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Bombel sitzt mitten in seinem Dorf an einer Bushaltestelle und redet mit sich selbst: über einen Ausflug in die Slowakei, über Zigeuner, Fische, ein ausgebrochenes Feuer, eine Überschwemmung. Bombel erzählt sich Geschichten vom Leben und vom Tod, von Träumen und Enttäuschungen, von sonderbaren Freundschaften und dem Sonderbarsten überhaupt: dem eigenen Ich. Bombel ist ein lustiges und trauriges, ein ungebärdiges und irritierendes Buch, etwas Singuläres wie etwa Jerofejews Reise nach Petuschki oder Bohumil Hrabals Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene. Bombel ist eine Arie des Widerstands, die jeder, der einmal einsam war, schon gesungen hat.…mehr

Produktbeschreibung
Bombel sitzt mitten in seinem Dorf an einer Bushaltestelle und redet mit sich selbst: über einen Ausflug in die Slowakei, über Zigeuner, Fische, ein ausgebrochenes Feuer, eine Überschwemmung. Bombel erzählt sich Geschichten vom Leben und vom Tod, von Träumen und Enttäuschungen, von sonderbaren Freundschaften und dem Sonderbarsten überhaupt: dem eigenen Ich. Bombel ist ein lustiges und trauriges, ein ungebärdiges und irritierendes Buch, etwas Singuläres wie etwa Jerofejews Reise nach Petuschki oder Bohumil Hrabals Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene. Bombel ist eine Arie des Widerstands, die jeder, der einmal einsam war, schon gesungen hat.
Autorenporträt
Miroslaw Nahacz, geboren 1984 in den polnischen Beskiden hinter Dukla, starb 2007 in Warschau. Mit seinem ersten Buch "Acht vier" (2003) wurde er in Polen über Nacht berühmt, "Bombel" erschien 2004.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2008

Liebe wird uns zerreißen
Miroslaw Nahacz treibt durch eine morbide Welt

Wie immer kam die Nachricht plötzlich, wie immer war es für alle ein Schock, und wie immer machte der viel zu frühe Tod den Künstler zur Legende. Als man - das war im Sommer des vergangenen Jahres - den Schriftsteller Miroslaw Nahacz im Keller einer Warschauer Mietskaserne fand, hing er dort schon seit drei Tagen an einem Strick. Wenige Monate später wäre er dreiundzwanzig geworden und damit genauso alt, wie es Ian Curtis war, als der sich 1980 für dieselbe Todesart entschied. Ian Curtis war der Sänger von Joy Division. Nahacz war Joy-Division-Fan - so viel zu einem offensichtlichen Muster dieser polnischen Künstlerbiographie.

Hat der Autor kalkuliert, mit welchem Nimbus ihn der hässliche Abgang posthum umgeben würde, hat er - der sein Leben ohnehin sukzessive in einen permanenten Drogenrausch verwandelt hatte - die Tränen der Hinterbliebenen halluziniert und die weihevollen Worte seiner Laudatoren? Im Nachhinein erschließt der Tod das Werk des Autors neu; etwa eine Passage, in der Bombel, der Protagonist des gleichnamigen Romans von 2004, seine eigene Beerdigung phantasiert: "Aber auf die Beerdigung gehen alle, und das ist tröstlich, vielleicht kommen also zu meiner Beerdigung genauso viele Leute wie zu anderen. Sie kommen aus den umliegenden Dörfern zusammen, in der Kirche ist ein Gedränge wie an großen Feiertagen, in der Mitte der Sarg, und in den ersten Reihen die ganze Familie in Schwarz; immer kann jemand die Tränen nicht zurückhalten, auch wenn der, der gestorben ist, der größte Arsch, der größte Drecksack war."

Zu Nahaczs Beerdigung kamen schließlich weit mehr Leute als zu den Beerdigungen der anderen. Der halbe literarische Underground, darunter die Schriftstellerin Dorota Maslowska, war aus der Hauptstadt in die Heimat des Autors gereist: ein Dorf weitab vom Schuss, in den südpolnischen Beskiden - eine Gegend, die vor allem durch die Bücher des Schriftstellers Andrzej Stasiuk auf der mentalen Landkarte der Warschauer verzeichnet ist. Stasiuk war Nahaczs Nachbar, sein Mentor und väterlicher Freund. Ihm und seinem Verlag "Czarne" hatte der junge Autor zu verdanken, dass sein erstes Manuskript gedruckt wurde und weitere Bücher folgen konnten. Und doch mündet auch diese Vater-Sohn-Geschichte in eine Tragödie: Das letzte Manuskript, ein sechshundertseitiges Delirium über die Abhängigkeit von Fernsehserien und anderen Betäubungsmitteln, lehnte Stasiuk ab - das war nicht lange, bevor Nahacz sich umbrachte. Schuldlos schuldig geworden schrieb Stasiuk einen ergreifenden Nachruf im Warschauer Kulturmagazin "Lampa", auch die deutsche Ausgabe von "Bombel" enthält ein Nachwort des hierzulande berühmtesten polnischen Schriftstellers.

