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Dieser Roman ist ein leidenschaftliches Plädoyer gegen den Totalitarismus - in welcher Gestalt auch immer. Eine Kindheit in Nazi-Deutschland, eine Jugend in der jungen DDR, ein Leben zwischen Anpassung und Verrat. In seiner großen Erzählung über das Werden und Scheitern des Jacob Kersting gelingt Rolf Schneider ein Roman, in dem sich Glaube und Irrtum des 20. Jahrhunderts spiegeln.

Produktbeschreibung
Dieser Roman ist ein leidenschaftliches Plädoyer gegen den Totalitarismus - in welcher Gestalt auch immer.
Eine Kindheit in Nazi-Deutschland, eine Jugend in der jungen DDR, ein Leben zwischen Anpassung und Verrat. In seiner großen Erzählung über das Werden und Scheitern des Jacob Kersting gelingt Rolf Schneider ein Roman, in dem sich Glaube und Irrtum des 20. Jahrhunderts spiegeln.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.08.2009

Hexentrank aus Ostdeutschland
Rolf Schneiders Vorwenderoman ist gar nicht giftig
Als die Mauer 1989 fiel, brüllte ganz Deutschland „Wahnsinn!” Rolf Schneiders neues Buch besteht wohl nicht zufällig aus 89 Abschnitten. Es endet mit einer Wahnsinnstat, die allerdings schon 1988 stattfindet: Der Protagonist wirft sich von der Wiener Marienbrücke in den Donaukanal, kommt dabei aber nicht ums Leben. Der Kunsthistoriker Jacob Kersting gehört zu den Leuten, denen alles mehr oder minder misslingt.
In der DDR kommt er über die Runden. Er hat sich geweigert, in die SED einzutreten, was seiner Karriere nicht nützt, aber auch nicht sonderlich schadet. Seine Ehe ist kaputt. Sein Sohn ist ein Neonazi. Und ausgerechnet der Mann seiner einstigen Geliebten hat ihm das Thema für sein Buch vor der Nase weggeschnappt: An sich hatte Jacob Kersting über einen belgischen Jugendstilarchitekten arbeiten wollen. Weil seine Geliebte aber offenbar zu redselig war, schreibt nun ihr Mann das Buch. Und weil Jacob Kersting sein Leben hinnimmt wie andere den Wechsel der Jahreszeiten, wählt er sich eben einen anderen berühmten Architekten: einen Wiener. 1988 erhält er ein Visum für einen Aufenthalt in der Stadt. Was er dort denkt und tut, bildet den einen Erzählstrang in Rolf Schneiders Geschichte. Wenn dieser sich ein bisschen unlebendig ausnimmt, so liegt das nicht bloß an Jacob Kerstings passivem Habitus, es liegt auch daran, was Rolf Schneider erzählt. Er informiert über berühmte Wiener Architekten, greift Nachrichten auf, die Ende der Achtziger Schlagzeilen machten, lässt Figuren auftreten, die ähnlich unmotiviert vor sich hin leben wie Kersting.
Alternierend mit den Abschnitten, die 1988 spielen, erzählt der Autor aus Jacob Kerstings Jugend. Diese Passagen sind anregender als der andere Teil des Buchs. Kindheitserinnerungen haben einen besonderen Reiz. Handelt es sich um eine Kindheit unterm Hakenkreuz, wie Rolf Schneider sie selbst erlebt hat, sind Erinnerungen daran für das Publikum, das anders groß geworden ist, erst recht interessant. Auch ist Jacobs Vater etwas engagierter als sein Sohn: Er wird von den Nazis verfolgt, weil er Anarchosyndikalist ist. Und nach Kriegsende wird er von den sowjetischen Besatzern drangsaliert, weil er meint, nun in Selbstverwaltung eine Kooperative betreiben zu können. Bei beiden Gelegenheiten wird er in derselben Gefängniszelle eingesperrt. Diese Wendung seines Schicksals ist vorhersehbar, so wie leider die meisten historischen Bezüge in diesem Roman vorhersehbar sind. Eckdaten der DDR-Geschichte werden mehr abgeklappert, als dass der Autor zeigte, warum es ihm ein Anliegen war, darüber zu schreiben.
Das Gleiche gilt für die Ereignisse, mit denen Österreich Ende der achtziger Jahre Schlagzeilen machte. Der Verdacht drängt sich auf, dass Rolf Schneider jene ausgesucht hat, die sich dafür eignen, seinen Romanaufbau zu rechtfertigen: Erwähnt wird also der UN-Generalsekretär Kurt Waldheim, der von der Öffentlichkeit mühsam daran erinnert werden musste, dass er in der Reiter-SA gekämpft hatte. Erwähnt wird – indirekt – ein Denkmal des Bildhauers Alfred Hrdlicka, der damals die Wiener Pfeffersäcke entsetzte, weil er das Abbild eines Juden schuf, der mit einer Zahnbürste das Straßenpflaster schrubbt. Mit solchen Verweisen will Rolf Schneider plausibel machen, warum er abwechselnd vom Jahr 1988 und der Nazizeit erzählt.
Nebenfiguren kommen ins Bild und treten wieder ab. Schneider lässt einige Selbstmord begehen. Weil er sie aus seinem Roman entfernt, bevor man sie kennengelernt hat, kommt das potentiell Grotesk-Traurige der Episoden nicht recht zum Tragen. In Wien wird Jacob Kersting regelmäßig von einem Alkoholiker besucht. Warum der Mann Alkoholiker ist und was er in dem Roman zu suchen hat, muss der Leser sich selbst ausdenken. Während der Nazizeit wächst ein Mädchen heran, das ausgesprochen geil und stets ekelerregend dreckig ist und Jacobs wegen einen Liebestrank zusammenrührt. Warum sie nie auf die Idee kommt, dass sie ihm in gewaschenem Zustand besser gefallen könnte, bleibt unklar. Es mag daran liegen, dass sie sich für eine Hexe hält. Das Muttermal, das sie als Hexe ausweist, wandert, dem Autor vermutlich unbewusst, im Lauf des Romans von der „Hüfte” auf die „Innenseite ihres Schenkels”. Die Offenbarung des Johannes wird zitiert (das passt zur totalen Niederlage) und das Hohelied Salomons (es geht um das Thema Liebe).
Rolf Schneider schreibt ein schönes Deutsch. Er schreibt ohne Allüren und verliert nie das Tempo. Er ist ein guter Erzähler. Seine Sprache ist es nicht, die sein Buch etwas konstruiert wirken lässt. FRANZISKA AUGSTEIN
ROLF SCHNEIDER: Marienbrücke. Roman. Osburg Verlag, Berlin 2009. 413 Seiten, 19, 95 Euro.
Rolf Schneider Foto: Brigitte Friedrich
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2010

