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Produktdetails
  • Verlag: Dölling & Galitz
  • Seitenzahl: 480
  • Erscheinungstermin: 21. Oktober 2008
  • Deutsch
  • Abmessung: 245mm
  • Gewicht: 1270g
  • ISBN-13: 9783937904719
  • ISBN-10: 3937904719
  • Artikelnr.: 23875625
Autorenporträt
Wolfgang Grünberg, Jahrgang 1940, ist Professor für Praktische Theologie und Leiter der Arbeitsstelle Kirche und Stadt an der Universität Hamburg und arbeitete als Pfarrer in Brennpunkten der Stadtentwicklung in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2009

Erinnerungen an der Ostsee
Ein kundiges, schönes Buch über die Backsteingotik von Kiel bis Königsberg
Groß stehen sie da, alt und rot, und säumen die lange Küste eines kleinen Meeres. Wie Bernsteinperlen auf eine Schnur gezogen, bilden die gotischen Backsteinkirchen der Ostsee eine Kette, die Deutschland, Polen und Russland verbindet. Sie sind Zeugen einer langen Geschichte, wettergegerbt und schicksalsbeladen. So viel ist geschehen, seit sie vor Jahrhunderten geweiht wurden. Aber sie sind immer noch da und senden als sakrale Leuchttürme ihre Botschaft in die Gegenwart. Diese Botschaft zu entschlüsseln, ihre heutige Bedeutung zu ermessen, hat nun ein Team von Theologen, Soziologen und Kulturhistorikern aus Nord- und Ostdeutschland sowie Polen und Russland unternommen.
Eigentlich mag man das Wort „Interdisziplinarität” nicht mehr hören. Zu selten entspricht dem Aufwand an Forschungsadministration ein gedanklicher Ertrag. Aber es gibt eben Themen, die lassen sich nicht aus nur einem Blickwinkel betrachten. Monumentale Kirchen sind so vieles zugleich: Versammlungsräume christlicher Gemeinden und Manifestationen politischer Macht, architektonische Kostbarkeiten und liturgische Spielstätten. Wählt man zudem eine Gruppe von Kirchen als Thema, die wiederholt die Besitzer gewechselt haben und in lange verfeindeten Ländern stehen, wird schnell klar, dass sich ein Buch über sie kaum mit einer Hand schreiben lässt.
Das neue Buch mit dem schönen Titel „Wie roter Bernstein” ist aber kein Sammelwerk, das disparate Beiträge allein mit Hilfe des Buchbinders zusammenfügt, sondern wurde von sehr unterschiedlichen Autoren wirklich gemeinsam geschrieben. Auch durch eine reiche Bebilderung und liebevolle Gestaltung unterscheidet es sich vom Gros akademischer Sammelpublikationen. So erinnert es weniger an Forschungsberichte als an anspruchsvolle Reiseführer. In kluger Auswahl betrachtet es dreizehn Kirchen aus sieben Hansestädten und beschreibt so einen intellektuellen Pilgerpfad, der von Kiel und Lübeck über Wismar und Stralsund nach Danzig und Stettin bis hin nach Königsberg führt.
Aus der Ferne betrachtet, wirken die gotischen Backsteinkirchen wie archaische Skulpturen. Untersucht man sie näher, stellt man fest, wie lebendig sie sind. Immer noch wirken sie als Brennpunkte rasanter Veränderungen. Diese Wirkungen aber lassen sich nicht leicht deuten. Worin besteht die religiöse Bedeutung dieser Kirchen, und in welchem Verhältnis steht sie zu ihrem kulturellen Wert? Inwiefern bündelt sich in ihnen die Geschichte einer Nation und inwieweit überwinden sie diese?
Zerstörung und Versöhnung
Um solche Fragen zu erörtern, führen die Herausgeber des Bandes den Begriff „Symbolkirche” ein. Das ist wohl zu unspezifisch. Hilfreicher ist der inzwischen bewährte Begriff des „Erinnerungsortes”. Die Backsteinkirchen der Ostseeküste sind aufgeladen mit höchst entgegengesetzten Erinnerungen: an Reformation und Gegenreformation, an den Zweiten Weltkrieg, seine Zerstörungen und Vertreibungen, an den Kalten Krieg und den Umbruch von 1989, schließlich an ökumenische Versöhnungen und europäische Erweiterungen. Indem die Backsteinkathedralen diese Geschichten aufrufen, prägen sie die Gegenwart und führen in die Zukunft. Sie könnten helfen, dass aus traumatischen und verfeindeten Erinnerungen eine gemeinsame Zukunft erwächst.
