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Der Vater ist tot. In seinem Nachlaß eine Kladde mit Aufzeichnungen, in seinem Zimmer ein Bild: Deutsche Landschaft um 1933, gemalt von Alfred Loges. Die rote Kladde wird zum roten Faden, das Bild zum Anlaß einer Entdeckungsreise. Woher kommt es, wovon erzählt es? Was steckt hinter den Legenden aus deutschen Zeiten? Das Heimweh lenkt diese gespannte Suche, die hinter die Grenzen im Land, hinter die Grenze des Todes führt. Auf ihrer Harzreise verwebt Dorothea Dieckmann das Porträt des Vaters mit den Funden, die sie auf den "Schleichwegen der Erinnerung" macht, bis sie endlich mit Juri, dem…mehr

Produktbeschreibung
Der Vater ist tot. In seinem Nachlaß eine Kladde mit Aufzeichnungen, in seinem Zimmer ein Bild: Deutsche Landschaft um 1933, gemalt von Alfred Loges. Die rote Kladde wird zum roten Faden, das Bild zum Anlaß einer Entdeckungsreise. Woher kommt es, wovon erzählt es? Was steckt hinter den Legenden aus deutschen Zeiten?
Das Heimweh lenkt diese gespannte Suche, die hinter die Grenzen im Land, hinter die Grenze des Todes führt. Auf ihrer Harzreise verwebt Dorothea Dieckmann das Porträt des Vaters mit den Funden, die sie auf den "Schleichwegen der Erinnerung" macht, bis sie endlich mit Juri, dem Begleiter und Geliebten, auf und davon geht.

"Ich schaue auf das Bild, das ich zusammen mit der roten Kladde aus dem Süden mitgebracht habe. In seiner Mitte, einem dunklen runden Fleck von der Größe eines Kopfes, begegne ich meinem Gesicht. Ich biege den Arm der Lampe herunter, bis das Glas seine Reflexe verliert und die Erscheinung im Baum verschwindet."
Autorenporträt
Dieckmann, Dorothea
Dorothea Dieckmann, geboren 1957 in Freiburg, lebt in Hamburg. Zuletzt erschienen von ihr die Romane "Guantánamo" (2004) und "Termini" (2009) bei Klett-Cotta sowie die Erzählung "Harzreise" (weissbooks.w 2008). Dorothea Dieckmann ist Dresdner Stadtschreiberin des Jahres 2009._
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2008

Deutsche Landschaft
Dorothea Dieckmann bricht wieder auf zu einer „Harzreise”
Der Titel „Harzreise” ist im deutschen Literaturwesen eine zeitlos sichere Bank: Er öffnet einen Assoziationsraum, in dem die Geister Goethes und Heines, ein paar ältere Brockengespenster sowie jüngere Teilungs- und Wiedervereinigungs-Traumata zwischen den unweigerlich imaginierten Tannen herumspuken. Und sogleich erwacht die Leselust aus ihrem Dornröschenschlaf.
Kaum etwas falsch machen können Autoren und Autorinnen der Nachkriegsjahrgänge mit dem sehr deutschen Thema „mein Vater”, auch wenn die schreibenden Kinder der Generation, in der „Väter” sich auf „Täter” reimten, ihre Familiengeschichten schon weitgehend und ziemlich umfassend aufgearbeitet haben. Der Vater von Dorothea Dieckmann gehörte nicht in diese Kategorie. Er stammte aus einem Dorf bei Blankenburg, musste als Achtzehnjähriger wenige Monate vor Kriegsende noch Soldat spielen und trug zeitlebens die Schatten zweier Patriarchen mit sich herum, von denen der ältere – sein Großvater, Amtsrat und laut Grabinschrift „Ein Mann, ein Kämpfer, ein Führer” – sich 1925 selbst entleibt hatte.
Nach dem Tod Adolph Dieckmanns vor sieben Jahren fand die Tochter in seinem Nachlass eine rote Kladde mit Aufzeichnungen und ein Pastell des Malers Alfred Loges mit dem Titel „Deutsche Landschaft um 1933”: Genug Material und Anreiz für eine Spurensuche, die – ein Fall von Schriftstellerglück – zugleich eine Harzreise war, oder jedenfalls eine Reise an den Harzrand. Es bot sich überdies ein „Prinz” als Begleiter an, ein Geliebter mit osteuropäischem Hintergrund, was auch wieder irgendwie gut passt. Und sogar Franz Kafka konnte noch als Motto-Lieferant auftreten, denn allenthalben sollte das reisende, recherchierende Paar auf Tore, Türhüter und Gesetze stoßen.
Das besagte Gemälde, das der Erzählung als vierfarbige Abbildung beiliegt, zeigt zwei Zäune und ein Gattertor, dazu ein Stück Chaussee, eine Hügelkuppe, eine mächtige Buche, einige kleinere Laubbäume und etwas Gebüsch. In dieses seltsam leere, stille, abgeriegelte Stück Landschaft unter fahlem Licht denkt sich die Erzählerin nach allen Regeln der Bildbeschreibungskunst hinein. Von dieser graugelbgrünen Szenerie und vom roten Notizheft des Vaters aus führt ihre Erkundungsfahrt in die Vergangenheit, ins Familienrätsel, hinter die Grenze des Vergessenen und Verschwiegenen und schließlich heraus aus einem diffusen „Heimwehschmerz”.
Das schmale Buch hat mehr Gewicht, als sein Äußeres verrät; seine Sprache ist dicht, diszipliniert, anschaulich und in Maßen poetisch. Nichts stört an der Konstruktion; ein geschmackvolleres Epitaph für einen Verstorbenen kann man sich kaum denken – und doch fehlt etwas schwer zu Beschreibendes, ein Element der Lebendigkeit oder ein Moment der Irritation, die bewirken könnten, dass man sich für diesen fremden Vater und sein Leben wirklich interessiert. So bleibt alles ein wenig kühl, fahl und verschlossen, wie das beigelegte Bild, das ein Geheimnis hütet, ohne Neugier zu wecken, oder wie die gemalte Chaussee, die am Gattertor zum Nirgendwo endet. Im literarischen Harz, dem „Märchenland”, wie es am Schluss so schön heißt, sind die Reisenden nicht angekommen. KRISTINA MAIDT-ZINKE
DOROTHEA DIECKMANN: Harzreise. Eine Erzählung. Weissbooks Verlag, Frankfurt am Main 2008. 110 Seiten, 15 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2009

