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In den in diesem Band versammelten drei Essays zieht Stanley Cavell, einer der interessantesten und vielseitigsten Denker der Gegenwart, die Bilanz seines bisherigen Lebens und Denkens, angefangen von seiner Auseinandersetzung mit der Philosophie der normalen Sprache, dem Einfluss Emersons und Thoreaus auf das Denken in Nordamerika, der Psychoanalyse, dem Film, der Oper bis zur Analyse des Gewöhnlichen und des Skeptizismus. Den Leitfaden der drei Essays bildet die Stimme. Im ersten schildert Cavell, wie er seine eigene Stimme in der Philosophie gefunden hat: Er beschreibt seine Jugend im…mehr

Produktbeschreibung
In den in diesem Band versammelten drei Essays zieht Stanley Cavell, einer der interessantesten und vielseitigsten Denker der Gegenwart, die Bilanz seines bisherigen Lebens und Denkens, angefangen von seiner Auseinandersetzung mit der Philosophie der normalen Sprache, dem Einfluss Emersons und Thoreaus auf das Denken in Nordamerika, der Psychoanalyse, dem Film, der Oper bis zur Analyse des Gewöhnlichen und des Skeptizismus. Den Leitfaden der drei Essays bildet die Stimme. Im ersten schildert Cavell, wie er seine eigene Stimme in der Philosophie gefunden hat: Er beschreibt seine Jugend im Milieu jüdischer Einwanderer im Kalifornien der 1930er und 40er Jahre, seine Zeit als Musiker in einer Band, die musikalischen Studien bei Ernest Bloch und schließlich seine Hinwendung zur Philosophie in der Auseinandersetzung mit Ludwig Wittgenstein und im Zusammenhang der persönlichen Begegnung mit J.L. Austin. Im zweiten Kapitel analysiert er die Rolle der Stimme im alten Streit über die Autorität von Metaphysik und Epistemologie anhand der Kontroverse zwischen Derrida und Austin. Im letzten Kapitel untersucht er die Stimme der Frau in der Oper und zeigt mögliche Gefahren auf, die das Erheben der Stimme implizieren kann, woraus er auf eine gender-spezifische Wendung der Skeptizismusproblematik schließt.
Autorenporträt
Stanley Cavell ist Philosoph. Er lehrte von 1963 bis zu seiner Emeritierung 1997 als »Professor of Aesthetics and the General Theory of Value« an der Harvard University und ist Ehrendoktor der Hebrew University, Jerusalem, sowie der Universität Strasbourg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.09.2002

Superbewusstsein
Stanley Cavell kritisiert Derrida
und erzählt von sich selbst
Nach einem der ersten großen Auftritte Derridas in den USA soll Stanley Cavell dezent, aber bestimmt erklärt haben, alles das habe er selbst auch schon gesagt. Freilich pflegte Derrida zumindest einen anderen Stil. Er hat stets die Anonymität alles Sprachgebrauchs betont. Eben dieser Gegensatz zwischen selbstbewusster Rede und subjektloser Textualität bestimmt Cavells Auseinandersetzung mit Derrida. Und tatsächlich orientiert sie sich, wie das der amerikanische Titel festhält, an Fragen des philosophischen Tonfalls: „A Pitch of Philosophy”.
Das Thema, für das dieser Ton wichtig wird, ist das Verhältnis von Philosophie und Autobiographie. Cavell versucht der „Arroganz” der Philosophen, als einzelne für alle sprechen zu wollen, durch eine philosophische Reflexion der je besonderen Selbstwerdung beizukommen – wozu er erst einmal die eigene Biographie heranzieht. Die Entscheidung des jungen Diaphanes-Verlags, ausgerechnet dieses Unterfangen als zweites Buch Cavells in deutscher Sprache herauszubringen, zeugt von Selbstbewusstsein. Sie kann sich darauf stützen, dass Cavell weniger aus seinem wirklichen Leben erzählt, sondern vielmehr auf die rund zehn anderen Bücher zurückkommt, auf denen sein Ruhm in Fachkreisen beruht. Wenn irgendwo zu erfahren ist, was eine penible Lektüre Austins und Wittgensteins mit großzügigen Theorien über den Film und die Oper, mit der Kluft zwischen angelsächsischer und kontinentaler Philosophie oder der Ehrenrettung Emersons und Thoreaus verbindet, dann hier.
Frauen ohne Stimme
Die Anlage des Essays scheint zunächst etwas ungeordnet. Nachdem einleitend mit viel anekdotischem Aufwand das Thema Autobiographie vorgestellt wurde, bietet das Hauptstück keine Schlussfolgerungen, sondern einen Kommentar zu Derridas Lektüre Austins; als Finale folgt ein Text zur Rolle des stimmlichen Ausdrucks in der Oper. Bei näherem Hinsehen ergibt sich jedoch eine Art von Argumentationsgang. Der konkrete Bezug der Philosophie zum Autobiographischen liegt für Cavell im Nachvollzug des Reifungsschrittes, sich umrisshaft vorgezeichnete Positionen selbständig anzueignen – etwa indem man als junger Mann den Namen Goldstein, den die Einwanderungsbehörde dem Vater gegeben hat, ablegt und durch eine amerikanisierte Form des unsicher überlieferten Stammnamens Cavalerskii ersetzt. Man findet die „eigene Stimme”, indem man die Sprache der anderen „entwendet”.
