"Das Ganze ist eine case history, vornehmlich in der Form eines inneren Monologes, und es will mir scheinen, dass noch niemals ein Irrsinnsfall so präzis und tief geschildert worden ist wie hier. Das Auffallendste ist die Plausibilität dieses Irrsinns, und da die Plausibilität mit Hilfe künstlerischer Intuition und einer durchaus prägnanten künstlerischen Darstellungsweise erzielt ist, darf man wohl von einem Kunstwerk sprechen", so schreibt Hermann Broch 1947 über Ernst Kaisers "Die Geschichte eines Mordes" in einem Gutachten für die Bollingen Foundation und kommt zu der Überlegung, dass das "Schizophrene in der künftigen Welt sozusagen das Normale" sein könnte. Und weiter: "Wie immer man es ansieht, es ist dies Buch ein spezifisches Produkt unserer heutigen Welt. Es schildert den Menschen, dem die Absolutheit der Realität abhanden gekommen ist und der mit zunehmender Ehrlichkeit sich dessen bewusst wird, und schließlich genügt das zum Verrückt-werden. Wir laufen traumhaft durchdie paar Jahrzehnte, die uns geschenkt sind, und alles was uns verblieben ist, ist eine gewisse Rationalisierungskraft, die dennoch nicht ausreicht, um eine fixe Ordnung zu etablieren. Im Gegenteil gerade diese Rationalisierungskraft in ihrer unkontrollierten Isoliertheit, und eben darum in ihrer Hypertrophie, löst das Weltbild immer weiter auf.Dies ist ganz wörtlich zu nehmen: aus dem Euklidischen und Newtonschen Raum sind wir in den der modernen Physik übergetreten, in dem des Menschen Wohnstatt zu einem Gebäude abstrakter Beziehungen geworden ist."
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Wiederentdeckung des Romans in den fast unergründlichen Tiefen der Marbacher Archive hält Oliver Pfohlmann für eine kleine Sensation. Um so mehr, als ihm Ernst Kaisers über 1000 Seiten schwerer Text in der nun vorliegenden gestrafften Fassung von Ingrid Bacher als veritabler Psycho-Krimi a la David Lynch erscheint. Anklänge an Poe, Schnitzler und Perutz entdeckt Pfohlmann auch in der Geschichte eines schizophrenen Zerfalls. Und natürlich Freud. Wie dem Helden die Wirklichkeit und das eigene Ich abhanden kommen, hat Kaiser laut Pfohlmann faszinierend und derart rästelhaft in Szene gesetzt, dass sich der Rezensent bis zuletzt nicht langweilt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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