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Geschmeidig, als hätte er ein Ich, / nimmt er auf einer Marmorsäule Platz, / in seinem Köpfchen wehen Farne der Verblendung ... . Ob Günter Herburger wie hier einen Stadtspatz porträtiert, ob er die Klüfte des ländlichen Idylls oder die Physiognomie der Stalin-Allee zum Gegenstand seiner Lyrik macht, sein empathischer Blick ist stets gepaart mit hoher sprachlicher Durchdringung und einer Brechung des allgemein Gewohnten. In diesem neuen Gedichtband, dem ersten, seit er wieder in Berlin lebt, treffen die Natur und das Urbane noch härter aufeinander. Doch diese Gedichte sind mehr als ein…mehr

Produktbeschreibung
Geschmeidig, als hätte er ein Ich, / nimmt er auf einer Marmorsäule Platz, / in seinem Köpfchen wehen Farne der Verblendung ... . Ob Günter Herburger wie hier einen Stadtspatz porträtiert, ob er die Klüfte des ländlichen Idylls oder die Physiognomie der Stalin-Allee zum Gegenstand seiner Lyrik macht, sein empathischer Blick ist stets gepaart mit hoher sprachlicher Durchdringung und einer Brechung des allgemein Gewohnten.
In diesem neuen Gedichtband, dem ersten, seit er wieder in Berlin lebt, treffen die Natur und das Urbane noch härter aufeinander. Doch diese Gedichte sind mehr als ein zweidimensionaler Blick zurück (ins Allgäu) und hinein ins Innere der Hauptstadt.
Günter Herburger löst die Dinge aus ihren vertrauten Zusammenhängen und verlagert die Wirklichkeit ins Phantastische, zuweilen Märchenhafte. Durch die Verfremdung des Alltäglichen entstehen poetische Bilder von sezierender Schärfe und großer Schönheit.
Autorenporträt
Günter Herburger wurde 1932 in Isny im Allgäu geboren. Er studierte Sanskrit und Philosophie in München und Paris, erhielt zahlreiche Preise und Stipendien. Marathons lief er in Großstädten und verwunschenen Landschaften. Als Extremläufer war er, was er besonders liebt, in Steppen, Wüsten und Gebirgen unterwegs, auch im Packeis von Baffin-Island. Zusammen mit Walter Höllerer erfand er das inzwischen beliebte Langgedicht wieder. Als Kinderbuchautor revolutionierte er diese einst nur auf Harmonie bedachte Literatur und als Epiker entwickelte er einen magischen Realismus, der sich auch der Naturwissenschaften bedient. Um die Verästelungen der Wirklichkeit mit der Phantasie aufzuspüren, schreibt er oft in Serien, siehe: Birne-Quadrologie; die Thuja-Trilogie in fünf Teilen, 2000 Seiten; die Lauftrilogie der Achtsamkeit; die Trilogie der Verschwendung, seine Erfindung von Photonovellen. Günter Herburger ist zum dritten Mal verheiratet, hat eine Tochter und zwei Söhne. Er und seine Frau

leben, nach 30 Jahren Abwesenheit, wieder in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2010

Der Dornenbarsch unter den Dichtern

Oder ist er eher der Berliner Stadtspatz? In welchem Gewand auch immer: Günter Herburger entzückt mit neuen Gedichten.

Von Mirko Bonné

Wer noch zeitgenössische Gedichte liest, weiß, wie selten die Irritation auch in der Lyrik geworden ist. Es gibt wenig, was den einmal gesicherten Bereich wieder verlässt, damit "die Augen meiner Augen aufgehen", wie E.E. Cummings es nannte. Unter dem Zwang zur Innovation werden Gedichte, die verblüffen, verwirren oder gar verstören, rar.

Eine Ausnahmeerscheinung ist der 1932 in Isny im Allgäu geborene Günter Herburger, der seit 1964 veröffentlicht, Mitglied der Gruppe 47 war und für seine Lyrik und seine Romane unter anderem den Peter-Huchel-Preis und den Hans-Erich-Nossack-Preis erhielt, beides vor fast zwanzig Jahren. Herburger ersann Fotonovellen, schrieb Reisejournale, Hörspiele, skurril-phantastische Kinderbücher. Bewundert wurden seine Aufzeichnungen zum Marathonlauf. An vielen, teils absurden Orten lief er die antike Distanz und ist hierzulande vielleicht deshalb einer der wenigen, die unbeirrbar, voller Ausdauer und Selbstironie auch mitten durch die literarische Landschaft hindurchrennen. "Mein Beruf ist voll märchenhafter Neigungen", schrieb er 1999 in "Der Schrecken Süße". "Da ich ihn fortführe bis zum Sarge, wird Heimat bleiben." Kein Land und keinen Landstrich meint dieser Heimatbegriff. Allein Imagination erschafft Landschaft; flüchtig genug, um Heimat zu sein, ist nur die Phantasie. Davon erzählen die Gedichte aus "Eine fliegende Festung" (2002) und "Der Kuss"(2008). Mit seinem neuen Band "Ein Loch in der Landschaft" geht Günter Herburger nun, mit 78 Jahren, erneut ein gutes Stück weiter. Irritierend schöne Gedichte blicken hier auf, durch und hinter die Erscheinungen.

