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Nürnberg 1946: ein deutscher Augenzeuge des Holocaust sagt gegen seine Landsleute vor dem Kriegsverbrechertribunal aus. Als er kurze Zeit später in die Heimatstadt zurückkehrt, wird er von seinen Nachbarn, die sich offensichtlich immer noch als Volksgenossen betrachten, gemieden, entlassen, geächtet. Hermann "Fritz" Gräbe sieht in Deutschland keine Zukunft mehr für sich und emigriert. Doch damit nicht genug. Bei den SS-Verbrecherprozessen der 60er Jahre wird Gräbe als Belastungszeuge vorgeladen. Ein erstes Mal kommt er aus den USA nach Deutschland zurück. Er wird des Meineids bezichtigt und…mehr

Produktbeschreibung
Nürnberg 1946: ein deutscher Augenzeuge des Holocaust sagt gegen seine Landsleute vor dem Kriegsverbrechertribunal aus. Als er kurze Zeit später in die Heimatstadt zurückkehrt, wird er von seinen Nachbarn, die sich offensichtlich immer noch als Volksgenossen betrachten, gemieden, entlassen, geächtet. Hermann "Fritz" Gräbe sieht in Deutschland keine Zukunft mehr für sich und emigriert.
Doch damit nicht genug. Bei den SS-Verbrecherprozessen der 60er Jahre wird Gräbe als Belastungszeuge vorgeladen. Ein erstes Mal kommt er aus den USA nach Deutschland zurück. Er wird des Meineids bezichtigt und angeklagt. Für eine zweite Zeugenaussage bekommt er kein freies Geleit zugesichert und kann Deutschland nun nicht mehr betreten. Eine beispiellose Hetzkampagne der Medien ruiniert seinen Ruf im Land seiner Herkunft endgültig. Hermann Gräbe: eine einzigartige deutsche Karriere. Als erfolgreicher Bauingenieur war er ab 1941 in der besetzten Ukraine für den kriegswichtigen Eisenbahnbau zuständig und musste mitansehen, wie ein Ghetto liquidiert wurde. Schockiert durch das, was er sieht, nutzt er seine Baufirma von Stund an, um Juden vor der Vernichtung zu retten. Er nimmt höchstes persönliches Risiko in Kauf und ruiniert seine Gesundheit, um Juden in seinen kriegswichtigen Betrieb einzustellen, falsche Papiere zu verschaffen, vor den berüchtigten "Aktionen" zu warnen, in eigens zur Verschleierung gegründete Filialen zu schicken. Mehr als einhundert Juden hat Gräbe vor der Vernichtung bewahrt. Mit einem guten Dutzend seiner Schützlinge gelang es ihm bei Kriegsende, sich hinter die amerikanischen Linien durchzuschlagen. Ein zweiter Oskar Schindler, wird auch er von Israel als einer der Gerechten der Völker geehrt - im Nachkriegsdeutschland hingegen zunächst geächtet, dann denunziert und angeklagt, schließlich vergessen.
Douglas Huneke zeichnet in seiner fesselnden Biographie den einzigartigen Lebensweg Hermann Gräbes nach und versucht endlich, ein angemessenes Bild dieses außergewöhnlichen Mannes auch in Deutschland zu etablieren. Beiträge von Wolfgang Heuer über Hermann Gräbes Schicksal in Deutschland nach 1945 und Horst R. Sassin über 'Die Wahrnehmung Gräbes in seiner Heimatstadt Solingen 1945 - 2002' vervollständigen den Band.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2002