Diese Übersetzung, mit der der noch junge Frankfurter Weissbooks-Verlag sein erstes Herbstprogramm schmückt, zeigt auch, dass Miroslaw Nahacz weder prominente Fürsprache noch vorzeitigen Tod nötig hatte, um als maßgeblicher Autor seiner Generation gelten zu können. "Bombel" wirft einen illusionslosen Blick auf eine Wirklichkeit, die stellvertretend für Tausende polnische Dörfer steht. Es ist eine Welt, die sich ganz um den Tante-Emma-Laden, den Feuerwehrball, das Aufreißen von Mädchen und die einsame Bushaltestelle dreht. Eine Welt, in der es die LPG nicht mehr gibt, stattdessen aber Kirchenglocken am Morgen und verprügelte Ehefrauen am Abend - und Menschen, die in wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und morbiden Obsessionen gefangen sind: Während das Fernsehen Silikonbrüste und Seifenopern einspielt, erleichtern sich die Bauern von Gladyszów in zersplitternden Astlöchern. In dieser Welt lebt Bombel, der zum einen ein harmloser Dorfalkoholiker und Sozialhilfeempfänger ist. Aber auch ein poetischer Delirant, dessen innerer Monolog sich immer wieder aus den Nebelschwaden des Suffs erhebt; hinauf in eine magische Realität vibrierender Geistesgegenwart, im Rausch von den Fliehkräften der alltäglichen Tristesse entkoppelt. Bombel, das ist dann Diogenes in der Tonne, der bellende und beißende Wahrsprecher, von den Herrschenden dieser Welt um seine freimütige Rede beneidet. "Wer wenig braucht", so definierte Peter Sloterdijk die zynische Vernunft, "wird wendig gegen das politische Schicksal."

Der Autor hat Wendigkeit qua Drogenrausch exerziert. Der Umzug nach Warschau, kulturwissenschaftliche Seminare, Kellnern in der Schwulenbar und Drehbuchschreiberei für, ausgerechnet, eine Fernseh-Soap - und zugleich der Aufstieg in die erste Reihe gefeierter polnischer Jungautoren (gleich neben seiner guten Freundin Dorota Maslowska): das sind nur die äußeren Koordinaten zu einer parallelen inneren Auflösung. Mag sein, dass Nahacz bei der Beschreibung eines brennenden Hauses tief in sich hineingehorcht hat: "Und aus den Menschen, die daneben stehen, fließen Schatten, die nicht wie die von der Sonne oder vom Mond sind, die liegen nicht flach und unbewegt da, sondern tanzen beim Anblick des Brandes wie indianische Medizinmänner um das Feuer. Und wenn es spät in der Nacht ist, dann färbt das Feuer alles rot und beleuchtet dieses Rot, so wie in der Diskothek die Lampen nur das Weiß beleuchten, und alle sehen noch viel erschrockener aus. Und das Rot beißt sich ins Innere der Dinge und fällt sie von innen an, aber das ist sowieso egal, weil dann alles miteinander zu einer einzigen heißen Farbe verschmilzt, und es gibt nur noch ein einziges rauschendes Etwas."

Am Ende ist bei Nahacz wie bei Ian Curtis nur noch Rauschen, He's lost control. Und von Manchester nach Gladyszów und Warschau ist es nur einen Katzensprung.

STEFANIE PETER

Miroslaw Nahacz: "Bombel". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Renate Schmidgall. Mit einem Nachwort von Andrzej Stasiuk. Weissbooks, Frankfurt am Main 2008. 175 S., geb., 18,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Mit Freude hat Jaroslaw Piwowarski die deutsche Übersetzung von Miroslaw Nahaczs Roman "Bombel" aufgenommen, der im polnischen Original bereits 2004 erschienen ist. Ausführlich berichtet er zunächst über dessen Debütroman "Acht vier" von 2003, für den der damals 18-Jährige von der polnischen Kritik als "Wunderknabe der jungen polnischen Literatur" gefeiert wurde. Nach Ansicht Piwowarskis völlig zurecht. Tragisch also, dass sich Nahacz im Sommer 2007 das Leben nahm. Der Roman "Bombel" - es geht um einen Trunkenbold in der polnischen Provinz, der über Leben und Tod, seinen Weg nach unten, seine Träume und Enttäuschungen plaudert - scheint ihm zwar nicht ganz so herausragend wie "Acht vier", in dem Nahacz mit kraftvoller Sprache das Lebensgefühl einer Generation eingefangenen hat. Aber er hält das Werk trotzdem für ein sehr gutes, gelungenes, "melancholisches", "komisches" und bisweilen "abstoßendes" Buch, das sich durch Ehrlichkeit und Klugheit auszeichnet und auch in der deutschen Übersetzung Nahaczs Talent "beeindruckend" widergespiegelt.

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