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3 Kundenbewertungen

Ein Sanatorium voller Luxus und Komfort. Eine Gesellschaft, die nur auf ihre produktivsten Mitglieder, die Benötigten, setzt. Und eine Frau, die ihnen ihren Körper und ihr Leben opfern soll. Weil sie fünfzig ist. Weil sie keine Kinder hat. Und weil sie liest. Eine Entbehrliche.

Produktbeschreibung
Ein Sanatorium voller Luxus und Komfort. Eine Gesellschaft, die nur auf ihre produktivsten Mitglieder, die Benötigten, setzt. Und eine Frau, die ihnen ihren Körper und ihr Leben opfern soll. Weil sie fünfzig ist. Weil sie keine Kinder hat. Und weil sie liest. Eine Entbehrliche.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Bissig und provokant findet Kai Wiegandt diesen Roman aus dem neu gegründeten Münchner Fahrenheit Verlag. Die von Ninni Holmqvist entworfene Vision eines Lagers für Entbehrliche, Künstler und Intellektuelle nämlich, misst er an ihrem Gegenwartsbezug und stellt fest, dass die Autorin aktuelle Produktivitätsforderungen biopolitisch überspitzt und ihnen konsequent Humanismus entgegensetzt. Dass ihm nicht alle Voraussetzungen, mit denen die Autorin arbeitet (die Idee vom einsam tätigen Künstler etwa), stimmig erscheinen und ihm Holmqvists Stil eher spröde vorkommt, hält den Rezensenten nicht davon ab, uns das Buch als gedankenreichen Anstoß zur Diskussion über die vermeintliche Gleichheit der Menschen zu empfehlen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2008

Sagen wir doch du

Ein einziger hirnloser Körper kann acht bedürftigen Menschen das Leben retten, natürlich nur, wenn die Organe noch in Ordnung sind: Ninni Holmqvists Roman-Traktat über eine entgleiste Demokratie.

Völker, hört die Signale! Schaut auf Schweden, empört euch über diese Zukunftsgesellschaft mit zwei Wertigkeitsklassen: Benötigte und Entbehrliche. Als Benötigter hat man sich durch Kindererzeugung und Betreuung künftiger Produktivitätseinheiten qualifiziert. Entbehrliche sind kinderlos, haben niemanden, für den sie leben, ihre Existenz ist biopolitisch also ineffizient. Im Besonderen sind Entbehrliche auch Leute, die lesen, gar Bücher schreiben. Sie tendieren jedenfalls dazu, entbehrlich zu sein, "in hohem Maße", meint Ninni Holmqvist und erschreckt nun auch die deutschen Leser mit ihrem ersten Roman. Der ist im neuen Münchner Verlag Fahrenheit erschienen, einem Unternehmen, das nach Ray Bradburys Albtraum "Fahrenheit 451" benannt ist, wo Individualisten, die lesen oder Bücher ihr Eigen nennen, erbarmungslos abgefackelt werden.

Die schwedische Staatsterrorvariante sammelt die Entbehrlichen mit fünfzig (Frauen) oder sechzig Jahren (Männer) ein und sperrt sie weg. Als jederzeit verfügbares Humankapital, als Ersatzteil-Reservoir sind die gesellschaftlich Wertlosen dann doch von hohem Nutzen. So ist es von der Mehrheit derjenigen, die staatstragend produktiv sind, demokratisch entschieden worden. Schlecht geht es den Internierten in der sogenannten Reservebankeinheit für biologisches Material zunächst nicht. Eine regelrechte Luxuswelt mit Wohnkomfort, exquisiter Gastronomie, mit Sporteinrichtungen, Theater- und Musikangeboten, sogar einem dem Monet-Garten von Giverny nachgepflanzten Park erwartet die Ankömmlinge in der Quarantäne unter den Glaskuppeln. Jeder materielle Wunsch wird erfüllt. "Wir wollen", so empfängt die freundliche Anstaltsleiterin die Angelieferten mit professioneller Empathie, "dass es euch hier so gut wie möglich geht. An Körper und Seele." (Wie bei Ikea sagen hier alle du zueinander.) Die Tag und Nacht und sogar auf dem Klo von Kameras überwachten, ansonsten aber paradiesischen Wellness-Zustände sind allerdings einem perfiden Zweck verpflichtet: Das fröhliche Herz funktioniert nach der sogenannten Endspende weitaus besser als ein depressives Organ.

