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Idee und Begriff der Demokratie sind im Denken von Peirce, James und Dewey so tief verankert, daß man vom Pragmatismus geradezu als "Philosophie der Demokratie" gesprochen hat. Umgekehrt gehört eine radikal antiegalitäre, antidemokratische Haltung zum programmatischen Kern des faschistischen Denkens. Doch wie ist es dann möglich, daß in den zwanziger und dreißiger Jahren der (italienische) Faschismus von zahlreichen Autoren in den USA wie in Europa als politischer Ausdruck des Pragmatismus begriffen wurde? Wie konnten sogar einige Pragmatisten dieser Auffassung sein?

Produktbeschreibung
Idee und Begriff der Demokratie sind im Denken von Peirce, James und Dewey so tief verankert, daß man vom Pragmatismus geradezu als "Philosophie der Demokratie" gesprochen hat. Umgekehrt gehört eine radikal antiegalitäre, antidemokratische Haltung zum programmatischen Kern des faschistischen Denkens. Doch wie ist es dann möglich, daß in den zwanziger und dreißiger Jahren der (italienische) Faschismus von zahlreichen Autoren in den USA wie in Europa als politischer Ausdruck des Pragmatismus begriffen wurde? Wie konnten sogar einige Pragmatisten dieser Auffassung sein?
Autorenporträt
Peter Vogt, geboren 1971, arbeitete nach seiner Promotion eine Zeitlang als freier Lektor und Publizist und war für The Boston Consulting Group in München tätig. Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Neueren Geschichte in München, Tübingen und Berlin; 1997 Forschungsaufenthalt an der New School for Social Research, New York; 1999 Forschungsaufenthalt am Center for Dewey Studies, Carbondale (Illinois). 1998-2000 Mitglied des Graduiertenkollegs "Demokratie in den USA" am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der FU Berlin. Für seine Dissertation Pragmatismus und Faschismus erhielt Peter Vogt den J.-William-Fulbright-Dissertationspreis der Fulbright-Kommission.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2002

Nicht hinter jedem Schumpeter steckt ein Schwarzhemd
Ganz schön kreativ: Peter Vogt konstruiert eine Wahlverwandtschaft zwischen Faschismus und philosophischem Pragmatismus

Diese Studie, ursprünglich eine am John F. Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin verfaßte Dissertation, hat sich die Erforschung einer ungewöhnlichen ideengeschichtlichen Konstellation vorgenommen. Sie will das Beziehungsgeflecht zwischen Faschismus und der philosophischen Richtung des Pragmatismus entwirren und ihre Gemeinsamkeiten und Differenzen benennen. Daß zwischen Faschismus und Pragmatismus beträchtliche Unterschiede bestehen, wird niemand bestreiten wollen; bereits der Hinweis auf die gegensätzliche Einschätzung der Demokratie genügt, um den Abstand zwischen Faschismus und Pragmatismus deutlich zu machen, von der unterschiedlichen Bewertung bürgerlicher Sozialität, intelligenter Kooperation und alltäglichem Handeln ganz zu schweigen. Daß es neben diesen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten geben könnte, wesentliche Gemeinsamkeiten, die ideengeschichtliches Interesse verdienen und eine nähere Untersuchung lohnen, schien bislang undenkbar.

Peter Vogt versucht nun zu zeigen, daß es diese unvermuteten Gemeinsamkeiten wirklich gibt. Es gibt nämlich, so seine Überzeugung, eine Geschichte der wechselseitigen Aufmerksamkeit und Rezeption von Faschismus und Pragmatismus. Und dieses Interesse aneinander muß, so die erkenntnisleitende Vermutung des Autors, einen sachlichen Grund haben. Seine These lautet: Zwischen Faschismus und Pragmatismus besteht eine "Wahlverwandtschaft", die freilich nicht offen zutage liegt, sondern nur durch einen ideengeschichtlichen DNA-Test ans Licht gebracht werden kann. Dabei werde sich zeigen, so Vogt weiter, daß Faschismus und Pragmatismus in Reaktion auf den Verlust der geschichtstheoretischen und moralischen Gewißheiten der Aufklärungsepoche gleichermaßen eine Sensibilität für Kontingenz und eine hohe Wertschätzung der Kreativität entwickelt haben. Nur hinsichtlich der theoretischen Ausdeutung dieser Konzepte seien sie dann entgegengesetzte Wege gegangen. Dem Faschismus wird damit die nicht geringe Ehre zuteil, gemeinsam mit dem Pragmatismus die Metaphysik- und Verbindlichkeitskrise gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zur Überwindung der "Kreativitäts- und Kontingenzvergessenheit des modernen Denkens" genutzt zu haben.

Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Faschismusrezeption des amerikanischen Pragmatismus. Vogts Quellen sind die Schriften von Herbert Schneider und Herbert Croly. Schneider, 1917 bei Dewey promoviert und zeitweilig auch dessen Assistent, hatte nach einem Forschungsaufenthalt in Italien 1926 und 1927 einige Arbeiten über den Faschismus veröffentlicht. Sie sind für Vogt ein Zeugnis eines Pragmatismus, der aus Sympathie mit dem prinzipienlosen, technokratischen Politikverständnis des Faschismus das originär-pragmatische, also Deweysche Demokratiekonzept verfälscht. Die Demokratie verliert ihren intrinsischen Wert, sie wird zu einem bloßen Instrument, das in bestimmten Situationen nützlich ist, um eine intelligente Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft zu verwirklichen. Diese instrumentalistische Perspektive wird auf die gesamte Politik ausgedehnt; ein Nationalmachiavellismus ist die Folge, der sich durch keine moralischen oder religiösen Tabus davon abhalten läßt, das zu tun, was im Interesse des Volkes notwendig ist. Freilich bedarf es nicht der Berührung mit dem faschistischen Kontaktgift, um ein instrumentalistisches Demokratieverständnis zu favorisieren. Daß Demokratie nur ein Verfahren sei, über das man "rational wie über eine Dampfmaschine oder über ein Desinfektionsmittel diskutieren" könne, war auch Schumpeters Meinung. Aber zugegeben, für einen im Umkreis Deweys philosophisch ausgebildeten Pragmatisten ist eine solche instrumentalistische Reduktion der Demokratie schon ungewöhnlich.

Peter Vogts anderer amerikanischer Gewährsmann ist Herbert Croly, Autor von "The Promise of American Life" (1909) und "Progressive Democracy" (1914) und einer der Gründer und Herausgeber von The New Republic. Croly gehört nun nicht der pragmatistischen Schule an, hat aber einige Aufsätze über den Faschismus verfaßt, die Vogt referiert. Sie machen deutlich, daß Croly der Idee einer ethisch gehaltvollen, wertintegrierten Gesellschaft anhing, jedoch der pluralistischen Demokratie nicht zutraute, dieses Ideal zu verwirklichen. Statt dessen setzte er, wohl unter dem Einfluß seiner Beschäftigung mit dem Faschismus, auf autoritäre Führungssysteme.

Freilich bedurfte es nicht unbedingt der Rezeption faschistischen Schrifttums, um vom pragmatistischen Demokratieideal abzuweichen. Vogt zeigt selbst, daß der geistesgeschichtliche Hintergrund in Nordamerika zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts allgemein durch Denkströmungen geprägt war, die durchaus bereit waren, mit Schumpeterscher Nüchternheit das demokratische Verfahren lediglich als Methode zu betrachten, dessen Eignung allein von dem gewählten Zweck der Politik abhängt und das zur Disposition gestellt werden muß, wenn es sich aufgrund von Rationalitäts- und Effizienzdefiziten als Modernisierungshemmnis erweisen sollte. Vogt teilt im ersten Kapitel seiner Arbeit viele interessante ideengeschichtliche Details mit, jedoch die versprochene Beziehungsgeschichte zwischen Faschismus und Pragmatismus findet nicht statt. Noch weniger erfährt man etwas über ihre angeblich geteilten Überzeugungen von der Kontingenz der Geschichte und der überragenden Bedeutung der Kreativität. Das Thema des ersten Kapitels ist ausschließlich die Bereitschaft dem Pragmatismus nahestehender, aber auch anderer amerikanischer Intellektueller, die Demokratie, teils unter dem Einfluß der Bekanntschaft mit faschistischem Denken, teils unabhängig von allem Faschismus, moralisch zu entzaubern und als modernitätstaugliches Politikinstrument in Frage zu stellen.

