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Xerxes, Großkönig von Persien, bietet das gewaltigste Heer aller Zeiten auf, um das kleine Griechenland endlich zu unterjochen. Nun hält er vor der Schlacht Heerschau. Er preist sich glücklich, denn seine Übermacht ist gewaltig - doch plötzlich beginnt er zu weinen: 'Mich überkommt das Mitleid, wenn ich denke, wie kurz das menschliche Leben ist. Von allen diesen Menschen wird nachhundert Jahren keiner mehr leben.' Der ungeheure Reichtum der Dinge und Erinnerungen, die aus der geschichtlichen Entwicklunghervorgegangen sind, übertrifft alles, was Tiere je zuwege brächten. Aber dieser Reichtum…mehr

Produktbeschreibung
Xerxes, Großkönig von Persien, bietet das gewaltigste Heer aller Zeiten auf, um das kleine Griechenland endlich zu unterjochen. Nun hält er vor der Schlacht Heerschau. Er preist sich glücklich, denn seine Übermacht ist gewaltig - doch plötzlich beginnt er zu weinen: 'Mich überkommt das Mitleid, wenn ich denke, wie kurz das menschliche Leben ist. Von allen diesen Menschen wird nachhundert Jahren keiner mehr leben.' Der ungeheure Reichtum der Dinge und Erinnerungen, die aus der geschichtlichen Entwicklunghervorgegangen sind, übertrifft alles, was Tiere je zuwege brächten. Aber dieser Reichtum ist in den Tod verschränkt. Für Burkhard Müller sind die Tränen des Xerxes eine Chiffre der Humanität. In seinem brillanten Essay zeigt er, daß der orientalische 'Barbare'Xerxes viel eher der fragilen Individualität und der flüchtigen Einmaligkeit aller Lebenden gedenkt als die dominante griechisch-westliche Tradition mit ihrer schier endlosen Kette von Genealogien und Fortschrittskonstruktionen.'Der Essayist Burkhard Müller ist ein Selbstdenker von bestechenderFormulierungskraft, mit einer Metaphorik, die ergroßen Prosameistern wie Schopenhauer oder Karl Krausabgeschaut hat.' Deutschlandradio
Autorenporträt
Burkhard Müller, Jahrgang 1959, ist Dozent an der Technischen UniversitätChemnitz-Zwickau und schreibt regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung.Zuletzt ist von ihm im zu Klampen Verlag erschienen: Der König hatgeweint. Schiller und das Drama der Weltgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2006

Folter und Kamasutra
Burkhard Müllers fulminanter Geschichtsessay

Aus dem Vorabend der Schlacht, die der Perserkönig Xerxes überraschend gegen das winzige Griechenland verlieren wird, überliefert Herodot eine denkwürdige Miniatur. Xerxes hält auf seinem auf einer Anhöhe gelegenen Marmorthron Heerschau. Er preist sich glücklich über die Millionen Männer, die zu Wasser und zu Lande zusammengeströmt sind, um seinen Rachefeldzug zum Sieg zu führen; aber dann beginnt er zu weinen. Warum er denn plötzlich weine, wird er gefragt, und Xerxes antwortet: Von all diesen Menschen werde in hundert Jahren keiner mehr leben.

Das abstrakte Menschenmitleid in der Seele eines Barbarenkönigs, der sein Millionenheer zwischen den durchhauenen Hälften des Sohnes eines zu frech gewordenen Förderers hatte durchmarschieren lassen - dieses maßlose Mitleid, das den Griechen so fremd gewesen wäre wie Xerxes' meerespeitschender Zorn, verschafft einem Essayband Titel und Einleitung, der zu den großartigsten der letzten Jahre gehört: "Die Tränen des Xerxes" von Burkhard Müller, der sich damit endgültig in der Thronreihe der deutschsprachigen Essayisten niederlassen kann.

