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Produktdetails
  • Verlag: Secolo
  • Seitenzahl: 320
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 622g
  • ISBN-13: 9783929979558
  • ISBN-10: 3929979551
  • Artikelnr.: 27620356
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2001

Traut the Kraut und andere
Deutsche Zuwanderer in Großbritannien 1945 bis 1951

Johannes-Dieter Steinert/Inge Weber-Newth: Labour and Love. Deutsche in Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg. secolo Verlag, Osnabrück 2000. 320 Seiten, 78,- Mark.

Lange bevor Jürgen Klinsmann sein Geld bei den Tottenham Hotspurs verdiente, hatten die englischen Fußballfans einen Publikumsliebling aus Deutschland. Der legendäre Bernd Trautmann war in den fünfziger Jahren Torwart bei Manchester City und gewann 1956 trotz eines gebrochenen Halswirbels mit seinem Verein den Ligapokal. "Traut the Kraut" war der berühmteste von rund 15 000 deutschen Kriegsgefangenen, die nach der Freilassung auf den Britischen Inseln blieben und zur beträchtlichen Migration aus ihrem kriegszerstörten Heimatland nach Großbritannien beitrugen. Insgesamt entschieden sich zwischen 1945 und 1951 ungefähr 60 000 Deutsche für ein Leben jenseits des Kanals.

Die Hauptgruppen bildeten neben den Kriegsgefangenen etwa 10 000 Bräute heimkehrender britischer Besatzungssoldaten sowie 20 000 Frauen, die eigens für eine Tätigkeit im Gesundheitswesen, in Privathaushalten oder in der Textilindustrie angeworben wurden. Der Historiker Johannes-Dieter Steinert und die Sozialwissenschaftlerin Inge Weber-Newth haben sich mit politik-, sozial- und alltagsgeschichtlichen Aspekten dieser bislang wenig beachteten Migrationswelle beschäftigt. Sie haben dafür nicht nur Archive in Großbritannien und Deutschland durchforscht, sondern auch über sechzig Zeitzeugen befragt.

Der Titel der Studie "Labour and Love" beschreibt anschaulich die Motive vieler Interviewpartner, nach Großbritannien überzusiedeln beziehungsweise nicht nach Deutschland zurückzukehren. Zirka 800 entlassene Kriegsgefangene hatten noch während der Haft britische Frauen geheiratet. Andere zogen die Arbeit als Knechte auf schottischen oder englischen Höfen der Rückkehr in die ungewissen Verhältnisse der Heimat vor - zumal dann, wenn ihre nächsten Angehörigen tot waren oder in der Sowjetischen Besatzungszone lebten.

Was bewegte die Londoner Regierung, derartige Entscheidungen nicht nur zu tolerieren, sondern sogar mit staatlich organisierten Kampagnen planmäßig um deutsche Zuwanderer zu werben? Das Land litt unter hoher Staatsverschuldung, einem immensen Devisenbedarf und den enormen Kosten seiner internationalen militärischen Verpflichtungen, nicht zuletzt der Besetzung Deutschlands. Die regierenden Sozialisten förderten daher nach Kriegsende gezielt exportorientierte Wirtschaftszweige wie die Textil-, Kohle-, Eisen- und Stahlindustrie, um die Zahlungsbilanz zu verbessern. Dies verschärfte freilich den Arbeitskräftemangel insbesondere in der Landwirtschaft und dem Gesundheitswesen und machte eine aktive Einwanderungspolitik notwendig. Bei der Werbung wurden nordeuropäische Migranten gegenüber solchen aus dem Mittelmeerraum, Afrika oder Asien bevorzugt, denen man aufgrund größerer kultureller und rassischer Unterschiede geringere Assimilationschancen zutraute. Auf diese Weise avancierte neben dem Baltikum der ehemalige Kriegsgegner Deutschland zu einem bevorzugten Rekrutierungsgebiet.

Nicht immer war dabei klar, wer tatsächlich als Deutscher firmierte und wer nicht. Die 1300 sudetendeutschen Textilarbeiterinnen zum Beispiel, die man 1949 in der amerikanischen Besatzungszone anwarb, galten der britischen Regierung nicht als deutsche Staatsangehörige, sondern lediglich als Volksdeutsche. Nur weil sich die amerikanische Regierung unnachgiebig zeigte, durften sie schließlich mit deutschen Ausweispapieren nach Großbritannien einreisen.

Manche Migranten nutzten später Unklarheiten hinsichtlich ihrer Nationalität, um deutschfeindlichen Vorurteilen in Großbritannien aus dem Weg zu gehen. Immer wieder hörten Steinert und Weber-Newth in Gesprächen mit Zeitzeugen, man habe sich lieber als Pole oder Tscheche, Niederländer, Schweizer oder Österreicher ausgegeben, um nicht als Nazi angepöbelt zu werden. Andere Zuwanderer machten bessere Erfahrungen. Sie berichteten, daß sich die feindselige Atmosphäre der vierziger und fünfziger Jahre spätestens nach dem britischen EG-Beitritt in den siebziger Jahren deutlich entspannt habe.

Bernd Trautmann hatte den Umschwung des geistigen Klimas bereits 15 Jahre früher erlebt. Bei seinem ersten Spiel für Manchester City titulierten englische Zeitungen ihn noch als "Kriegsverbrecher im Tor" und fragten: "Was soll der Nazi auf dem Platz?" Sieben Jahre später wurde er zum englischen Fußballer des Jahres gewählt.

DOMINIK GEPPERT

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Über eine "wenig beachtete Migrationswelle" klärt uns dieses Buch nach Auskunft des Rezensenten Dominik Geppert auf: Etwa 60.000 Deutsche siedelten sich zwischen 1945 und 51 in Großbritannien an, viele Kriegsgefangene darunter, die nicht in die Heimat zurückkehrten oder Ehefrauen britischer Soldaten, die diese aus Deutschland mitbrachten. Darüber hinaus aber, so berichtet Geppert, zeigen die Autoren des Bandes anhand von Quellen, dass die Regierung Großbritanniens damals eine regelrechte Einwanderungspolitik führten, bei der sie auch um deutsche Auswanderungswillige warben. Grund seien der Arbeitskräftemangel nach dem Krieg und eine exportorientierte Wirtschaftspolitik gewesen. Über die Machart des Buchs sagt Geppert recht wenig. Immerhin geht aus der von Geppert kolportierten Geschichte des deutschen Fußballspielers Bernd Trautmann hervor, dass die Autoren sich nicht mit politischer Geschichte und Statistik begnügen - "Traut the Kraut" brachte es zu dieser Zeit zu erheblicher Popularität als Torwart eines Clubs aus Manchester. Geppert betont auch, dass die Autoren über sechzig Zeitzeugen für das Buch interviewten.

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