Nur ein Traktat über entgleiste Demokratie? Nein, auch der Roman über eine Schriftstellerin, die am fünfzigsten Geburtstag als Entbehrliche aus ihrer beschränkten Einsamkeit auf dem Lande herausgeholt und in die "Einheit" überstellt wird. Bald gefällt es ihr hier sogar ganz gut; sie kann sich körperlich so fit machen, wie sie nie zuvor gewesen ist. Sie wird respektiert, trifft viele nette Menschen, mit denen sie freundschaftlich plaudert, solange die noch nicht ihrem Finale zugeführt werden, übrigens mit der zynischen Belehrung, dass ein einziger hirnloser Körper acht bedürftigen Menschen das Leben zu retten vermag. Dorrit lernt auch Johannes kennen, erlebt mit ihm zum ersten Mal in ihrem Leben, was bedingungslose Liebe ist. Und, sensationell für jemand in ihrem Alter, sie wird schwanger. Ihre Antwort auf die Sinnfrage des Lebens hatte zunächst geheißen, "dass es erträglich ist". Doch nun, in der Gewalt ihrer Hormone, überträgt sie den letzten Gruß ihres Geliebten vor der Endspende auf das werdende Kind. Der Gruß heißt: "Der Sinn meines Lebens bist du." Doch alles wird ihr genommen, wie in diesem System nicht anders möglich - der Geliebte, das Kind, das Leben.

Bevor es so weit ist, schweifen Dorrits Gedanken, wenn sie in ihrem geschmackvoll eingerichteten Apartment an ihrem Buch arbeitet, leider allzu oft "hierhin und dorthin", manchmal auch ins All oder ins Nichts. Und eines Tages, so erzählt sie uns, "hörte ich auf, an meinem Roman zu feilen, und beschloss einfach, dass er jetzt fertig war". Schade, dass sie nicht noch weitergefeilt hat. Hätte sie die Kraft und den Mut gefunden, die Redundanzen, die Befindlichkeitswucherungen, die etwas ermüdenden Beschreibungen ihres Vorlebens zu streichen, man könnte von einem beachtlichen Roman sprechen.

ARND RÜHLE

Ninni Holmqvist: "Die Entbehrlichen". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Angelika Gundlach. Fahrenheit Verlag, München 2008. 269 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.05.2008

