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Mit "Flucht, um wieder heimzukehren" umschreibt Günter Herburger seinen Drang, der Enge des Schreibtischdaseins ein tägliches Lauf- und Trainingspensum entgegenzusetzen. Die Höhepunkte bilden Marathon- und Extremlangstreckenläufe, die ihn in unterschiedliche Städte, Landschaften und Klimazonen führen. Riga, Emmental, Cinque Terre, Paris, Sinai - die Begegnungen mit Wegen, Personen, Orten überlagern sich mit Assoziationen zu historischen Begebenheiten, mit lyrischen Passagen und naturwissenschaftlichen Betrachtungen zur eigenen Körperlichkeit. Die Hoffnung auf Entäußerung als zentrale…mehr

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Produktbeschreibung
Mit "Flucht, um wieder heimzukehren" umschreibt Günter Herburger seinen Drang, der Enge des Schreibtischdaseins ein tägliches Lauf- und Trainingspensum entgegenzusetzen. Die Höhepunkte bilden Marathon- und Extremlangstreckenläufe, die ihn in unterschiedliche Städte, Landschaften und Klimazonen führen. Riga, Emmental, Cinque Terre, Paris, Sinai - die Begegnungen mit Wegen, Personen, Orten überlagern sich mit Assoziationen zu historischen Begebenheiten, mit lyrischen Passagen und naturwissenschaftlichen Betrachtungen zur eigenen Körperlichkeit. Die Hoffnung auf Entäußerung als zentrale Motivation wird häufig durch körperliche Grenzüberschreitungen (Ermüdungsbrüche, Krankheiten) enttäuscht; der begehrenswerte Zustand einer Verschmelzung von Körper und Geist stellt sich dennoch ein, ist schnell wieder verloren und wird erneut zum Ziel. Mit Verspieltheit und tückischem Witz entwirft Herburger ein eindringliches und plastisches Gefüge, das vor allem durch seine Leichtigkeit überzeugt, "als würden Augen riechen, Ellenbogen sehen, Knie schmecken, eine wunderreiche Erweckung nach Stolz und Pein".
Autorenporträt
Günter Herburger, geboren 1932 in Isny/Allgäu, studierte Philosophie und Sanskrit in München und Paris. Er lebte und arbeitete in verschiedenen Berufen in Frankreich, Spanien, Nordafrika und Italien. Herburger publizierte Romane, Erzählungen, Gedichte, Hörspiele, Fernsehdrehbücher sowie literatur- und gesellschaftskritische Beiträge. Er ist Mitglied des PEN und lebt heute als freier Schriftsteller in München. 2011 wurde Günter Herburger mit dem Lübecker Literaturpreis "Von Autoren für Autoren" ausgezeichnet und mit dem "Johann Friedrich von Cotta-Literatur- und Übersetzungspreis 2011".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.05.2005

