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Produktdetails
  • Verlag: mirandA
  • Originaltitel: Paradoxia
  • Seitenzahl: 211
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 375g
  • ISBN-13: 9783934790001
  • ISBN-10: 3934790003
  • Artikelnr.: 08730361
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2000

Aus dem Tagebuch eines Raubtiers
Spoken-Word-Performance statt No-Wave-Gesang: Lydia Lunch liest

Lydia Lunch sieht aus wie eine Kreuzung aus einem Kobold und einem New-Wave-Star der achtziger Jahre. Und sie überfällt ihr Publikum mit einer Offenheit, die auch abgebrühten Verbalerotikern die Schamröte ins Gesicht treibt. Ihre Waffen sind Worte: gezischt, geraunt, geknurrt oder Buchstabe um Buchstabe genüßlich gelutscht und dann erst freigelassen. Jedes Mittel ist ihr recht, um jene Geschichten zu erzählen, die ihr das Leben auf die Haut und in die Seele brannte. "Seit ich elf war, habe ich jede Beziehung als psychologischen Test von Stärke, Willen, Macht, Kontrolle und Schmerz betrachtet", behauptet sie. Die extremsten Erfahrungen hat sie kreativ verarbeitet: in Liedern, Drehbüchern, Texten, Fotografien, Körperskulpturen und Performance-Rollen.

Schon mit sechzehn schrie sie sich, Tochter eines Verkäufers von Bibeln, in der New Yorker Punkband "Teenage Jesus and the Jerks" ihre Wut aus dem vom Vater mißbrauchten Leib und schrubbte dazu die Elektrogitarre. Die musikalische Kampfansage war so radikal und eigenwillig, daß die Kritiker sich genötigt fühlten, eine neue Schublade zu öffnen - und etikettierten sie mit dem Begriff "No Wave". Das war Ende der siebziger Jahre.

Lydia Lunch war schrill, hoffnungslos und versengte alles, was ihr zu nahe kam. Ein rasender Teenager, der noch nicht wußte, wen die geballte Ladung Aggression treffen soll und wo, eroberte für einen Augenblick das Musikbusiness. Fünfundzwanzig Jahre später sucht die Frau, die heute zu den Ikonen des Punk gezählt wird, die Öffentlichkeit mit Texten. Sie schreibt Bücher - und liest daraus vor. Spoken-Word-Performances heißen diese Lesungen, in denen sie die Konfrontation mit dem Publikum provoziert.

"Wenn du denkst, du kannst die Regeln der Rockmusik brechen, dann hörst du dich auch nur wie Chuck Berry in einer anderen Geschwindigkeit an", sagt sie und begründet damit, weshalb sie inzwischen auf Musik verzichtet. Sie vertraut nun völlig der Vehemenz ihrer Texte, der Hemmungslosigkeit ihrer Sprache, der Wucht und Gewalttätigkeit ihrer Formulierungen. Allerdings hat die Vierzigjährige für diese Attacken kein durchdringendes Timbre. Ihre Stimme klingt vielmehr wie die eines ganz gewöhnlichen wütenden Weibs.

Fast schon hinterlistig schleichen sich die Sätze an, setzen sich unauffällig fest, um erst später aufzugehen, zu wachsen und dann Unruhe zu stiften. Dabei spielt die Autorin mit dem harten Kontrast von Laut und Leise und mit Wiederholungen, daß es scheint, als würfen ihre Sätze Schatten. Ein Halbsatz ist noch nicht verklungen, da wiederholt sie ihn, so vorsichtig, zurückhaltend, geflüstert, daß man ihn kaum noch hört und die letzten Worte nur zu ahnen sind: "That's not me." - Das bin nicht ich.

Aber die anderen sind die anderen. Denn die Figuren ihrer Geschichten sind allesamt Menschen, die irgendwann für kürzer oder länger in ihr Leben getreten sind. Diese Personen zwingt sie in die Texte, um zu verhindern, selbst ausgenutzt zu werden - wie es ihr in ihren Beziehungen nur allzu oft passiert ist. Ihre Prosa wird zur menschlichen Nahkampf-Story.

Ihr aktuelles Buch "Paradoxie - Tagebuch eines Raubtiers" kommt auch ohne diese Erklärung aus, es attackiert den Leser mit einer kompromiß- und schnörkellosen Sprache und erschreckend-düsteren Inhalten. Wie in einer Chronik beschreibt Lunch lauter Liebesgeschichten, die keine sind, Beziehungen, hinter deren Fassaden Gewalt, Haß und brutaler Sex herrschen - und eine nie gestillte Sehnsucht nach Gefühlen. Nach Gut und Böse, Tätern und Opfern fragt die "Königin des Schmerzes" dabei schon lange nicht mehr. Und wenn es an einer Stelle heißt: "There's some kind of beast in my bed", weiß man nicht, ob sie damit sich beschreibt oder ihren aktuellen Liebhaber.

Anna-Bianca Krause

Heute abend um 21 Uhr tritt Lydia Lunch zusammen mit Gene Gregories & Buddy Giovinazzo in der Trompete, Lützowplatz 9, Tiergarten, auf.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Die taz bespricht gleich zwei soeben im Deutschen erschienene Bücher der amerikanischen hartgesottenen Schockerautorin Lydia Lunch.
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