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In Motherless Brooklyn finden sich messerscharfe Dialoge, durchtriebener Sprachwitz und die Komplexität des Plots Seite an Seite mit einer Charakterisierung Brooklyns. Und so wird dieses Viertel mit seiner ureigenen Sprache und Lebensart, seiner Mischung aus aggressiver Pose und Sentimentalität, selbst zu einer Hauptfigur der Geschichte. Das Waisenhaus St. Vincents, in Brooklyn, frühe siebziger Jahre. Für Lionel Essrog, der am Tourette-Syndrom leidet (dessen Symptome u.a. darin bestehen Unsinn zu reden, alles und jeden in Reichweite zu berühren und umherliegende Gegenstände neu zu…mehr

Produktbeschreibung
In Motherless Brooklyn finden sich messerscharfe Dialoge, durchtriebener Sprachwitz und die Komplexität des Plots Seite an Seite mit einer Charakterisierung Brooklyns. Und so wird dieses Viertel mit seiner ureigenen Sprache und Lebensart, seiner Mischung aus aggressiver Pose und Sentimentalität, selbst zu einer Hauptfigur der Geschichte. Das Waisenhaus St. Vincents, in Brooklyn, frühe siebziger Jahre. Für Lionel Essrog, der am Tourette-Syndrom leidet (dessen Symptome u.a. darin bestehen Unsinn zu reden, alles und jeden in Reichweite zu berühren und umherliegende Gegenstände neu zu arrangieren), ist Frank Minna so etwas wie ein Erlöser. Der im ganzen Viertel beliebte Ganove taucht eines Tages auf und nimmt Lionel und drei weitere Jungs mit auf seine mysteriösen Jobs quer durch Brooklyn. Aus den vier Waisen werden so die Minna Men, die von Detektei- bis Fahrdiensten alles anbieten. Ihre Tage und Nächte drehen sich um Frank, den Prinzen von Brooklyn, der mit großer Klappe durchs Leben eilt. Dann kommt die furchtbare Nacht, in der Frank niedergestochen wird und Lionel auf sich selbst gestellt ist. Auf der Suche nach Franks Mörder verstrickt er sich tiefer und tiefer in Brooklyns Unterwelt und versucht sich in den Verflechtungen aus Drohungen und Gefälligkeiten zurechtzufinden, die die geheimen und unüberschaubaren Gesetze dieses Viertels ausmachen. Seine Tourette-Anfälle machen ihn dabei zu einem Sonderling, der aber herausfindet, daß niemand ist, was er zu sein schien: weder Frank, noch seine verbitterte Frau Julia, nicht einmal die Minna Men.
Verfilmung von und mit Edward Norton und Willem Dafoe, Bruce Willis und Alec Baldwin!

»Lethem ist ein König der Sätze. Sein Talent ist riesig und sein Blick so scharf wie eh und je.«
New York Times

Ein ermordeter Mafioso mit großem Herz und großer Klappe. Ein kleiner Gangster mit Tourette-Syndrom auf der Spur des Verbrechens. Messerscharfe Dialoge und grandioser Sprachwitz vor der Kulisse der Unterwelt Brooklyns.

Das Waisenhaus St. Vincents in Brooklyn, frühe siebziger Jahre. Für Lionel Essrog, der am Tourette-Syndrom leidet, ist Frank Minna so etwas wie ein Erlöser. Der im ganzen Viertel beliebte Ganove taucht eines Tages auf und nimmt Lionel und drei weitere Jungs mit auf seine mysteriösen Streifzüge quer durch Brooklyn. Aus den vier Waisen werden so die Minna Men, die von Detektei bis Fahrdiensten alles anbieten. Ihre Tage und Nächte drehen sich um Frank, den Prinzen von Brooklyn, der mit großer Klappe durchs Leben eilt. Dann kommt die furchtbare Nacht, in der Frank niedergestochen wird und Lionel auf sich selbst gestellt ist. Auf der Suche nach Franks Mörder verstrickt er sich tiefer und tiefer in Brooklyns Unterwelt und die geheimen und unüberschaubaren Gesetze dieses Viertels, in dem niemand ist, was er zu sein scheint.