Rettendes Netz
für die Juden
Einem deutschen Helfer
wiederfährt späte Gerechtigkeit
Rund 50 Jahre, bis 1994, dauerte es, dass dem Mann in Deutschland Recht geschah. Hermann Friedrich Gräbe erlebte es nicht mehr, er war acht Jahre zuvor als amerikanischer Staatsbürger in San Francisco gestorben. Geehrt aber wurde er doch noch: als „Gerechter unter den Völkern” durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, durch Synagogengemeinden, durch jüdische Stiftungen und seine zweite Heimatstadt am Pazifik. Nicht geehrt wurde er jedoch in seinem Geburtsort Gräfrath bei Solingen – und nicht in der Bundesrepublik, in der er noch bis in die 90er Jahre hinein als Landesverräter, Hochstapler und Lügner galt.
Erst als 50 Jahre nach Auschwitz der Kinofilm „Schindlers Liste” in die deutschen Kinos kam, reklamierten Solinger Lokaljournalisten, auch ihre Stadt, aus der bekanntermaßen Adolf Eichmann stammte, habe ihren Oskar Schindler. Dabei war es gerade die örtliche Presse gewesen, die Hermann Gräbe 1967 der vorsätzlichen Falschaussage in NS-Prozessen bezichtigt und als Kriegsprofiteur diffamiert hatte. Er habe sich als Zeuge den Amerikanern angedient, habe deutsche Landsleute hinter Gitter gebracht und dafür Geld aus Wiedergutmachungszahlungen an jüdische Organisationen erhalten, hieß es. Diesen böswilligen Ton hatte 1965 ein Artikel im Spiegel vorgegeben, in dem von einer Affäre Gräbe die Rede war.
Tatsächlich aber suchte der Autor Axel Jäschke damals nach einer Sensation und griff ungeprüft die üble Nachrede auf, die ein rechtslastiger Strafverteidiger der vor Gericht stehenden NS-Funktionäre verbreitete, um Belastungszeugen unglaubwürdig zu machen. Das Hamburger Magazin revidierte sich im vergangenen Jahr.
Motive eines Christen
Die Recherche des Skandals ist nun dem Solinger Historiker Horst Sassin und dem Berliner Autor Wolfgang Heuer zu verdanken, der unter anderem für den internationalen „Hannah Arendt Newsletter” schreibt . Sie waren es auch, die zur deutschen Ausgabe der amerikanischen Gräbe-Biografie von Douglas Huneke beitrugen. Der kalifornische Pfarrer machte sich in den 80er Jahren daran, die Geschichte und die Motive eines deutschen Christen zu ergründen, der Hunderte von Juden vor der SS retten konnte. Kurz vor dessen Tod führte er ausgiebige Gespräche mit Gräbe. Auf diese Quelle stützt sich das Buch.
Huneke berichtet, wie der Bauingenieur 1941 im Auftrag der Reichsbahnverwaltung in die besetzte Ukraine kommt, wo er Lokschuppen baut. Die Auftragsbücher sind voll, bald beschäftigt er 2000 Menschen – die meisten davon Juden. Im November 1941 erschießt die SS Männer, Frauen und Kinder in aller Öffentlichkeit; Gräbe ist Augenzeuge von Massakern der Einsatzgruppen in Rowno, Dubno, Sdolbunow, Misocz und Ostrog.
Er beschließt zu helfen. Im kleinen Ort Sdolbunov kennt jeder jeden, dort kann er niemanden verstecken. Also richtet er Baustellen ein, die weit entfernt liegen. „Seine” Leute bringt er selbst mit dem Auto dorthin, sorgt dafür, dass sie bessere Verpflegung bekommen. Wenn der Auftrag erledigt, die Baustelle eigentlich geschlossen ist, lässt er die Geldgeber im Glauben, dass immer noch kräftig gearbeitet wird. Überdies verhilft Hermann Gräbe Juden zu gefälschten Papieren. 350 Menschen kann er so vor den Nazis retten. Gemeinsam mit seiner wichtigsten jüdischen Mitarbeiterin, Maria Bobrow, baut er so über Monate ein umfassendes Rettungsnetzwerk auf.
Seine Zeugenaussage stützte schon 1946 die amerikanische Anklage in den Nürnberger Prozessen. Gräbe erhielt Morddrohungen und emigrierte 1948 in die USA.
Hunekes Biografie ist historiografisch nicht an allen Stellen genau genug und stilistisch zuweilen unbeholfen. Dennoch wirft sie Licht auf ein Leben, das zu erzählen verdienstvoll ist. Das Buch fällt den Rufmördern ins Wort.
OLIVER SCHMOLKE
DOUGLAS K. HUNEKE: In Deutschland unerwünscht. Hermann Gräbe. Biographie eines Judenretters. Zu Klampen Verlag, Lüneburg 2002. 325 Seiten, 24 Euro.
Der Rezensent ist Politikwissenschaftler in Berlin.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Während Hermann Gräbe, der 350 Juden vor dem sicheren Tod durch die Nazis rettete, von jüdischen Organisationen als "Gerechter unter den Völkern" geehrt wurde, wurde er in Deutschland lange als Landesverräter, Hochstapler und Lügner diffamiert, bevor ihm 1994 endlich auch hier Gerechtigkeit widerfuhr, notiert Rezensent Oliver Schmolke in seiner Besprechung von Douglas K. Hunekes "In Deutschland unerwünscht". Huneke konnte kurz vor Gräbes Tod noch ausgiebige Gespräche mit ihm führen. Auf dieser Quelle basiert seine nun auf deutsch vorliegende Biografie des "Judenretters" Gräbe. Zwar ist die Biografie nach Schmolkes Ansicht nicht an allen Stellen historiographisch genau genug und bisweilen stilistisch unbeholfen. Dennoch werfe sie Licht auf ein Leben, das zu erzählen verdienstvoll sei.

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