Held zögert, Autor auch
Rolf Schneiders Roman ist so unentschlossen wie seine Hauptfigur

Unter der Wiener Marienbrücke fließt das graue Wasser des Donaukanals. Ein geeigneter Ort, um sich hinunterzustürzen, zumindest aber wie Jacob Kersting, der Held in Rolf Schneiders Roman, über Selbstmord als "Phänomen der modernen österreichischen Kulturgeschichte" nachzudenken.

Jacob ist nicht zum ersten Mal in Wien, die Stadt kennt er so gut, dass er sich sofort zurechtfindet und seine Forschung über den Architekten und Künstler der Wiener Werkstätten, Josef Hoffmann, ohne zu zögern aufnehmen könnte. Doch Zögern ist eine seiner Schwächen, möglicherweise aber auch eine Eigenschaft, die ihn bis in sein sechsundfünfzigstes Lebensjahr gerettet hat.

Jacob Kersting, 1932 wie sein Erfinder in Chemnitz geboren und in der DDR aufgewachsen, ist Kunsthistoriker ohne große Fortune, aber auch ohne sich der SED anzudienen. Obwohl seine Ehe nur noch auf dem Papier besteht, lässt er sich von seinem Schwiegervater - auch der ein Kunsthistoriker, allerdings mit Parteibuch - protegieren.