Die Luxusschlachtereimaschine
Ninni Holmqvist entwirft mit „Die Entbehrlichen” eine provokante Zukunftsvision
Seit einigen Jahren gibt es ein Gesetz, demzufolge alle Frauen und Männer, die mit fünfzig beziehungsweise sechzig Jahren noch kinderlos sind, in Lagern zu internieren sind. Dort müssen sie an medizinischen Experimenten teilnehmen und – angefangen mit Knöchelchen des Gehörgangs – Organe spenden bis hin zu Herz und Lunge. So können Staatsbürger, die Kinder gezeugt haben, vor dem Tod gerettet werden.
Von dieser Welt erzählt die 1958 geborenen Schwedin Ninni Holmqvist in ihrem Roman „Die Entbehrlichen”. Dorrit Weger, kinderlose Schriftstellerin und Erzählerin des Romans, wird an ihrem fünfzigsten Geburtstag in eine „Einheit” eingeliefert, eine Art geschlossenes Wellnesshotel, komplett kameraüberwacht und ausgestattet mit Gärten, Sauna, Theater und anderen Annehmlichkeiten. Es sind vor allem Intellektuelle und Künstler, die in der „Luxusschlachtereimaschinerie”, wie eine Insassin die Einheit einmal nennt, untergebracht sind. Sie „tendieren dazu, entbehrlich zu werden”, weil sie Selbstverwirklichung betreiben. Bevor sie sich um einen anderen Menschen kümmern, malen sie lieber oder schreiben Bücher.
Ihre provozierende Kraft entwickelt Holmqvists Zukunftsvision, indem sie ihre utopische Seite gleichsam als Glück im Unglück fasst. Denn einerseits überspitzt der Roman gegenwärtige Produktivitätsargumente biopolitisch und setzt ihnen humanistische Werte entgegen. Die Gesellschaft soll endlich lernen, dass es anderes als Erfolg und dessen Minimalform, das gezeugte Kind, gibt, nämlich Bücher und Kunst. Andererseits profitieren die Intellektuellen von der Einheit, deren Name nach und nach seine Doppelbedeutung offenbart: Nur hier kommt Solidarität unter den Einzelkämpfern auf, ausgerechnet in der Einheit behauptet Weger, sie selbst sein zu können. Letztendlich lautet die Frage: Sind die Insassen bereit, ihre Menschenwürde gegen die Erfahrung von Gemeinschaft und Individualität einzutauschen, die ihnen die Gesellschaft vorenthält? Dass diese Güter getauscht werden können und einander demnach nicht voraussetzen, gehört zu den provozierendsten Thesen des Romans.
Lammfromm nehmen Dorrit Weger und ihre Freunde ihr Schicksal hin und vergleichen in der Sauna ihre Wundmale wie Schulmädchen ihre Mäppchen: „Alices Narbe war größer als meine, aber meine war hässlicher, schwieliger, und schimmerte blau, grün und rosa. Elsas war am größten und sehr schwielig, beinah wie ein Höcker, und rundherum flammend pflaumenlila, aber sie war auch die frischeste.” Oder machen sie nur das Beste aus ihrer Lage? Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, erzählt Dorrit Weger dem ihr zugeteilten Psychologen, dass sie an das System glaubt, das sie in ihre Lage gebracht hat, denn nur so, sagt sie, kann sie ihr Dasein ertragen. Das Opium der Insassen, so dringend benötigt zum Überleben, rieselt nicht auf sie herab, sie müssen es unter dem Panoramadach selbst gewinnen, indem sie an die Wohlgeratenheit ihrer Welt glauben.
Das Netz der Kreativen
Nun gibt es vielleicht kein literarisches Genre, von dem Gegenwartsrelevanz in so hohem Maß gefordert wird wie von der Zukunftsvision, und während die Konsequenz, mit der Holmqvist ihr an Ishiguros Roman „Alles, was wir geben mussten” erinnerndes Szenario zuende denkt, beachtlich ist, lässt sich diese Relevanz einiger seiner Grundannahmen bestreiten. Dass Kunst und Kommerz einander ausschließen, haben Philosophie und Soziologie zu widerlegen versucht, indem sie ihre Beziehung als Beeinflussungsverhältnis formulierten, im Roman erscheinen die Künstler lediglich als zu vermeidende Störfälle im Gesellschaftsgroßbetrieb. Die Vernetztheit der sogenannten Kreativen, die auch eine Vernetztheit mit der Wirtschaft ist, muss bei Holmqvist der alten Idee vom genieästhetisch einsamen Ich des Künstlers weichen. Auch über andere Punkte mag man streiten – die Anstiftung dazu ist in „Die Entbehrlichen” Programm: Es ist ein gedankenreicher, listiger Roman, der die Frage nach der Gleichheit der Menschen aufwirft und zur Diskussion reizt, mit dem der neugegründete Münchner Fahrenheit Verlag auf die Bühne tritt.
Es ist auch ein Roman, der gewissermaßen besser denkt, als er spricht. Nicht immer entgeht er der Gefahr des Didaktischen, wodurch der Erzählfluss etwas Behäbiges bekommt, und der spröde Stil bildet das zugrundeliegende Gedankenkonstrukt eher ab, als es zu überformen. Die Ausnahme ist die Liebe. Sie allein soll für den poetischen Charakter des Buches sorgen.
Was kann aus ihr unter dem geschlossenen Himmel der Einheit werden? Liebe ist kein von Machtstrukturen ausgenommener Bereich und damit nicht per se authentisch, wie die von Hoffnung getragenen Reden der Erzählerin suggerieren. Unabhängig davon muss die Liebe im Hotel Abgrund zwangsläufig ein deprimierendes Schauspiel abgeben, spendet sie Glück doch nur unter der Annahme, auf unabsehbare Zeit anzudauern. Das ist in der Einheit besonders schwer zu glauben, und Holmqvist – sanft im Tonfall, konsequent in der Sache – lässt die Geschichte den romantischen Worten der Erzählerin widersprechen. Weger lässt sich mit dem 63-jährigen Johannes auf eine Beziehung mit traditioneller Rollenverteilung ein, die sie als erfüllend empfindet, aber draußen unter Strafe steht, und wird genau in dem Moment schwanger, in dem Johannes zur Endspende „aufgenommen” wird.
Unentbehrlich wird sie in Holmqvists bissiger Vision in den Augen der Heimleitung dadurch nicht, doch bietet sich ihr eine Fluchtmöglichkeit. Es ist der Moment, in dem die Macht ihre eigenen Motive als scheinheilig entlarvt und sich Weger der Frage stellen muss, welches Leben sie sich eigentlich wünscht. Einerseits ist nun offensichtlich, dass es andere Gründe als das Fortpflanzungsverhalten für die Internierung der Insassen gibt, auf der anderen Seite muss Weger entscheiden, ob sie die Einheit überhaupt verlassen will. KAI WIEGANDT
NINNI HOLMQVIST: Die Entbehrlichen. Roman. Aus dem Schwedischen von Angelika Gundlach. Fahrenheit Verlag, München 2008. 319 S., 19,90 Euro.
Mal von der anderen Seite betrachtet: In dem Film „Planet der Affen” von Franklin J. Schaffner von 1968 sind es wenigstens keine Artgenossen, durch die die Menschen interniert werden. Foto: Cinetext
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