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Aus dem Inhalt: 1. Architektur im Zeitraffer: Vom Nomadenzelt zur Beton-"Villa" - 2. Die Region: Nordostsyrien und das Euphrattal - 3. Geschichte und Siedlungsgeschichte - 4. Die ländliche Bevölkerung - 5. Vorgehensweise und Methodik - 6. Das Haus, seine Nutzungen und Räume - 7. Vorläufer heutiger Hausformen - 8. Haustypen - 9. Das Gästehaus als Ort halböffentlicher Repräsention - 10. Nebengebäude und ihre Bauformen - 11. Raumstrukturen: Haus, Hof und Dorf - 12. Bauformen und Bedeutungen - 13. Architektur und Region - 14. Schlussbetrachtungen Anhang I: Bautechniken und -materialien Anhang II:…mehr

Produktbeschreibung
Aus dem Inhalt:
1. Architektur im Zeitraffer: Vom Nomadenzelt zur Beton-"Villa" - 2. Die Region: Nordostsyrien und das Euphrattal - 3. Geschichte und Siedlungsgeschichte - 4. Die ländliche Bevölkerung - 5. Vorgehensweise und Methodik - 6. Das Haus, seine Nutzungen und Räume - 7. Vorläufer heutiger Hausformen - 8. Haustypen - 9. Das Gästehaus als Ort halböffentlicher Repräsention - 10. Nebengebäude und ihre Bauformen - 11. Raumstrukturen: Haus, Hof und Dorf - 12. Bauformen und Bedeutungen - 13. Architektur und Region - 14. Schlussbetrachtungen
Anhang I: Bautechniken und -materialien
Anhang II: Glossare der regional verwendeten Begriffe
Anmerkungen - Literaturliste - Summary (englisch) - Stichwortregister - Danksagung
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2005

An der Längsseite gegenüber dem Eingang wird für den Gast der beste Teppich ausgerollt
Ein Besuch bei der Idee allen Bauens und Wohnens: Karin Pütts umfassende Untersuchung über Zelte, Kuppeln und Hallenhäuser im nördlichen Syrien

Wer von einem der Zentren des mittleren Fruchtbaren Halbmondes, Aleppo, Urfa, Mardin, Mossul, aufs Land fährt, wird bald von einem Araber, Kurden, Aramäer, Armenier oder Yesiden freundlich nach Herkunft und Kinderzahl und seiner Meinung zu den Amerikanern befragt und auf ein Glas Tee eingeladen. Langsam, damit die Frauen sich zurechtmachen können, schlendert man auf das Haus zu, an einem Tandur vorbei, dem meist von mehreren Familien unterhaltenen runden Lehmofen zum Backen des Fladenbrotes, und einem Tacht, dem zum Schutze vor Skorpionen und Schlangen hohen Bettgestell, auf dem die Familie in den Sommern kühleren Schlaf findet.

In den Tälern von Euphrat und Tigris und ihren Nebenflüssen, wo die Bewässerung den Bodenwert immens hat steigen lassen und wo die Araber von einer in Syrien, im Irak wie in der Türkei gleichermaßen gegen die Kurden gerichteten Nationalitätenpolitik profitierten, mag das Haus ein Betonbau mit ein paar orientalisierenden Verzierungen sein. Hier, wo die Leute arm sind, wird es sich um einen rechteckigen Flachdachbau aus getünchten Lehmziegeln oder gelegentlich Hausteinen handeln. Das Dach ist durch die vor der Wärme schützende Strohauflage leicht gewölbt, die beiden in die Mitte der Südseite gesetzten Türen und die wenigen kleinen Fensterläden sind in Türkis oder Hellblau angemalt.

Karin Pütt spricht in ihrer großangelegten Untersuchung des traditionellen Bauens in Nordostsyrien vom Zeilenhaus. Das Zeilenhaus nimmt sie als Elementarform des Rechteckhauses, neben Kuppelhaus und Hallenhaus einer der drei Grundtypen. Kuppelhäuser sind am bekanntesten, nicht zuletzt weil Syrien und die Türkei mit ihnen werben, wie Apulien mit seinen Trulli wirbt. Die orientalischen Häuser sind in der Regel jünger, als sie aussehen, sie werden, teils weil Lehm und Stroh verwittern, teils weil Familie und Wirtschaftsform sich verändern, ständig um- oder neu gebaut.