»Eine geniale Mischung aus Spannung, Intelligenz und Kunstfertigkeit.«
Die Zeit
Autorenporträt
Jonathan Lethem, geboren 1964 in New York, ist Autor zahlreicher Romane, darunter die Brooklyn-Romane »Motherless Brooklyn« und »Die Festung der Einsamkeit«. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. den »National Book Critics Award«, den »Gold Dagger« und das »MacArthur Fellowship«. Lethem hat am Pomona College in Südkalifornien die Professur für Creative Writing inne. Zurzeit lebt er mit seiner Familie in Kalifornien.Weitere Informationen zu Jonathan Lethem finden Sie auf seiner Website www.jonathanlethem.com
Rezensionen
Tic im Alter
Schlimm, in den siebziger Jahren in einem Waisenhaus aufwachsen zu müssen. Noch schlimmer, wenn dieses sich im tiefsten Brooklyn befindet. Nahezu unvorstellbar jedoch, wenn man - wie der Ich-Erzähler - ein "Touretter" ist, dessen Tic im Alter von zwölf Jahren darin besteht, seine Mitmenschen anfassen, umarmen und küssen zu müssen ... Nicht wirklich der beste Weg sich an einem solchen Ort Freunde zu machen, zumal niemand dieses Verhalten wirklich als Ausprägung einer Krankheit erkennt.
Klar, dass es da fast ein Quantensprung ist, als plötzlich dieser Mann - Frank Minna - ankommt und ein Quartett bis dato lose verfeindeter Jungs (alle ohne Anverwandte, daher "Motherless Brooklyn") regelmäßig aus dem Heim holt, damit sie Transportarbeiten für ihn durchführen.
Freakshow
Die Entlohnung ist nicht der Rede wert (ein paar Dollar, ein Bier, etwas zu essen), aber für diese Kinder ist es, als hätten sie eine neue Familie gefunden. Der Kleinganove Minna bringt ihnen mehr über das Leben bei, als alle ihre Lehrer zusammengenommen. Er ist es auch, der dafür sorgt, dass Protagonist Lionel, sein Etikett "Freakshow" erhält - so wie Tony der Italiener und Gilbert nicht eben mit Geistesgaben gesegnet ist - und genau dadurch Teil der Gemeinschaft wird.
Und Minna ist es zu verdanken, dass Lionel endlich weiß, woher seine Tics kommen und dass er nicht der einzige Mensch auf der Welt ist, der an "so etwas" leidet.
Wen wundert es also, dass Frank Minna für diesen Jungen eine ganz besondere Bedeutung bekommt. Seine Leichtigkeit, das Leben zu nehmen und sein Witz - das beeindruckt und prägt Lionel.
So will er werden, so MUSS er werden.
Minna hilft ihm aus der Sprachlosigkeit, um ihn in eine Flut von Worten zu stürzen - als Ergebnis ergänzt bzw. ersetzt "der Freak" seine bisherigen Tics durch Echolalie (das unfreiwillige Wiederholen von Worten), Koprolalie (das zwanghafte Ausstoßen von Flüchen oder Obszönitäten), dem Bedürfnis frei zu assoziieren oder Wortspiele zu kreieren. - Großes Kompliment an dieser Stelle an Übersetzer Michael Zöllner, der seinerseits wahre Meisterleistungen bei der Bildung ähnlich klingender Wortschöpfungen vollbracht hat.
Schnitt - Zwei Jahre später:
Minna, den irgendjemand ziemlich massiv aus der Stadt vertrieben hat, kehrt zurück - verbittert, härter, entschlossener und mit einer neuen Aufgabe für "seine Jungs": Detektive werden. In der Praxis stellt es sich allerdings so dar: angezapfte Leitungen abhören, Geld eintreiben, mysteriöse Pakte abholen, Leute beschatten oder durch ihre pure Präsenz einschüchtern.
Schnitt - nochmals 15 Jahre später
Frank Minna ist tot. Umgebracht. Fast vor den Augen seiner Schützlinge. Grund genug für Lionel Essrog - ungeachtet der damit verbundenen Schwierigkeiten, Drohungen, ja sogar Gefahren für sein eigenes Leben, alles daran zu setzen, die Person(en) zu finden, die für den Tod seines Mentors verantwortlich ist/sind.
Was dann passiert, ist nicht nur spannend, sondern eine unglaublich rasante Verfolgungsjagd, deren Tempo durch die periodisch auftretenden Anfälle des Helden auf teilweise fast unerträgliche Weise gesteigert wird.
So fühlbar sind seine Qualen, dass sich auch der Leser dem hilflosen Ausgeliefert sein kaum entziehen kann. So etwa wenn der Touretter vergeblich versucht, sich zu artikulieren und einen wichtigen Sachverhalt klar zu schildern, doch stattdessen von seinen Tics kontrolliert und beherrscht wird. Man möchte ihm helfen - wie einem Stotterer oder einem Dreijährigen in seiner Wortfindungs-Phase - und kann es doch nicht.
Action und Witz inklusive
Dann kommt der Punkt, an dem es dem Leser absolut nachvollziehbar, ja fast logisch erscheint, alles sechsmal berühren zu müssen, auf Oberflächen zu klopfen, permanent die eigene Umgebung ins Visier zu nehmen.
Angereichert wird das Ganze durch die stellenweise (unfreiwillige) Komik mancher Situationen - wenn etwa der Detektiv der Mordkommission der Ansicht ist, Lionel spräche in super-heißem Straßenslang mit ihm, während dieser nur seine Koprolalie auslebt: "Tourette ist der Shitsohn" "Keine Angst, ich werde ihm nicht sagen, wer ihn verraten hat."
Alles in allem kann man sagen, dass es hier einem Autor gelungen ist, einen packenden Krimi, hintergründige Handlung, Action und Witz inklusive, und gleichzeitig eine ungemein interessante Story in der Story zu schaffen: dem Leser nämlich Einblick zu verschaffen in das Leben mit dem Tourette-Syndrom, ohne die Betroffenen dabei vorzuführen.
Fazit: 370 Seiten, bei denen sich jede Zeile lohnt - unbedingt lesen! (Michaela Pelz, krimi-forum.de)

