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Michael Sean, ein armer Fischer, fand eines Tages in der Nähe seiner Kate einen Heuler mit schneeweißem Fell. Sein Gewissen rang mit seiner Gier - und unterlag. Er erschlug den jungen Seehund, um sich aus dessen Fell den schönsten Wams im Dorf zu nähen. Es verging auf den Tag ein Jahr. Dann wurde Michael Sean tot aufgefunden - erschlagen, und zwar genau an der Stelle, an der er einst den jungen Seehund getötet hatte.
Eine andere Sage erzählt von der unheimlichen Cousine, die stets Röcke trug, die bis auf den Boden reichten. Niemand sprach aus, was sich nur die Kinder unter dem Küchentisch
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Produktbeschreibung
Michael Sean, ein armer Fischer, fand eines Tages in der Nähe seiner Kate einen Heuler mit schneeweißem Fell. Sein Gewissen rang mit seiner Gier - und unterlag. Er erschlug den jungen Seehund, um sich aus dessen Fell den schönsten Wams im Dorf zu nähen. Es verging auf den Tag ein Jahr. Dann wurde Michael Sean tot aufgefunden - erschlagen, und zwar genau an der Stelle, an der er einst den jungen Seehund getötet hatte.

Eine andere Sage erzählt von der unheimlichen Cousine, die stets Röcke trug, die bis auf den Boden reichten. Niemand sprach aus, was sich nur die Kinder unter dem Küchentisch zuflüsterten: Dass die unheimliche Cousine ein Robbenmensch war, der unter seinen langen Röcken keine Beine, sondern einen Robbenschwanz verbarg.

David Thomsons Buch ist das Ergebnis langer Wanderungen: Ende der vierziger Jahre hat der Autor den westlichen Rand Europas von den Shetland-Inseln bis zur Küste von Kerry erforscht. In Gegenden, von denen die Menschen lange Zeit glaubten, sie seien das Ende der Welt, kehrte er in entlegene Pubs und windschiefe Fischerhütten ein, um sich von den Bewohner Seehundslegenden erzählen zu lassen. Dabei schlüpft David Thomson in mehrere Rollen zugleich: Als Historiker dokumentierte er den einzigartigen Sagenschatz einer versunkenen Welt; als Künstler hat er einen modernen Klassiker geschrieben, der in die wundersamen Räume der Erinnerung und Phantasie entführt, wo der Mensch in den Gestalten des Seehunds immer wieder Bilder seiner selbst entdeckt.
Autorenporträt
David Thomson lehrt Filmwissenschaften am Dartmouth College und war im Auswahlkomitee für das New York Film Festival. Er schreibt regelmäßig Filmkritiken für die New York Times und verschiedene Filmzeitschriften. Der gebürtige Londoner lebt heute in San Francisco.

Eike Schönfeld, geb. 1949, übersetzt aus dem Englischen, u. a. Werke von Martin Amis, Nicholson Baker, Saul Bellow, Jeffrey Eugenedis, Henry Fielding, Jonathan Franzen, J.D.Salinger. Er erhielt den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung und den Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreis. Im Jahr 2014 wurde ihm der Internationale Hermann-Hesse-Preis für seine Übersetzungen des Werkes von Nicholson Baker verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005

Elfen mit schimmerndem Fell
Der Selchie ist auch nur ein Mensch: David Thomson lauscht den Gesängen der Seehunde / Von Felicitas von Lovenberg

Die Seehunde gehören zur Gattung der Elfen. Manche glauben, daß sie alle von ein und demselben Mann namens Kane abstammen und daß sie nach und nach in Menschen zurückverwandelt werden. Auf den Shetland-Inseln heißt es, sie seien gefallene Engel, die Gott aus dem Himmelreich geworfen habe. Auf den Orkneys erklärt man sich hartnäckige Verhornungen von Händen und Füßen als Erbe jener Schwimmhäute, die entstanden, nachdem manche von ihrem Mann vernachlässigte Frau Trost bei den Seehunden suchte. Manches Mal hat sich auch ein Seehund in eine Menschenfrau verliebt und ist so oft vom Meer zu ihrem Haus hochgerobbt, bis ihm der Bauch blutete.

