Produktdetails
  • Verlag: Schenck Verlag
  • ISBN-13: 9783937566009
  • ISBN-10: 3937566007
  • Artikelnr.: 21967693
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.2004

Fleiß, Arbeit und Glaube
Christoph Schenck schätzt deutsche Kulturimporte nach Amerika

Ist die Zeit der deutsch-amerikanischen Entfremdung schon wieder vorbei? Schaut man nur auf die Tagespolitik, könnte man die tiefen Verstörungen des letzten Jahres fast für einen bösen Traum halten, aus dem alle Beteiligten endlich erwachen. Schröder und Bush umarmen sich wieder und brauchen einander, wenn auch primär aus je eigenem machtpolitischem Kalkül - und wer weiß, wer sich in abermals zwölf Monaten auf den Stufen des Weißen Hauses die Hände schüttelt und der "traditionell guten deutsch-amerikanischen Freundschaft" versichert. So oder so, die ernsthafte, tiefer schürfende, auch selbstkritische Auseinandersetzung mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden der nordatlantischen Kultur droht dabei immer wieder durch rasche Fassadenanstriche übertüncht zu werden. Wenn die Sprachlosigkeit, gar der nur mühsam sublimierte Haß ein Ende hat - um so besser. Aber bleibt nicht etwas dran an der These, Amerika und "Old Europe" entwickelten sich kulturell und gesellschaftlich auseinander statt aufeinander zu?

Doch das muß nicht heißen, die gemeinsamen Wurzeln in der Vergangenheit zu leugnen oder an neuen Ursprungsmythen zu stricken nach dem Motto: Eigentlich wart ihr schon immer anders als wir, nämlich wild und prüde, gewaltbereit und frömmlerisch zugleich. Der Puritaner mit Cowboyhut: Ein deutsches Klischee läßt grüßen. Hat es nicht über Jahrhunderte, vermittelt durch viele Millionen Auswanderer, einen prägenden Einfluß deutscher Kultur auf die Vereinigten Staaten gegeben, von religiösen Bewegungen bis zu politischen Ideen, von ökonomischen Mentalitäten bis zur alltäglichen Massenkultur? An diese Zusammenhänge, an das "German Element" in den Vereinigten Staaten, will ein großformatiger illustrierter Band auf ebenso unterhaltsam-anschauliche wie fundiert-lehrreiche Weise erinnern, mit dem der Autor Christoph von Schenck zugleich das Programm eines neuen, seines eigenen Verlages eröffnet. In acht chronologisch angeordneten, thematisch geschickt akzentuierten Kapiteln entfaltet sich ein Bogen deutscher Prägungen Amerikas, der von den religiös motivierten ersten Auswanderern des siebzehnten Jahrhunderts bis zur Rolle Wernher von Brauns in den Nasa-Raumfahrtprogrammen der fünfziger und sechziger Jahre reicht.

Der Ausgangspunkt ist immer eine exemplarische Biographie, von der aus zentrale Themen nicht nur des deutschen Einflusses, sondern der amerikanischen Geschichte überhaupt umrissen werden. So weiten sich das Porträt des Generals von Steuben zu einer Skizze des Unabhängigkeitskrieges, die faszinierende Geschichte des fränkischen Auswanderers Levi Strauß und seiner blauen Denimhose zu einem Panorama der Erschließung des amerikanischen Westens und die Migrationsgeschichte des Achtundvierziger-Revolutionärs Carl Schurz zu einem Umriß von Sklaverei, Bürgerkrieg und Demokratie in der Zeit Lincolns. Prominente Namen wie der Henry Kissingers stehen neben weniger bekannten wie dem des Bierbrauers und Marketing-Genies Adolphus Busch, der die Chancen des technischen Fortschritts, von der Eisenbahn bis zur Pasteurisierung, blitzschnell erfaßte und so den Amerikanern sein Budweiser-Bier als nationales Markenprodukt nahebringen konnte. Gerade diese Kapitel aus der Alltags- und Massenkultur machen das Buch nicht nur überraschend und spannend. Sie illustrieren zugleich, daß manche "uramerikanischen" Eigenschaften der wirtschaftlichen und technischen Ingeniosität (auch) aus Mitteleuropa importiert worden sind, jenseits des Atlantiks aber damals wie heute oft die besseren Entfaltungsmöglichkeiten fanden.