Wie schwer dies ist, zeigt ausgerechnet ein Beispiel aus Deutschland. St. Georgen in Wismar wurde im April 1945 sehr beschädigt. Erst nach der Wiedervereinigung wurde sie von Stadt und Bund wiederaufgebaut. Die evangelische Kirche verpflichtete sich immerhin, das gewaltige Hochaltarretabel zu sanieren. Dieses möchte sie nun an seinem alten Ort aufstellen. Doch das verweigert die Stadt. St. Georgen solle einer erweiterten Nutzung zugeführt werden: Der Altar könne nichtchristliche Nutzer verstören. Wem also gehört die Kirche, und wer bestimmt, woran hier erinnert wird? Hier zeigt sich, wie das giftige religionspolitische Erbe der DDR weiterwirkt. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht.
Wie es gelingen kann, erzählt eine Geschichte aus Stettin. St. Jakobi wechselte mehrfach die Konfession. Im Krieg schwer getroffen, lag die Kirche (Bild oben) fast eine Generation lang wüst und brach, bis die polnischen Katholiken sie wiederaufbauten. Bei der Renovierung fanden sie menschliche Überreste von deutschen Protestanten, die bei den Bombardierungen hier vergeblich Schutz gesucht hatten. Sie wurden geborgen und nach katholischem Ritus in einer Kapelle beigesetzt. 2006, also nochmals dreißig Jahre später, wurden bei erneuten Bauarbeiten wieder Knochen gefunden. Diesmal aber wurden sie in einem ökumenischen Gottesdienst beigesetzt, bei dem auch der Pastor der marginalisierten evangelischen Gemeinde von Stettin mitwirken durfte. Heikel dürften die Vorbereitungsgespräche gewesen sein, die aber in einen sehr anrührenden Gottesdienst mündeten.
Eine Grundbedingung für die europäische Erweiterung nach Osten ist eine Heilung der Erinnerungen. Die Backsteinkathedralen des Ostseeraums als Erinnerungsorte, die dieses Buch eindrucksvoll darstellt, haben da eine wichtige Aufgabe. Dass es darüber, wie sie diese Aufgabe erfüllen, auch heftige Konflikte gibt, ist nicht nur von Nachteil. Denn dass um diese Kirchen immer noch gestritten wird, dürfte der beste Schutz gegen ihre Musealisierung sein. JOHANN HINRICH CLAUSSEN
WOLFGANG GRÜNBERG, ALEXANDER HÖNER (Hrsg.): Wie roter Bernstein. Backsteinkirchen von Kiel bis Kaliningrad. Ihre Kraft in Zeiten religiöser und politischer Umbrüche. Dölling & Galitz, Hamburg 2008. 478 S., 39,80 Euro.
Wettergegerbt und schicksalsbeladen stehen die Backsteinkathedralen an der Küste Deutschlands, Polens und Russlands. So auch die spätgotische Hallenkirche St. Jakobi in Stettin (Szczecin). Die einstige lutherische Hauptkirche der Stadt wurde ab 1370 erbaut und nach dem Zweiten Weltkrieg als katholische Kirche wiederhergestellt. Dabei fand man Skelette deutscher Protestanten, die bei Bombardierungen hier Schutz gesucht hatten. Im Jahr 2006 wurden sie in einem ökumenischen Gottesdienst beigesetzt. Abbildung aus dem besprochenen Band
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eigentlich mag Johann Hinrich Claussen das Wort "interdisziplinär" nicht mehr hören, bei diesem Buch über die Backsteinkirchen der Ostsee findet der Rezensent den fachübergreifenden Ansatz jedoch durchaus angebracht. Ein Team aus Theologen, Soziologen und Kulturhistorikern aus Deutschland, Polen und Russland hat, so erfahren wir, diesen Sammelband über Geschichte und Bedeutung von dreizehn Küstenkirchen zwischen Kiel und Königsberg zusammengestellt. Claussen freut sich über die "reiche Bebilderung und liebevolle Gestaltung" der Sammelpublikation, die ihn daher mehr an einen anspruchsvollen Reiseführer erinnert als an einen Forschungsbericht. Die Bedeutung der Ostseekirchen als Erinnerungsorte findet der Rezensent eindrucksvoll veranschaulicht.

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