Lieber Maler, sprich mit mir

Heine im Gepäck: In ihrer Erzählung "Harzreise" begibt sich die Essayistin Dorothea Dieckmann auf familiäre Spurensuche. Ein Gemälde zeigt ihr den Weg.

Für ihre Erzählung "Harzreise" hat sich die 1957 geborene Romanautorin und Essayistin Dorothea Dieckmann ordentlich Gepäck aufgeladen. Nicht nur der Titel, der Heines "Harzreise" aus den "Reisebildern" zitiert, weist auf einen literaturgeschichtlichen Kontext der Erzählung hin, obwohl Dieckmann literarisch viel innerlicher reist als Heine. Mit dem Motto, das Kafkas Türhüterparabel der Erzählung voranstellt, wird ein weiterer literarischer Kontext eröffnet. Damit aber nicht genug. Denn die Erzählerin begibt sich in "Harzreise" gemeinsam mit ihrem Freund Juri auf eine Reise in ebenjene Landschaft, wo ihr Vater aufgewachsen ist, genauer gesagt nach Heimburg. So beginnt die Suche nach der Geschichte des zum Zeitpunkt der Erzählung unlängst Verstorbenen, die, wie es häufig beim Sichten und Ordnen eines Familienerbes der Fall ist, gehörige Lasten ans Licht bringt. Dass der Text unter diesem intellektuellen und emotionalen Gewicht zwar gelegentlich in die Knie geht, aber niemals darunter zusammenbricht, rührt von den intelligenten und sorgsam gewählten Kunstgriffen her, deren sich die Autorin bedient.

Eine rote Kladde im Nachlass des Vaters wird zu einem der roten Fäden bei der familiären Spurensuche. Die Kladde enthält unter anderem ein Pastellbild des heute kaum mehr bekannten Landschaftsmalers Alfred Loges, das einen Ausschnitt einer Harzlandschaft zeigt und als Farbdruck der Erzählung beiliegt. Der vagabundierende Loges, geboren 1871, hat mehrmals bei den Großeltern der Autorin in Heimburg Quartier genommen und für die Unterkunft in Bildern bezahlt. So ist das Landschaftsbild in Familienbesitz gekommen. In den Aufzeichnungen des Vaters heißt es zu dem Bild, es spreche immer wieder seine Erinnerungen an. Die Autorin verwendet es ebenfalls als Stimulans der Erinnerung und als Medium: "Ich habe das alte Landschaftsbild zu mir nach Norden geholt. In meinem Zimmer sitze ich ihm gegenüber. Sprich, sage ich, rede!" Zunächst scheint das Bild hermetisch und stumm zu bleiben. Als es der Betrachterin schließlich gelingt, eine die Farben, den Bildaufbau und seine Elemente erforschende Beschreibung und Aufschlüsselung vorzunehmen, wird für sie über die Rekonstruktion der Entstehung des Bildes und der Geschichte des Malers zugleich ein Stück weit die väterliche Vergangenheit lesbar. Dennoch bleibt über die vermittelte Betrachtung und Erinnerung eine Distanz zur emotionalen und subjektiven Seite seiner Geschichte.