Mit Tieren und Literatur ist das so eine Sache, jedenfalls sobald die betreffende Kreatur kleiner und weniger ehrfurchtgebietend ist als Moby Dick. Tiere, die in Büchern jenseits der Kinder- und Märchenwelt kreuchen und fleuchen, geraten schnell in den Verdacht der Niedlichkeit oder werden als allzu offensichtliche Symbole der Unschuld abgetan; das Hündchen ist nunmal lediglich die erste Station auf dem Weg zum Herzen der Dame. Am menschlichen Umgang mit der Kreatur manifestieren sich Sehnsüchte, Selbstüberschätzung und Brutalität. Kurz: Wo Tiere auftauchen, soll entweder das Gemüt angesprochen werden, oder aber es steht eine Parabel über die Hybris des Menschen bevor. Daß man aber über Tiere auch schreiben kann, ohne gleich das dazugehörige "Reich" zu betreten, hat Kafka ebenso vorgemacht wie Hemingway oder Coetzee. Diese Autoren stellen die Kreatur nicht als treuherzigen Begleiter des Menschen dar, sondern als stummen Zeugen und Beobachter. Und auch David Thomsons "Seehundgesang" verstört, berührt und bezaubert - nicht, weil die Tiere hier eine eigene Stimme bekommen, sondern weil ihr Wesen darin würdig und wahrhaftig beschworen wird.

Denn auf den Wanderungen, die er Ende der vierziger Jahre auf den Hebriden und entlang der Westküste Irlands unternahm, galt Thomsons ganzes Interesse dem selchie, dem großen, grauen Atlantik-Seehund - und den Menschen, die mit ihm in Berührung kommen. Thomson kehrte in sturmgebeugte Fischerkaten ein, wärmte sich an Herdfeuern, wartete in einsam gelegenen Pubs auf den Moment, da am Abend die alten Geschichten hervorgeholt werden. Wo er auch hinkam, fragte er die Menschen nach den Seehunden. Und sie erzählten. Von dem Mann, der einen Heuler seines weißen Fells wegen erschlug und sich daraus ein prächtiges Wams machte. Auf den Tag genau ein Jahr später fand man ihn - tot, wie so viele, die einen Seehund für sein Fell oder wegen des Öls, eines begehrten Allheilmittels, umgebracht haben. Andere aber wurden durch einen Seehund vor dem Ertrinken gerettet oder gewarnt.

Es gibt vielerlei Verbindungen zwischen den Küstenbewohnern an Land und im Meer, nicht nur, weil das Geheul des Seehunds wie ein menschlicher Klagelaut klingt, und sich beobachten läßt, daß Seehunde einander küssen. Als Junge schon hörte David Thomson fasziniert von jener See-Frau, deren Röcke bis zum Boden gingen, um den silbern-samtig schimmernden Körper darunter zu verbergen. Solche Frauen gebären Kinder, die schwimmen können wie Fische - und kehren eines Tages zurück ins Meer. Das Entscheidende aber sind die Augen. Der Fischer Osie erzählt Thomson, er habe einem selchie nie in die Augen sehen können, wenn er ihn tötete. "Er sah uns mit den Augen eines Menschen an. Er hatte nämlich Angst." Daß Seehunde als einziges Tier weinen können, glaubt man, wenn man Osie weiter zuhört: "Der selchie hat Augen mit allen Schattierungen. Ärgert man ihn, zeigt er es allein mit den Augen, tut man ihm was Gutes, sieht er ganz weich drein. Vielleicht kommt das daher, daß sie an Land so unbeholfen mit ihrem Körper sind. Gott hat ihnen keine andere Art gegeben, sich zu zeigen." Seehunde hören gern Musik und haben eigene Lieder. Und ganz wie Hunde schlafen sie "wie ein Christ", denn wenn sie schlafen, träumen sie auch.

