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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: Edition Memoria / Schumann
  • 1999.
  • Seitenzahl: 368
  • Erscheinungstermin: Dezember 1999
  • Deutsch
  • Abmessung: 200mm x 126mm x 40mm
  • Gewicht: 527g
  • ISBN-13: 9783930353101
  • ISBN-10: 3930353105
  • Artikelnr.: 07918255
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2000

Der Advokat als Pamphletist
Und ein Opfer der Kreuzottern-Prämie: Walther Rodes Lesebuch

Er ist nicht in den Rang der Originale aufgestiegen, von denen uns Anekdotensammlungen künden. Der Advokat und Autor Walther Rode zählt zu den längst und gründlich vergessenen Gestalten der Zwischenkriegszeit. Rode war stets streitbar bis an die Grenze des Querulantentums, ihm wurde das Tribunal nicht nur zur Szene, sondern auch zum publizistischen Forum. Einst bewunderte der "Sprechsteller" Anton Kuh seinen brillanten Stil, und Kurt Tucholsky rühmte den Österreicher als unerreichtes Vorbild für die Juristen der Weimarer Republik: "Nie, niemals brächte ein deutscher Anwalt den inneren Mut auf, über das Reichsgericht zu urteilen wie jener über den Obersten Gerichtshof", so Peter Panter in der "Weltbühne".

Walther Rode wurde 1876 in einer assimilierten jüdischen Familie in Czernowitz geboren. Das Studium der Rechtswissenschaften beendete er anno 1900 an der Universität Wien mit der Promotion. Bald erwarb er sich durch seine Vorliebe für politisch motivierte Verfahren einen einschlägigen Ruf. Mit Verve verteidigte er ruthenische Studenten gegen Kakaniens Obrigkeit und strengte einen Ehrenbeleidigungsprozess gegen Henryk Sienkiewicz an, der ebendiese Studenten verhöhnt hatte: Prompt erhielt der Nobelpreisträger eine Geldstrafe. Im spektakulären "Friedjung-Prozess" vertrat Rode, der Rechtsfreund aller vermeintlichen Hoch- und Landesverräter, einen der Führer der serbokroatischen Koalition. Aber erst die Schrecken der schwarzgelben Militärjustiz verwandelten den Pazifisten in einen erbitterten Feind jeglichen staatlichen Gewaltmonopols. Richter, Staatsanwälte und Beamte, für deren Erlegung er "Kreuzottern-Prämien" vorschlug, wurden zu Zielscheiben seines erbarmungslos sachkundigen Spotts, den er in Broschüren und Zeitungsartikeln unter die Leute brachte. Zweimal wurde er vor Österreichs Obersten Gerichtshof zitiert, weil er zu "Hass und Verachtung" wider das ehrwürdige Gremium aufgestachelt habe. Indes sprachen ihn die Geschworenen mit überwältigender Mehrheit frei. Um die Blamage der Blamierten vollkommen zu machen, publizierte Rode gleich darauf sein glänzendes Schlussplädoyer in eigener Sache. Im Jahre 1930 kehrte er freilich dem Barreau erschöpft den Rücken und zog sich in die Schweiz zurück, wo er sich ganz seiner fachschriftstellerischen, meist polemischen Tätigkeit widmete. Außerdem hatte ihn das "Prager Tagblatt" zum Berichterstatter beim Völkerbund in Genf bestellt. Seine Beiträge erschienen in renommierten Blättern, vom "Querschnitt" bis zum "Tage-Buch". 1934 veröffentlichte der Zürcher Europa-Verlag Rodes Abrechnung mit dem nationalsozialistischen Rassenwahnregime: "Deutschland ist Caliban". Im August desselben Jahres gab ein hilfreicher Kollege in seinem Tessiner Haus ihm zu Ehren ein Fest. Mitten im Tanz brach der Gast, ein "Finalmente!" auf den Lippen, tot zusammen.

Am 12. März 1937, genau zwölf Monate vor dem Einmarsch von Hitlers Truppen, verfügte ein Wiener Staatsanwalt die Beschlagnahme von Walther Rodes Band "Knöpfe und Vögel", der schon auf den Berliner Scheiterhaufen verbrannt worden war. Bereits 1931 auf den Markt gekommen, war dieses "Lesebuch für Angeklagte" Summe der Berufserfahrung und Ausdruck seiner Passion gewesen. Die überfällige Neuausgabe des verschollenen Textes hat nun Thomas B. Schumann besorgt, von Gerd Baumgartner stammt ein sehr informatives Nachwort.

Rodes Werk verstand sich nicht als zynisches Vademekum für Verbrecher, eher als Anleitung, wie man sich - in die Mühlen der irdischen Gerechtigkeit geraten - möglichst unbeschadet daraus befreien kann. Er selbst begriff sich immer als Verteidiger des Individuums gegen den anonymen Apparat. Dass er, geschult an den Klassikern der Rechtslehre und den französischen Moralisten, ein besonders klares, prägnantes Deutsch schrieb, scheint kaum verwunderlich. Doch die aphoristische Zuspitzung seiner Sätze beweist beträchtliches literarisches Talent. Äußerste Verknappung war das Prinzip des Stilisten und Satirikers Walther Rode. "In Gesellschaft, Handel und Geschlechtsverkehr kommt es auf die Form und die Fristen an", heißt es da in beispielhafter Nüchternheit. Und als Kenner der Menschendinge und ihrer Abgründe bevorzugte er statt der Theoretiker der Kriminologie Shakespeare und Dostojewski. Mit dem "Machiavelli für Angeklagte", so sein Prophet Anton Kuh, gelang Walther Rode eine ebenso amüsante wie bedenkenswerte Typologie - sowohl der bürokratischen Machthaber als auch der Ohnmächtigen, der armen Sünder. Das Motto seines Lebens und Wirkens bestand aus einem einzigen Wort: Zivilcourage. "Knöpfe und Vögel" ist darum gerade heute Pflichtlektüre nicht bloß für ein forensisches Publikum: Kein potentieller Delinquent, und wer wäre das nicht, sollte achtlos daran vorübergehen.

ULRICH WEINZIERL

Walther Rode: "Knöpfe und Vögel. Lesebuch für Angeklagte". Mit einem Essay von Anton Kuh und einem Nachwort von Gerd Baumgartner. Herausgegeben von Thomas B. Schumann. Edition Memoria, Hürth bei Köln 2000. 368 S., geb., 59,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Walther Rode dürften wohl die wenigsten kennen, weder als Jurist noch als Autor, befürchtet Rezensent Horst Meier. Um so wichtiger findet er es, dass dieser bereits vor fast siebzig Jahren verstorbene sprachgewandte Kritiker der Justiz einem breiteren Publikum bekannt gemacht wird. War Rode zunächst eher ein Verfasser von Gerichtsreden, Pamphleten und Artikeln, die allerdings von einer Schärfe waren, die ihn in so manche Auseinandersetzung mit den Behörden trieb, stellt das "Lesebuch für Angeklagte" eine Neuheit in seinem Schaffen dar, so Meier: Dieses "sorgfältig zusammengestellte" Lesebuch enthalte "über siebzig geschliffene Skizzen", in denen Rode zeige, "wie es um die gebrechliche Einrichtung namens Justiz und ihre so schwindsüchtige Gerechtigkeit bestellt ist". Auch wenn das Werk, das 1933 von den Nazis verbrannt und 1937 in Österreich als "staatsgefährdend" verboten wurde, keinem heutigen Angeklagten von praktischem Nutzen sei, hält Meier es doch auch heute noch für lesenswert - als "wunderschöne Flaschenpost".

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