohl ist die Zahl der Stiftungsprofessuren in Deutschland nicht hoch.

Überraschenderweise nähert sich das Buch dem manipulativen Gebrauch der Wissenschaft mit Beispielen aus den Vereinigten Staaten. Die sind zweifellos spektakulär, wie dasjenige des von der Tabakindustrie fürstlich honorierten Mediziners Ragnar Rylander, der mit manipulierten Studien jahrelang die Schädlichkeit des Passivrauchens bestritt. Aber die angeführten Fälle liegen weit auseinander und auch schon etwas zurück.

Trotzdem ergibt sich ein Muster. Für Studien, deren Zweck von Beginn an die Täuschung ist, werden gezielt wirtschaftsnahe Gutachter ausgewählt, negative Ergebnisse werden mit tatortreifen Methoden unterdrückt. Auch Gesundheitsschäden werden in Kauf genommen, um gefährliche Substanzen noch eine Weile auf dem Markt halten zu können.

Der amerikanischen Tabakindustrie gelang es beispielsweise, die Deklarierung des Tabaks als Suchtmittel fünfzehn Jahre zu verschleppen. Begünstigt wird die Manipulation durch Publikationsklauseln, die den akademischen Autor an seinen Geldgeber binden. Nicht selten kommt es auch vor, dass akademische Autoren in der Autorenzeile von Studien firmieren, die in Wirklichkeit von der Wirtschaft geschrieben wurden. Wer glaubt da noch an die Unabhängigkeit der Wissenschaft?

Kreiß stützt sich in seinen Fallstudien auf wenige Bücher und fügt kaum eigene Recherche hinzu. Für die deutschen Verhältnisse bedient er sich fast ausschließlich bei einem Dossier der "Zeit". Für die angekündigte erste Synthese seit zwanzig Jahren ist das wenig. Unklar bleibt, ob das Buch mehr als ein Streubild bietet, das sich auf die spektakulärsten Fälle stützt. Missstände benennt der Autor dagegen mit wünschenswerter Klarheit, etwa dass Bankenhörsäle an Universitäten und Wirtschaftsgelder in Schulen nichts verloren haben. Auch im Detail unterbreitet er sinnvolle Vorschläge, wie Fonds für Stiftungsprofessuren, in die Unternehmen ihre Gelder einspeisen, ohne über ihre Verwendung bestimmen zu können. Er scheut aber auch nicht den Basta-Stil. Geldinteressen haben aus seiner Sicht in der Wissenschaft nichts zu suchen. Der Ausfall von 1,3 Milliarden Euro an wirtschaftlichen Drittmitteln sei leicht zu verkraften.

Das Urteil fällt umso leichter, als der Autor sich die Mühe spart, die Folgen im Einzelnen nachzurechnen. In der Medizin, die für Medikamentenzulassung und klinische Studien den größten Geldstrom aus der Wirtschaft verzeichnet, wäre der Preis der Unabhängigkeit auch eine gewaltige Subventionierung der Pharmaindustrie, deren Zulassungsstudien nun der Staat bezahlen müsste. In anwendungsorientierten Disziplinen wie den Ingenieurswissenschaften gehen aus Kooperationen für beide Seiten wertvolle Anstöße hervor. Solange es nicht zum kapitalen Ausbau der Grundfinanzierung kommt - und der politische Wille dazu ist nicht zu erkennen -, riskiert ein Pauschalverbot eine Leerstelle zwischen Theorie und Praxis.

Umzukehren wäre auch das Leitbild der unternehmerischen Hochschule selbst. Das ist keine Unmöglichkeit, aber anders als der Autor suggeriert auch ein politischer Kraftakt.

Das Buch liefert zumindest einen sinnvollen Anstoß, den aus dem Ruder gelaufenen Trend zur fremdfinanzierten Projektforschung zu korrigieren. Es opfert auch nicht die Intuition, dass die Universität als Instanz einer bestimmten Form von Wahrheit besonderen Schutz vor ökonomischen Interessen verdient. In der Konsequenz ist Kreiß zuzustimmen, wenn er schreibt, dass die Wissenschaft durch ein einseitiges Prämiensystem ein immer strafferes geistiges Korsett angelegt bekomme. Auch wenn das Fremdheitsgefühl weniger vom Geld der Wirtschaft als vom Transfer ihrer Methoden kommt.

THOMAS THIEL

Christian Kreiß:

"Gekaufte Forschung".

Wissenschaft im Dienst der Konzerne.

Europa Verlag Berlin, Berlin 2015. 240 S., geb., 18,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Er hat ein sorgfältig recherchiertes Buch geschrieben, in dem er alle Ebenen der wirtschaftlichen Einflussnahme auf die Forschung untersucht. Spannend, erschütternd und aufschlussreich - es kann einem angst und bange werden um die Wissenschaft." NDR - Info vom 29.06.2015 "Christian Kreiß kritisiert den Umgang der Pharmakonzerne mit Studien und sieht unter anderem die Universitäten als "Handlanger der Industrie", Sigrid Brinkmannm, DeutschlandRadio 25.07.2015 "Das Buch liefert zumindest einen sinnvollen Anstoß, den aus dem Ruder gelaufenen Trend zur fremdfinanzierten Projektforschung zu korrigieren. Es opfert auch nicht die Intuition, dass die Universität als Instanz einer bestimmten Form von Wahrheit besonderen Schutz vor ökonomischen Interessen verdient In der Konsequenz ist Kreiß zuzustimmen, wenn er schreibt, dass die Wissenschaft durch ein einseitiges Prämiensystem ein immer strafferes geistiges Korsett angelegt bekomme." FAZ, 17.07.2015 "Der Autor beleuchtet ein wichtiges Thema, was ihm hoch anzurechnen ist." Spektrum.de,17.07.2015 "Geld von der Industrie? Ja, gerne. Aber zu unseren Bedingungen. Sonst droht die Wissenschaft zur Ware, die Förderung zum Danaergeschenk zu werden." Martin Eich, Der Freitag, 15.07.2015 "Gekaufte Forschung - Wissenschaft im Dienste der Konzerne" wirft ein Schlaglicht auf eine Entwicklung. Auch wenn der Autor oft auf die Beispiele US-amerikanischer Auswüchse zurückgreift und die Lage in Deutschland noch eine andere ist, so ist sein Buch doch ein Denkanstoß: Jegliche unreflektierte Einflussnahme von Interessengruppen kann schnell auf eine abschüssige Bahn führen. Und die Freiheit der Wissenschaft, sie ist eben kein Wirtschaftsgut wie jedes andere - sie steht zu Recht im Grundgesetz." Dagmar Röhrlich, Deutschlandfunk 8.06.2015…mehr