Lebens-Lauf
Auf heißen Sohlen: Günter Herburgers „Schlaf und Strecke”
Zuerst der Hunger, dann Schwindel und Kopfweh, „als hätte ich einen zu engen Helm auf.” Der Langstreckenläufer kennt solche Zustände, auch Therapien dagegen: „Früher war es mir immer gelungen, in Schwächezuständen zu baden, im Vertrauen darauf, sobald der unsichere Grund der Erschöpfung erreicht war, halb blind wieder aus ihm herausklettern zu können.” Doch jetzt scheint selbst die schlaueste Taktik, das Eingeständnis der Schwäche, nicht mehr zu funktionieren. Die Bäume drehen sich im Kreis, „vor Übelkeit wankend” trinkt der Langstreckenläufer heißen Tee, isst Bananenstücke. Knapp entkommt er dem Sanitäter, der ihn auf eine Bahre packen will, dann geht es bergab, ein neuer Schwächeanfall treibt ihn auf ein Plätzchen unter Zweigen, „ich hätte sitzen bleiben sollen, bis ich eingewachsen gewesen wäre. Angst und Pläne hätten sich allmählich aufgelöst, und ich wäre zu einem Wesen aus Laub und Gräsern, Gemüse und Früchten geworden, wie sie Arcimboldo gemalt hatte.”
Nach „Lauf und Wahn” (1988) und „Traum und Bahn” (1994), ist „Schlaf und Strecke” das dritte Buch, in dem der 1932 in Isny im Allgäu geborene Schriftsteller Günter Herburger ebenso deutlich autobiographisch wie poetisch von seinen Langstreckenläufen berichtet. Allerdings: während der niederschmetternden holländischen Ouvertüre denkt man sich schnell: weit wird das nicht mehr gehen, „Schlaf und Strecke” wird wohl ein Abgesang, der Nimmermüde bald nur noch sitzen. Doch Herburger zieht sich gleich wieder geschickt aus dem Sumpf: Im lettischen Riga entdeckt er das Groteske der Welt, das ihn oft schon aufgerichtet und seine Aufmerksamkeit angestachelt hat, noch einmal neu.
Vor dem Bahnhof herrscht „Bananen- und Mädchenhandel (. . .) Mathematikerinnen, die blonde Perücken trugen und aus Omsk und Kiew herbeigereist sein mochten, wollten Lehrfibeln und Sonnenblumenkerne verkaufen.” Was ist der „Unterschied zwischen unbelichteten Filmen und Sauerkraut?” Aber nicht nur die Waren sind hier sonderbar, eine Läuferin zieht den Kollegen Herburger während der Strecke durch die Stadt am Arm. Sie zeigt auf ein Haus, ein Gefängnis, ihr Sohn sitze dort, Doppelmord, die Männer hätten sie überfallen. Die Läuferin hatte „blonde, zerzauste Haare und ein verzweifeltes Gebiss wie Leuchtspurmunition in der Reihenfolge: Stahlmantel, Lücke, Phosphor, Elfenbein, Stahlmantel, Gold.” Gut dazu passt, dass man den Läufer nachträglich vor den Wasserkannen der Landbevölkerung warnt: diese schöpfte nur aus von Russen mit Blei und Plutonium verseuchten Kanälen.
Man merkt bei dieser Art Läuferei bald, es geht nicht um die Zeit, sie wird auch im Gespräch mit anderen selten erwähnt. Der Ehrgeiz liegt eher darin, möglichst viele, möglichst absonderliche Läufe zu sammeln, Münchner Marathons und Ähnliches gelten kaum mehr. Herburger rennt auf Malta, driftet in die dortige surrealistische Höhlenwelt ab, acht Tage lang trabt er auf mehr als dreihundert Kilometern durch den Schweizer Jura, auf La Réunion wird er von Franzosen für einen „petit blanc des hauts”, white trash gehalten, bei Pietermaritzburg in Südafrika überholen ihn junge Schwarze „singend, als hätten sie doppelte Herzen” und auf einem 87-Kilometer-Lauf durch den Süden Marokkos wird ihm vom gesundheitskontrollierenden Personal mitgeteilt, die Lufttemperatur betrage auf Augenhöhe vierzig, auf Sohlenebene sechzig Grad.
Herburger ist, gerade in seinen läuferischen Stücken, ein im Wortsinn eigenartiger Schriftsteller: Humor, kombiniert mit sprachlicher Sorgfalt, genauem physiologischem Blick und Hang zum radikal Absurden, machen ihn zur ebenso unmöglichen wie überraschenden Figur eines „positiven Kafka”. Literatur ist „Laufen mit geschlossenen Augen” (in denen, wie im Traum, alles zusammen findet, was nur bedingt zusammen gehört).
Der Vorzug unpassender Worte
Was Herburger als Poetik des Gedichts formuliert, gilt ähnlich für seine Prosa: „Wenn Worte, die nicht zueinander passen, trotzdem, als hätten sie in der Geschichte träumerischer Konstruktion schon lange aufeinander gewartet, absichtslos zusammengehören und eine Grenze der Verständlichkeit, die es bisher gab, durchtrennen, sodass ein neuer duftender Entwurf entsteht”. In diesem Satz ist „duftend” ein irritierender Findling, den der Leser kaum vergisst, so wenig wie das letzte Wort des folgenden Satzes: „Ich denke jeden Tag an den Tod. Es ist eine Besessenheit, der ich nicht entrinne. Nur schreibend und jeden Morgen viele Kilometer flüchtend, kann ich wieder zurückkehren in mein Gesicht.”
Laufen ist für Herburger allerhand: eine Existenzform, in der man 10 Kilometer lang schlafen kann und sich dennoch bewegt oder ganz simpel aufregenderes Reisen, aber auch eine Art von Flucht, ein Kontakt mit der Welt, wie es ihn nur in fremden Gegenden gibt, und nicht zuletzt eine beiläufige Form der Kulturkritik, die sich nicht aufspielt, der jede Schwere fehlt, die im Vorbeigehen ein paar Giftpfeile losschickt, ohne sich auf eine Position festlegen zu lassen. Und sie kann sich ganz harmlos präsentieren. Wenn Herburger am Ende durch sein Allgäu läuft und zu viele betonierte Straßen spürt, räsoniert er: „Ich hätte aus einem großstädtischen Park ein Sandsträßchen einrollen und mitbringen sollen.”
HANS-PETER KUNISCH
GÜNTER HERBURGER: Schlaf und Strecke. A 1 Verlag, München 2004. 349 Seiten, 19,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Michael Kohtes beschreibt Günter Herberger als einen Mann der "Extreme", der sich sowohl dem Marathonlaufen wie dem Verfassen von langen Büchern verschrieben hat. Das vorliegende Werk, in dem sich der Autor seinen auf diversen Läufen gemachten Beobachtungen und Reflexionen hingibt und das durch die in den vergangenen Jahren absolvierten Marathonstrecken in verschiedenen Städten strukturiert wird, demonstriert einmal mehr die für Herberger "lebensspendenden Wechselwirkungen" zwischen Laufen und Schreiben, stellt der Rezensent beeindruckt fest. Er preist ihn als "Beobachtungsathleten", der sich bei seinen Läufen nicht nur auf die körperlichen Strapazen, sondern auch auf die "Erscheinungsvielfalt" seiner Laufumgebung konzentriert und dabei "mehr über Land und Leute zu erzählen" weiß "als so mancher Cicerone". Der Rezensent lobt diese "herrlich schwingende, leichtfüßig daherkommende Laufprosa", und stellt begeistert fest, dass sich Herberger dabei auch noch als "extrem gebildet" herausstellt.

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