Es sind weniger die einzelnen Sagen und Legenden, die David Thomson hört und die er aufschreibt, als die Menschen, die sie ihm erzählen, die Umstände, unter denen sie preisgegeben werden, die Orte, an denen sie, meist nach einigem Zögern, schließlich enthüllt werden. Die Menschen, denen Thomson begegnet, betrachten die Seehunde mit Ehrfurcht, scheuer Neugier und einer gewissen Besorgnis, aber nie mit jener besitzergreifenden Liebe, wie etwa Hundehalter sie an den Tag legen.

Es ist ein wundersames Buch, das der 1988 gestorbene David Thomson verfaßt hat. Ganz seinem Autor gemäß, ist es ein Wanderer zwischen den Welten, eine Mischung aus keltischem Sagenschatz, Naturstudie und dem Porträt eines Menschenschlags, den aufzusuchen sich schon damals kaum jemand die Mühe machte. Doch Thomson malt keine falsche Idylle. Wie sein Freund Seamus Heaney im Nachwort schreibt, vereint er vielmehr "ein Gefühl für die ,Diesseitigkeit' des Lebens seiner Figuren mit einem Verständnis für die ,Jenseitigkeit', für die sie sich in ihrem Bewußtsein einen Raum bewahren". Thomson, der neben den Erinnerungen an seine schottische Kindheit in den zwanziger Jahren ("Nairn in Darkness and Light") auch das wunderbare Buch "The Leaping Hare" herausgebracht hat, in dem er Hasenspuren in Poesie, Kunst, Natur und Geschichte folgt, schreibt nicht aus einer überlegenen Beobachterposition heraus, sondern von Lebewesen zu Lebewesen. Und es ist eher ein Kompliment für die Menschen als für die Seehunde, wenn sich bei ihm beide Seiten auf Augenhöhe begegnen. Was wie ein Archiv von Seehundsagen daherkommt, entpuppt sich aus heutiger Sicht als Nachruf auf eine untergegangene Kultur. Doch sein eigentliches Wunder entfaltet der Band auf der Ebene des Mythos, wie Heaney schreibt: Es "zeigt uns in jenen Amphibien, aus denen wir entstanden sind, ein Bild von uns selbst, die wir alle (um Wordsworth zu zitieren) ,Bewohner dieses aktiven Universums' sind, alle empfänglich für die ,leise, traurige Musik der Menschheit'".

Thomson paßt sich den Gemeinschaften an, die er besucht, ganz so, wie sich das Fell des Seehunds dem Felsen angleicht, auf dem er liegt, bis er kaum noch darauf auszumachen ist. Die archaischen Lebens- und Arbeitsbedingungen, die ihm begegnen, schildert er nicht mit Nostalgie oder Pathos, sondern mit liebenswürdiger Aufmerksamkeit. Und so atmet sein Bericht eine eigene, beglückende Poesie, die keiner ausschmückenden Aufbereitung mehr bedarf: Jeder, dem einmal in der Natur das Herz aufgegangen ist, wird sie verstehen.

David Thomson: "Seehundgesang". Irische und schottische Legenden. Nachwort von Seamus Heaney. Aus dem Englischen übersetzt von Eike Schönfeld. marebuchverlag, Hamburg 2005. 317 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit der vorbildlichen Übersetzung und Veröffentlichung irischer und schottischer Sagen, die der Brite David Thomson vor über 50 Jahren für die BBC sammelte, habe der Marebuchverlag einen wunderbaren Schatz gehoben, so der beglückte Georg Sütterlin. Die alten Legenden aus dem keltischen Sprachraum erzählen von den geheimnisvollen Verbindungen der Seehunde, genauer gesagt der Kegelrobben, zum Leben der atlantischen Küstenbewohner. Sie berichten von Männern, die Seehundfrauen heiraten oder Babys, die von Seehundmüttern gestillt werden. Darüber hinaus schildert Thomson auch das karge Leben der Fischer und Kleinbauern in den vierziger und fünfziger Jahren vor "dem Einzug der Television" als die "Bereitschaft Geschichten zu erzählen und zu hören" noch vorhanden war. In der künstlerischen Aufbereitung sei ein "stilles und leuchtendes Buch" über eine versunkene Welt entstanden, resümiert Georg Sütterlin zufrieden.

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