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Eine Frau mit gesundem Menschenverstand gibt sich der Wirkung einer geheimnisvollen Pflanze hin, mit deren Hilfe sie eigentlich ihr Asthma kurieren will. Allmählich verschiebt sich ihre Wahrnehmung, und sie bekommt eine Ahnung vom wundersamen Wesen der Welt.
Lalaika ist Redaktionsassistentin der Zeitung "Der Neue Anomalist". Erstaunt hört sie sich die genial verworrenen Ideen des Stimmenverschluckers an, lässt sich von einem kleinen Jungen Infrarot-Galaxien, Supercluster und die Struktur des Universums erklären oder macht die Bekanntschaft mit einem Vampir. So absurd all diese Begegnungen…mehr

Produktbeschreibung
Eine Frau mit gesundem Menschenverstand gibt sich der Wirkung einer geheimnisvollen Pflanze hin, mit deren Hilfe sie eigentlich ihr Asthma kurieren will. Allmählich verschiebt sich ihre Wahrnehmung, und sie bekommt eine Ahnung vom wundersamen Wesen der Welt.

Lalaika ist Redaktionsassistentin der Zeitung "Der Neue Anomalist". Erstaunt hört sie sich die genial verworrenen Ideen des Stimmenverschluckers an, lässt sich von einem kleinen Jungen Infrarot-Galaxien, Supercluster und die Struktur des Universums erklären oder macht die Bekanntschaft mit einem Vampir. So absurd all diese Begegnungen auch sind - im Grunde, so glaubt Laleika, werfen sie Fragen nach den Bedingungen der menschlichen Existenz auf.

Doch während sie sich etwa auf die Spur des Wissenschaftlers Nicola Tesla begibt oder das Voynich-Manuskript zu entschlüsseln versucht, bringt sie eine Blume fast vollkommen um den Verstand. Der Stechapfel (botanisch: Datura), ein Geschenk ihrer Schwester, verströmt einen modrig süßen Duft, der berauschende Eigenschaften hat. Und auch die schwarzen Samenkörner, mit Meersalz auf das abendliche Tomatenbrot gestreut, mildern nicht nur die asthmatischen Hustenanfälle Laleikas. Sie versinkt immer mehr in einen tranceartigen Zustand, durchsetzt von Momenten großer Klarheit.

Sie erkennt, dass nichts ist, wie es scheint - und die Realität ein brüchiges Konstrukt ist. Bald kann sie nicht mehr entscheiden, ob die Frau in Weiß, die an ihrem Fenstersims sitzt, real ist. Mit eigenen Augen sieht sie eine Autoschlange, die fahrerlos unter einer Brücke hindurch fährt. Schließlich scheinen sämtliche Bilder von der Welt, eines nach dem andereen, lautlos verschluckt zu werden.

Ein poetischer Roman vom Abenteuer, den Dingen auf den Grund zu gehen. Ein Buch, bei dem man gelegentlich aufblicken muss - um nachzusehen, ob die Welt noch da ist.
Autorenporträt
Leena Krohn, geboren 1947, gilt als Grande Dame der finnischen Literatur und ist eine der bedeutendsten Gegenwartsautorinnen Nordeuropas. Sie arbeitete nach dem Studium der Philosophie, Psychologie und Literaturwissenschaft als Bibliotheksassistentin und lebt heute als freie Schriftstellerin in Helsinki und Pernaja. Zu ihrem umfangreichen Werk gehören Romane, Erzählungen, Essays, Gedichte, Kinder- und Jugendbücher sowie Hörspiele. Leena Krohns Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2006