Das heutige Kuppelhaus mag sich gut einer Wiedererfindung verdanken, reagiert es doch auf Holzmangel, während der berühmte osmanische Reisende Celebi im siebzehnten Jahrhundert für diese Gegend von dichten Wäldern spricht. Orientalischer ist das Hallenhaus, zumal in der Elementarform des Vorhallenhauses. Der Reisende aber wird das Zeilenhaus als die wahre Schönheit empfinden. Zumal wenn das Dach bündig abgeschlossen oder mit einer Attika versehen ist, scheinen die rechteckigen Körper mit ihren in untrüglicher ästhetischer Sicherheit leicht asymmetrisch gesetzten wenigen farbigen Öffnungen wie die Verkörperung der Idee des Wohnens.

Auch im Inneren. Durch die linke Tür tritt der Gast in den meist schmucklosen Empfangsraum, in dem zur nordöstlichen Ecke hin durch Kelims und Wandkissen eine Sitzfläche abgegrenzt ist. Die Hausfrau rollt dem Gast an der dem Eingang gegenüberliegenden Längswand den besten Teppich aus und bringt Tee, der Hausherr nimmt an der Kopfseite Platz. Die Längsseite ist insofern ehrenhafter, als sie den leichteren Blickkontakt zu den Eintretenden erlaubt. Da andererseits die Kopfseite dominiert, muß, wenn andere Gäste eintreffen, der Rangordnung nach aufgerückt werden. Die Kinder reihen sich auf der Südseite nach dem Alter. Je einfacher die Familie lebt, um so entschiedener werden auch die Frauen an der Runde teilnehmen. Wenn sie die Absicht haben, bald wieder zu ihren Verrichtungen zurückzukehren, hocken sie nur kurz hinter den Kleinen, während ansonsten alle in einer Linie sitzen. Wem es gelingt, einen Blick in den anderen Raum zu werfen, der wird dort an der Nordseite auf kleinen, mit Flachgewebe verkleideten Holzbänken große Stapel von säuberlich gefaltetem bunten Bettzeug sehen und, anders als im Gastraum, auch Wandschmuck, zumal die Applikationen stilisierter Blumensträuße, die der Europäer mit der Kunst der syrischen Christen verbindet.

Karin Pütt spricht vom Zeilenhaus, weil sie das Moment der Reihung nur von außen erschlossener Einheiten als dominant nimmt. Sie sieht darin ein Erbe der Zeltlager der Beduinen, die ihre länglichen, innen meist in zwei Abteilungen gegliederten Zelte aus schwarzem Ziegenhaar in einem weiten Kreissegment so reihen, daß jeder von seinem Zelt aus freien Blick hat, ohne genauer beobachtet werden zu können. Tatsächlich ist der Weidewechsel zwischen Taurus und der Dschasira (syrisch Mesopotamien) erst durch die Auflösung des Osmanischen Reiches und dann in den fünfziger Jahren durch die Sperrung der türkischen Grenze beendet worden, die noch heute vermint ist. Beduinen wie Kurden sind erst in jüngster Zeit seßhaft geworden, will man nicht gar in der sommerlichen Wanderung zu den Arbeitsplätzen ein trauriges Nachleben des Nomadenlebens sehen.

Die Grenze war auch für die Autorin eine Grenze, zumal ihre zwanzigjährigen Forschungen genau mit dem Kurdenkrieg zusammenfielen. In der Türkei allerdings gibt es häufig, was für Syrien als moderne Verfallsform behandelt wird: eine Innenerschließung des Zeilenhauses. Das stellt nicht notwendig einen Widerspruch dar, insofern es den einfach erkennbaren Grund hat, daß man in dem feuchteren Klima trockenen Fußes von einem Raum zum anderen gelangen will. Nur gibt es in der Türkei auch die Terrassendörfer. Will man diese nicht auf das Nomadenzelt zurückführen, müßte man hinter die typologische Architekturgeschichte zurück zu einer historischen Anthropologie des Raumbewußtseins kommen. Offenbar gibt es im Orient ein Grundbedürfnis, mit dem Außenraum so verbunden zu bleiben, daß die Privatheit gewahrt ist.

Noch ein anderer Einwand liegt von türkischer Seite nahe. In der heutigen Türkei befanden sich ehemals nicht nur die Sommerweiden der Nomaden, sondern auch die Metropolen mit ihren Basaren. Von imposanter Größe und reich an steinernen Verzierungen sind dort die Mittelhallenhäuser. Die Autorin legt ihre Typologie so an, daß die Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen geht. Sollte es nicht auch die entgegengesetzte Bewegung gegeben haben, bei der die Großkaufleute die Könige imitieren und die lokalen Notabeln die Großkaufleute?

