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Einunddreißig Kriegsgefangene erzählen von ihrem Leben hinter Stacheldraht. Die Berichte werden vom Verfasser ausführlich kommentiert und mit Skizzen, Fotos und Dokumenten belebt.

Produktbeschreibung
Einunddreißig Kriegsgefangene erzählen von ihrem Leben hinter Stacheldraht. Die Berichte werden vom Verfasser ausführlich kommentiert und mit Skizzen, Fotos und Dokumenten belebt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2004

Hoffnung und Verzweiflung
Berichte aus amerikanischer und sowjetischer Kriegsgefangenschaft

Wolfgang Schlauch: In amerikanischer Gefangenschaft. Berichte deutscher Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Baier BPB Verlag, Crailsheim 2003. 250 Seiten, 19,95 [Euro].

Helmut Grüter: Überleben in russischer Gefangenschaft 1945-1953. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2002. 412 Seiten, 28,- [Euro].

Aus den entsetzlichen Massenstatistiken des 20. Jahrhunderts das Einzelschicksal hervortreten zu lassen ist ebenso ein Gebot mitfühlenden Gedenkens wie der historischen Aufklärung darüber, wie Persönliches und Politisches ineinander verwoben sind. Für die Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges ist das in den meisten Ländern in zahllosen wissenschaftlichen Studien, literarischen Werken und autobiographischen Schriften geschehen. Allein das jüngste Standardwerk über das Geschick der gut drei Millionen deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion verzeichnet etwa tausend Titel, dreihundert davon gedruckte Berichte und Erinnerungen von Heimkehrern aus den russischen Lagern. Deren Tragödie ist ebensowenig aus dem Blick der Wissenschaft geraten oder gar aus dem nationalen Gedächtnis gefallen wie der alliierte Bombenkrieg gegen die deutschen Städte oder die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten.

Anders als die sowjetischen Soldaten in der Hand der Wehrmacht waren die elf Millionen deutschen Kriegsgefangenen keiner Vernichtungsstrategie von Staats wegen ausgesetzt, auch in der UdSSR Stalins nicht. Dennoch bestimmte das Roulette von Ort, Zeit und Dauer der Internierung ihre Überlebensaussicht. Ergab sich der Landser zwischen 1943 und 1945 der Roten Armee, so schwankte seine Aussicht auf einen elendiglichen Tod zwischen 30 und 50 Prozent; sackten ihn die Amerikaner im Mai 1943 in Tunis ein, so erwarb er damit eine Art Überlebensversicherung. Von den 370 000 Gefangenen, die in Georgia Baumwolle pflückten oder in Texas Bettlaken wuschen, starben nur etwa 0,09 Prozent; wurden sie nach der Überfahrt zu ihrem Entsetzen jedoch den Franzosen übergeben, begann für die meisten ein nicht mehr erwarteter Leidensweg. Der hatte im Westen freilich 1948 überall ein Ende.

Die von Wolfgang Schlauch gesammelten 31 Berichte und Tagebuchauszüge von später meist in Nordwürttemberg ansässig gewordenen ehemaligen Kriegsgefangenen vermitteln viel Vertrautes aus dem Lageralltag bei den Amerikanern - das Staunen über den american way of life, die üppigen Mahlzeiten, die florierenden Bildungsaktivitäten, die Borniertheit einiger umerziehungsresistenter Altnazis, vor allem aber die dankbare Erkenntnis, bei einem insgesamt "freundlichen Feind" gelandet zu sein. Obwohl sie auch allerlei Ruppigkeiten zu erdulden hatten, namentlich nach der Befreiung der Konzentrationslager, würden sie "wie Menschen behandelt", notierte sich ein 43jähriger Funker in Camp Crowder (Missouri) bald nach Kriegsende in seinem Tagebuch.

Schlauch kann auch einige Berichte aus den berüchtigten "Rheinwiesenlagern" präsentieren. Sie markieren einen temporären Tiefpunkt im Umgang der U. S. Army mit ihren ungefähr 3,8 Millionen deutschen Kriegsgefangenen. In einem guten Dutzend Lagern links des Rheins zwischen Büderich und Bad Kreuznach unter freiem Himmel zusammengepfercht, erlitten mehr als 800 000 "Kapitulationsgefangene" 1945 hier über einige Monate hinweg ein wahres Martyrium, dem insgesamt zwischen einem und allerhöchstens fünf Prozent von ihnen zum Opfer gefallen sein dürften. Die alliierten Stäbe standen den Menschenmassen der plötzlich kollabierenden "Rheinfront" weitgehend hilflos gegenüber, orientierten sich nicht am Kriegsvölkerrecht und machten sich so eines "Kriegsverbrechens" (Arthur L. Smith) schuldig.