Wer ist dieser Autor, und wovon handelt sein Buch? Burkhard Müller ist Dozent für Latein in Chemnitz, Literaturkritiker und Verfasser mehrerer gleichermaßen kühner Studien. In einem früheren Buch hat er Darwin, in einem noch früheren Gott widerlegt. "Der König hat geweint", sein Beitrag zum Schiller-Jahr, blieb fast unbeachtet, obwohl er weit aus der Veröffentlichungsflut ragt. In "Tränen des Xerxes" erzählt der Selberdenker und fränkische Querkopf von Geschichte. Nicht von der Geschichte, wie wir sie kennen, als Abfolge von Jahreszahlen, die man sich mit Eselsbrücken merkt, als Grabenkrieg zwischen geistigen Prinzipien oder auch als Rauch vor den Augen eines ewig unzufriedenen Gottes. Eher schon von dem Fühlen mit dem, was gefühlt worden ist, dem "Bangen mit der Bängnis", in dem Rudolf Borchardt die reinste Kost der Geschichte sah. Müller steigt dorthin hinab, wo Geschichte ins Anthropologische zurücksinkt. Für ihn ist Geschichte nichts anderes als unser Stoffwechsel mit den Toten.

Diese Leitidee wird in neun Kapiteln entfaltet. Sie widmen sich so unterschiedlichen Figuren wie Homer, Canetti und Rilke, Shakespeare, Karl Kraus und Stanislaw Lem, Augustinus, Schnitzler und Wilhelm Busch. Anders als bei seinem Namensvetter, dem Max und Moritz zum Opfer fallen, wird bei diesem Meister aber nichts zermahlen, und nicht fein geschrotet und in Stücken kommt sein Buch daher, sondern wie ein fester runder Laib. Das liegt an dem großen Thema, das die scheindisparaten Teile zusammenhält, es liegt aber auch an Müllers stilistischer und denkerischer Kraft.

Was diesen Autor auszeichnet, klingt nach wenig, bedeutet aber viel: Er ist vollkommen individuell. Bei Burkhard Müller gibt es nichts Nachgeplappertes und nichts Modisches. Wenn er gegen die opinio communis anschreibt, um so schlimmer für die Kommune. Müller zieht es vor, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Er hat dabei nicht nur den reichen Fundus des Latinisten und den Scharfblick des Philologen, er hat überhaupt den Blick fürs Detail. Wo er den lakonischen Abschiedsbrief eines Selbstmörders zitiert - "das ewige Aufknöpfen und Zuknöpfen" -, unterläßt er es nicht, auf die fehlende Abbreviatur zu verweisen: Das "Auf- und Zuknöpfen" hätte der gleichförmig sich selbst wiederkäuenden depressiven Zeit viel weniger genau entsprochen. Mit ähnlicher, der Komik nicht abgeneigter Akribie begründet er, warum es schlimmer sei, einen Witz schlecht zu erzählen, als ein Lied falsch zu singen.

Casanovas übles Erbe

Charakteristisch auch seine Bemerkung, daß sich Xerxes schon durch die zwei seinen Namen zerreißenden wilden X als Barbar verrate. In seinen Betrachtungen über das Melancholische des Sommers beweist sich Müllers Scharfblick auch an der Natur. Was ihn nervös macht, ist weniger der Weizen als die Gerste, die ausdrucksvoll und lächerlich "wie ein Heer bärtiger Zwerge" zwischen vier Farben schillert und plötzlich, schon im Juli, den totenhaften Stoppeln und Schollen weicht.

Dem Tod gelten untergründig alle Kapitel dieses Buches, das doch auf das lebendige Gewimmel der Geschichte zielt. Bei der Frage, wie man sich mit ihm stellen soll, neigt sich Müller auf die Seite Canettis. Die Advokatenrhetorik, mit der Seneca dem Tod den Stachel ziehen will, überzeugt ihn nicht; selbst Sokrates findet er seicht. Dafür beeindruckt den Homer-Verehrer die Idee der Toten als Schatten - darüber spricht er mit einer Ernsthaftigkeit, die ihn zwischen alle Lager und Konfessionen fallen lassen muß. Die Annahme, daß die Toten, statt selig erhöht oder ganz und gar nichtig gemacht zu werden, traurig depotenzierte Formen dessen seien, was sie zu Lebzeiten waren, stelle sich überall von selbst ein, wo der hysterische Lack der Verheißungen und Verleugnungen abgehe. Das Beiwort "hysterisch" zum Lack ist kühn, aber der Gedanke ist es nicht weniger.

