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Im Versailler Vertrag 1919 waren vier Landkreise der preußischen Rheinprovinz und Teile von zwei Landbezirken der bayerischen Rheinpfalz in einem staatsähnlichen Gebilde, dem Saargebiet, zusammengefaßt worden. Das für 15 Jahre aus der Regierungszuständigkeit des Deutschen Reiches ausgeklammerte Industrierevier sollte als Reparationsobjekt dienen. Der neugegründete Völkerbund in Genf übernahm die Treuhandschaft und beauftragte mit dieser Aufgabe eine fünfköpfige Regierungskommission. Erfahrene Diplomaten, hohe Beamte und angesehene Politiker gehörten diesem Gremium an. Von 1924 bis 1935 war…mehr

Produktbeschreibung
Im Versailler Vertrag 1919 waren vier Landkreise der preußischen Rheinprovinz und Teile von zwei Landbezirken der bayerischen Rheinpfalz in einem staatsähnlichen Gebilde, dem Saargebiet, zusammengefaßt worden. Das für 15 Jahre aus der Regierungszuständigkeit des Deutschen Reiches ausgeklammerte Industrierevier sollte als Reparationsobjekt dienen. Der neugegründete Völkerbund in Genf übernahm die Treuhandschaft und beauftragte mit dieser Aufgabe eine fünfköpfige Regierungskommission. Erfahrene Diplomaten, hohe Beamte und angesehene Politiker gehörten diesem Gremium an.
Von 1924 bis 1935 war Bartholomäus Koßmann aus Eppelborn, Gewerkschaftler und Reichstagsabgeordneter des Zentrums von 1912 bis 1920, einer dieser Regierungskommissare. Er war aber, anders als seine Kollegen, kein Ausländer, sondern, da an der Saar geboren, deutscher Staatsbürger. So wurde er als Wahrer der Interessen seiner achthunderttausend Landsleute nicht nur durch das Amt, sondern auch mit dem Herzen der Treuhänder der Saar . Die Außenminister des Völkerbundrates erneuerten sein Ministermandat jährlich bis 1934. Das war ein außerordentlicher Vertrauensbeweis.
Über diese Zeit des Wirkens von Bartholomäus Koßmann und seinen persönlichen Einsatz war bislang wenig bekannt. Für die vorliegende Veröffentlichung hat Philipp W. Fabry erstmals systematisch die umfangreichen Sitzungsprotokolle der Regierungskommission des Saargebiets von 1920 bis 1935 und noch kaum bearbeitete Akten des Auswärtigen Amtes in Berlin ausgewertet. Das Buch schildert nicht nur detailliert das mehr als ein Jahrzehnt währende Wirken Koßmanns, sondern es gewährt auch einen tiefen Einblick in die überaus ereignisreiche Zwischenkriegszeit mit all ihren Problemen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2012

Gegen Versailles und für Berlin
Bartholomäus Koßmann, das französisch verwaltete Saargebiet und der Völkerbund

Von 1920 bis 1935 wurde das Industriegebiet an der Saar von einer Regierungskommission verwaltet, deren fünf Mitglieder - ein Präsident und vier weitere Minister - allein dem Völkerbundsrat verantwortlich waren. Wie sie agierte und wie ihre Entscheidungen zustande kamen, kann man in der Untersuchung von Philipp W. Fabry zum ersten Mal im Detail nachlesen. Gleichzeitig bietet die Arbeit Gelegenheit, einen Realpolitiker aus dem Milieu des Arbeiterkatholizismus kennenzulernen, der bislang noch nicht die Würdigung gefunden hat, die er verdient.

Tatsächlich gehört Bartholomäus Koßmann zu jenen katholischen Gewerkschaftern wie Adam Stegerwald und Jakob Kaiser, die zu führenden Politikern der Zentrumspartei und der Christlichen Demokratie aufstiegen und damit dem Sozialkatholizismus zu einer wichtigen Rolle bei der inneren Demokratie-Gründung in Deutschland verhalfen. Koßmann, 1883 im saarländischen Eppelborn geboren, war nach dem Abschluss der Volksschule zunächst als Bergmann tätig, bevor er 1907 hauptamtlicher Sekretär eines katholischen Arbeitervereins wurde. Bei den Reichstagswahlen 1912 konnte er, gerade 29 Jahre alt, einen Wahlkreis im saarländischen Industrierevier für das Zentrum erobern, der bislang in der Hand der Konservativen gewesen war. Und 1919 wirkte er, wiederum als Vertreter der Saar-Region, an der Ausarbeitung der Weimarer Verfassung und der neuen preußischen Landesverfassung mit.