Das zweite Kapitel geht zurück nach Europa und behandelt die Pragmatismusrezeption durch den Faschismus. Die von Vogt dabei herangezogenen Autoren sind Sorel, Papini und Prezzolini, Eduard Baumgarten, Arnold Gehlen, Henri Bergson und Friedrich Nietzsche. Über Sorel erfahren wir, daß er den Pragmatismus zur philosophischen Rückendeckung für einen Wirklichkeitspluralismus benutzte, der sich kritisch gegen den ontologischen Monismus des naturwissenschaftlichen Physikalismus richtet und den Raum freigibt, den Sorel für seine soziale Mythologie braucht.

Weiterhin erfahren wir, daß Sorel in der amerikanischen Gesellschaft einen durch keine universalistische Moraldiktate erschütterbaren kollektiv-heroischen Selbstbehauptungsinstinkt am Werk sah. Freilich hat es für diese Deutung des markigen amerikanischen Moralismus zwischen Frontier-Mythos und Lynchjustiz nicht einer Rezeption des Pragmatismus bedurft. Letztlich ist die Schnittmenge zwischen Sorels konzeptueller Melange aus zu Taten bewegendem Mythos und gewaltentsprungener, antidekadenter Moralität einerseits und der Philosophie des Pragmatismus andererseits überaus klein.

Dieser Befund läßt sich hinsichtlich der folgenden Darstellungen wiederholen. Vogt mißt der von ihm behaupteten Beziehungsgeschichte zuviel Gewicht bei. Sicherlich ist es so, daß die Denker der Faschismus-Fraktion ihre Positionen nicht in "Auseinandersetzung mit dem Pragmatismus" herausgebildet haben, sondern völlig unabhängig davon. Der Strom antiaufklärerischen, antirationalistischen, antiliberalen Denkens ist mächtig und entstammt Europas Mitte; da hat es einer katalysatorischen Begegnung mit dem Pragmatismus nicht bedurft. Alles das, was über die faschistischen Denkmotive der Papini, Prezzolini, Gehlen, Bergson und Nietzsche mitgeteilt wird, ist bekannt und erhält durch die behauptete Rezeption der Philosophie des Pragmatismus keine neue Bedeutungsfacette.

Aber Vogt hat ja nicht nur behauptet, daß es eine Beziehungsgeschichte zwischen Faschismus und Pragmatismus gibt, er hat auch behauptet, daß eine strukturelle Wahlverwandtschaft zwischen ihnen besteht. Da die Strukturverwandtschaft zweier Theorien nicht voraussetzt, daß diese Theorien selbst durch eine Auseinandersetzung miteinander geprägt sind, kann die systematische Hauptthese auch dann wahr sein, wenn die Rede von der Beziehungsgeschichte sich als Übertreibung entpuppt. Jedoch ist das, was der Verfasser im dritten Kapitel seiner Untersuchung vorträgt, nicht dazu angetan, die Wahlverwandtschaftsthese zu stützen.

Mag man den Pragmatismus auch als ein Geschöpf der Krise ansehen, durch das Bemühen geprägt, angesichts der kulturellen und gesellschaftlichen Verwerfungen gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts neuen Stand zu gewinnen, so zeichnet er sich dadurch aus, daß er sich entschieden weigerte, angesichts der kulturellen und gesellschaftlichen Verwerfungen um sich herum den Kopf zu verlieren. Seine Krisenwahrnehmung hat nichts mit der Krisenwahrnehmung der Faschisten gemein. Anders als die lebensphilosophischen Hysteriker, die in Tiefenschichten der Seele abtauchenden Vernunftverächter und die kriegswütenden Gewaltexpressionisten Alteuropas blieben die Pragmatisten nüchtern. Gewißheitsverlust und Verbindlichkeitserosion haben sie nicht in Panik versetzt, wie die Konservativen. Die Entdeckung historischer Kontingenz hat in ihnen keine Euphorie ausgelöst. Und die Aufmerksamkeit auf den Kreativitätscharakter menschlichen Handelns hat sie nicht gleich in mensch-göttlichen Größenwahn getrieben.

