Produktdetails
  • Verlag: Nova & Vetera
  • Seitenzahl: 220
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 426g
  • ISBN-13: 9783936741162
  • ISBN-10: 3936741166
  • Artikelnr.: 13461382
Autorenporträt
Gilbert K. Chesterton, geb. 1874, gest. 1936 ebendort, war Zigarrenraucher und Dialektiker, Vielschreiber und Gourmand. Unter seinen hundert Büchern sind die bekanntesten Der Mann, der Donnerstag war (1908) und Die Geschichten von Pater Brown (1911-35).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2005

Kopfstand gegen die Langeweile
Midas und der Weihnachtsmann: Neues von G. K. Chesterton

Die Verflechtung zwischen der Philosophie G. K. Chestertons, die er anhand des Weihnachtsfestes entfaltet, und seinen Kriminalgeschichten zeigt sich nicht zuletzt in einer Geschichte über einen weißen Elefanten, mit dem ein Exzentriker sein Dorf in Unruhe versetzt. Exzentriker und Elefant begegnen uns schon in Chestertons Klassiker "Der Mann, der Donnerstag war". Dort stehen sie für den ungreifbaren Kopf einer Anarchistenorganisation, ein Kopf, der zugleich oberster Polizeipräsident wie auch der Naturgott Pan sein könnte. Chesterton liebt das Verwechslungsspiel, und mit Genuß läßt er alte und neue Heiden auftreten, auch wenn sie nicht immer die Bösewichte sind. Der saarländische Pfarrer Matthias Marx hat für den Band "Father Brown und die Midasmaske" - Lesern dieser Zeitung durch den Vorabdruck bekannt - eine nachgelassene Father-Brown-Erzählung als Ausgangspunkt genommen und weitere unübersetzte Geschichten Chestertons hinzugefügt. Entnommen sind sie verschiedenen Erzählbänden wie etwa dem Zyklus "Tales of the Long Bow", in deren Kern sich immer ein sprachliches Rätsel, zum Beispiel ein Sprichwort, verbirgt. Überhaupt haben Chestertons Erzählungen oft den Charakter einer Scharade oder eines Rebus im Sinne eines Zusammenspiels von Sprache und Bild.

Die hier vorliegende dreiundfünfzigste Father-Brown-Geschichte konfrontiert den Pfarrer, der sich für gewöhnlich mit seinen Verbrechern durch die Sünde verbunden weiß und sie mithin lesen kann, mit etwas, dem er kein Gesicht zuordnen kann, der Großfinanz. Das Unpersönliche der modernen Welt überfordert auch ihn: "Bei meinem ersten Fall ging es nur um ein kleines häusliches Ereignis, bei dem man einem Mann seinen Kopf abgeschnitten hatte und ihm dann statt dessen einen anderen Kopf aufgesetzt hatte. Wäre ich doch nur wieder in einer lauschigen, gemütlichen Idylle wie damals."

Ein Mensch kann nur einen Kopf haben, eine Firma kann zwei Köpfe oder ein halbes Hundert Gesichter haben. Die Moderne wird hier wieder zum Mythos, der Ungeheuer gebiert. Wer den Rebus erraten will, muß sich auf den Kopf stellen. Das ist überhaupt eine Methode, die Chesterton den Menschen empfiehlt, wenn sie der Alltag langweilt. Seine Kriminalgeschichten sind solche Kopfstände, Kinderspiele letztlich, und die Figuren, die über seine Bühnen ziehen, sind Artisten der Verstellung. Die Tugend, die Father Brown und die anderen Detektive und Philosophen der Paradoxie pflegen, ist die der Unwissenheit, der radikalen Vereinfachung. "Die Allwissenden sind häufig unwissend", heißt es, "vor allem wissen sie oft nichts über Unwissenheit." Chestertons Theologie ist eine der Begrenzung, und Father Brown ist ihre Verkörperung. Früher nannte man dies auch Demut oder Bescheidenheit.

In seinem ebenfalls von Matthias Marx herausgegebenen Weihnachtsbuch bespricht Chesterton auch jene Grenze, die wir Neujahr nennen. Neujahr ist eine Grenze in der Zeit und somit eine "milde Form des Todes". Chesterton hält dieses Fest für eines der großen Meisterwerke der Menschheit schlechthin, ein Aufruf an jeden, neu und noch einmal geboren zu werden: "Der Sinn eines neuen Jahres liegt nicht darin, daß wir ein neues Jahr bekommen sollen. Der Sinn ist, daß wir eine neue Seele bekommen, eine neue Nase, neue Füße, ein neues Rückgrat, neue Ohren und neue Augen. Der Sinn ist, daß wir unverzüglich auf eine unmögliche Welt blicken sollen."

In seinem Essay "Theologie der Geschenke" betont Chesterton, wie wichtig die Dinge als Dinge sind. Die Theologie der Weihnachtsgeschenke ist dem common sense verwandt, der nachdrücklich und immer wieder nach "richtigen" Geschenken verlangt. Denn Weihnachten ist das Fest der Inkarnation, und das bedeutet nichts anderes als die gigantische Idee, "eine gute Absicht selbst zu verkörpern". Umsetzen heißt das Zauberwort, aber nicht Umsatz.