Als Exempel für einen Schatten zu Lebzeiten wählt Müller Arthur Schnitzler, von dem er in "Ahasver stirbt" ein ebenso hinreißendes wie beklemmendes Porträt entwirft. Wie bei dem lebensüberdrüssigen Auf- und Zuknöpfer ist Schnitzlers Krankheit eine Krankheit der Zeiterfahrung. Der vom Tod wie von der petite mort gleichermaßen Besessene, der von Casanova und Don Juan das jeweils Schlechtere geerbt hat, kann die gräßlich flüchtige und dabei bleischwere Zeit nur empfinden als die Schmerzensspur, die er an naiv liebenden Frauen hinterläßt.

Die Zeit als solche in ihrer ganzen Unfaßbarkeit bekommt bei Müller ein weiteres eigenes Kapitel. Es gehört Mut dazu, eines zu schreiben, wenn man sich bis auf Augustinus und Kant praktisch aller Vordenker entschlägt. Wer jüngere Gedanken über das Illusionäre der Zeit vermißt, wird entschädigt durch in neue Metaphern mündende Meditationen - über das Jetzt als glimmenden Punkt einer Lunte, über die drei Aggregatzustände der wassergleichen Zeit. Er wird entschädigt durch den humoristischen Grimm, mit dem Müller über die tote Zeit nachsinnt, etwa über die zehn Sekunden, in denen man eine Gießkanne auffüllt: "Wozu, genaugenommen, überhaupt Zeit in einem solchen Fall? So etwas sollte der Raum mit sich alleine auszumachen haben." Aber in diesen zehn Sekunden, muß man hier erwidern, kann der Kannenhalter doch nachdenken.

Das rettende Mäuseloch

Aus seinem Berufsleben schöpfend, erklärt Müller ferner die tiefe natürliche Feindschaft zwischen Prüfling und Korrektor - "der Korrektor hat nicht teil an der angstgedrängt vollen, der Prüfling nicht an der mühselig leeren Zeit". Wie wahr, was Müller über diese leere Zeit und über das Warten schreibt, bei dem sich die Zeit verflüchtigt wie Wasser in Dampf: Sie wird ungreifbar und macht die Luft doch drückend und schwer. Und wie klug empfunden, daß es am schlimmsten ist, auf sich selber warten zu müssen, "bis man sich aufrafft, ein unangenehmes Telefonat zu führen, bis man in Stimmung ist, den angeforderten Text zu schreiben".

Das ist Philosophie en miniature und Mikro-Geschichte, es fehlt aber auch die große nicht. Wie wahrscheinlich war der Ausbruch des Ersten Weltkriegs? Es sind die interessantesten Fragen, die Müller in dem Kapitel "Vorabende" stellt, und wieder reichen sie ins Tiefste der Philosophie, in diesem Fall: ins Problem der Kausalität. War es ein Mäuseloch in der Steppe, das den Vormarsch der Mongolen verhinderte und Europas Schicksal veränderte? Das Pferd des Groß-Khans strauchelte darin, der Reiter brach sich das Genick; statt nach der siegreichen Schlacht in Schlesien weiter westwärts zu preschen, zogen die Mongolen zur Khan-Neukür heim nach Innerasien.

Waren es die Hämorrhoiden Napoleons, die ihn Waterloo versieben ließen, oder sind es doch die Makro-Faktoren, die Europas Geschick bestimmten? Das Wunder der Schlacht von Agincourt, das 1415 im Hundertjährigen Krieg den stark unterlegenen Engländern die Herrschaft über halb Frankreich verschaffte, war gar kein Wunder, wenn man die Mikro-Faktoren betrachtet; als Mythos aber wirkte es bis in Churchills Zeit genauso stark wie das Pendant-Wunder der Jeanne d'Arc.