Während die lebensphilosophisch-faschistischen Manifest-Denker die von allem geschichtsphilosophischen Determinismus befreite Geschichte voluntaristisch vereinnahmten und sich auf kriegerische Kreativitätsorgien vorbereiteten, ging es den Pragmatisten darum, eine solide Handlungstheorie zu entwickeln, die die cartesianischen Dichotomien und die kantischen Schroffheiten abschüttelt. Der Pragmatismus kennt eine leibhafte Vernunft; begreift Handeln nicht als maschinenmäßige Wissensverwirklichung und Regelanwendung, bringt zudem den Handelnden und die Handlung in die vorgegebenen Kontexte des Sozialen zurück. Indem das Handeln wieder an seinen lebensgeschichtlichen und lebensweltlichen Ort gestellt wird, wird seine Kreativität sichtbar. Durch einen Sockel von Üblichkeiten stabilisiert, bewährt sie sich als reflexive und intelligente Problemlösungsphantasie im Fall des Versagens bestimmter Handlungsroutinen und bleibt sich dabei der Vorläufigkeit ihrer Konzepte stets bewußt.

Die Bedeutung von Begriffen wird durch ihre theorieimmanente Vernetzung festgelegt, und die könnte bei den Pragmatisten und den Faschisten verschiedener nicht sein. Die These von der gemeinsam vorangetriebenen Rehabilitierung der Kreativität ist sinnlos. Eine pragmatistische Kreativität, die sich im alltäglichem Handlungsleben zeigt und als Situationskompetenz und praktische Lösungsphantasie ausdrückt, und eine faschistische Kreativität, die in einer phantastischen Göttlichkeit des gewalttätigen Ausnahmemenschen kulminiert, haben nur noch den Namen gemein.

WOLFGANG KERSTING

Peter Vogt: "Pragmatismus und Faschismus". Kreativität und Kontingenz in der Moderne. Verlag Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2002. 368 S., br., 35,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In seiner Studie "Pragmatismus und Faschismus" sucht Peter Vogt eine "Wahlverwandtschaft" zwischen Faschismus und philosophischem Pragmatismus aufzuzeigen. Das findet Rezensent Wolfgang Kersting zwar "ganz schön kreativ", aber letztlich wenig überzeugend. Vogts Beschäftigung mit der Faschismusrezeption des amerikanischen Pragmatismus - seine Quellen sind die Schriften von Herbert Schneider und Herbert Croly - bringt nach Einschätzung Kerstings zwar "viele interessante ideengeschichtliche Details" ans Licht, die versprochene Beziehungsgeschichte zwischen Faschismus und Pragmatismus bleibt sie jedoch schuldig. Noch weniger erfahre man etwas über die angeblich geteilten Überzeugungen von der Kontingenz der Geschichte und der überragenden Bedeutung der Kreativität. Auch in seiner Behandlung der Pragmatismusrezeption durch den Faschismus in Europa - Autoren wie Sorel, Papini und Prezzolini, Eduard Baumgarten, Arnold Gehlen, Henri Bergson und Friedrich Nietzsche stehen hier im Mittelpunkt - liefere Vogt keine überzeugenden Argumente für seine Hauptthese, kritisiert Kersting. Für Kersting ist klar, dass die Denker der Faschismus-Fraktion ihre Positionen nicht, wie Vogt behauptet, in "Auseinandersetzung mit dem Pragmatismus" herausgebildet haben, "sondern völlig unabhängig davon". Alles das, was Vogt über die faschistischen Denkmotive der Papini, Prezzolini, Gehlen, Bergson und Nietzsche mitgeteile, ist für Kersting "bekannt" und erhalte durch die behauptete Rezeption der Philosophie des Pragmatismus "keine neue Bedeutungsfacette".

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