Die vielfältigen historischen Indizien eines deutschen Einflusses verdichtet das Buch zu einer zugespitzten, nach dem Geständnis des Autors "provokanten" These: Amerika sei im Kern eine angelsächsisch-deutsche Nation. Auch John C. Kornblum, der als Herausgeber firmierende ehemalige Botschafter der Vereinigten Staaten, greift diese These im Vorwort auf, wenn er die amerikanische Kultur als "klassische Symbiose aus angelsächsischen und deutschen Wurzeln" begreift. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß bei beiden die Geschichte auch durch die Brille der politischen Wünsche gesehen wird - ob das am Ende hilfreich ist, mag man bezweifeln. Denn wissenschaftlich ist die Annahme, der deutsche Einfluß auf die Vereinigten Staaten sei auch nur annähernd in derselben Liga zu diskutieren wie der englische, nicht haltbar. Die "heartland values" wie Fleiß, Arbeit, Glaube, Familie lassen sich nicht primär auf deutsche Einwanderer des neunzehnten Jahrhunderts zurückführen. Doch zum Glück gibt Schenck nicht der Versuchung nach, seine These zum Ausgangspunkt neuer Legenden zu machen - im Gegenteil, unausrottbare Märchen wie das von der nur knapp verpaßten Sprachentscheidung zugunsten des Deutschen weist er deutlich genug zurück. Aber es bleiben Unschärfen und Fehler, die ein besserer historischer Sachverstand leicht hätte ausräumen können. So wird Wilhelm von Humboldt bereits Ende des achtzehnten Jahrhunderts zum Gründer der Berliner Universität, und das Aufeinandertreffen der europäischen Siedler mit der amerikanischen Urbevölkerung führte angeblich erst um 1800 zu brutalen Konflikten - in Wirklichkeit reichen diese Geschichte und ihre kulturprägende Kraft bis weit in das siebzehnte Jahrhundert zurück.

Das Layout verweist einen großen Teil der Abbildungen, einer allgemeinen Mode folgend, auf die Randspalten, und das bedeutet leider zu oft ein vergrößertes Briefmarkenformat, unter dem die Kraft der Bilder leidet. Ein anderes Fragezeichen kann man an das Sepia-Design setzen, in das der Band, vom Schutzumschlag angefangen, getaucht ist. Offenbar soll damit ein bestimmtes Image erzeugt werden - das eines etwas vergilbten Familienfotoalbums, das man, lange vergessen, hervorkramt und wiederentdeckt. Dagegen ist für einige Stunden, beim Betrachten und Schmökern dieses trotz mancher Einwände schönen und gelungenen Bandes, nichts einzuwenden. Auf längere Sicht freilich werden Familienfotos die Bruchlinien im atlantischen Verhältnis nicht kitten oder produktiv verarbeiten können.

PAUL NOLTE

Christoph Freiherr Schenck zu Schweinsberg: "The German Element". Deutsche Einwanderer in den USA. Herausgegeben von John C. Kornblum. Schenck Verlag, Hamburg 2003. 159 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Es sei wohl, gibt Paul Nolte zu, etwas dran an der These der immer größeren kulturellen Kluft zwischen Amerika und Europa, doch müsse das nicht heißen, "die gemeinsamen Wurzeln in der Vergangenheit zu leugnen". Diesen - genauer gesagt: "dem prägenden Einfluss deutscher Kultur auf die Vereinigten Staaten" - habe sich der "unterhaltsam-anschauliche" und größtenteils auch sehr fundierte Band Christoph von Schencks verschrieben. Besonders lobend verweist Nolte auf das Organisationsprinzip des Buches: Jedes Kapitel ist einem zentralen Thema der amerikanischen Geschichte gewidmet und eröffnet mit einer exemplarischen Biografie eines Deutschen, ohne allzu eng an dieser entlanggeführt zu werden. "So weiten sich", schreibt der Rezensent, "das Porträt des Generals von Steuben zu einer Skizze des Unabhängigkeitskrieges" und die Migrationsgeschichte des Achtundvierziger-Revolutionärs Carl Schurz "zu einem Umriss von Sklaverei, Bürgerkrieg und Demokratie in der Zeit Lincolns". Die Hauptthese des Buches - "Amerika sei im Kern eine angelsächsisch-deutsche Nation" - werde dabei nicht zu Legendenbildung benutzt. Noltes Fazit: Trotz einiger Mängel (kleines Bildformat, sachliche Ungenauigkeiten, fragwürdiges Sepia-Design) ein sehr empfehlenswertes Buch - und ein gelungener Auftakt zu Schencks Verlagsprogramm.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr