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Produktdetails
  • Verlag: Achilla Presse
  • Seitenzahl: 210
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 380g
  • ISBN-13: 9783928398657
  • ISBN-10: 3928398652
  • Artikelnr.: 25276049
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2000

Eiskalt wie die Heizungsrippe
Jan Sonnergaard will das wahre Kopenhagen zeigen, knallhart

"Radiator" heißt auf Dänisch "Heizung". Der Titel, den Jan Sonnergaard seiner ersten Erzählsammlung gibt, spielt auf eine dänische Debatte an, in der der Dichter Niels Frank mit der Bemerkung, er werde niemals Wörter wie dieses in seinen Gedichten verwenden, das Sonderrecht poetischer Rede verteidigte. Sonnergaards Überschrift antwortet darauf mit einem Bekenntnis zur Darstellung des Alltags in der Literatur. Zugleich wird das Wort auf den letzten Seiten des Buches aufgegriffen, wo Truman Capotes Bericht zitiert wird, Barbara Hutton habe in Tanger ihr Bett durch die Frau ihres Arztes anwärmen lassen, weil sie hypothermisch war. Damit sind wesentliche Eigenschaften von Sonnergaards Prosastücken umrissen: Es soll um die harte Realität gehen. Innerlich ist den Akteuren kalt.

Da ist die Sauftour des Junggesellen, die in der Entladung von Aggressionen endet - der Bräutigam wird von seinen Kumpanen totgeprügelt. Da ist der Arbeitslose, den ein alter Bekannter mit Auskünften über sein Wohlergehen und einem Geschenk demütigt. Da ist die Gruppe frustrierter Jugendlicher, die marodierend durch die Horte des Wohlstands zieht und die Servicegesellschaft mit ihren eigenen Waffen schlägt. Sonnergaard will schwarz sein, böse, hart. Ein angry young man, der dem vertrauten Bild dänischer Mittelstandsstabilität und Aufschwungsdynamik ein Milieu der Vereinzelung im Nordwesten Kopenhagens (Postbezirk "2400 NV") entgegensetzt, in dem einsame Herzen und unharmonische Paare ihren Daseinskampf kämpfen.

Nichts einzuwenden ist gegen das Bestreben, zu der Zerstörung der heilen Welt der dänischen Gesellschaft, die seit dem Erscheinen des Buches in Dänemark (1997) auch von den Filmen der "Dogma 95"-Gruppe betrieben worden ist, mit literarischen Mitteln beizutragen. Sonnergaard schreibt seine Miniaturschicksale von Großstadtverlierern so temporeich und energisch in die Wahrnehmung des Lesers hinein, dass sie an Plastizität keinen Mangel haben. Es fehlt ihm über weite Strecken an der stilistischen Handhabe, aus diesen Momentaufnahmen in ihrer - auch sprachlich - provozierenden Direktheit mehr zu machen als Statements der Aufgebrachtheit.

Nur in der längsten Geschichte, in der ein Barmann seiner Traumfrau begegnet, die ihm und seinem alkoholisierten Arbeitsplatz etwas Glanz und eine Mischung aus Zuneigung und Unverbindlichkeit verleiht, am Ende aber sich in Luft auflöst, gelingt es, Spannung aufzubauen. Doch auch hier bleiben wir nicht von jenen Plumpheiten verschont, die Sonnergaard in dem bemüht apokalyptischen Abschied eines frustrierten Doktoranden von der akademischen Welt münden lässt - Achtung, autobiografischer Bezug! Narrative Grobheit und Überdeutlichkeit sind mit Ausrutschern im Einzelnen garniert, etwa wenn jemand zittert "wie ein Wackelpeter in der Hand eines Obers mit Alzheimer-Syndrom". Recht aufgesetzt wirkt Sonnergaards Entscheidung, einigen Erzählungen eine surreal-fantastische Wendung zu geben; er wird damit ebenso wenig zum Untergrund-E.T.A. Hoffmann wie durch seine sozialrealistischen Übungen in trinkfestem Sarkasmus zum dänischen Bukowski.

Nicht zu beneiden ist der Übersetzer, der den Slang des Originals ins Deutsche übertragen musste. Trotz einiger Ungenauigkeiten - so wird das dänische "flot" ("nett", "schön") mit "flott" wiedergegeben - ist die Unausgereiftheit der Prosa dem Erzähler geschuldet. "Ich habe versucht, das Buch wie eine CD zu machen", hat Jan Sonnergaard in einem Interview gesagt: grobe Seiten des Nordens im Schnelldurchlauf. Man wird dafür weder die Replay-Taste noch das Lesezeichen benötigen, das diesem Buch beigebunden ist.

JOHAN SCHLOEMANN

Jan Sonnergaard: "Radiator. Geschichten aus der Kopenhagener Provinz". Aus dem Dänischen übersetzt von Peter-Urban Halle. Achilla Presse, Hamburg, Bremen, Friesland 2000. 210 S., geb., 32,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

In der Heimat des Autors sei das Buch ein Knüller, weiss Rezensent "c.hr." und vermittelt uns eine Ahnung, warum das so sein könnte. Als Zerrspiegel einer wertelosen Gesellschaft bezeichnet er die zehn Erzählungen. Sie rüttelten auf, und was sie reflektierten, bleibe haften. Es wird die Sprache sein und die Neigung zum Grotesken, wie sie "c.hr" in seiner Besprechung feststellt, der schwarze Humor und der makabre Zynismus des Autors, die das Buch so erfolgreich haben werden lassen. Mit der nun vorliegenden, vom Rezensenten knapp als "stimmig" gelobten Übersetzung sollte dies auch bei uns gelingen.

© Perlentaucher Medien GmbH