Der Vertreter der Saar-Bevölkerung in der Nationalversammlung und in der Preußischen Landesversammlung wurde unter dem Völkerbundregime auch zu ihrem Repräsentanten in der Exekutive - freilich auf einem Weg, der nicht den Erfordernissen parlamentarischen Regierens entsprach. Nach dem Saarstatut in der Anlage des Versailler Vertrages hatte der Landesrat als gewählte Vertretung der Saar-Bevölkerung nur beratende Funktion; zudem wurde sein Präsident von der Regierungskommission bestimmt. Von den fünf Mitgliedern der Regierungskommission sollte eines die Bevölkerung repräsentieren, aber auch dieses Mitglied wurde allein vom Völkerbundsrat in Genf ausgewählt. Ihr erster Präsident, der Franzose Victor Rault, bestellte Koßmann im Frühjahr 1922 zum ersten Präsidenten des Landesrats und zwei Jahre später lancierte er erfolgreich seine Wahl zum Saar-Vertreter in der Kommission.

Die Protektion durch Rault hat Koßmann in den Verdacht gebracht, ein "Franzosenfreund" zu sein. Tatsächlich gehörte der Arbeiterführer aus der Saar-Region zu den wenigen Abgeordneten des Zentrums, die gegen die Annahme des Versailler Vertrages gestimmt hatten. Der dort festgelegten Abtrennung seiner Heimat vom deutschen Staatsgebiet hatte er seine Zustimmung verweigert. Nachdem sie aber erst einmal durchgesetzt worden war, hielt er nichts mehr von Fundamentalopposition. Das machte ihn für Rault als Repräsentanten der mit Abstand stärksten Partei des Saargebiets interessant: An einer Polarisierung zwischen Regierungskommission und Bevölkerungsmehrheit konnte dem Kommissionspräsidenten nicht gelegen sein.

Wie der Autor zeigt, hat sich Koßmann nicht nur als Minister für Landwirtschaft, Wohlfahrt und Gesundheitswesen beharrlich für die sozialen Belange seiner Landsleute eingesetzt. Als Mitglied einer fünfköpfigen Kommission, in der stets mit Mehrheit entschieden wurde, ist er französischen Bestrebungen entgegengetreten, die Abtrennung der Saar vom Reichsgebiet über die für 1935 vorgesehene Volksabstimmung hinaus zu verstetigen. Das hat zu weitgehender Anerkennung bei seinen Landsleuten geführt und nach anfänglicher Skepsis ab 1926 auch zu einer engen Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt in Berlin. Freilich hielten sich dabei beide Seiten bedeckt: Koßmann führte die Korrespondenz mit der Wilhelmstraße von seinem Privathaus aus, weil er davon ausgehen musste, dass die dienstlichen Kontakte von der Sureté überwacht wurden. Koßmann agierte so erfolgreich, dass die Saar-Parteien ihn von 1927 an wiederholt als Kandidaten für das Präsidentenamt ins Gespräch brachten. Im Auswärtigen Amt hielt man davon jedoch nichts, weil er dann verpflichtet gewesen wäre, nach außen Positionen einer profranzösischen Mehrheit zu vertreten. Koßmann sah das zunächst auch so. 1932 zeigte er eine gewisse Neigung, dem Ruf der Parteien zu folgen; er insistierte aber nicht, als die Wilhelmstraße an ihren Bedenken festhielt. Leider bettet Fabry die Rekonstruktion der Aktivitäten der Saarbrücker Regierungskommission in eine ziemlich larmoyante Darstellung des Vertrages von Versailles und der internationalen Entwicklung bis zum deutschen Austritt aus dem Völkerbund ein. Neuere Forschungen zu diesem Komplex werden nur höchst selektiv herangezogen. Wer sich dadurch nicht abschrecken lässt, kann freilich einen ebenso grundsatztreuen wie taktisch versierten Politiker entdecken, der das Instrument des Minderheitenvotums bei Eingaben der Kommission an den vorgesetzten Völkerbundsrat geschickt zu nutzen verstand, um den Interessen der Saar-Bevölkerung Geltung zu verschaffen. 1943/44 planten die Verschwörer des 20. Juli Koßmann als "Politischen Beauftragten" für das Saargebiet ein. 1945 gehörte er zu den Gründern einer Christlichen Volkspartei an der Saar. Deren Vorsitz überließ er jedoch, gesundheitlich schwer angeschlagen, einem Jüngeren, dem späteren Saar-Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann.

WILFRIED LOTH.

Philipp W. Fabry: Bartholomäus Koßmann. Treuhänder der Saar 1924-1935. Gollenstein Verlag, Merzig 2011. 616 S., 39,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einer gewissen Larmoyanz und Forschungsblindheit in der Darstellung des Versailler Vertrages zum Trotz hält Wilfried Loth die Untersuchung Philipp W. Fabrys über die Saar-Regierungskommission, ihre Arbeit und Entscheidungsfindung für lesenswert. Für Loth liegt das nicht zuletzt an Fabrys Würdigung des katholischen Gewerkschafters Bartholomäus Koßmann. Mit ihm lernt der Rezensent einen grundsatztreuen und taktisch fähigen Politiker kennen, der die Belange der Menschen im Saargebiet beherzt zu vertreten wusste.

© Perlentaucher Medien GmbH