Mit den Franzosen beginnt Müllers stärkstes und fulminantestes Kapitel, "Das Schlimmste", ein Essay über die Folter. "Pferdchen" wurde das Brett genannt, auf dem französische Offiziere in Algerien 1957 ihre Opfer anschnallten und mit Stromstößen quälten. In der Folter erkennt Müller das innerste Wesen der Geschichte und des Menschseins. Tiere foltern nicht. Der Folterer will dabei ein Paradoxes, das Eingeständnis des Opfers, daß es ein nichtswürdiges Tier sei, was freilich nur ein Mensch gestehen kann. Wie Müller das Unsagbare umkreist, ist bewundernswert, auch wenn man nicht jeder seiner Zuspitzungen folgt. Ist der tiefste Grund der Folter wirklich der Haß auf die Variation? Vielleicht gibt es auch eine stumpfere Seite daran, die noch viel trauriger ist; nicht etwas Drängendes wie Haß, sondern etwas Leeres, Abwesendes; torture as usual. Aber wie Burkhard Müller sich in den Folterknecht versetzt, der wie der gewissenhafte Liebhaber des Kamasutra davon träume, "es einmal in einem Stoß abzumachen": wie raffiniert hier Verb und Substantiv die Doppeldeutigkeit wahren, die dämonisch zwei Lustprinzipien verschmilzt - nein, wirklich, wir haben es mit einem großen Autor zu tun.

Burkhard Müller: "Die Tränen des Xerxes". Von der Geschichte der Lebendigen und der Toten. Zu Klampen Verlag, Springe 2006. 224 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.05.2006

Das Leben der Toten
Von SZ-Autoren: Burkhard Müller über die Tränen des Xerxes
Xerxes, der Großkönig von Persien, zieht gegen Griechenland zu Felde und hält Heerschau über das größte Heer, das die Welt bis dahin gesehen hat. Nachdem alle die farbenfrohen Truppen, mehr als eine Million an der Zahl, vorbeigezogen sind, bricht er plötzlich in Tränen aus. Sein Berater Artabanos fragt ihn bestürzt, warum er denn weine? Und Xerxes erwidert: „Weil von all diesen in hundert Jahren kein einziger mehr am Leben sein wird.”
Diese Anekdote erzählt Herodot, der „Vater der Geschichtsschreibung”. Er erfasst darin mit einer Klarheit, wie sie vielleicht nur am Anfang gelingt, das doppelte Gesicht aller Geschichte: Durch sie wird der Mensch, materiell und geistig, reicher, als es je eine andere Tierspezies werden könnte; aber dieser Reichtum verschränkt sich in den Tod. Bedingung aller Tradition ist das Gedächtnis; wer aber mit Gedächtnis geschlagen ist, der wird die Toten nicht los und erkennt zugleich, dass er selbst dereinst als ein solcher Toter den Schatz der Lebenden vermehrt haben wird. Darüber, so behauptet Burkhard Müller, ist noch niemand tief genug erschrocken. Und geht dem nach, was es für uns bedeutet, in Geschichte und in Zeit leben zu müssen. SZ
BURKHARD MÜLLER: Die Tränen des Xerxes. Von der Geschichte der Lebendigen und der Toten. Verlag zu Klampen, Springe 2006. 224 Seiten, 17 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mehr als nur beeindruckt, nämlich nachgerade begeistert zeigt sich Rezensent Michael Maar von dieser Essaysammlung seines Kollegen Burkhard Müller. Zu den herausragenden Qualitäten des Autors zählt er dessen Mut auch angesichts größter Gegner - in bisherigen Essays zum Beispiel Darwin oder Gott. Dieser Mut, so Maar, verdankt sich Müllers bestimmender Eigenschaft, dem Eigensinn, der nie und nimmer Lust verspüre, sich irgendwelchen herrschenden Diskursen und Vorstellungen anzuschmiegen. Dies erweist sich in "Die Tränen des Xerxes" ein weiteres Mal. Es geht, vorgeführt an Autoren wie Canetti, Schnitzler und anderen, um den Tod und das Leben, das aber immer schon vom Tod und den Toten verschattet ist - und zwar buchstäblich. Am Hinreißendsten findet der Rezensent das Kapitel "Vom Schlimmsten" über die Folter. Noch da, wo er den "Zuspitzungen" Müllers nicht folgen will, scheinen sie ihm glänzend formuliert und "kühn" gedacht. Kurzum: "ein großer Autor".

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