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Von der Antike bis in die frühe Neuzeit wurde die Onanie moralisch eher wie eine Nebensache behandelt. Erst im Zeitalter der Aufklärung wurde damit begonnen, sie regelrecht zu verteufeln - mit Auswirkungen, die über Sigmund Freud und Nancy Friday bis in die Gegenwart reichen.
Thomas W. Laqueur, Historiker an der Universität Berkeley, schildert die Geschichte der Masturbation und ihrer Verfemung. Seine scharfsichtige Analyse offenbart erschreckende (Ab-)Gründe.

Produktbeschreibung
Von der Antike bis in die frühe Neuzeit wurde die Onanie moralisch eher wie eine Nebensache behandelt. Erst im Zeitalter der Aufklärung wurde damit begonnen, sie regelrecht zu verteufeln - mit Auswirkungen, die über Sigmund Freud und Nancy Friday bis in die Gegenwart reichen.

Thomas W. Laqueur, Historiker an der Universität Berkeley, schildert die Geschichte der Masturbation und ihrer Verfemung. Seine scharfsichtige Analyse offenbart erschreckende (Ab-)Gründe.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2008

Teufels Handarbeit
Thomas W. Lacqueurs grandiose Kulturgeschichte der Selbstbefriedigung Von Wilhelm Trapp
Die Onanie wurde zwischen den Jahren 1708 und 1712 in England erfunden. Weder das Erscheinungsjahr noch der Autor des Bändchens „Onania”, das die Selbstbefriedigung erstmals so bezeichnet, waren bekannt, seinen Erfolg behinderte das nicht. 1736 erschien diese Geburtsurkunde eines Lasters auf deutsch unter dem Titel: „Onania, oder die erschreckliche Sünde der Selbst=Befleckung, Mit allen ihren entsetzlichen Folgen, so dieselbe bey Beyderley Geschlecht nach sich zu ziehen pfleget; Nebst Geist und Leiblichen Rath vor alle diejenigen, welche sich durch diese abscheuliche Gewohnheit bereits Schaden zugefüget haben”.
Wer denkt, er wisse schon Bescheid, irrt sich. Was sich da entwickelte, war weit mehr als die bloße Neubenennung einer alten Technik. Vor dem 18. Jahrhundert hatte man die Autoerotik kaum erörtert. Galen, die medizinische Autorität der Antike, begrüßte jede Abfuhr überschüssiger Körpersäfte, die Griechen und Römer sahen die Sache recht entspannt, auch wenn die Witzfigur des frustrierten „Wichsers” schon geläufig war. Dann, seit dem Mittelalter, verurteilte die christliche Morallehre die Selbstbefleckung selbstredend als Sünde, doch als kleinere. Erst die neuzeitliche Onanie avancierte zur vermeintlichen Ursache von Epilepsie und Wahnsinn, zu einem Greuel, das Kant für schlimmer als Selbstmord hielt, da es dem Erhalt der menschlichen Art zuwiderlief.
Wie also kam es, dass die Masturbation zum verrufenen „Superstar der Sexualität” wurde? So fragt Thomas Laqueur in „Die einsame Lust”, seiner grandiosen Kulturgeschichte der Selbstbefriedigung, die so süffig und plastisch geschrieben ist, dass man kaum das Buch eines Berkeley-Historikers zu lesen glaubt. Laqueurs Antwort ist eine Biopsie am Herzen des modernen Ich: Sie wirft ein Schlaglicht auf die Genese unserer Subjektivität im Halbschatten von Privatheit, Ökonomie und Medien – jene kulturellen Kraftpole, die die Moderne speisen, brachten auch die Onanie hervor. Als dubiosen Zwitter, von Anfang an.
Das beginnt schon beim Urtext „Onania”, dessen moraltriefender Titel täuscht. Nicht nur, dass er den Titelhelden fürs falsche Laster verleumdet, denn der biblische Onan lässt seinen Samen „auf die Erde fallen”, jedoch im coitus interruptus. Tatsächlich ist die „Onania” voll reißerischer, schlüpfriger Beispiele, die sowohl für antidotische Quacksalbereien werben wie die Skandalgelüste der Leser befriedigen sollten – und womöglich anregten, wogegen sie wetterten.
Die erste seriöse Abhandlung des Themas in der es um üble Nervenreize und milde Diäten geht, veröffentlichte 1758 der Schweizer Arzt Samuel Tissot. Sein „L’Onanisme” wurde ebenso ein internationaler Bestseller wie der „Émile” (1762) seines Landsmanns Rousseau, der die „fürchterlichste Gewohnheit” fast gleichzeitig erörtert. Diese beiden Werke etablierten das für Medizin, Pädagogik und Ethik fürderhin ernste Problem.