"Wenn Lethem die Starkstromkabel populärer Genres kurzschließt, um dann den Funkenschlag zu beschreiben, schlägt sein Witz voll durch." (The Voice Literary Supplement)

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Sacha Verna unterscheidet drei Sorten von Schriftstellern: solche mit Aufklärungsanspruch, solche mit Therapierungswünschen und solche mit Unterhaltungsanspruch, die im besten Fall nebenbei auch noch politisch aufklären. Solch ein bester Fall ist nun mit Jonathan Lethem eingetreten, behauptet Verna, sein Roman sei spannend, intelligent und gut geschrieben. Nein, mehr als gut geschrieben, schwärmt die Rezensentin: er brennt ein sprachliches Feuerwerk ab, eine Lobeshymne auf den Stadtteil Brooklyn, der zwar ziemlich pittoresk wirke, weil die Geschichte teilweise im Gangstermilieu spielt, aber dennoch nicht erfunden. Dass dieser Roman wahre Wortkaskaden abfeuert, die die Rezensentin Begeisterungsrufe anstimmen lässt, liegt auch an der Hauptfigur des Romans, gesteht Verna, dem Ich-Erzähler Lionel Essrog, auch "freie Freakshow" genannt, der nämlich am Tourette-Syndrom leidet und dem alles Mögliche unkontrolliert entgleitet. Die Geschichte komme aber ohne falsche Sentimentalität und Betroffenheit aus, beteuert Verna, da steuere Lethems Hang zur Übertreibung und Parodierung schon gegen. Auf deutsch lese sich das ganze nur halb so spritzig wie Original, sei aber dennoch unbedingt zu empfehlen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2001

Ermittlung zu Babel
Jonathan Lethems kriminelles Zungenreden · Von Dietmar Dath

Dieser Roman zieht die Paradoxa aus seinen Selbstverständlichkeiten wie ein Zauberer Kaninchen aus Zylindern: "Motherless Brooklyn" ist der Familienroman eines Waisenjungen, das Sprachkunstwerk eines Sprachgestörten und ein harter Krimi, der dennoch in der Tradition klassisch modernen Erzählens zwischen Djuna Barnes' "Nachtgewächs" und Joyce' "Dubliners" steht.