Immer wieder stellt sich beim Lesen der Eindruck ein, man lausche einer Musik aus Bedeutungen und Informationen, radikal in ihrer Vielfalt, Klangfülle und Benennungsakribie. Ein zaubrisches Raunen unter einem Sprachhelm - hier sucht Dichtung nach Ausdrucksmöglichkeiten für die fast komplette Virtualisierung der Welt und ihrer Wahrnehmung. Ihre belebende Irritation erlangen die Gedichte jedoch durch klassischen Strophenbau, herkömmliche Interpunktion und Rechtschreibung sowie einen feinsinnig Satz und Vers in Einklang bringenden Zeilenumbruch. Woran liegt das?

Es gibt keinen zeichensetzerischen Flitter, keine Mottos, nicht mal Kapitel. Ein Gedicht folgt aufs andere, nicht wenige bleiben rätselhaft und fordern nochmalige Lektüre: In "Cadillac" ist von Mücken, einem geköpften Huhn, der Sprache der Bäume und von Asseln die Rede, in "Spandau" begegnet man weisen Pferden in Huflattichwäldern, "Caspar David Friedrich" handelt von einem zigarettenliebenden Gorilla. Eine einzige Wortschöpfung findet sich in 62 Gedichten: "Sobald die Wälder des Victoriasees / wieder knospen, napolionen durch sie / neue Buntbarsche", heißt es in "Reichtum" über Napoleon-Lippfische. Mit ihnen korrespondiert eines der eindringlichsten Gedichte des Bandes, "Der Dornenbarsch": "Manchmal steigt der Züchter, / ein Biologe, ins Bassin, / möchte, um ihn zu lieben, / seinen Tauchanzug ablegen, / was ihm erst gelingen wird, / wenn er geworden ist wie er."

Ist der Dornenbarschzüchter also der Dornenbarschdichter? Der Autor, auch das eine irritierende Stärke seiner Gedichte, bleibt unsichtbar, Günter Herburger als Person kommt nicht vor - oder aber verbirgt sich hinter Masken und in Rollen, pseudowissenschaftlichen Exkursen (Dornenbarsche gibt es nicht), Minidramoletten, biographischen Skizzen, so als Berliner Stadtspatz, Lady Shelley, Pelikan, Picasso oder, noch prominenter, Gott. Herburgers Gott ist müde, er möchte nur noch würfeln.

Ein immenser Witz ist den Gedichten zu eigen. Des Öfteren erinnern sie an Günter Eichs "Maulwürfe", denen gleichfalls nichts heilig ist, alles aber wertvoll, weil verstörend, berührend. So muss in Herburgers "Ostern" Maria Magdalena ihren alten Beruf wiederaufnehmen. "Kunden, die nicht bezahlen / wollen, erschreckt sie / mit einem Heiligenschein."

"Ein Loch in der Landschaft" blickt auf Banalitäten, peinigende Schilderungen der Angst, die Schönheit der Tiere, den Trost menschlichen Miteinanders. Auf die schöne, neue, bizarre Welt, von der einmal mehr alles gesagt scheint, auf die sich keiner mehr einen Reim machen kann oder will, aber die beinahe jeder abfotografiert und durchanalysiert, auf sie blicken Günter Herburgers Gedichte spöttisch, traurig, böse, weise. Wer sie liest, der riskiert, die Augen seiner Augen zu öffnen.

Günter Herburger: "Ein Loch in der Landschaft". Gedichte. A 1 Verlag, München 2010. 104 S., geb., 18,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Etwas, das selten geworden ist, verkörpert für seinen hier rezensierenden Kollegen Mirko Bonne der Dichter Günter Herburger, den man auch als Marathonläufer und Übersmarathonlaufenschreibenden kennt. Das Seltene: Diese Gedichte wagen sich wirklich heraus aus der lyrischen Konvention. Nicht, indem sie irgendetwas besonders spektakulär tun. Schon gar nicht, versichert Bonne, indem hier ein allzu lyrisches Ich sehr persönlich von sich spricht. Alles geht vielmehr zum Schein poetisch gesittet zu. Und doch ist die Art, wie Herburger die ganze Welt in Gedichten erfasst, für Bonne so "schön" wie "irritierend". Die "Klangfülle" und die "Bennenungsakribie" sind es, die ihn verzücken, den "Witz" der Gedichte liebt er und dem, der sie liest, verspricht er mit Cummings, sie würden ihm "die Augen seiner Augen" öffnen.

© Perlentaucher Medien GmbH