Die Debatte um Austin dient dann der Verteidigung dieser Chance: Während Derrida an der Sprechakttheorie eine übertriebene Fixierung auf Intentionen und persönliche Verantwortung moniert, will Cavell umgekehrt sicher stellen, dass es mündige Individuen sind, die Versprechen geben, Ehen schließen und Schiffe taufen. In der Oper schließlich sieht er eine umgekehrte Bedrohung der Stimme dargestellt. Hier darf sie sich zwar aussingen, aber nur in narzisstischer Trennung von sozialer Resonanz – in den Handlungen Da Pontes, Maeterlincks und Wagners sind zumal die weiblichen Figuren regelmäßig zum Verstummen verurteilt.
So extravagant diese Gedankenführung ist, so schlicht ist der Kern von Cavells Angriff auf Derrida: Er vollziehe mit seinem Leitgedanken, dass sich Selbst und Sinn im Sprachgebrauch permanent entziehen, eine „Flucht vor dem Gewöhnlichen”. In der Tat ist Derrida wohl das beste Beispiel dafür, wie sich eine besonders raffinierte Kritik der Metaphysik dem anähnelt, was einmal Metaphysik hieß: dem Versuch, die Evidenzen des Alltagsverstandes auszuhebeln und auf andere, verborgene Wahrheiten zurückzuführen. Mit diesem Argument kann Cavell allerdings nur Austin verteidigen; seine eigene Konzeption der Stimme hingegen wäre ein ausgezeichneter Gegenstand für Derridas Kritik.
Besonders klar wird das im Vergleich der Tonfälle beider Autoren (den Cavell selbst nicht anstellt): Während Derrida gern mit kommunikativen Regeln spielt und Verweise auf frühere oder beabsichtigte Äußerungen einsetzt, um die Unvollständigkeit des sprachlich Aktualisierten zu verdeutlichen, bezieht sich Cavell in der Regel auf Wendungen seines eigenen Denkwegs und auf selbstverfasste Texte, die der ideale Leser ganz vor dem geistigen Auge haben müsste. Die erste Technik nun ist prinzipiell immer nachvollziehbar (wenn auch oft verwirrend gestaltet), die zweite dagegen zielt auf ein alles überblickendes Superbewusstsein, das nicht einmal der Autor selbst haben kann. Wenn er etwa überrascht feststellt, früher Begriffe gebraucht zu haben, die nunmehr eine ganz neue Bedeutung erhalten, stellt er eher das Eigenleben der Schrift als die Eigenständigkeit der Stimme unter Beweis.
Diese Schwäche schlägt sich in weiteren schlechten Eigenheiten des Buches nieder. Oft fehlen Begründungen und Verknüpfungen, weil der Autor ungeniert Einfälle äußert, die ihm irgendwie einleuchten. Zudem lässt er sich von Privatvorlieben zu fragwürdigen Herleitungen veranlassen; Nietzsche etwa werden Anleihen bei Emerson nachgewiesen, wo allenfalls Anleihen Emersons bei Hölderlin vorliegen. Und schließlich stiftet der ständige Selbstbezug fast zwangsläufig ein schweres Pathos, das durch die bisweilen holprige Übersetzung kaum erträglicher wird.
NORBERT SEITZ
STANLEY CAVELL: Die andere Stimme. Philosophie und Autobiographie. Aus dem Amerikanischen von A. Korsmeier. Diaphanes, Berlin 2002. 308 Seiten, 25,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Dem Autor, der hierzulande selbst nur in Fachkreisen dem Namen nach bekannt ist, geht es nach Martin Hartmann darum, die autobiografische Dimension der Philosophie und die philosophische Dimension der Autobiografie auszuloten. Dabei biete jedoch nur das erste Kapitel einen wirklichen Einblick in das Leben des Philosophen, der in Fachkreisen der USA schon längst zum intellektuellen Star avanciert sei. Der Stil des Buches sei teilweise manieriert, wie Hartmann bemerkt, und eine schwere Aufgabe für die Übersetzerin gewesen. Das Vorhaben des Autors, die Stimme des Kindes im Erwachsenen zu bewahren sei das zentrale Motiv dieses Buches und vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Kritik an Derrida verstehen, die Cavell im zweiten Kapitel des Buches vorträgt. Cavell wolle gegenüber Derrida die gewöhnliche Stimme stark machen und so dem kindlichen Erwachsensein zum Ausdruck verhelfen.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Cavells bisher persönlichstes Buch.« Frankfurter Rundschau