Der 1964 in Manhattan geborene Jonathan Lethem besitzt alle Voraussetzungen, eine wichtige Stimme zwar nicht seiner Generation, aber doch eines Segments der amerikanischen Gegenwartsliteratur zu werden, das im Augenblick von Joyce Carol Oates über Stephen King bis zu Chuck Palahniuk, dem Autor der Romanvorlage zu dem Film "Fight Club", Angehörige mehrerer Generationen in sich aufgenommen hat: das Phantastisch-spekulative.

Die Phantastik scheint kulturgeschichtlich derzeit an die visuellen und interaktiven Medien gefesselt. Filme und Computerspiele bieten visuelle Schocks, die mit Worten schwer zu überbieten sind. Lethem besinnt sich da auf eine alte Tugend der phantastischen Literatur: die Anmut erzeugende, weil unabgeschlossene, ins Unendliche weisende Reflexion samt ihrer Begleiterinnen Witz und Ironie. Lethem, Sohn eines prototypisch bohemistischen Elternpaars (Maler, Hippies, Rockfans, Universitätslehrer), behandelt gerade die Popkultur, von Krimis bis zum Hip-Hop, nicht als staunenswert unschuldiges Reservoir wirkmächtiger Bilder, sondern als zweite Natur, bei deren Verarbeitung zu Texten man sich keinesfalls weniger Mühe geben darf als der Lyriker der Vergangenheit beim Schildern betauter Wiesen.

Der Kriminalfall, den der Ich-Erzähler aufzuklären (oder zügig immer involvierter zu verwirren) berufen ist, scheint simpel: Sein Mentor, ein Teilzeit-Mafioso und spendabler Aufschneider namens Frank Minna, der im multiethnischen Brooklyn einen dubiosen Observierungs- und Transportservice betreibt, wird nach einer fehlgeschlagenen Überwachung verstümmelt und blutüberströmt in einem Müllcontainer gefunden. Lionel Essrog, der Erzähler, und sein Kollege, der vierschrötige und tumbe Gilbert Coney, bringen ihren Boß ins Krankenhaus, reißen unterwegs ein paar Witze, und wer Quentin Tarantinos Film "Reservoir Dogs" gesehen hat, weiß bereits, daß dieses flapsige Daherreden und gleichzeitige Baden in Blut eine Sterbeszene einrahmt, deren Pathos gerade in der Vermeidung jeglicher Form von Pathos liegt.

Frank Minna stirbt im Krankenhaus. Sein Angestellter Lionel und dessen drei Kollegen, die "Minna Men" Gilbert, Tony und Danny, sind zum zweiten Mal in ihrem Leben gezwungen, sich ohne väterlichen Beistand durchzukämpfen - Ende der siebziger Jahre hatte Minna die vier im örtlichen Waisenhaus rekrutiert. Sie sind ein quasimythisches Team, das in seiner Rollenstruktur die möglichen Personae der großen weißen amerikanischen Männerimago so perfekt abbildet, wie die Gruppe Löwe, Blechmann und Vogelscheuche die idealen Begleiter der kleinen Dorothy im "Zauberer von Oz" waren: Tony, der unsichere und darum großmäulige Italoamerikaner, Gilbert, der treuherzige Macho und loyale Freund, Danny, der "weiße Neger" im Sinne Norman Mailers (er liebt Basketball, hört als erster an seiner Schule die Sugarhill Gang und grüßt mit "Yo!"), und schließlich Lionel Essrog selbst, die "Freakshow", wie Minna ihn tauft.

Denn Lionel, aus dessen Perspektive der Leser die Ereignisse beim Übereinanderstürzen beobachten darf, leidet am Tourette-Syndrom, einer Störung des Zentralnervensystems, bei der zwanghafte Verhaltensmuster wie Streicheln von Leuten oder permanentes Ordnen von Gegenständen, manische Logorrhöe und beleidigende Ausbrüche wie ein unerwünschtes Pfingstwunder über die Befallenen kommen. Die Krankheit, wie Lethem sie schildert, ist ein extrovertiertes Komplementärleiden zum Autismus: Mitteilungs- und Handlungsdrang bedingen eine Vereinsamung, die sich neben der von "Rain Man" allemal sehen lassen kann.