Ein zweiter Kunstgriff der Erzählung liegt in der Verschränkung des Bildes mit Kafkas Türhüter-Text. Das Bild zeigt neben einer hügeligen, baumbestandenen Landschaft einen Zaun mit verschlossenem Gatter. Dieses Gatter und das Bild des verbotenen Übergangs bei Kafka werden zusammengedacht; aufgeworfen wird so abermals die Frage nach der Legitimität des Eintritts in die Geschichte und das Leben des verstorbenen Vaters mit seinen Gesetzen. War der Vater nicht tatsächlich ein verschlossener und melancholischer Einzelgänger, Außenseiter von Kindheit an, durch die Zeit des Nationalsozialismus hindurch und danach, einer, der das Leben als Zumutung empfunden und sich ihm entzogen hat? Einer, dem man auch in der Erinnerung nicht nahetreten darf?

Die Erzählerin ist sich der Problematik der für sie dennoch notwendigen Intervention mittels der eigenen Imagination bewusst. Immer wieder spricht sie in "Harzreise" mit Blick auf ihren die Familiengeschichte erforschenden Gestus und die Bruchstücke des Überlieferten von "Mythen" und "Legenden". Sie spricht von verschwundenen (Landes-)Grenzen und überwucherten Übergängen, von der Begrenztheit des Landschaftsbildes, das, wie ein kadriertes Filmbild, immer auch auf das verweist, was außerhalb des sichtbaren Ausschnittes liegt. Über die Variationen dieses Bedeutungsfeldes von Grenze, das Spiel mit den Landschaftsbildelementen, aus denen Symbole werden, die in ihrer Verflechtung das Bild zu einer Allegorie verdichten, über die skrupulöse Reflexion auf ihr literarisches Erforschen von Familiengeschichte und die Beschreibung der wiederholten Reise in die reale Harzlandschaft zur Grabstätte der väterlichen Familie entsteht ein Verweisungsgeflecht, das einen weiten, aber höchst präzise gefassten, sprachlich und faktisch definierten Assoziationsraum schafft. Dieser lässt sich auf verschiedenen Ebenen durchschreiten. Wie die von der Autorin begangenen "Schleichwege der Erinnerung" gibt sich auch die entstandene Erzählung selbst "kriechend, kletternd, springend", schwer zu fassen und ist damit adäquater Ausdruck für den Versuch, eine fremde Vergangenheit und Geschichte zu greifen.

Dieckmann geht dabei mit den Worten, den Fakten und den literarischen Kontexten so sorgfältig wie entschieden und frei um. Die Erzählerin wird dadurch am Ende aus der fremden Vergangenheit wieder in ihre eigene Gegenwart zurückfinden. Dem Vater hat sie damit ein würdiges Gedächtnis geschaffen, ihre anfangs so hoch gehängten Messlatten manchmal fast überraschend leichtfüßig übersprungen und den Lesern der "Harzreise" ein Geschenk gemacht. Ruhige und konzentrierte Bücher wie dieses sind selten und deshalb umso kostbarer.

BEATE TRÖGER

Dorothea Dieckmann: "Harzreise". Erzählung. Weissbooks, Frankfurt am Main 2008. 112 S., geb., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dorothea Dieckmanns "Harzreise" hat Rezensentin Beate Tröger sehr beeindruckt. Die Erzählung der Essayistin und Romanautorin betrachtet sie als "familiäre Spurensuche", als Versuch der Erzählerin, die Geschichte und Vergangenheit ihres verstorbenen Vaters zu erforschen und zu verstehen. Besonders geht Tröger auf die literaturgeschichtlichen Kontexte ein, in die Dieckmann ihre Erzählung stellt: Heines "Harzreise" aus den "Reisebildern" und Kafkas Türhüterparabel. Eine wichtige Rolle für die Erinnerung der Erzählerin an ihren Vater sieht sie zudem in einem Bild des Landschaftsmalers Alfred Loges. Der Text lädt sich in ihren Augen einiges an "intellektuellem und emotionalem Gewicht" auf, doch dank der literarischen Kunstgriffe, die die Autorin umsichtig und klug einsetzt, bricht er nach Ansicht Trögers nie darunter zusammen. So gelingt es Dieckmann in ihren Augen, dem Vater ein "würdiges Gedächtnis" zu schaffen.

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