Ein Brotaufstrich für den Ethnobotaniker
Durchaus bewusstseinserweiternd: Leena Krohn mischt in „Stechapfel” Drogentrip mit Fantasy und einem Schuss Horror
Zwei Männer mit demselben Namen verschwinden am selben Tag in derselben Stadt? Zwei Autounfälle in einer Stunde an derselben Stelle, beide Male mit einem Mazda 323? Zufälle, das predigen Paranoiker, Mystiker und Parapsychologen schon lange, die gibt’s gar nicht. Wer einmal damit angefangen hat, die beliebig über die Welt gestreuten Zeichen zu verknüpfen, stößt garantiert auf eine Geheimbotschaft, die sich dann allerdings nur schwer entziffern lässt. Drogen, Wahnsinnige und Schriftsteller beziehen ihre psychedelische Macht aus diesem Prinzip der Verkettung, unter dem die herkömmlichen Sinn-Pyramiden zusammenbrechen: Wenn alles mit allem zusammenhängt, öffnet sich ein Paralleluniversum, das Wörter, Gegenstände und Zusammenhänge geradezu staubsaugerhaft in sich hineinzieht. Die dabei entstehende Unordnung der Dinge folgt natürlich einem verborgenen Masterplan.
Diese geballte Sogkraft aus Wahnwitz und Methode bekommt die Ich-Erzählerin in Leena Krohns Roman „Stechapfel” sogar doppelt zu spüren: durch die halluzinogenen Pflanzensamen, die ihre Atembeschwerden kurieren sollen, und durch die enorme Freak-Dichte an ihrem Arbeitsplatz. Die asthmatische Lalaika arbeitet in der Redaktion einer Zeitschrift, die der Vorsilbe „para” ihre Existenz verdankt: Der Neue Anomalist beschäftigt sich mit schwarzer Magie, Kryptozoologie, psychotronischen Motoren, Ufologie, Antimaterie, Ektoplasma, Chiropraktik, alternativer Audiotechnologie und Astralreisen. „Kurz, jede Menge Müll”, wie die Erzählerin lakonisch zusammenfasst, um gleich darauf wieder einzuschränken: „Mitunter blitzte hinter all dem Marginalen, Entbehrlichen, vielleicht sogar Schädlichen auch etwas Wesentliches hervor, etwas, das möglicherweise auf die Wirklichkeit verwies.” Die Redaktionsbesuche der freien Mitarbeiter verwandeln den Roman in eine gigantische Freak-Show: Ethnobotaniker, Koinzidenz-Fanatiker, Vampirinnen und ein hochbegabter Junge, der alles über Gammastrahlung weiß, suchen die Kellerräume der Neuen Anomalisten auf – aber auch wahre Ekelmonster wie der Trepanist, der auf mittelalterliche Praktiken der Dämonenaustreibung schwört und sich mit seiner Black&Decker ein Loch in den Kopf gebohrt hat.
Diese Frau ist doch längst tot!
Während die Teilnehmer dieser Para-Parade die klassischen Konzepte von Bewusstsein, Wahrnehmung und Wirklichkeit sozusagen von außen aufbohren, arbeitet die Redakteurin an der Auflösung von innen: Die Selbstversuche mit den Stechapfelsamen konnte sie anfangs noch mit dem gelinderten Asthma rechtfertigen; bald aber hat das Nachtschattengewächs völlig von ihr Besitz ergriffen. Horrorgeschichten ranken sich wie Kletterpflanzen durch ihren Alltag: Eine falsche Straßenbahn fährt sie in einen Vorort, der irgendwo in den zwanziger Jahren hängen geblieben ist; oder sie plaudert mit einer alten Bekannten, von der sie später erfährt, dass sie zum Zeitpunkt des Treffens schon tot war.
Doch es ist nicht nur der modrig duftende Stechapfel, der den Roman in eine Art geheimes Botanikprotokoll verwandelt. Die Ich-Erzählerin bereitet nämlich einen Artikel über das legendäre Voynich-Manuskript vor, jene über vierhundert Jahre alte Geheimschrift, die von seltsamen Pflanzenzeichnungen durchzogen ist. Vor allem aber ist es Lalaika selbst, die in ihrer Verträumtheit etwas Gewächsartiges ausstrahlt: Ihr philosophisches Schlüsselerlebnis verdankt sie einer Tigerlilie, die ihr als Kind die magische Lücke zwischen Wörtern und Dingen vorgeführt hatte, so dass der Roman immer wieder auf die unheimliche Macht der Flora zurückkommt. Sogar das Schreiben wird literaturtheoretisch an die Botanik rückgekoppelt: „Erlebnisse in Büchern festzuhalten ähnelt im Grunde dem Pflanzenpressen: Es bewahrt die äußere Form der Phänomene, aber nicht ihre Strahlkraft, ihre Wirkung.”
Solche Geheimkammern zwischen Zeichen und Bedeutung sind das Rätsel, das Leena Krohn von verschiedenen Seiten angeht, und ganz dezent betreibt sie mitunter ein bisschen informationstheoretisches Stichwortdropping (Entropie!). Man kann „Stechapfel” aber auch einfach als gut komponiertes Fantasy-Ornament auf den Spuren von Lovecraft und Poe lesen. Bei all den bizarren Einfällen schwingt ein poetischer und zunehmend melancholischer Unterton mit, der die Geschichte davor rettet, zu stark ins Grusel-Genre abzudriften. Dass die Finnin Leena Krohn, Jahrgang 1947, von der „International Horror Guild” geehrt wurde und letztes Jahr mit einer Kurzgeschichte den „World Fantasy Award” gewann, verwundert aber nicht allzu sehr. Sphinxe, Pelikanmänner und Roboter bevölkern ihr Werk, das jetzt zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt wurde. „Stechapfel” ist ein spannender, gut lesbarer Roman, der durchaus bewusstseinserweiternd wirken kann. Und außerdem eine schlagende Erkenntnis vermittelt: Pflanzliche Brotaufstriche sollten besser ohne Atropin auskommen. JUTTA PERSON
LEENA KROHN: Stechapfel. Roman. Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat. Blumenbar Verlag, München 2006. 224 Seiten, 18 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Jutta Person schreibt dieser Mischung aus Fantasy und Horror eine "durchaus bewusstseinserweiternde" Wirkung zu. Gelangweilt hat sie sich bei der flüssigen Lektüre offenbar nicht, die Geschichte von der Redakteurin einer Zeitschrift über paranormale Phänomene und ihren Stechapfelexperimenten weist bei allen Absonderlichkeiten einen "poetischen" und schließlich "melancholischen" Zug auf, der die Horror-Elemente etwas zurückdrängt. Eine gelungene Balance, wie die Rezensentin zufrieden feststellt, die in Leena Krohn nicht unbedingt eine Nachfolgerin, aber doch eine gelehrige Schülerin von Lovecraft und Poe vor sich sieht.

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