In der Umkehrung dieser Beschreibung liegt eine weitere Paradoxie des Romans: Die Krankheit stellt als permanentes Sprach-Erregungsmovens zugleich die Mittel bereit, sich mit ihren Folgen zu arrangieren. "Haben Sie bemerkt", wendet sich Essrog einmal in einem seiner zahlreichen Durchbrüche durch die "vierte Wand" zwischen Personen und Publikum an den Leser, "daß ich alles auf mein Tourette zurückführe? Genau, Sie haben es erraten, ein weiterer Tic. Zählen ist ein Symptom, aber Symptome zählen ist auch ein Symptom, ein Ticplusultra. Ich habe Meta-Tourette."

Was passiert - der Mord an Minna, die kollektive Selbstfindung der Minna Men, die Verstrickung von Minnas Frau und seines undurchsichtigen Bruders ins Verbrechen, das Brodeln der japanisch-italienisch-jüdischen Psychogeographie von Brooklyn, Umtriebe um den Zenbuddhismus und die Fast-Liebesgeschichte Lionels mit einem Mädchen namens Kimmery -, wird vom sprudelnden Sprachquell "Lionel Essrog" in einem Tempo ausgestoßen, als ginge es nicht nur darum, seine Geschichte "im Gehen zu erzählen" (die immer wiederkehrende Wendung stammt aus einer der zahlreichen Brooklyn-Anekdoten des Buches), sondern vor allem darum, die Flut der Tics zu bändigen. Lionel erklärt seine Krankheit im Gehen, sagt grundsätzlich die Wahrheit und wird gerade deshalb permanent mißverstanden - ein Polizist glaubt einmal sogar, Lionels Hinweis auf "Tourette" betreffe eine in den Fall verwickelte Person.

Ein sprachlich so konsequent durchgestaltetes Buch zu übersetzen, in dem allein der Name der Hauptfigur, gespiegelt von deren holographischem Bewußtsein, ungefähr dreihundert Permutationen durchläuft (die hier etwa als "Lügnie Freßtrog" oder "Finaler Export" wiedergegeben werden) und sprachliche Mini-Motivsplitter wie Schrapnelle durch den narrativen Raum rasen, muß schwieriger sein, als den sprichwörtlichen Flohsack zu hüten. Wäre das Ganze nicht letztlich doch auch ein spannender Krimi, bei dem man umblättert, um zu erfahren, wer der Mörder ist, müßte "Motherless Brooklyn" vor lauter linguistischem Einfallsreichtum auseinanderfallen - wenn Lewis Carroll und Raymond Queneau zusammen ein Drehbuch geschrieben hätten, damit Humphrey Bogart einmal wirklich vertrackte Dialoge sprechen kann, wäre wohl etwas Ähnliches dabei herausgekommen.

Natürlich ist der Tourette-Kranke bei Lethem eine reine Kunstfigur - wie der Psychokiller, den Bret Easton Ellis in "American Psycho" seine Geschichte erzählen läßt, ist "Essrog" keine Fallstudie, sondern der Versuch, eine hochelaborierte erzählerische Perspektive mit diagnostischer Wahrscheinlichkeit auszustatten,

Wer sich je gefragt hat, wie Raymond Chandlers und Dashiell Hammetts Detektivstory-Erzähler bei ihrem Bildungsstand und sozialen Hintergrund eigentlich imstande waren, permanent diese großartigen Vergleiche und imagistisch dichten Metaphern hervorzubringen, für den hat Lethem jetzt die Lösung gefunden: Sie waren eben sprachgestört, die Wörter hatten mehr Macht über sie als selbst ihr verschrobener Ehrenkodex. Mit dieser gleichsam wissenschaftlich vorgehenden Plausibilisierung des Abstrusen verrät Lethem seine Herkunft - das Genre, dem er eigentlich entstammt, ist die Science-fiction, genauer: die spekulative Erzähltradition der großen amerikanischen SF-Autoren vor allem der sechziger und siebziger Jahre.

In Interviews bekennt Lethem seine Verbundenheit zu Autoren der "New Wave" jener Zeit wie dem Erzähler und Filmautor Harlan Ellison oder dem schwarzen SF-Schriftsteller und Literaturprofessor Samuel R. Delany, dessen Riesenroman "Dhalgren" Echos durch fast alles sendet, was Lethem geschrieben hat. Lethems erster Roman, "Gun, with occasional Music" von 1995, war ein in der nahen Zukunft spielender Kriminalroman, zu dessen Prämissen unter anderem das Wörtlichnehmen einer Chandler-Metapher gehört: "so unübersehbar wie ein Känguruh in einem Dinnerjackett". Biotechnologisch aufgerüstete Känguruhs sind dem Ich-Erzähler als Handlanger von Kriminellen auf den Fersen, Wahnsinn blüht.

