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Wieviel Wissen braucht der Mensch? Wer Medien befragt, erhält den Eindruck, dass nur ständig wachsende Berge aufgetürmten Fachwissens den Überblick über unsere komplexe Welt erlauben. Dieses Buch plädiert gegen diese landläufige Meinung.

Produktbeschreibung
Wieviel Wissen braucht der Mensch? Wer Medien befragt, erhält den Eindruck, dass nur ständig wachsende Berge aufgetürmten Fachwissens den Überblick über unsere komplexe Welt erlauben. Dieses Buch plädiert gegen diese landläufige Meinung.
Autorenporträt
Wolfgang Frühwald, geboren 1935, ist Professor emeritus für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der LMU München. Von 1999 bis 2007 war er als erster Geisteswissenschaftler Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.02.2008

Bildung ist ein Weltunglück
Aber irgendwie muss man die Müllhalden des Wissens sortieren: Wolfgang Frühwald fragt nach der Zukunft von Forschung und Überlieferung
Zeiten des Umbruchs verlangen nach Orientierung. Und neue wie etablierte Verlage bedienen dieses Bedürfnis zurzeit in auffälliger Weise, indem sie Diskurse über Medien, Bildung, Religion, Klimawandel oder das Menschenbild in der Forschung bündeln. Suhrkamp/Insel mit dem Verlag der Weltreligionen und der Edition Unseld sowie Berlin University Press sind nur die prominentesten Beispiele dafür. Wolfgang Frühwald, der im letztgenannten Verlag eine Reden- und Aufsatzsammlung zum Thema Wissen und Bildung vorgelegt hat, ist zutiefst davon überzeugt, dass wir einen Umbruch von epochalem Ausmaß erleben. Die „Galaxis Gutenberg”, in deren Zentrum 500 Jahre lang die Drucküberlieferung des Wissens gestanden habe, werde nun abgelöst durch das digitale Zeitalter. Wie werden wir künftig die Gesetze der Natur erklären und unser Menschsein definieren, wenn nicht mehr die Schrift dominiert, sondern das Bild? Wie müssen Bildung und Forschung organisiert sein, damit sie uns bei der großen Anstrengung unserer Zeit einen Weg weisen können: der „Sortierung der Müllhalden”, dieser stetig wachsenden Berge aus Informationen und neuen Erkenntnissen? Ja, wie sollen wir weiterleben, so die zentralen Fragen in Frühwalds Buch, wenn die modernen Natur- und Lebenswissenschaften sich nicht zu vermitteln wissen in die Alltagssphären, in die Geisteswissenschaften, in den Gedächtnisspeicher der Literatur?
Elegant und leichtfüßig bewegt sich der emeritierte Germanist und derzeitige Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung durch unsere Bildungs- und Forschungslandschaft. Im Gepäck hat er unter anderem die Schriften von Odo Marquard und Ernst Tugendhat, Max Weber, Hans Jonas, George Steiner, von Christoph Martin Wieland, Hans Magnus Enzensberger und Michel Houellebecq. Über allen schwebt jedoch bei Frühwald, etwas pathetisch formuliert, der Geist eines Dichters des 19. Jahrhunderts: Theodor Fontane. Fontane schrieb in einem Brief aus dem Jahr 1895: „Ich bin fast zu dem Satz gediehn: Bildung ist ein Weltunglück. Der Mensch muss klug sein, aber nicht gebildet.” Der scharfsinnige Kritiker des Bildungsbürgertums seiner Zeit, des Bildungskanons als „Repräsentationsdenken” (Frühwald), er ist der Gewährsmann, dessen Kritik Frühwald fruchtbar machen will für die Umbrüche unser heutigen Zeit.
Frühwald interpretiert Fontane in der Hinsicht, dass in „einer ernstzunehmenden Wissensgesellschaft” Kritik- und Urteilsfähigkeit und die Vermittlung eines humanen Menschenbildes gefragt sind, nicht die Addition von Information. Auf diese Forderung hin, klopft Frühwald die Leistungsfähigkeit unserer Bildungsinstitutionen wie Schule und Hochschule und der Bibliotheken und Forschungsstätten ab. Das Angenehme an diesen Ausführungen ist, dass der Autor nicht nur Missstände resümiert, sondern auch Modelle für die Zukunft entwirft oder bestehende exemplarisch vorführt. So fordert er den Umbau unserer Universitäten in „kleine, elitäre Forschungsuniversitäten”, in denen nicht in Fakultäten, sondern in Kollegs „an den Grenzlinien der Fächer” gelehrt und geforscht werden solle. Das erfordere, so Frühwald, den Ausbau der Fachhochschulen als Ort der Berufsausbildung.
Über die Grenzen hinausdenken – das ist für den Autor das Entscheidende und in diesem Sinne plädiert er für den Umbau der wissenschaftlichen Bibliotheken zu „Zentren des Informationsmanagements”, in denen sich Bild-, Print- und digitale Medien ergänzen, sich Natur- und Geisteswissenschaften aufeinander beziehen, Überflüssiges eliminiert, Erhaltenswertes konserviert wird. In diesem Sinne auch stellt er Institutionen vor, die seiner Meinung nach nicht nur das Ineinandergreifen von unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen, von Wissenschaft und künstlerischer Avantgarde befördern, sondern überhaupt Umdenken und Irritation organisieren und noch dazu fähig sind, spezialisiertes Wissen in andere Wissens- und Lebenskontexte einzufügen.
Die Texte über das Wissenschaftskolleg zu Berlin, die Leopoldina in Halle und andere Einrichtungen, sind ungemein anregend. Aber wie das oft so ist bei Sammelbänden: Zu viel wird angestoßen, nebeneinandergesetzt und dann in unbefriedigender Formelhaftigkeit stehen gelassen. Davon ist auch dieser Band nicht frei. Wir hätten zum Beispiel ganz gern gewusst, was Frühwald damit konkret meint, alle Anstrengungen müssten auf eine „welterklärende Theorie” gerichtet sein, die nicht aus den experimentellen Neurowissenschaften, sondern „aus einem grenz- und disziplinübergreifenden Diskurs” entstehe. Ein neuer Kanon könne sich bilden, der sich hinbewege in Richtung einer allgemeinen „Weltformel”. Da verflüchtigt sich Frühwalds sonst so anschauliches Denken in sphärische Gefilde.ANGELA GUTZEIT
WOLFGANG FRÜHWALD: Wieviel Wissen brauchen wir? Politik, Geld und Bildung. Berlin University Press, 280 Seiten, 24,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wolfgang Frühwald hat einen Sammelband mit Aufsätzen und Reden zum Thema Wissen und Bildung vorgelegt, den Angela Gutzeit interessiert und gern gelesen hat. Gemäß dem emeritierten Germanisten befinden wir uns in einer Zeit des Umbruchs von der schriftdominierten zur bilddominierten Wissensgesellschaft, erklärt die Rezensentin. Mit Theodor Fontane plädiere der Autor für eine Bildung in Schulen und Universitäten, die "Kritik- und Urteilsfähigkeit" vermittelt und nicht der reinen Informationsanhäufung dient, so Gutzeit einverstanden. Sie findet es an diesem Band sehr begrüßenswert, dass sich der Autor nicht nur in der Aufzählung von "Missständen" ergeht, sondern auch zukunftsweisende Alternativen aufzeigt. Einzig, dass Frühwald bei seinen vielen Themen zwar vieles anreißt, aber mitunter in "unbefriedigender Formelhaftigkeit" abschließt, stört die Rezensentin, die das aber nicht nur dem Autor anlastet, sondern hierin ein typisches Manko von Sammelbänden sieht.

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