Mitnichten jedoch hat der Oberkommandierende der alliierten Invasionsarmee, General Dwight D. Eisenhower, im Rheinland wissentlich und willentlich jene "vermißte Million" Kriegsgefangener zu Tode gebracht, wie einige Revisionisten der apologetischen Szene bis heute weismachen wollen. Ein Blick in die Akten würde sie lehren, wie die westdeutschen Behörden bereits 1947/48 herausgefunden hatten, daß die tatsächlich "verschwundenen" 1,15 Millionen deutschen Soldaten in der Sowjetunion zu suchen waren. Bis heute harrt das Schicksal der Hälfte von ihnen noch immer der Aufklärung. In regimetypischer Intransigenz versuchte der Kreml mit handfesten Lügen über Jahrzehnte hinweg die anfänglich exorbitante Todesrate bei den Deutschen in seinem Gewahrsam zu verschleiern und sich darüber hinaus mit allen erdenklichen scheinjuristischen Machenschaften - darunter vor allem rein willkürlichen Pauschalverurteilungen, die seit 1992 von russischer Seite so gut wie alle aufgehoben werden - und weit über den zwischen den Siegermächten vereinbarten letzten Repatriierungstermin (31. Dezember 1948) hinaus ein Maximum an fremder Arbeitskraft zu sichern. Die letzten Spätestheimkehrer trafen bekanntlich erst im Januar 1956 in Deutschland ein.

Helmut Grüter blieb nicht verschwunden. Er konnte seine Angehörigen am 1. Oktober 1953 in die Arme schließen, davor und danach von Tausenden anteilnehmenden Landsleuten begrüßt. Hinter dem ehemaligen Hauptmann aus gutem Duisburger Hause (der am 20. Mai 1945 mit den Resten der Armeen des nach Westen geflohenen Generalfeldmarschalls Ferdinand Schörner bei Prag in russische Gefangenschaft geraten war) lag eine Odyssee durch den ganzen Kosmos der sowjetischen Kriegsgefangenenlager, einschließlich des GULag im kasachischen Karabas, 40 Kilometer südlich von Karaganda; streckenweise buchstäblich auf den Spuren Alexander Solschenizyns.

Hier ist er von Mai 1949 bis November 1950 von jeglicher Postverbindung abgeschnitten, hat sich in einer "Wolfswelt" durchzusetzen, wird aus unerfindlichem Grund mehrmals von den abgehenden Heimtransporten ausgeschlossen, schließlich zu Abtäufungsarbeiten ins Donezer Bergbaugebiet und damit zurück in den Archipel der regulären Kriegsgefangenenlager verfrachtet. 1952, im "Jahr ohne Hoffnung", ist er weiter denn je von seiner "Sehnsuchtslandschaft" entfernt, obwohl er von dort inzwischen Päckchen empfangen darf, die immerhin dem jahrelangen Hunger und körperlichen Verfall ein Ende machen.

Zu alldem hat der hochgebildete Humanist Grüter in seinen Siebzigern ein facettenreiches und reflektiertes Dokument eines einstmals ganz normalen Massenschicksals geschaffen. Vielleicht weil er so spät entstanden ist, unterscheidet sich dieser bemerkenswerte autobiographische Bericht ebenso deutlich wie wohltuend von der frühen Erinnerungsliteratur der Ehemaligen, die weithin von antislawischen Ressentiments, einem penetranten Überlegenheits- und Pflichterfüllungspathos, jedenfalls kaum von einer aufrichtigen Reflexion des Zusammenhangs von persönlichem Schicksal und historischem Kontext geprägt war. Oder wo wäre man dort auf Sätze wie diesen gestoßen: "Wer ehrlich gegen sich selbst war, mußte eingestehen, daß wir nichts Besseres verdient hatten. Denn wir hatten dieses Land überfallen und verwüstet, den Krieg verloren, dafür mußten wir büßen"?

Die Erinnerungen von Helmut Grüter, dem zwischen 1938 und 1953 seine besten Jahre gestohlen wurden, eröffnen uns in seinem Werk aber auch die andere, so gut wie immer vernachlässigte Seite dieses großen Dramas der Gefangenschaft: die Hoffnung und Verzweiflung der Wartenden. Bei Kriegsende legte seine Mutter zu ihrer seelischen Stütze ein Tagebuch an und führte es bis zur Heimkehr des ältesten Sohnes. Nur wenige Auszüge daraus sind wiedergegeben, doch es sind die eindringlichsten Passagen dieses eindrücklichen Buches - ein bewegendes Zeugnis von Tapferkeit, Gottvertrauen und Mutterliebe.

KLAUS-DIETMAR HENKE

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Klaus-Dietmar Henke stellt dieses Buch Helmut Grüters "Überleben in russischer Gefangenschaft" zur Seite, das jedoch den Schwerpunkt seiner Doppelrezension bildet. In seiner nahezu wertungsfreien Besprechung berichtet er, dass der Autor 31 Berichte und Tagebuchauszüge deutscher Soldaten in amerikanischer Kriegsgefangenschaft präsentiert, die größtenteils das vertraute Bild bestätigen: man befand sich in der Händen eines "freundlichen Feindes" und hatte, gerade im Gegensatz zu den in sowjetische Gefangenschaft Geratenen, "eine Art Überlebensversicherung". Ein konträres Bild zeichneten lediglich die Dokumente aus den "Rheinwiesenlagern", in denen 800.000 Kapitulationsgefangene untergebracht waren. Die miserablen Bedingungen dort sind den überforderten Alliierten des öfteren als Verstoß gegen das Kriegsrecht vorgeworfen worden, wie der Rezensent informiert.

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