Der Roman war hierzulande eine kurze Zeit lang als Heyne-SF-Taschenbuch lieferbar, Lethems übrige Bücher, darunter ein grandioser Band mit Erzählungen namens "The Wall of the Sky, the Wall of the Eye" und der verstörende Roadmovie-Roman "Amensia Moon", der einem Gerücht zufolge demnächst von David Lynch verfilmt werden soll, sind auf deutsch nicht erhältlich. Wenn "Motherless Brooklyn" die Resonanz erhält, die seinem Rang als souveräne Synthese der Sprechweisen spekulativer Genres und moderner Erzähltraditionen entspricht, wird sich das hoffentlich ändern.

Jonathan Lethem: "Motherless Brooklyn". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Zöllner. Tropen Verlag, Köln 2001. 370 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Zerrwelt im Klarspiegel
Edward Nortons ambitionierte Verfilmung des Romans "Motherless Brooklyn" ist eine detailreiche Zeitreise

Lionel Essrog hat eine Macke. Er hat Glas im Hirn, so bezeichnet er das Syndrom, dass er immer wieder unkontrolliert schräges Zeug äußert. Sinnlose Silben, die er auch mit viel Kaugummi nicht zurückhalten kann. Er klingt dann wie ein Spinner, dabei ist ansonsten mit seinem Kopf alles in Ordnung. Es ist halt so, als würde er mit einem Anarchisten zusammenleben, auch das ist eine seiner Formulierungen. Als Erzähler des Films "Motherless Brooklyn" aus dem Off klingt Lionel hingegen ganz normal, so, als hätte er immer schon den Überblick gehabt. Das gilt aber wohl erst vom Ende dieser großen und verschlungenen Geschichte her. Sie spielt in New York in den 1950er Jahren.

Lionel arbeitet für den Privatdetektiv Frank Minna (Bruce Willis), der gleich zu Beginn umgebracht wird. Vor vielen Jahren hat Frank den Waisenjungen Lionel, wegen seiner Macke auch "Freakshow" und wegen seiner Herkunft manchmal einfach "Brooklyn" genannt, unter seine Fittiche genommen. Ein fotografisches Gedächtnis ist eines der Talente, die Lionel zur Tätigkeit eines Detektivs befähigen. Mit dem Mord an Frank Minna nimmt ein Kriminalfall Konturen an, der tief in den korrupten Strukturen von New York verwurzelt zu sein scheint. Und Lionel macht sich tapsig daran, vielen Fäden nachzugehen. Er ist alles andere als einer dieser hartgesottenen Typen, wie sie Humphrey Bogart häufig spielte, nach Romanen von Raymond Chandler und Kollegen. Lionel ist eher ein Romantiker, der dann aber an der Aufgabe wächst, die er sich gestellt hat, als Nachfolger und Rächer seines Mentors. Er tut so, als wäre er Journalist, und deckt auch tatsächlich eine Menge auf. Der Stadtentwickler Moses Randolph (Alec Baldwin in einer prächtigen Schurkenrolle) geht mit seinen gigantomanen Plänen gelegentlich auch über Leichen, vor allem aber vernichtet er die Wohnungen vieler einfacher Menschen, darunter sehr viele schwarze New Yorker.

Bei der rassistischen "Slumbeseitigung" bezieht Norton sich auch auf eine historische Figur: Robert Moses wurde gelegentlich als "der Mann, der New York erfand", bezeichnet. In den Diskussionen über seine Konzeptionen ging es immer wieder auch darum, inwiefern die großflächigen Pläne diskriminierende oder segregierende Aspekte hatten. Norton geht mit der Figur von Moses Randolph deutlich über den historischen Robert Moses hinaus: Er zeichnet einen Mann mit einem Übermenschensyndrom, einen Technokraten, bei dem die Korruption in den Beziehungen zur Stadtverwaltung eher so etwas wie Kleinkram ist, etwas, womit man Bürokraten an Pläne gewöhnt, die ihre Befugnisse sowieso weit übersteigen.