Die problematische architekturhistorische Praxis, Typologien als Ahnentafeln zu entwerfen, dürfte hier mit latenten Vorstellungen von der Ursprünglichkeit der Nomaden zusammengekommen sein. In der Tat erstaunt die weitgehende Ausblendung ethnologischer Arbeiten. So wundert sich die Autorin, daß Frauen der Zelt- und Männer der Häuserbau obliegt. Dabei ist in der Nomadenforschung der Zusammenhang zwischen Seßhaftwerdung und Einschränkung der Frau gut dokumentiert. Und wenn sie zu Recht feststellt, daß unter den Nomaden zuerst die Armen sich feste Häuser bauen, könnte die Ethnologie etwas zum Problem der kritischen Herdengröße beitragen, deren Unterschreitung durch Krankheit oder Dürre in die Seßhaftigkeit zwingt. Andererseits ist das Buch so reich an genauen Beobachtungen, und die Fotografien dokumentieren nicht nur die Gebäude, sondern auch den Alltag so gut, daß sich nicht leicht ein besserer Zugang zum ländlichen Orient finden lassen wird.

Denn es eilt. Allen Vorstellungen von der Zurückgebliebenheit des Orients zum Trotz verschwinden nicht nur die traditionellen Lebensformen, sondern auch deren materielle Hinterlassenschaften. Schneller, als sie im Nachkriegseuropa verschwunden sind, ohne Traditionen von Denkmalschutz. Restauriert und das heißt oft genug: frei nachgebaut werden einige repräsentative Objekte. Traditionelle ländliche Gebäude, auch Altstädte, gelten als Zeichen von Armut und damit als Schande. Karin Pütt betont, wie sehr das traditionelle Bauen an Klima und Bedürfnisse angepaßt ist. Aber die Bedürfnisse wandeln sich, und für das Klima gibt es Heizung und Klimaanlage. Nicht zu reden von den Mühen, die es kostet, die Wände regelmäßig neu zu verputzen und die Dächer regelmäßig neu zu decken. Karin Pütt betont auch, wie wichtig es für die eigene Identität ist, sich an seinem Herkommen auszurichten.

Aber ist das nicht ein Orientalismus, der den Leuten vorwirft, das werden zu wollen, was wir selber fliehen? Natürlich kann man sich überlegen, wie sich die Traditionen weiterentwickeln lassen. Doch die wiederbelebte Teppichproduktion macht wenig Hoffnung, daß dabei viel ästhetisch Befriedigendes herauskommen wird. Nein, das traditionelle Bauen ist tot, und gerade weil es tot ist, muß man die Hinterlassenschaften pflegen. Sie stellen ein Erbe dar nicht nur in dem Sinne, daß sie uns zeigen, wie es gewesen ist. Die Zeilenhäuser, die in ihrer peinlich beachteten Rechtwinkligkeit die Lebenswelt in ein rationales Koordinatenkreuz spannen und mit ihren lokalen Baumaterialien Teil der Landschaft zu sein scheinen, und die leeren Innenräume, die eine ständige Anpassung an das augenblickliche Tun erlauben - sie verkörpern die Idee (nicht den Ursprung) allen Bauens und Wohnens. Als ein solches Ideal sind sie ungemein schön.

GUSTAV FALKE

Karin Pütt: "Zelte, Kuppeln und Hallenhäuser". Wohnen und Bauen im ländlichen Syrien. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2005, geb. 280 S., 375 Abb. davon 198 in Farbe, 69,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine "umfassende Untersuchung" über das traditionelle Bauens in Syrien erblickt Rezensent Gustav Falke in Karin Pütts Band "Zelte, Kuppeln und Hallenhäuser". Kaum einen besseren Zugang zum ländlichen Orient kann sich er vorstellen, so reich an "genauen Beobachtungen" sei der Band, so gut dokumentierten seine Fotografien nicht nur Gebäude, sondern auch den dortigen Alltag. Angesichts des zunehmenden Verschwindens traditioneller Lebensformen und damit auch traditioneller Bauweisen im Orient für Falke ein wichtiger Aspekt. Allerdings erscheint ihm die vom Einfachen zum Komplexen gehende Typologisierung, die die Autorin vornimmt, fragwürdig. Kritisch sieht er zudem bei Pütt das Zusammentreffen der architekturhistorischen Praxis, Typologien als Ahnentafeln zu entwerfen, mit latenten Vorstellungen von der Ursprünglichkeit der Nomaden. Erstaunt zeigt er sich in diesem Zusammenhang von der weitgehenden Ausblendung ethnologischer Arbeiten.

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