Schund, Literatur und veraltete Ratgeber also sind Laqueurs Quellen. Aber wie der Autor schon in seiner bahnbrechenden Studie über „Die Ordnung der Geschlechter” (1992) gezeigt hat, geben gerade wissenschaftliche Randbereiche den besten Einblick in die Grauzonen unseres Wissens und Empfindens. Deren sehr reale Macht könnten im Fall der Onanie Generationen schuldgequälter Heranwachsender sowie die 1995 geschasste US-Gesundheitsministerin Jocelyn Elders bezeugen (sie hatte die Erörterung des Themas im Unterricht befürwortet). Doch vor allem ist „Die einsame Lust” eine großartige Erkundung des modernen Ich von seinen Schamzonen her. Sie enträtselt den Buhmann des schmuddeligen Onanisten, dem Dickens im seinem pickligen Uriah Heep ein Denkmal setzte. Wie also entstand diese Figur?
Die Begründungen eines Tissot führen hier nicht weiter. Dass der Verlust von Körpersäften die Nerven schädige, war eine alte Vorstellung, die zudem offen ließ, warum exzessiver Verkehr nicht ebenso ungesund sein sollte. Der Wahrheit der Onanie kommt Laqueur über die Angstbilder auf die Schliche: Der Onanist, der seinen geilen Phantasien einsam verfällt und sich ihnen bis zur Auszehrung hingibt – was ist er anderes als der Doppelgänger des aufgeklärten Ich, das dem munteren Konsum frönt und eine bis dahin unbekannte Individualitität pflegt? Der Onanist war der Teufel, den man vom unheimlich freien Menschen an die Wand malte, sein Laster war der dunkle Kulminationspunkt und Spiegel einer negativen Eigendynamik jener Diskurse, die das moderne Subjekt prägten. Was auch sein egalitärer, Mann wie Frau betreffender Charakter bestätigt.
Geradezu verblüffend sind die Parallelen der Onanie-Debatte zur Ökonomie und zur privaten Lektüre. So verdanken wir dem Arzt Bernard Mandeville nicht nur die berühmte, Verschwendung als Konjunkturmotor preisende Bienenfabel, sondern auch eine „Bescheidene Streitschrift für öffentliche Freudenhäuser”. Eine Ökonomie der Sexualität ist hier am Werk – und eben der entzog sich die Onanie. Sie diente keinem Gemeinwohl, spiegelte nicht, wie der käufliche Sex, die Logik von Angebot und Nachfrage. Einer Zeit, in der die Ökonomie zur Leitmetapher wurde, musste die Onanie als unbilanzierbare Verschwendungssucht erscheinen. Eine Handarbeit, die der unsichtbaren Hand nicht zuspielte.
Noch wichtiger ist die Onanie als Phantom entgleister Privatheit. Eben erst hatte der Mensch den stillen Raum der Individuation betreten, in dem er seine Phantasie als Schatz eines reichen Innenlebens pflegen konnte. Doch in den dunklen Ecken lauerten Einsamkeit und die wahnhafte „Einbildungskraft”, vor der die Onanieratgeber warnten. Besonders die durch billige Bücher aufkommende stille Lektüre war verdächtig.
Im Schmähwort der „Hirnwichserei” haben wir noch ein letztes Zucken der geistfeindlichen Onaniegreuelmärchen. Ansonsten wurden diese im 20. Jahrhundert unhaltbar. Zur gleichen Zeit, etwa in der Kunst Egon Schieles, entstand ein besseres Bild, das in den 1970ern zum Höhepunkt kam: Besonders Feministinnen feierten die Selbstliebe als antipatriarchale Praktik. Das selbstzerstörerische Laster war, ebenso falsch, aber füglich, zur einer Wegleuchte ins wahre Selbst geworden. Mit dieser Aura lebt die Onanie in der Schwundstufe von Telefonsex und Pornoseiten bis heute weiter: als Gespenst unserer Freiheit.
Thomas W. Laqueur
Die einsame Lust
Eine Kulturgeschichte der Selbstbefriedigung. Aus dem Amerikanischen von
Clemens Brunn. Osburg Verlag, Berlin 2008. 496 Seiten, 26,90 Euro.
Der Onanist – Doppelgänger des aufgeklärten Ich
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Wilhelm Trapp erscheint merklich inspiriert von Thomas W. Laqueurs "Kulturgeschichte der Selbstbefriedigung". Er findet es bemerkenswert, wie anschaulich und "süffig" sie geraten ist, denn das hätte er einem Historiker der Berkeley-Universität gar nicht zugetraut. Der amerikanische Autor könne zeigen, dass die Onanie erst ab dem 18. Jahrhundert zur monströsen Sünde und gefährlichen Entgleisung erklärt wurde und demonstriere überzeugend, wie ihr die Selbstbefriedigung zur Nachtseite des "modernen Ich" wurde, so der Rezensent gefesselt. Besonders interessant findet Trapp die Parallelen, die in der Neuzeit von der Onanie zur Ökonomie bzw. zur individuellen Lektüre gezogen wurden, den hier entpuppt sich die rigorose Ablehnung der Selbstbefriedigung als Einschätzung einer "unbilanzierten Verschwendungssucht" und Einbildungskraft, wie der Rezensent hochinteressiert mitteilt.

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