Der tiefen Stadt mit ihren Netzwerken weißer Männer stehen die zahlreichen Figuren gegenüber, die in "Motherless Brooklyn" auf der anderen Seite stehen: eine resolute Bürgerrechtlerin (Gugu Mbatha-Raw), ein Jazztrompeter (Michael K. Williams, bekannt als Omar aus der Serie "The Wire") und dann auch noch Paul, der rechtschaffene Bruder von Moses Randolph (wieder einmal eine große, kleine Rolle für Willem Dafoe).

Für den Schauspieler Edward Norton war "Motherless Brooklyn" ein Herzensprojekt. Er ging dabei von dem gleichnamigem Roman von Jonathan Lethem aus, einem Autor, der, man denke auch an "The Fortress of Solitude", immer zugleich Stadthistoriker und Kulturmythologe ist. Schon 1999 sicherte Norton sich die Rechte, er war damals einer der aufstrebenden jungen Stars in Hollywood, er spielte neben Brad Pitt in "Fight Club", und er führte bei der Komödie "Keeping the Faith" auch schon einmal Regie. In den zwanzig Jahren, die seither vergangen sind, lief dann aber nicht immer alles rund für Norton, er hat inzwischen in der Branche eher das Image eines Schwierigen. Das dürfte sich nun, da es mit "Motherless Brooklyn" doch noch geklappt hat, wieder ändern.

Für seine Adaption hat Norton - neben vielen im Detail - eine entscheidende Veränderung gegenüber der Vorlage vorgenommen: er lässt die Geschichte in den späten 1950er Jahren spielen, während Lethem sie in seiner Erzählergegenwart, also vierzig Jahren später, situiert hatte. Damit bekommen die Schichtungen der kulturellen Überlieferung zusätzliches Gewicht. Der Roman lässt sich ohne Weiteres als Pastiche lesen, ein weißer Nerd spielt noch einmal mit den Formeln des "Hardboiled"-Genres und verleiht ihm mit einem Beiseite-Sprecher einen untypischen, gebrochenen Helden. Norton hingegen kehrt gleichsam an den Ursprung zurück, weiß aber natürlich, dass das nicht so einfach geht. So wird vor allem der Jazz der Schlüssel zu allen anderen Aspekten dieser Geschichte: Der "Trumpet Man" spielt die Nummer, zu der Lionel schließlich einen vorsichtigen Tanz wagen muss, ein Mann auf fremdem Terrain, ein ewig Einsamer, der plötzlich von einer schönen Afroamerikanerin zu sicheren Schritten geführt wird. Lionel, der "Mutterlose", verbindet in diesem Moment die Gegenkultur von Harlem mit der anderen Gegenkultur des historischen Brooklyn.

Norton schlägt allerdings eine musikalische Brücke in die Gegenwart. Er hat Daniel Pemberton für einen elegischen Soundtrack verpflichtet, und Thom Yorke von Radiohead steuert einen Song bei. Heute ist Brooklyn das größte Hipsterviertel von New York. Und die Vereinigten Staaten haben einen Präsidenten, der als Immobilienentwickler begann, sodass man bei der Figur von Moses Randolph unweigerlich auch an Donald Trump denken mag, oder eher noch an dessen Vater Fred C. Trump. Vor diesem Hintergrund erweist sich das, was man auch für Nortons Nostalgie halten könnte, als eine Idee von Gegenwartskritik: Er kreuzt eine Zeit, in der ein Mann mit einer Macke noch bis zu einem Tyrannen in die Sauna vordringen konnte, um mit ihm einen philosophierenden Dialog zu führen, mit einer Zeit, in der die Hybris der Macht in Amerika moralisch leer ist. Sie ist nicht einmal jenseits von Gut und Böse, sondern zeigt sich als eine Entstellung der Eigenschaft, die Lionel so richtig "mutterlos" macht: Sein Tourette-Syndrom, mit dem er scheinbar alles zerfallen lässt, macht ihn zum Mann, der alles zusammenführt und integriert. In dieser Figur produktiver Anarchie erweist sich "Motherless Brooklyn" am deutlichsten als historisierender Spiegel einer unfassbaren Gegenwart.

BERT REBHANDL

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