In seiner Essaysammlung zum Weihnachtsfest und den Tagen danach - sehr hilfreich annotiert vom Herausgeber Matthias Marx - benennt Chesterton immer wieder die Einfachheit dieser Idee, die zugleich groß ist und von vielen Feinden bedrängt wird. Es gibt die Feinde, die das Fest zu einer kommerziellen Angelegenheit machen, indem sie die Vorphase immer weiter hinausschieben. Kaum sind bei uns die Sommerferien zu Ende, da springen die ersten Nikoläuse auf die Regale der Supermärkte. Schon in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg notiert Chesterton diese Tendenz und weiß, daß sie amerikanischen Ursprungs ist. Der Kommerz läßt die Städte hell erleuchten, lange bevor der Winter kommt, und die Reklame preist das Triviale mit Farben und Symbolen, die sie den großen Festen geraubt hat. All jenen, die das Weihnachtsfest seines christlichen Kerns berauben möchten, entgegnet Chesterton, das Christentum sei ja dem Heidentum durchaus verbrüdert, denn aus einem Ritual, das dem Wetter trotzt, sei eine Religion geworden, die der Welt trotzt. Zumal er über sich selbst behaupten kann: "Ich glaubte an Apoll, als ich ganz klein war; und jetzt, wo ich sehr, sehr groß und schwer bin, glaube ich an den Weihnachtsmann."

Überhaupt waren die alten Heiden vernünftiger als die neuen. Sie aßen noch richtige Gänse, während die Ernährungsreformer Geflügelersatz, Nußsoßen und falsches Fischfilet empfehlen. Der dritte Feind des Weihnachtsfestes heißt Preußen, ein Synonym für Wissenschaftlichkeit, Pedanterie, Übermenschenwahn und Humorlosigkeit. 1936, als Chesterton seinen letzten Weihnachtsessay publizierte, hatte dieses Preußen für ihn einen neuen Namen erhalten: Hitler. Der war für ihn ein Herodes, der die Kinder morden ließ, und er fühlte, daß Krieg in der Luft lag.

Chesterton findet immer klare Worte in einer Zeit der Unentschiedenheit, des Lavierens und Es-allen-recht-machen-Wollens. Das war seine Zeit, das ist unsere Zeit. Dickens' Scrooge gehört nicht dem neunzehnten Jahrhundert, wie der moderne Scrooge in einer Weihnachtsfantasie erfahren muß. Die Heiligen Drei Könige der Gegenwart bringen in einer anderen Geschichte moderne Gaben, auf die sie nur zu stolz sind: radioaktives Metall, synthetischen Duft und einen Desinfektionsstoff für Krematorien. Das sind Geschenke an die moderne Menschheit, denen das Kind - und das heißt auch die Einfachheit - abhanden gekommen ist. Man könnte diese Gaben auch "weiße Elefanten" nennen, Großtechnik, die den Beschenkten verdammt auf alle Zeiten.

Chesterton ruft nach einem Weihnachtsfest, das sich auf einfache Symbole beschränkt: das Gold wird in einen Stall gebracht, die Könige machen sich auf die Suche nach einem Zimmermann. Solche Rückbesinnung schützt vor endlosen Reformen, und man möchte Chestertons Satz in unsere Welt hinausposaunen: "Vielleicht ist es Zeit, damit aufzuhören, sich auf Reform zu konzentrieren und zur Form zurückzukehren." Und solch eine Rückkehr, fügt er hinzu, fängt mit nackten Worten an und nicht mit "soziologischen Wortungetümen".

ELMAR SCHENKEL

G. K. Chesterton: "Father Brown und die Midasmaske und andere Geschichten". Aus dem Englischen übersetzt von Carl Koch. Hrsg. und eingeleitet von Matthias Marx. Verlag nova & vetera, Bonn 2004. 217 S., geb., 22,50 [Euro].

G. K. Chesterton: "Die neue Weihnacht". Essays, Geschichten und Gedichte. Aus dem Englischen übersetzt von Boris Greff, Max Heerresthal und Matthias Marx. Hrsg. und eingeleitet von Matthias Marx. Verlag nova & vetera, Bonn 2004. 220 S., geb., 22,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der englische Autor G.F. Chesterton war ein Anhänger der "Theologie der Begrenzung", charakterisiert Elmar Schenkel den Erfinder der "Father Brown"- Geschichten. Begrenzung ist für Schenkel gleichbedeutend mi: "Demut, Bescheidenheit". Über solche Tugenden lässt sich natürlich vortrefflich philosophieren, plaudern und dichten in Zusammenhang mit Festen und Tagen wie Weihnachten oder Neujahr, was Chesterton mit viel Liebe und Sinn für den englischen common sense bewerkstelligt haben soll. Schenkel findet sein Vergnügen an diesen Erörterungen über zu frühen Weihnachtskommerz (wir befinden uns in den 30er Jahren!) und das falsche Weihnachtsessen (keine flasche Bescheidenheit!). Besonders bemerkenswert aus heutiger Sicht ist sicher der Essay über Preußen als Weihnachtsfeind, für Chesterton im Jahr 1937 ein Synonym für Pedanterie, Humorlosigkeit und Größenwahn. Chesterton findet "immer klare Worte in einer Welt der Unentschiedenheit", lobt Schenkel, diesbezüglich hätten sich die Zeiten gar nicht geändert. Mehr Einfachheit sei doch ein guter Slogan!

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