Jacob, der Zauderer, schwankt, ob er sich, ein Jahr vor der Wende, für den Westen entscheiden soll oder nicht. Die Gelegenheit ist günstig, er darf sogar auf den Spuren von Hoffmann und seinen Zeitgenossen des Jugendstils nach Brüssel reisen. Aber dann spaziert er doch lieber wieder melancholisch in den vertrauten Straßen von Wien herum, stellt ein für Österreich typisch neurotisches Verhältnis zum Sterben fest und zitiert Jean Amérys Todesneigungen.

Der erwachsene Jacob in seiner Lebenskrise, von dem man einiges über den Beginn der Wiener Moderne - Adolf Loos oder Otto Wagner - sowie die aktuelle Kunstszene inklusive der Provokateure Hermann Nitsch und Otto Muehl erfährt, bestreitet den einen Teil dieses Romans. Der andere ist Jacobs Kindheit und Jugend gewidmet, die vermutlich viel Ähnlichkeit mit der von Rolf Schneider hat und von der er abwechselnd mit den späteren Jahren mühelos und lebendig erzählt.

Aufwachsen unter dem Hakenkreuz und danach unter Hammer und Sichel - das allein wäre ja Stoff genug für eine Erzählung. Der junge, mutterlose Jacob gewinnt auch sofort die Sympathie des Lesers. Sein Vater, Antinazi mit anarchosyndikalistischen Neigungen und deshalb aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen, könnte sogar die interessanteste Figur sein, wenn Schneider für ihn ein wenig mehr Platz geschaffen hätte. Sie bleibt aber wie viele Darsteller in diesem Buch nur ein flüchtig skizzierter Typ.

Die Politik liefert Daten, nicht viel mehr. Manches ist nur aus dem Blätterwald zusammengetragen, was die Spannung nicht gerade erhöht.

Aus dem Buch über Josef Hoffmann, der bei aller Begabung ein Hypochonder und möglicherweise auch ein Opportunist gewesen sein soll, wird nichts, das ahnt der Leser bald und verliert das Interesse. Aufgerüttelt werden soll er womöglich durch Jacobs private Katastrophen: Sonja, seine Ehefrau, landet in der Psychiatrie; der Sohn, ein Rechtsradikaler, im Gefängnis. Doch da über die grob hingeworfene Schilderung hinaus wenig mehr zu erfahren ist, gewinnen diese Dramen keine Bedeutung.

Rolf Schneider war in der DDR ein erfolgreicher Dramatiker und vielseitiger Schriftsteller mit guten Kontakten in den Westen wie kaum ein anderer. Ein Langzeitvisum zu erhalten war für ihn offenbar kein Problem, bis er die Protestresolution gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterschrieb und darauf aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen wurde. Mit seinem Roman "Marienbrücke" hat er zwar einige bemerkenswerte Einblicke in die DDR-Wirklichkeit geliefert, für ein Gesamtbild der letzten vierzig Jahre hat er sich jedoch den falschen Helden ausgesucht.

MARIA FRISÉ

Rolf Schneider: "Marienbrücke". Roman.

Osburg Verlag, Berlin 2009. 413 S., geb., 19,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Etwas konstruiert erscheint die Geschichte um den passiven Kunsthistoriker Kersting der Rezensentin. Dabei schätzt Franziska Augstein den Autor ansonsten ganz und gar nicht gering. Augstein lobt Rolf Schneiders sprachliche und erzählerische Fähigkeiten, sein Gespür für Tempo und sein "schönes" Deutsch. Dass die wechselweise von Kerstings Kindheit in der Nazizeit und von einem Arbeitsaufenthalt im Wien des Jahres 1988 erzählende Story nicht so richtig in die Gänge kommt, liegt laut Augstein an zweierlei: An dem unmotivierten "Abklappern" historischer Daten und dem gleichfalls nicht zwingend erscheinenden Auf- und Abtreten des Personals. Lebendigkeit, meint Augstein, kommt auf die Weise nicht zustande.

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