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Die 14-jährige Pickler, ein für sein ständiges Ausreißen bekanntes Heimkind, stirbt unter ungeklärten Umständen beim Sturz von einem Hochspannungsmast. Das Ganze wird als Unfall deklariert. Die junge Psychologin Judit nimmt sich des Falles an und interviewt die Menschen, mit denen Pickler zuletzt zu tun hatte. Diese weisen jede Mitschuld am Tod des Mädchens von sich, entlarven sich dabei aber selbst und machen sich nicht selten lächerlich. Nach und nach kommt Judit Pickler auf die Spur: der Herumtreiberin auf der Suche nach Freiheit und Abenteuer, der Außenseiterin, die sich nach menschlicher…mehr

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Produktbeschreibung
Die 14-jährige Pickler, ein für sein ständiges Ausreißen bekanntes Heimkind, stirbt unter ungeklärten Umständen beim Sturz von einem Hochspannungsmast. Das Ganze wird als Unfall deklariert. Die junge Psychologin Judit nimmt sich des Falles an und interviewt die Menschen, mit denen Pickler zuletzt zu tun hatte. Diese weisen jede Mitschuld am Tod des Mädchens von sich, entlarven sich dabei aber selbst und machen sich nicht selten lächerlich. Nach und nach kommt Judit Pickler auf die Spur: der Herumtreiberin auf der Suche nach Freiheit und Abenteuer, der Außenseiterin, die sich nach menschlicher Wärme und einem Platz in der Welt sehnt. Ihr kurzes Leben stellt sich immer mehr als eine Serie von Fluchtversuchen dar: Flucht vor dem obdachlosen Vater, vor der kaputten Mutter und dem gewalttätigen Stiefvater, vor ihrem Erzieher im Kinderheim. Nur bei den Roma fand sie zeitweilig so etwas wie Geborgenheit.

"Artista" ist ein fesselnder und sprachgewaltiger Roman, der eine Welt beschreibt, die den meisten unbekannt ist oder vor der sie die Augen verschließen, die es aber in Budapest genauso gibt wie in Berlin, London oder New York.
Autorenporträt
Kriszta Bódis, geb. 1967, lebt in Budapest. Sie promovierte an der ELTE-Universität Budapest in Ästhetik und Psychologie. Bódis ist freischaffende Regisseurin für Dokumentarfilme und Schriftstellerin und wurde für ihre Arbeit mehrfach im In- und Ausland ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2010

Die die Wand hochtanzt
Kriszta Bódis blickt in ein ungarisches Kinderheim

Dieses Kinderheim lehrt zumindest Mut. Den Mut, seinen Mauern zu entfliehen oder den Anweisungen der Obrigkeit zu widerstehen. Was aber noch die waghalsigsten seiner Insassen schreckt, ist das sogenannte Gelbe Heft. In dieser schmalen Kladde stehen, wie der Erzieher Mister D. am Ende dieses Romans triumphierend verkünden wird, "die Fakten". Hier sind alle Vergehen notiert, die den noch kurzen Biographien der Heimzöglinge von ihren Vorgesetzten bereits angehängt wurden, und im Fall der Protagonistin Pickler ist die Liste so erschreckend, dass ihr kein anderer Ausweg mehr bleibt: Die Vierzehnjährige erklimmt einen Strommast und stirbt.

Kurz bevor es zu diesem tragischen Vorfall kommt, untersucht Judit, eine Soziologin, in staatlichem Auftrag Zustände und Rechte der Kinder in den Heimen und lernt währenddessen auch Pickler kennen, eine notorische Ausreißerin und Kletterkünstlerin, die nackte Wände hochgeht, weshalb sie auch Artista genannt wird. Der plötzliche Tod des Mädchens lässt die Ergebnisse von Judits Datenerhebung in einem anderen Licht erscheinen. Auf der Suche nach Erklärungen rollt sie den Fall ein Jahr später noch einmal auf und spricht mit den Hinterbliebenen. Sie trifft Picklers Freundinnen, die Drogen nehmen und anschaffen gehen, ihren Vater, der mit anderen Obdachlosen unter einer Brücke lebt, und ihre nervenschwache Mutter, die von ihrem zweiten Mann verprügelt wird. Sie findet heraus, dass der Erzieher mit einigen der Mädchen ins Bett geht, der Heimleiter seine Zöglinge mit dem Handy fotografiert und dass Pickler wenige Wochen vor ihrem Tod bei einer Romafamilie untergetaucht ist, die von Pferdezucht lebt und dem Mädchen Geborgenheit gibt. Im Laufe ihrer Nachforschungen gerät Judit immer tiefer in die Maschinerie der staatlichen Heimerziehung; die offenbart sich als widersprüchliches, auswegloses System.

"Artista" ist der erste ins Deutsche übersetzte Roman von Kriszta Bódis, die in Ungarn auch als Dokumentarfilmerin bekannt ist und sich - ähnlich wie ihre Kollegin Noémi Kiss - lautstark in den sonst von Männern dominierten Literaturbetrieb ihres Landes einmischt. Ihre Stoffe findet Bódis an den Rändern der Gesellschaft. Bei Roma, Heimkindern, Armen und Ausgeschlossenen, zu deren Anwältin sie sich macht und deren Dasein sie in einem dokumentarischen Gestus beschreibt, der an Sozialstudien der siebziger Jahre erinnert. Auch in der offenkundigen Sympathie, die Bódis ihren Protagonisten entgegenbringt, denkt man an die Antipsychiatrie-Bewegung, an Marcuses Randgruppenstrategie und Ulrike Meinhofs Film "Bambule".

In "Artista" wechseln sich die in Alltagssprache verfassten, oft in sich widersprüchlichen Monologe von Judits Gewährsleuten mit Kapiteln ab, die Picklers Geschichte aus einer externen Perspektive erzählen. Der Text pendelt zwischen Reportage und Literatur, ist stellenweise anrührend, aber durch die erkennbaren stilistischen Ambitionen der Autorin mitunter auch etwas sperrig geraten. Er erzählt von Ausgrenzungen, Ungleichheit und Fremdenhass, von verzweifelten Schicksalen und Problemen, die nicht nur im heutigen Ungarn von großer Dringlichkeit sind. Stellenweise aber gelingt Bódis ein alle Leser anrührender Blick auf das Leben und Leiden eines zu lange unbeachtet gebliebenen Teils der Gesellschaft.

STEFANIE PETER

Kriszta Bódis: "Artista". Roman. Aus dem Ungarischen von Christina Kunze. Verlag Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2009. 272 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Stefanie Peter hat den ersten auf Deutsch vorliegenden Roman von Kriszta Bodis, einer Dokumentarfilmerin und sich lautstark im ungarischen Literaturbetrieb zu Wort meldenden Autorin gelesen. Ihr Eindruck ist zwiespältig, aber nicht ohne Sympathie. Die Autorin erzählt darin die tragisch endende Geschichte der in einem Kinderheim lebenden Vierzehnjährigen, die von einer Soziologin mit dem staatlichen Auftrag, die Zustände in den Kinderheimen zu untersuchen, aufgerollt wird, fasst die Rezensentin zusammen. Der Roman schwanke zwischen Sozialreportage und Literatur, und Peter findet, dass er sich stilistisch mitunter zu ambitioniert gibt, sprich sich allzu spröde liest. Trotzdem aber zeigt sie sich sehr berührt von dieser Geschichte von den Randgebieten des Lebens, und sie schreibt ihr eine "Dringlichkeit" nicht nur für die ungarische Gesellschaft zu.

© Perlentaucher Medien GmbH